Körperstücke

Ich verstehe meinen Körper nicht immer. In meiner Jugend habe ich den traumatischen Veränderungen, die meinen Körper – ohne Vorankündigung und ohne mein Einverständnis – in ein mysteriöses Wesen verwandelten, welches ich nicht zu kontrollieren vermochte, fast meine ganze Aufmerksamkeit geschenkt. Es geschahen auch andere, nicht sichtbare Veränderungen, aber diese beachtete ich kaum. Dann erwachte in mir eines Tages nach so viel Terror die Hoffnung, dass die Veränderungen irgendwann aufhören würden und mein dünner Körper sich ein einen athletischen Körper transformieren würde. Ich warte immer noch.

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Als ich entdeckte, dass auch mein Körper ein Ausdrucksort war, begann ich, ihn mit simplen Prothesen abzuändern und neu zu kleiden, um auf diese Weise Dinge auszudrücken, die ich mich nicht zu sagen traute. Vor allem aber machte ich aus meinem Körper einen Tempel, den ich der Verehrung der Jugend widmete (Ferdydurke ist mein Held). Aber der Körper ist eine eigensinnige Uhr, und die Spiegel lügen nicht.

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Ein tief liegendes Brustbein, sehr dünne Beine, die Nase eines Boxers, eine geteilte Stirn, zu lange Arme, zahlreiche Leberflecken und Narben. Ein klitzekleiner, alles andere als perfekter Raum, in dem ich die Gesetze mache.

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Ich wollte den Ratschlag mens sana in corpore sano (gesunder Verstand in gesundem Körper) umkehren. Meinen „Verstand“ kultivieren, um meinen Körper zu perfektionieren. Gehirntraining, das meine Muskeln stärken würde. Mit der Zeit bemerkte ich, dass der Körper seine eigene Sprache spricht und sagt, was er will: Er spricht mit der starken Stimme des Begehrens.

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Verrückte Körper in geistesgestörten Hirnen: Ich sehe Die Fliege von Cronenberg wie eine freie und aktuelle Adaption von Kafkas Verwandlung.

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In dieser dualistischen Welt vermag es niemand, seinen Körper zu überspringen. Gänzlich versteht niemand den eigenen Schauplatz seines Herzschlags, das Territorium seiner Krankheit, sein unkontrollierbares Archiv. Opfer und Täter des Schmerzes und der Lust, Opfer von kollektiven Somatisierungen.

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Cutter, Autopornographen, Transformatoren: Häftlinge im engen Gefängnis des Körpers.

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In der Jugend dachte ich, dass mein Körper eines Tages seinen unveränderlichen und definitiven Zustand erlangen würde. Jetzt weiß ich, dass die Pubertät nie aufhört.

Übersetzung: Anne Becker

4 Kommentare zu 'Körperstücke'

  1. Archivo incontrolable, me encanta… la idea…

    Saludos

    Spandeutsch (Anne):
    Unkontrollierbares Archiv, gefällt mir sehr…die Idee…

    Grüße

  2. Luis Felipe Fabre sagt:

    ¡Muy bueno! El cuerpo como una vitalicia película de horror o, al menos de suspenso, de la que uno es el feliz protagonista y a la vez el aterrado espectador…

    Spandeutsch (Anne):
    Sehr gut! Der Körper wie ein lebenslänglicher Horrorfilm, oder zumindest Thriller, in dem man zugleich der glückliche Hauptdarsteller und der erschrockene Zuschauer ist…

  3. Der Körper ist wie ein Pferd, das man erst mit Spaß reiten kann, wenn man es kennt und mag. Wenn das nicht geht, muss man Plato lieben.

    Spandeutsch (Anne):
    El cuerpo es como un caballo. Recién cuando lo conozcas y te guste, es posible montarlo con placer. Si eso no es posible, hay que amar a Plato.

  4. :
    el cuerpo es un traje escurridizo. a veces estamos en sintonía total, otras mi „alma“ se atrasa o adelanta. amo mi cuerpo (porque no tengo otro) pero no sé si él me ama a mi. insisto en que no creo que cese la adolescencia nunca (en esta época me siguen saliendo nuevos pelos!). un abrazo para todos

    Spandeutsch
    (Anne):
    Der Körper ein schlüpfriges Gewand, manchmal befinden wir uns in totaler Übereinstimung, manchmal kommt meine Seele nicht hinter ihm her oder ist ihm schon voraus. Ich liebe meinen Körper (weil ich keinen anderen habe), aber ich weiß nicht, ob er mich liebt. Ich beharre darauf, dass ich denke, dass die Pubertät nie endet (zurzeit wachsen mir neue Harre!). Eine Umarmung für alle