Die Freiheit kennt kein links oder rechts

Auf der Pressekonferenz des P.E.N. erzählte der kubanische Journalist und Autor Ricardo González Alfonso, der für 20 Jahre Gefängnis auf Kuba verurteilt worden war und im Sommer nach Spanien ausgewiesen war, von den ersten drei schönen Momenten in der Freiheit, der Arbeit, die jetzt vor ihm liegt und der Liebe zu seiner Frau.

Auf der Suche

Unser Gast-Blogger, der Autor, Übersetzer und Organisator des mobilen lateinamerikanischen Poesiefestivals Latinale hat sich an den offiziellen und weniger offiziellen Präsentationen der argentinischen Verlage umgeschaut.

Die Buchmesse ist ein Bienenschwarm, dachte ich, als ich aus der U-Bahn gespült wurde und in den langen neonbeleuchteten Gängen Garderobe und Toilette suchte. Die Superdemokráticos haben mich auf die Suche nach den unabhängigen Verlagen Argentiniens geschickt. Meine erste Station ist der offizielle Pavillon. Hier zeigt sich das südamerikanische Land von zwei Seiten, zum einen Land und Leute, Bilder der Präsidentin, die Kindern aus Slums Notepads schenkt, US-amerikanische Touristen vor den Wasserfällen in Iguazú und Bilder der Helden der argentinischen Kultur: Maradona, Borges, Cortázar, Evita, Gardel und Che Guevara. Ausgespart werden auch nicht Bilder von „Verschwundenen“: 30.000 Menschen wurden von der letzten Militärdiktatur verschleppt, ermordet und an unbekannten Orten verschachert oder aus Flugzeugen in den Río de la Plata geworfen: Vergangenheitsaufarbeitung à la Argentina. Von den unabhängigen Verlagen keine Spur.

Die zweite Station führt mich in die Halle 5.1., hier – auf einem Stand, der die argentinische Camara del Libro von der Buchmesse gemietet hat, finde ich zumindest Bücher von Adriana Hidalgo, Beatriz Viterbo und dem derzeit angesagtesten Independent-Verlag: Eterna Cadencia. Doch statt alternativen Verleger sitzen an den blankgeputzten Tischchen nur Anzugsträger, vertieft in aufgeklappte Aktenköfferchen. Auch auf der Leseinsel der kleinen Verlage in Halle 4.1 sind die argentinischen Underground-Autoren nicht. Ich bin ratlos. Der chilenische Dichter Sergio Parra gibt mir schließlich ein Tipp: Geh noch mal zurück in Halle 5.1 in einem Seitengang haben sie einen Stand besetzt. Und in der Tat: In einem schmucklosen Stand völlig ohne jegliches Verlagslogo oder Kataloge sitzen zwei Bärtige, der eine mit Brille, der andere mit Pferdeschwanz. Abgesandte der FLIA (der Feria de Libro Independiente). Monatlich findet dieses Bücherfest an wechselnden Orten in Buenos Aires statt. Bis zu 20.000 Besucher kaufen dort Bücher. Für die unabhängigen Verlage die wichtigste Veranstaltung im Monat. Matías Reck und Cristian di Forte heißen die beiden Independentverleger. Reck erzählt, dass sie acht Monatelang mit der Buchmesse und der COFRA (dem Organisationskomitee für den argentinischen Buchmesseauftritt als Ehrengast 2010) in Verhandlungen standen. Rausgekommen sei dabei nichts, am Ende wollten sie uns 4 qm für 165.- Euro geben – immer noch zu viel für uns, dann haben wir den Stand, der frei war, einfach besetzt. Und witzelt, nebenan sind die peruanischen unabhängigen Verlage, die feiern den ganzen Tag ihren Nobelpreis Vargas Llosa als hätten sie die Weltmeisterschaft gewonnen. Ich muss jetzt wieder los, in einer halben Stunde liest Washington Cucurto am besetzten Stand und signiert Kartonbücher.

Der Humboldtsche Blick. Wissenstransfer aus den Amerikas ist eine neo/ koloniale Leerstelle


Deutsche und argentinische Gastblogger berichten für Los Superdemokraticos über die Frankfurter Buchmesse. Die Redakteurin und Doktorandin Julia Roth schreibt für die Zeitschrift polar und das MissyMagazin. Derzeit arbeitet sie an zwei Projekten im Rahmen des Bicentenario-Jubiläums am Haus der Kulturen der Welt und am Hebbel Am Ufer mit.

