Für eine neue Drogenkultur

Ein globales Netz? Kokain-Ströme 2008. Quelle: UNDOC, United Nations Office on Drugs and Crime

Die hitzige Debatte über die kürzlich abgegebene Erklärung der Internationalen Kommission für Drogenpolitik, der Kofi Annan und eine Gruppe Intellektueller und Politiker angehören, unter ihnen auch der Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa und der ehemalige Präsident des Zentralbanksystem der USA, Paul Volcker, möchte ich gerne mit einigen Gedanken zum weltweit bekannten Scheitern des Antidrogen-Krieges weiter anfachen. Dieser Krieg ist ein uralter Kreuzzug, den Richard Nixon einst begann und der nun, fast vierzig Jahre später, einen Stand von tausenden Toten, zerrütteten Gesellschaften und einen exponentiellen Anstieg der Konsumenten erreicht hat.

Bis vor einigen Monaten lief auf allen kolumbianischen Radiosendern eine Werbung, in der sich ein kleines Mädchen mit scheinheiliger und süßlicher Stimme an die Kokabauern wandte, um sie zu bitten mit der Kultivierung der „mata que mata“, der Pflanze, die tötet, aufzuhören. Und ich sage bewusst „scheinheilig“, denn in Wahrheit handelt es sich hierbei um eine Drohung, die dadurch, dass ein kleines Mädchen sie überbringt, noch markerschütternder wird. Die Werbung, die der ehemalige Präsident Álvaro Uribe im Zuge der Kampagne zur Substitution des illegalen Anbau ausstrahlen ließ, hatte einen äußerst transparenten Subtext: Die Bauern sind nicht böse, sondern ähneln leicht verblödeten Kindern, die man mit Geduld und Geschicklichkeit in die richtige Richtung lenken muss, wie Schullehrer das machen, die aus Gewohnheit mit Zuckerbrot und Peitsche arbeiten. Und Koka ist logischerweise diese teuflische „mata que mata“, die Pflanze, die tötet, ein tropisches Abbild des Baums der Erkenntnis, ein teuflisches Wesen das menschliches Leben vernichtet. Die Auflistung der didaktischen Gegensätze – gute Pflanzen/schlechte Pflanzen, Belohnung/Bestrafung, Lehrer/Schüler, Erwachsener/Kind, Leben/Tod – sind von A bis Z mit der Ethik und Ästhetik der Zwangskatholisierung durchsetzt, die auf dem amerikanischen Kontinent seit 1492 praktiziert wurde.

Dieser christliche Diskurs – und ich möchte betonen, dass die Werbung mit dem Mädchen nur ein Beispiel unter vielen ist – stellt für die indigenen Bevölkerung eine enorme Provokation da. Die Indigenen haben nicht nur eine auf ihren Urahnen basierende Beziehung zu dieser Pflanze, sondern gehören auch zu der Bevölkerungsgruppe, die vom Drogenkrieg am heftigsten betroffen ist. Laut den Daten der Kommission der Vereinten Nationen für Menschenrechte stieg die Ermordung von Indigenen 2009 im Vergleich zum Vorjahr um 64 Prozent an. Das ist nicht verwunderlich. Denn diese Gemeinschaft ist derzeit eine der wenigen organisierten Widerstandsgruppen, die sich gegen  bewaffnete Übergriffe eines Konfliktes ausspricht, der nicht gerade in geringem Maße von internationalen Einflüssen abhängig ist, die den Drogenpreis bestimmen, und der sich unaufhörlich weiter verändert, um sich selbst am Leben zu erhalten. Es handelt sich also um einen historisch konstruierten Blickwinkel, der auf all jenen Konditionierungen der christlichen und kolonialen Wesensart basiert, und um die stetige Entwicklung einer Arroganz, welche die Beherrschung und Ausbeutung von Territorium zur Folge hat.

All dies deutet auf zwei Dinge hin: zum einen auf die aus der Kolonialisierung stammende, erzwungene Übernahme der Metaphern des christlichen Glaubens für die Betrachtungsweise und Beherrschung der kolonialisierten Umgebung. Zum anderen zeigt sich eine historische Verlängerung dieses Prozesses, das heißt, die aufgezwungenen Metaphern wurden von der Raubbau betreibenden Wirtschaft des modernen Kapitalismus für die darauffolgenden Enteignungen weiter verwendet (Beispiele hierfür sind der Goldrausch, die Gier nach Kautschuk, nach Chinarinde und nun der Kampf um die Kokapflanze).

Und, abgesehen von der angeblich recht weltlichen Lage dieser aktuellen Art der Beherrschung, ist zu beobachten, dass genau wie in den Zeiten der spanischen Kolonialisierung die amerikanische Natur von den jetzigen Ausbeutern lediglich als Wilder Raum, als Ort der Unordnung gesehen, in dem irrationale Kräfte herrschen, die nur gewaltsam unterworfen werden können. Und das wird genauso auf die staatlichen Institutionen als auch auf die faktischen Mächte angewendet, die ihr Gesetz in jeder Gegend umsetzen: die verdorbenen Netzwerke, die sich aus den Narkos, den bewaffneten Gruppen am Rande der Legalität, den lokalen Eliten und den multinationalen Unternehmen bilden.

Lasst uns empathisch die Lügen anprangern: Es ist absolut unlogisch und dumm, einer Pflanze oder einer anderen Substanz moralische Defizite anzulasten. Die Rhetorik, die sich auf diese mittelalterlichen Überreste unserer Kultur bezieht, zielt schlussendlich darauf ab, ein lukratives und scheinheiliges System am Leben zu halten, das die ideologische Kontrolle über die Konsumenten und über die Produktionsstaaten haben soll.

Lasst uns noch empathischer sein: Abgesehen von den rechtlichen und philosophischen Unzulänglichkeiten markiert der Vorschlag der Kommission, nämlich die Legalisierung des Konsums, einen wichtigen Schritt, um das ersehnte Ziel am Ende des Horizonts andeuten zu können. Es wäre eine neue Kultur des Drogenkonsums, die anstatt die Logik des Kapitalismus weiter zu bestärken, ihn in tausend Teile zerspringen ließe.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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