(Geschichte ist, wie auch die Vergangenheit, ein vages Konzept; die Geschichte verfolgt die Gegenwart und manchmal erreicht sie sie, um sich in einem leidenschaftlichen Kuss oder einem Kampf, in dem alles erlaubt ist, zu vereinigen.)
Mit der Universalgeschichte und der peruanischen Geschichte kam ich erstmals während der Grundschulzeit in Kontakt. Ich erinnere mich an kein einziges Datum einer Schlacht, aber wohl an die Korridore im Nationalmuseum, wo wir uns Huacos (feine Keramikgegenstände), zeremonielle Becher, Webstühle aus der Kultur Paracas (eine präkolumbische Kultur), das Tumi de Oro (zeremonielles Goldmesser einer präkolumbischen Kultur) anschauten. Wo wir die Lebensart prähispanischer Zivilisationen untersuchten, ohne sie zu berühren oder uns anzulehnen. Besonders gern erinnere ich mich an die leer stehende Etage, die verlassenen Ausstellungsräume, wo mein Schulfreund und ich uns so viele Küsse gaben, unterbrochen allein durch die Schritte vorbeigehender Restauratoren und Museumsangestellten.
In Folge der Veröffentlichung des Berichts der Wahrheits- und Versöhnungskommission wurde kürzlich der Bau eines Museums der Erinnerung beschlossen, um den Tausenden von Verschwundenen aus der Zeit der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der Guerilla „Sendero Luminoso“ (Leuchtender Pfad) und dem Militär – und der Bevölkerung zwischen den Fronten – zu gedenken. Viele leisten heute Widerstand gegen das Museum und versichern, es sei besser, wenn wir einfach alles hinter uns lassen.
Ich misstraue nicht den Tatsachen, sondern den Worten, den Absichten, den Interessen, einigen Botschaften an die Nation. Da ich aber die Medien, die über Tatsachen berichten, in Frage stelle, folgt daraus, dass ich mir im Endeffekt fast nichts sicher bin. Heute empfinde ich es eher so, dass wir die Geschichte in eben diesem Augenblick machen. Ich zweifle nicht an den unvergleichlichen Chroniken des Indigenen Guamán Poma de Ayala, dessen Illustrationen bis heute die bildenden Künstler Perus inspirieren und auf eine Sammlung von Zeugnissen zurückgehen, die von der Pracht und dem blutigen Niedergang des Inkareichs berichten. Ich zweifle nicht an der dramatischen Szene, in der ein Geistlicher mit der Bibel in der Hand den Inka-Herrscher Atahualpa dazu drängt, sich im Namen Gottes zu ergeben, woraufhin der Inka den Gegenstand begutachtet und zu Boden wirft, da er ihn für unnütz hält – ein Akt, der den Zorn der Spanier entzündet, die sodann ihre Pferde antreiben und das Feuer auf den Feind eröffnen. Atahualpa wird gefangen genommen. Er füllt einen Raum bis zur Decke mit Gold, um seine Freiheit zu erkaufen. Die spanischen Eroberer aber teilen den Reichtum unter sich auf und richten Atahualpa dennoch hin.
Ich habe das Haus des Lösegeldes in Cajamarca besucht, das so leer ist, dass es strahlt wie kein anderes. Die Götter Perus waren sichtbar: die Mutter Erde, die Sonne, die Berge, der Regen; und die Kultur des Landes war eine orale. Auch heute noch wird in ländlichen Gebieten der Natur Tribut gezollt, die uns ernährt und die sich großzügig und fruchtbar erweisen wird, wenn wir sie respektieren. Die „moderne Welt“ wird sich der Vernunft dieser schlichten Vereinbarung erst langsam bewusst, zu einem Zeitpunkt, in dem die Folgen der Unvernunft bereits nicht wieder gutzumachen sind, während die indigene Bevölkerung bedroht und systematisch missachtet wird, indem die Regierung das von ihnen bewohnte Land privatisiert und an Öl- und Holzunternehmen verkauft, ohne die Bevölkerung zu konsultieren oder zu berücksichtigen.
Verbitterung entsteht aus der langen Geschichte kriegerischer (und fußballerischer) Niederlagen. Jene Älteren, die versichern, die wahre Geschichte, die in keinem Schulbuch steht, zu kennen, werfen uns vor, wir seien immer sehr naiv und ungeschickt gewesen. Andererseits ist das ruhmreiche Imperium der Inkas wie auch die wunderbaren prähispanischen Bauten Anlass zum Stolz. Einige unter ihnen weisen ein solch hohes Niveau der Baukunst auf, dass eine Gruppe begeisterter Wissenschaftler ihre Entstehung Außerirdischen zuspricht.
