Die Denker sind mitten unter uns

Bevor du diesen Text lesen kannst, musst du eine globalisierte Handlung ausgeführt haben. Du hast deinen Rechner angeschaltet, eine Begrüßungsmelodie gehört, dein Desktop hat sich vor dir ausgebreitet wie eine Landkarte, vielleicht hast du ein privates Foto als Hintergrundbild eingestellt: dein Freund, deine Frau, dein Baby, ein Schnappschuss von deiner letzten Reise, einen Helden, Sänger, Fußballer. Deine Ordner und Dokumente liegen verteilt vor dir wie kleine Inseln. Mit einem Mausklick, den deine Hand wie  dressiert ausgeführt hat, öffnest du den Browser (Firefox, Explorer, Safari, Netscape…), und das Netz öffnet sich für dich. Vor dir liegt die globale Unendlichkeit, eine vierte Dimension aus Raum und Zeit. Mit diesen Handlungen hast du den Ritus des „Netizen“ vollzogen. Der Netizen hat Macht. Er kann nicht nur das Netz passiv nutzen, sondern er kann es, durch Blogs, Twitter, Kommentare, Videos, Fotos, aktiv mitprägen, der bulgarische Philosoph Ivaylo Ditchev nennt das die Kultur des permanenten reflexiven Feedbacks.

Mit den Superdemokraten versuchen wir genau das. Wir stellen Fragen und sammeln Antworten, die wir auf zwei, fast drei Sprachen veröffentlichen. Anhand der Denklinien unserer 20 Autorinnen und Autoren entsteht eine neue politische, globale Theorie, die durch eine neue Sprache, neues Vokabular und durch für unsere Generation wichtige Persönlichkeiten (Deleuze/ Guattari, Renato Ortiz, Tzvetan Todorov, Rimbaud, Lady Gaga… um nur einige zu nennen) definiert wird. Da gibt es jetzt den „Globalichiater“ (Carlos Velázquez), den wir „vagabundierenden Parias“ (Calcagno) aufsuchen, wenn uns die „binäre Schlange“ (Tilsa Otta) bedroht. Den Dichter, der auf Ttzotzil schreibt (Luis Felipe Fabre), haben wir bereits als Präsidenten unserer virtuellen Gemeinschaft erwählt.

Wir kämpfen dagegen an, dass unser Denken genauso globalisiert wird wie unsere Handlungen. Wir sind digitalte Conquistatoren, mit dem Ziel, neue Wahrnehmungen zu erschließen. Fortan ist für mich jede Mango eine Mango unter dem Weihnachtsbaum (Karen Naundorf) und Multikulturalismus nur ein globaler Sticker (Monica Lizabel).

Dem globalen Medienmarkt mangelt es inbesonders an historischem Gedächtnis, welches es dem Besucher ermöglichen würde, die Vergangenheit mit der Gegenwart zu vergleichen und bestimmen zu können, was wirklich neu und wahrlich zeitgenössisch an der Gegenwart ist.

Boris Groys, Art Power, „The Logic of Equal Asthetic Rights“

Früher wollte ich die Orte bereisen, die noch nicht von Google Earth erfasst sind. Sobald Google keine Satellitenbilder von einem Ort vorliegen, wird die Fläche einfach irgendwie erdig eingefärbt, mit einer Pseudo-Physiognomie versehen, so dass nicht auffällt, dass an dieser Stelle Menschen siedeln. Und das ist das Gute: Niemand hat bisher die gesamte Welt regiert (Emma Braslavsky), auch nicht Google, aber du kannst heute damit anfangen, deinen Ort sprachlich und denkend zu bestimmen und ihm die Geschichte zurückzugeben. Eigentlich haben wir schon damit angefangen. Danke an euch alle!

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