Die Intellektuellen und die Regierung

Beginnen wir bei dem Grundsatz, dass ein Intellektueller jemand ist, der die Konstruktion einer Gesellschaft lenkt und organisiert sowie neue Konzepte über die Welt beisteuert. Antonio Gramsci begreift Intellektuelle als eine Art „Bindeglied“ zwischen oppositionellen Klassen, jenen, die politische Macht besitzen, und denen, die die Arbeiterklasse bilden. Und obwohl der Intellekt etwas aller menschlicher Aktivität inhärentes ist, und deshalb alle Menschen Intellektuelle sind, haben nur einige innerhalb der Gesellschaft diese Funktion, so Gramsci weiter. Zusammengefasst sind sie es, die denken, analysieren, planen und empfehlen. Was ist mit jenen Intellektuellen geschehen, die jetzt mit Evo Morales in Bolivien an der Regierung sind?

Möglicherweise war die Idee, verschiedene Intellektuelle in eine Regierung aufzunehmen, die vorgibt, die Strukturen des Landes verändern zu wollen, voller guter Absichten, das Ergebnis ist jedoch – bis heute zumindest – nicht das Beste. Jene, die mit der derzeitigen Regierung, die des bekanntesten bolivianischen Präsidenten der Welt, in einem Boot sitzen, beobachten von der Tribüne aus die enormen Fehler dieser politischen Führung, Resultat eines internen Machtkampfes, der dazu führte, absolut falsche Entscheidungen zu treffen, etwa die Treibstoffpreiserhöhung „Gazolinazo“ um 80 Prozent, verkündet am 26. Dezember 2010.

Wenn Evo Morales dachte, dass die Bürger eine derart unpopuläre Maßnahme akzeptieren würden, weil er mit 60 Prozent einen hohen Stimmanteil auf sich vereint, hat er sich getäuscht. Oder haben sich seine Berater getäuscht? Einige Intellektuelle erhoben warnend die Stimme, aber sie wurden nicht beachtet. Damit sich die Regierung dieses Irrtums, dieses riesigen Irrtums, bewusst wurde, war es nötig, dass eine Massendemonstration gegen diese Maßnahme fast bis zur Plaza Murillo, dem Epizentrum des Macht, vordrang. In der Neujahrsnacht wurde das Dekret annulliert.

Seitdem kursiert in den Gängen des Regierungspalast das Gerücht über das Weggehen verschiedener Intellektueller, denen nicht zugehört wurde. Andere, die ihre Stimme zur Beschwerde erhoben, wurden von der Regierung gegangen, angeklagt des Verrats am „Veränderungsprozess“. Dafür gibt es mehr als genug Beispiele: der Ideologe und eigentliche Gründer der MAS, der Regierungspartei, Filemón Escóbar; der ehemalige Vize-Landwirtschaftsminister Alejandro Almaraz; der Schriftsteller Raúl Prada (ehemaliger Gefährte des Vizepräsident Álvaro García Linera); der Journalist und ehemalige Abgeordnete in den USA Gustavo Guzmán sowie Alex Contreras, ehemaliger Regierungssprecher, der Evo Morales seit seinem Wahlkampf in Chapare in den 90ern begleitete.

Sie sind alle sind aus ihrem Amt geschieden und haben die Tür hinter sich zugeschlagen. Heute sind sie die Kritiker aller Handlungen der Regierung, mit Erfahrung und Grund, während die Regierung sie dagegen als Überläufer bezichtigt, übergelaufen zu den Rechten, zur Botschaft der USA, oder – wie erst kürzlich – zu den NGOs. Fast alle konnten beweisen, dass sie mit ihrem Beitritt in die Reihen der Regierungspartei, zu dem sie „eingeladen“ wurden, jene Unabhängigkeit, Autorität oder Fähigkeiten verloren haben, die sie ja eigentlich als die Intellektuellen der Gesellschaft ausmacht. Es scheint, als würde das Denken der Intellektuellen und die politische Führung der Regierenden nicht Hand in Hand gehen. Das Traurige daran ist zu sehen, wie viele Intellektuelle innerhalb der Regierung – wie beispielsweise Álvaro García Linera – aufgehört haben zu denken, was, wenn sie es tun würden, Überprüfungen, Beurteilungen, Anzeigen und auch Selbstkritik mit sich bringen würde. Die Ideologie hat sich vor all die vorangegangenen Handlungen gestellt.

Nein, heutzutage ist die Aufgabe der bolivianischen Intellektuellen an der Macht nicht mehr das Denken, sondern die Handlungen der Regierung zu anzuordnen, zu verteidigen und zu rechtfertigen. Genauso, wie sie es im Oktober mit der Unterdrückung des indigenen Aufstandes taten, der von Beni aus nach La Paz führte und sich gegen den Bau einer Landstraße durch deren Territorium richtete: dem TIPNIS (Territorio Indígena y Parque Nacional Isiboro Sécure, dem indigenen Territorium und Nationalpark Isiboro Sécure).

Das war wiedereinmal eine falsche Rechnung in den Sphären der Macht, vor der verschiedenen Intellektuellen gewarnt hatten. Aber sämtliche Kritik wurde von der Regierung für nichtig erklärt, da diese behauptete, es handle sich hierbei um ausländische Interessen, wie die der NGOs und Stiftungen, die sich unter dem Deckmantel des „Umweltschutzes“ gegen die Regierung verschworen hätten. Die Bürger empörten sich über diese Vorgehensweise, dafür – und auch wegen anderer Faktoren – musste die Regierung teuer bezahlen: Bei der ersten Wahl der Richter, die Evo Morales veranlasste, war die Zahl der ungültigen Stimmen höher als die der gültigen Stimmen. Etwas bisher in Bolivien und der Welt noch nicht Dagewesenes.

Ist es überhaupt möglich ein Intellektueller zu sein und als solcher im Amt zu sein? Das werden uns die zukünftigen Handlungen einer Regierung der Veränderung zeigen, deren Pflicht nicht nur das Regieren, sondern auch das Denken zu sein hat, eine Aufgabe für ihre Intellektuellen.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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