Aber aus den eigenen Erlebnissen habe ich am meisten gelernt: In den 90er und 00er Jahren, als die Kämpfe sich auf meiner Straße und auf meinem Fernseher abspielten, und ich vor die Entscheidung gestellt war, an ihnen teilzunehmen oder nicht.
Ich lernte, dass der Betrug und die Korruption der politischen Klasse Verdruss und Gleichgültigkeit in der Bevölkerung auslösen. Dass die Medien, Unternehmer, Kongressteilnehmer usw. sich in Versammlungen dem Meistbietenden verkaufen. Diese Versammlungen wurden während der Regentschaft Alberto Fujimoris auf selbstgemachten Videos, genannt Vladivideos, aufgezeichnet, die bis heute unter Interessierten auf dem schwärzesten aller Märkte zirkulieren. Ich lernte, dass das Volk den Diktator wiederwählte, der eine Gruppe Paramilitärs unterstützt hatte, welche sich als Nachrichtendienst tarnte und der dreist das nationale Erbe stahl. Er wurde wiedergewählt, weil er „standfest war und Taten sehen ließ“. Ich stelle das moralische System des Großteils der Wähler in Frage sowie die Fluchthaltung von uns Jugendlichen, die wir in Ermangelung an Alternativen an den Tag legen bis wir vielleicht mit ein wenig Glück eines Tages bereit sein werden, größere und wichtigere Ideale zu verfolgen.
Maxi ist eine Frau, die fast 15 Jahre lang bei uns Zuhause im Haushalt arbeitete. Sie lehrte mich, in Quechua zu singen, sie spielte Gitarre und litt unter furchtbarer Schlaflosigkeit, die schlimmer war als meine eigene. Als ich sie kennen lernte, muss sie ungefähr 16 Jahre alt gewesen sein, ich etwa 6. Sie sagt immer, dass ich mir die Hose falsch herum anzog, ich bezweifle auch das. Die jugendliche Maxi war auf der Flucht vor dem Terrorismus nach Lima gekommen. Sie kam aus Ayacucho, der Wiege des „Sendero Luminoso“ und ohne Zweifel die Zone, die am meisten unter der Gewalt dieser Organisation litt, aber auch unter den Militärs, die die Bevölkerung ohne stichfeste Beweise anklagten, verhafteten und ermordeten. Als Kind erlebte Maxi schreckliche Dinge und sie hatte schmerzhafte und wiederkehrende Alpträume. Nachts studierte sie Journalismus und nach ihrem Studienabschluss hörte sie auf, als Hausmädchen zu arbeiten. Hin und wieder kehrte sie nach Ayacucho zurück, um ihre Mutter zu pflegen, eingeschüchtert durch den Mörder ihres Vater, der sie verfolgte und bedrohte. Maxi kennt ihre Rechte und sie hatte den Mut, den Mörder ausfindig zu machen und anzuzeigen, aber der Prozess war nicht erfolgreich. Jetzt arbeitet sie im Urwald für ein Radioprogramm. Es wird von einer Organisation produziert, die die Koka-Bauern zu einer Umorientierung bewegen möchte. Diesmal ist es der organisierte Drogenhandel, von dem sie bedroht wird.
Das letzte Mal sah ich sie bei einem Konzert. Begleitet von einem legendären Geiger, unterhielt sie gemeinsam mit ein paar anderen Frauen das Publikum mit Musik aus den Anden. Ihre Interpretation von vier Themen war sehr eindringlich, ihre Stimme transportierte große Gefühle, sie schloß die Augen und wog sich im Rhythmus sanft hin und her. Sie ist die einzige Sängerin, die mich zu Tränen rührt, und wenn sie mich weinen sieht, lacht sie und umarmt mich.
Übersetzung: Marcela Knapp
Uy que chévere tu articulo. Coincido mucho en que la historia no sólo marca el pasado si no el presente. Somos quienes de alguna forma como parte de una sociedad a la que integramos podemos colocar un granito de arena para cambiar ciertas circunstancias que nos afecten directamente o que afecten indirectamente a otras personas en donde su voz no pueda ser atendida.
Yo cuestiono a la gran mayoría de medios del país por el hecho que informan muy poco o nada (bueno es mi opinión) y venden sus noticias bajo el escándalo, tragedias dejando postrado las verdaderas noticias que son de interés, convirtiéndose en objeto de olvido. En ese olvido no hay que dejar atrás a esas noches de apagones, toques de queda en el país, donde el luto toco la puerta a varias familias, en el cual las zonas más afectadas y alejadas donde se encuentran las comunidades campesinas y nativas del país muchas ocasiones fueron “esclavizadas” de alguna manera por los grupos subversivos.