„Das Leben ist ein Tango“ steht in großen Lettern am Stand des Wagenbach-Verlags. Immer wieder Tango. Ich beginne, mich zu langweilen. Pampa, Patagonien, Gauchos, weites, leeres Land. Die Bilder von und über Argentinien bedienen meistens den (verinnerlichten) europäischen Blick. Und fokussieren die „schöne“ Literatur und fiktive Genres. Die Damen Landesgenossinnen am Nachbartisch diskutieren Korruption und Rückständigkeit Argentiniens und die atemberaubende Landschaft. Zitieren Humboldt. – Aber wo auf unseren diskursiven Landkarten sind die Denkerinnen und Denkern, Theoretikerinnen und Theoretiker aus den Amerikas? Was ist mit nicht eurozentristischem oder sich an europäischen Standards orientierenden Wissen? Wer bestimmt, was übersetzt und rezipiert wird und wie? Auf der Ebene der Bewertung, Einordnung und Theoretisierung von Wissen und die Teilhabe an Wissensproduktion und -transfer besteht die koloniale Schieflage offensichtlich weitgehend fort.

Da! Im Programm des Standes des Goethe-Instituts Buenos Aires ein Lichtblick! Morgen von 16 bis 17 Uhr greift dort eine Diskussionsrunde das Thema Wissensproduktion auf. Dort diskutieren der argentinische Verleger Carlos Díaz, der englische Verleger Bill Swainson und die Geisteswissenschaftlerin Anke Simon Lateinamerika als Ideenschmiede. Zur Debatte steht der asymmetrische hegemoniale Nord-Süd-Kreislauf von Wissen, die Dominanz des Englischen in den Wissenschaften und die hegemoniale Position des globalen Nordens als Produzent von Theorien, an denen sich ‚der Süden’ orientieren muss, um wahrgenommen zu werden.

Es bleiben viele Fragen. Und ich beschließe, den Abend nicht mit der wankelmütigen hegemonialen Intelligentsia bei Rotwein zu begehen. Ich fahre zurück nach Berlin. Dort eröffnet heute die Ausstellung „Das Potosí-Prinzip“ zu kolonialer Ausbeutung von Ressourcen, Wissen und Images Lateinamerikas. Untertitel: „Wie können wir das Lied des Herrn im fremden Land singen?“

Herzlichen Glückwunsch, Mario Vargas Llosa

Michi Strausfeld, eine der bedeutendsten Vermittlerinnen spanischsprachiger Literatur in den deutschsprachigen Raum, gibt uns ihre Einschätzung zur Verleihung des Literaturnobelpreises 2010 an den peruanischen Autor Mario Vargas Llosa.

Wir sind Besetzer



Christian Forte, Poet und Schriftsteller aus Argentinien, Mitglied des Gremiums des Verlags Milena Cacerola, erzählt, warum er und sein Kollege seit Mittwoch eine Nische auf der offiziellen Ausstellungsfläche der argentinischen Verlage als unabhängiger Verlag besetzen.

„Wir sind hier als Vertreter des Verlags Milena Cacerola. Folgendes ist passiert: seit einem Jahr haben wir um Unterstützung gebeten, und wir haben gesehen, dass die Türen vor allen unseren Anträgen zufielen. Wir hätten gerne auch viele andere unabhängige Verlage repräsentiert, die Interesse zeigten, auf der Messe zu sein. In unserem Fall haben wir uns auf eine unabhängige Art und Weise eingesetzt. Matías, der Herausgeber, hat seine Reise selbst bezahlt. Ich habe in Berlin alternative Gesprächsrunden organisiert, und durch diese Selbstorganisation haben wir es geschafft, nach Frankfurt zu kommen. Wir finanzieren uns durch den Verkauf von Büchern, die wir dabei haben. So versuchen wir jeden Tag aufs Neue, unsere Kosten zu decken und so über die Runden zu kommen. Wir gehören zur FLIA, der Feria del Libro Independiente y Alternativa (Unabhängige und alternative Buchmesse), die vor vier Jahren in Buenos Aires entstand und sich seitdem weiterentwickelt hat. Diese Messe bringt jede Menge Verlage zusammen und vor allem Autoren, die sich selbst herausgeben.

Wir wollen Folgendes in Frankfurt erreichen: eine Debatte entfachen, über das, was das Herausgeben heutzutage bedeutet und über neue Strategien der Publikation, die den Gesetzen des Marktes und den großen Verlagskonzernen entgegengesetzt werden können. Wir haben heute diesen leeren Stand gefunden und ihn besetzt, ohne zu fragen. Damit haben wir gerade einen Raum auf der Messe eingenommen, wir wissen noch nicht einmal, wem wir dafür Geld geben müssen, oder ob man Geld dafür bezahlen muss, aber hier sind wir. Hoffentlich hat das keine strafrechtlichen Konsequenzen. Die Unterstützung der argentinischen Regierung für die unabhängigen Verlage ist praktisch Null. Was das Konsulat gemacht hat, war die Stände anzumieten oder die Teilnahmen an der Messe zu verkaufen.“

Übersetzung: Barbara Buxbaum

Große Welt


Jörg Sundermeier ist einer der Verleger vom Verbrecher Verlag heute um 15 Uhr in Halle 4.1, D 129 ein Gespräch mit unabhängigen Verlegern aus Deutschland und Argentinien über die alternativen Hotlists beider Länder.

