Ich könnte zur Abwechslung was Originelles schreiben
Ich könnte jetzt zur Abwechslung was Originelles schreiben. Zum Beispiel, dass Geschichte nicht mehr als ein Vorurteil ist, und dass ihre Bedeutung für die Gegenwart massiv überschätzt wird. Ich könnte schreiben, dass die Bevorzugung von diachronen vor synchronen Denkmodellen eine Altlast der Geschichtsphilosophie des 19. Jahrhunderts ist.
Ich könnte schreiben, dass der Blick sich nur noch nach hinten richtet
Ich könnte sodann schreiben, was dabei besonders auffällt: Besonders fällt auf, dass – anders als zu Zeiten Marx‘ und Hegels – heute niemand mehr nach vorne, auf ein irgendwie geartetes „Ziel“ oder „Ende der Geschichte“ schaut; dass der Blick sich nur noch nach hinten richtet, auf das „Wie wir wurden, was wir sind“. Und dass so etwas eine Zivilisation lähmt…
Ich könnte schreiben, dass Geschichtsschreibung sich selbst schreibt
Ich könnte ewig so weitermachen. Ich könnte noch schreiben, dass Geschichtsschreibung ja sowieso immer nur sich selbst, die eigene Geschichte schreibt; dass die deutsche Altertumsforschung bis heute wesentlich mehr darüber aussagt, wie das 19. Jahrhundert mit Schliemann die klassische Antike idealisierte, als darüber, wie es in der athenischen Polis „wirklich“ war. Ich könnte sodann noch schreiben, dass doch nur noch irgendwelche halbblöden 68er-Lehrer, die ihren Adorno nicht bis zum bitteren Ende gelesen haben, noch glauben, man könne irgendwas aus Geschichte lernen.
Ich könnte schreiben: „Wir leben in einer Diktatur der Geschichte!“
Ich könnte schreiben, dass man, statt zu lehren, mit Geschichte nur Generation um Generation traumatisieren könne, gerade mit der deutschen. Ich könnte schreiben, dass die als Lehrstück ‚missbrauchte‘ deutsche Geschichte das Gegenteil von Freiheit und dass sie nur eine weitere Doktrin in dieser ‚ach so freiheitlichen Gesellschaft‘ sei. Schließlich sogar: dass wir in einer Diktatur der Geschichte leben. Ich könnte allen Ernstes schreiben: „Wir leben in einer Diktatur der Geschichte!“
Ich könnte schreiben: „Die machen ihr Ding, ich mach‘ mein Ding!“
Ich könnte es freilich auch volkstümlicher machen: wie die (angebliche) Hauptschülerin, die ich mal in einer Ausgabe der deutschen Late-Nite-Sendung „TV Total“ beim Bewerbungsgespräch beobachten konnte. Vom Personalchef auf ihr „Mangelhaft“ im Schulfach Geschichte angesprochen sagte sie, dass sie eben „eher die Zukunft“ interessiere – und nicht, „was vor mir war“. Über das historische Personal sagte sie noch: „Die machen ihr Ding, ich mache mein Ding. Diese komischen Römer und so …“
Ich könnte schreiben: „Geschichte, schön und gut!“
Das alles könnte ich schreiben. Ich könnte mich auch hinsetzen und schreiben: „Geschichte, schön und gut. Aber das ist doch ein Auslaufmodell der Gutenberg-Galaxie. In wenigen Jahrhunderten wird entweder gar kein Quellenmaterial über vorangegangene Epochen vorliegen, oder so viel, dass sich jede historische Wahrheit im Nachhinein erstellen lässt. Was wiederum zeigt, dass es historische Wahrheiten überhaupt nie gegeben hat.“
Das alles könnte ich schreiben
Das alles könnte ich schreiben. Aber irgendwie hindert mich die Geschichte.
Las verdades históricas nunca han existido, y sí, son construidas, siempre lo son. Pero lo interesante es saber en torno a qué se construyen, en base a qué preferencia se tejen y levantan sus muros de piedra…
Saludos