Estoy de acuerdo con los ancianos en el hecho que no sólo debemos conocer las historias escritas por los que siempre escriben si también por aquellos que de alguna forma aportaron y se encuentran anónimos por diversos intereses que surgieron en dichas épocas. Que rico sería.
Sigue escribiendo por favor. 😉
Un abrazo!
Lalo
Spandeutsch (Marcela):
„Erstklassiger Artikel! Ich stimme mit dir überein, dass die Geschichte nicht nur auf die Vergangenheit verweist, sondern auf die Gegenwart. Wir sind diejenigen, die in irgendeiner Form als Teil einer Gesellschaft ein Sandkörnchen platzieren können, um bestimmte Umstände, die uns oder andere Menschen, deren Stimme nicht gehört wird, direkt oder indirekt betreffen zu verändern. Ich stelle den Großteil der Medien dieses Landes in Frage, da sie wenig oder gar nicht informieren (gut, das ist meine Meinung) und ihre Nachrichten mit Hilfe des Skandals verkaufen. Tragödien, die die wahrhaft interessanten Nachrichten matt erscheinen lassen und dem Vergessen anheim fallen. […]
Ich stimme mit den Älteren darin überein, dass wir nicht nur die geschriebene Geschichte kennen sollten, die von jenen geschrieben wurde, die immer schreiben, sondern auch die Geschichten jener, die in irgendeiner Weise einen Beitrag leisten oder anonym bleiben aufgrund von Interessen, die in verschiedenen Zeiten vorherrschten. Wie reich wären wir!“
Hola Tilsa, me gustó tu artículo, sobre todo al final. La aparición de Maxi en el texto es muy elocuente, habla mucho de esa historia marginada que no tiene voz, y de esa oralidad que es menospreciada. También es sumamente elocuente en lo que se refiere a muchos conflictos actuales de Perú.
Gracias por presentarnos a Maxi, y a propósito, ¿es posible encontrar alguna de sus canciones en la web? Me quedé con ganas de escucharla…
Saludos habaneros
Spandeutsch (Marcela):
Hallo Tilsa, dein Artikel hat mir gefallen, vor allem das Ende. Das Auftauchen von Maxi im Text ist sehr eloquent, es sagt viel über die marginalisierte Geschichte aus, die keine Stimme hat, und über die Oralität, die verachtet wird. Auch ist es äußerst eloquent, indem es viele aktuelle Konflikte Perus beschreibt.
[…]
este articulo es genial me gusto tambien la parte de Maxi como parte final, sabes q? justo yo estaba leyendo algunas cosas de deidades invisibles del peru antiguo, jejeje
Yo también conocí a maxi, cuánto sentido tiene todo.
sí lalo, hay que estar presentes lo más que podamos, y recopilar versiones de todas las fuentes para no quedarnos en los engañosos titulares vendedores.
lizabel, por ahora no hay nada de maxi en la red pero prometo subir algunos temas apenas vuelva a casa, ahora estoy en un hermoso viaje.
terom si puedes cuéntanos algo de lo que estás leyendo…
gracias por los comentarios!
hola tilsa bonita! un placer leerte… otra vez.
Felicitaciones Tilsa! Me gustó la idea de que la historia a veces alcanza el presente, cosa que c/u vive de manera diferente … También conozco a Maxi. Ella contó una vez que, después de acompañar muchas veces a su mamá a buscar el lugar donde pudiera estar enterrado su padre, le propuso que decidieran que el lugar a dónde habían llegado era el que buscaban y que sembraran ahí las flores; su mamá lo aceptó y así encontraron un descanso en su búsqueda.
Spandeutsch (Marcela):
„Glückwunsch, Tilsa! Der Gedanke, dass die Geschichte manchmal die Gegenwart erreicht, gefällt mir, es ist eine Sache, die man auf verschiedene Weisen lebt…. Ich kenne Maxi auch. Sie erzählte mir einmal, dass sie, nachdem sie viele Male ihre Mutter begleitet hatte, um den Ort zu suchen, an dem ihr Vater vergraben sein könnte, vorschlug, der Ort, an dem sie angekommen waren, genau der Ort sei, den sie suchten und dass sie Blumen dort säen sollten. Ihre Mutter stimmte zu und so fand ihre Suche ein Ende.“
Me haces llorar, con tus lineas, a la distancia
No pares de crear por favor
Cariños,
Maxi