Der Humboldtsche Blick. Wissenstransfer aus den Amerikas ist eine neo/ koloniale Leerstelle


Deutsche und argentinische Gastblogger berichten für Los Superdemokraticos über die Frankfurter Buchmesse. Die Redakteurin und Doktorandin Julia Roth schreibt für die Zeitschrift polar und das MissyMagazin. Derzeit arbeitet sie an zwei Projekten im Rahmen des Bicentenario-Jubiläums am Haus der Kulturen der Welt und am Hebbel Am Ufer mit.

„Das Leben ist ein Tango“ steht in großen Lettern am Stand des Wagenbach-Verlags. Immer wieder Tango. Ich beginne, mich zu langweilen. Pampa, Patagonien, Gauchos, weites, leeres Land. Die Bilder von und über Argentinien bedienen meistens den (verinnerlichten) europäischen Blick. Und fokussieren die „schöne“ Literatur und fiktive Genres. Die Damen Landesgenossinnen am Nachbartisch diskutieren Korruption und Rückständigkeit Argentiniens und die atemberaubende Landschaft. Zitieren Humboldt. – Aber wo auf unseren diskursiven Landkarten sind die Denkerinnen und Denkern, Theoretikerinnen und Theoretiker aus den Amerikas? Was ist mit nicht eurozentristischem oder sich an europäischen Standards orientierenden Wissen? Wer bestimmt, was übersetzt und rezipiert wird und wie? Auf der Ebene der Bewertung, Einordnung und Theoretisierung von Wissen und die Teilhabe an Wissensproduktion und -transfer besteht die koloniale Schieflage offensichtlich weitgehend fort.

Da! Im Programm des Standes des Goethe-Instituts Buenos Aires ein Lichtblick! Morgen von 16 bis 17 Uhr greift dort eine Diskussionsrunde das Thema Wissensproduktion auf. Dort diskutieren der argentinische Verleger Carlos Díaz, der englische Verleger Bill Swainson und die Geisteswissenschaftlerin Anke Simon Lateinamerika als Ideenschmiede. Zur Debatte steht der asymmetrische hegemoniale Nord-Süd-Kreislauf von Wissen, die Dominanz des Englischen in den Wissenschaften und die hegemoniale Position des globalen Nordens als Produzent von Theorien, an denen sich ‚der Süden’ orientieren muss, um wahrgenommen zu werden.

Es bleiben viele Fragen. Und ich beschließe, den Abend nicht mit der wankelmütigen hegemonialen Intelligentsia bei Rotwein zu begehen. Ich fahre zurück nach Berlin. Dort eröffnet heute die Ausstellung „Das Potosí-Prinzip“ zu kolonialer Ausbeutung von Ressourcen, Wissen und Images Lateinamerikas. Untertitel: „Wie können wir das Lied des Herrn im fremden Land singen?“

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