Ich bin froh, dass ich im Augenblick nicht auf hoher See dahintreiben muss, um den Seeweg nach Indien zu suchen. Ich danke all den tapferen Seefahrern, Entdeckern und Abenteurern, dass mir diese Strapazen heute erspart bleiben können. Wenn mir Google Earth nicht immer wieder die Sachverhalte bestätigen würde, die wir alle in Geographie gelernt haben, würde ich vor Neugier platzen und am Ende selbst in See stechen müssen. Und wie schon der Titel eines Buches von Ilja Trojanow suggerieren will: Die Welt ist groß und Rettung lauert überall, ist die Welt in unsere Köpfe eingezogen und bietet uns unendlich scheinende Welten, in die wir reisen können. Migration verliert durch die Linse der Globalisierung betrachtet ihre ausländische Schattierung. Plötzlich scheinen wir alle Teil einer großen Fremde oder eines ganzen Planeten zu sein.
Doch die Erde hat für mich seltsame Flecken. Sie ist politisch segmentiert und zerfasert, und diese Fragmentation erinnert mich immer wieder daran, dass der Weltbürger ein Ideal und kaum real ist, denn jeder Bürger würde an Barrieren von Nationalstaatenpolitiken scheitern, noch bevor er Welt– oder Weltenbürger werden könnte. Und das schon seit Columbus. Die Welt ist groß? Nicht für jeden. Rettung? Kommt drauf an. Wer hat denn nun die ganze Welt regiert? – Niemand! Und das wird auch niemand, denn die ganze Welt passt nicht in einen einzigen Kopf. Selbst Geld gibt es nicht überall, also: Money doesn‘t rule the whole world, but just a part of it.
Wie könnte ich trotzdem noch Weltbürger im Geiste Humboldts werden? Würde es reichen, dass ich mehr als sechs Monate im Jahr in Flugzeugen verbringen würde und damit meinen ersten Wohnsitz in Deutschland verlöre? Ich bekäme Ärger und wäre gezwungen, mich auf einen Wohnsitz festzulegen – der Steuern wegen, denn Weltsteuern gibt es nicht. Wäre ich staatenlos, wäre ich verloren, keiner würde was mit mir zu tun haben wollen. Ich hätte horrende Einreiseprobleme, weil nicht klar wäre, wohin ich gehörte – ich könnte ein Feind sein! Der Status Frau von Welt ist da schon einfacher zu erreichen, da braucht man bloß ein bisschen zu reisen und viele exotische Geschichten zu erzählen. Dabei ist einem sogar das Internet behilflich. Weltbürger, mit allem was die Begriffe Welt und Bürger mit sich bringen, kann schon aus nationalstaatlichen Verfassungen heraus bis heute niemand werden. Der Begriff ist zu ideal, denn so rund ist die Erde schließlich auch wieder nicht, wie wir sie uns vorstellen.
Globalisierung ist ebenfalls ein Ideal, denn die politischen Asymmetrien auf diesem Planeten widerstreben ihr. Sie ist so ein Unbegriff wie universal oder total. Ideale sind Druckmittel, aber keine echten Zustände. Und unglaublicherweise konnte Humboldt nur das Ideal von Weltbürger werden, weil schon zu seinen Lebzeiten der Planet in den Köpfen vieler Leute globalisiert war. Seine Ideale sind aber bis heute Ideale geblieben. Globalisierung hat doch zum einen mit der Frage zu tun: Wie kommt die ganze Welt in meinen Kopf? Und die Antwort darauf kapituliert zumeist vor der Angst vor dem Verlust an kultureller oder sozialer Schwerkraft. Aber die Welt umfasst nun mal die ganze Erde, global gesehen oder nicht.