Die Frankfurter Buchmesse ist für ein Landei wie mich etwas ganz besonderes. Ich bin in Gütersloh geboren. Im Westen Deutschlands, in einer unspektakulären Gegend. Gütersloh kennt in Deutschland kaum ein Mensch. In der Buchbranche allerdings nicken die Kolleginnen und Kollegen, wenn sie den Namen der Stadt hören. Denn in Gütersloh steht die Zentrale des mächtigen Bertelsmann-Konzerns. Doch dringt aus dem Weltkonzern nichts Weltmännisches nach außen. Zumindest nicht in Gütersloh. Diese Stadt ist tiefe Provinz, leicht überschaubar.

Seit einigen Jahren lebe ich in Berlin, doch auch Berlin ist überschaubar. Berlin ist aus lauter kleinen Städten und Dörfern entstanden, und die Grundstruktur hat sich erhalten. Es gibt Leute, die die Stadtteile Spandau oder Friedrichshain nie verlassen. Das heutige Berlin ist alles andere als eine quirlige Großstadt. Berlin ist eine Metropole, doch Berlin ist noch nicht wirklich urban.

Die Frankfurter Buchmesse dagegen ist völlig unüberschaubar. Gerade für so ein großstädtisches Landei wie ich es bin. Die Frankfurter Buchmesse ist international, sehr international, und das spürt man selbst in den Ecken, in denen nur deutschsprachige Verlage nebeneinander stehen. Wie international diese Buchmesse ist, bekomme ich gerade in diesen Tagen wieder einmal zu spüren. Denn als wir, eine Gruppe kleiner Verlage aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, im vergangenen Jahr die „Hotlist der Independent-Verlage“ ausriefen, um all den Listen, auf denen fast nur Produkte der Großverlage zu finden sind, etwas entgegen zu setzen, da konnten wir nicht ahnen, dass wir Nachahmer in anderen Ländern finden. >>>

Peri-Feria

Wir sind angekommen! Auf der Messe! Wir wohnen in einem kleinen Dorf außerhalb der Innenstadt und gehen jeden Morgen zu Fuß zur S-Bahn, eine Brücke führt über einen rauschenden Bach mit wilden Orchideen, die am Ufer wachsen, helle, warme Herbstluft, gepflügte Äcker, sogar ein Pferd ist morgens unterwegs.

Der Weg zur Messe. Herbst in Hessen.

Wir gehen „übers Feld“, wie unser netter Gastgeber Paul sagt. Paul liebt Bolivien und seine Wohnung ist bolivianischer als die eines Bolivianers, würde ich mal behaupten: Fotos der Flora und Fauna, die bolivanische Landesflagge, Collagen aus Biersortenlabels (Quilmes, Huari…), Messer in Lederscheiden. In seinem Regal stehen Bücher über Lateinamerika, ein Stadtplan seines Wohnorts dagegen nicht. Wo ist Bolivien, wo ist Frankfurt? Wie verorten wir uns heute,  in welchen imaginären Landschaften? Und ist nicht alles, was wir leben, auch wenn wir es nicht aufschreiben, Fiktion? Wir sind in jeder Minute die Autoren unseres eigenen Lebens – und welche Perspektive nehmen wir ein, eine Zentralperspektive oder eine vom Rand? Von der Peripherie?

Ich nenne die größte Buchmesse der Welt, die Feria de Libro, jetzt nur noch Peri-Feria del Mundo. Es präsentieren sich Verlage aus 111 Ländern: die meisten, 3.315 kommen logischerweise aus Deutschland, 97 aus dem Ehrengastland Argentinien, hier der Gesamtüberblick. Die gesamte Bücherwelt ist zwar in neun Hallen vereint, aber auch hier gibt es Hallen, die voll sind, Hallen, die leerer sind, sozusagen beliebte touristische Regionen und noch unentdeckte Orte, Ränder, leise Stimmen, Unsichtbares. Wir selbst schreiben vom Stand der Bundeszentrale für politische Bildung, Halle 3.1, H141, der Halle für „Fiction and Non-Fiction“ aus. Vom Nebenstand grinst eine Obama-Pappfigur herüber, von schräg blickt mich ein Weihnachtslied-Zitat an, ein christliches Magazin stellt sich vor. Gleich höre ich mir an, wie die MERCOSUR-Länderkulturell  zusammenarbeiten wollen, wie eine „auf Vielfalt, Toleranz und Multikulturalismus basierende Identität“ entstehen kann, organisiert vom brasilianischen Generalkonsulat. Das wahre Zentrum ist dein Zentrum der Aufmerksamkeit.

Ich werde nicht zur Frankfurter Buchmesse gehen

Deutsche und argentinische Gastblogger berichten für Los Superdemokraticos über die Frankfurter Buchmesse. Die Lyrikerin, Übersetzerin, Kuratorin und Bloggerin Cecilia Pavón lebt eigentlich in Buenos Aires, aber ist derzeit mit einem Übersetzerstipendium in der Schweiz. Falls Sie heute Abend in Wien sein sollten, können Sie ihr um 19 Uhr bei ihrem Vortrag Poesie ist kein Projekt zuhören.

Ich setze die Welt der Kultur in Anführungszeichen, denn ich weiß nicht, ob mein Werdegang wirklich etwas mit der Welt der „Kultur“ zu tun hat. Die Frankfurter Buchmesse ist ganz klar die Welt der Kultur. Ich hatte einen „Kunstraum“, der vor allem ein Geschenkeladen war. Wir stellten zwar Bilder aus, verkauften aber Geschenke, Schnickschnack, der (sehr billig) aus China  importiert wurde, und wir publizierten Gedichtbände aus Fotokopien, hergestellt in großer Eile. Einige davon wurden morgens geschrieben und waren nachmittags bereits veröffentlicht. >>>

everything counts in large amounts

Deutsche und argentischen Gastblogger berichten für Los Superdemokraticos über die Frankfurter Buchmesse. Tom Bresemann ist Schriftsteller und arbeitet unter anderem für das junge Literaturhaus Berlin, Lettrétage. Er macht in diesem Jahr einen imaginären Messe-Spaziergang.

Die Innenstadt liegt hinter mir, als ich die Anfangs- und Endlosschleife des Laufbands betrete, stehen bleibe, um mich fortbewegen zu lassen. Hinter den Glasfassaden rauscht das Bahnhofsviertel, schmutzig und nah. Meter für Meter Westdeutschland wie gewohnt. Auf dem Bahnhofsvorplatz verteilt man Spritzen und Sicherheitshandschuhe.

Frankfurt, ich habe Dich nicht vermisst.

Vor mir liegen fünf Tage Buch-Messe. Thilo Sarrazin wird lesen, sicher, irgendwo, bestimmt auch Dieter Bohlen oder irgendein Casting-Luder, mindestens Knut, der Eisbär. Der Rest sind Kameras. Der Rest ist der Blick über die Schultern des Gegenübers hinweg. Darin findet sich der gemeine Autor entweder als liebsames, ungezogenes oder ausgesetztes Verlagshaustierchen wieder, ganz nach persönlicher Vertragslage, Vorschusshöhe und Folgsamkeit. Die Messe-Gespräche kann ich jedenfalls mit besten Gewissen sich selbst überlassen.

Ich nehme dieses Jahr statt Terminen lieber das Rauschen dahinter wahr und frage mich, ob solche Sicherheitshandschuhe, wie sie hier für die meisten der anstehenden Handshakes notwendig wären, überhaupt existieren.

Schmutzige Witze gegen uns selbst gerichtet

Nos encontramos con Slavoj Zizek, después de la presentación de su nuevo libro traducido al alemán „Ich höre dich mit meinem Augen. Anmerkungen zu Oper und Literatur“ que presentó la editorial konstanz university press. Él saluda a todos los SUperdemokraticos del mundo y dice: „Lo políticamente correcto está out“.

Ustedes tienen que combatir el racismo reaccionario con racismo de izquierda, eso quiere decir con chistes progresivamente sucios, hechos sobre nosotros mismos. Esa es la única manera de combatir efectivamente el racismo, como alternativa a los idiotismos políticamente correctos. Es lo tenemos que hacer!

Mis mejores saludos para Los Superdemokraticos. Vamos a vencer al enemigo. Muchas gracias y lo mejor para ustedes!

Slavoj Žižek

Wir haben den Philosophen Slavoj Zizek getroffen, als er sein neues Buch „Ich höre dich mit meinen Augen. Anmerkungen zu Oper und Literatur“ im neuen Verlag konstanz university press vorgestellt hat. Er begrüßt alle Superdemokraten weltweit und sagt: „Politisch korrekt sein ist out.“