globalización – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 McDonaldisierung http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/mcdonaldisierung/ Fri, 09 Sep 2011 06:18:56 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5067

Jeden Tag wird die Welt immer gleicher und langweiliger.

(c) powerpaola

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Meine deutschen Worte in einem Café in Berlin http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/meine-deutschen-worte-in-einem-cafe-in-berlin/ Thu, 07 Oct 2010 06:00:37 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2339 Ich stelle mir vor, dass jemand in einem Café in Berlin eine Zeitung (oder ist es eine Zeitschrift, verzeiht, aber ich bin zerstreut) auf einem Tisch liegen lässt. Bevor die Kellnerin sie in den Müll schmeißt, wirft sie einen mürrischen Blick auf die Zeitung. Sie ist müde: So viel Tassen sind abzuräumen, so viele Aschenbecher zu leeren. Doch auch so erweckt der Titel, in dem von schwarzen Puppen und Angosturabitter die Rede ist, ihre Aufmerksamkeit. Sie sieht meinen Namen dort stehen, sie findet, dass er komisch klingt. Ist Lara nicht ein russischer Name? – überlegt sie, bevor sie meinen Artikel liest. Sie liest schnell, eine flüchtige Lektüre, damit niemand bemerkt, dass sie liest, anstatt Tische abzuwischen. Sie lacht kurz. Am Ende wirft sie die Zeitschrift (oder ist es eine Zeitung?) weg und so enden meine in die Sprache Goethes übersetzten Worte in einem großen Mülleimer, angereichert mit Zigarettenstummeln, Brotresten, Kaffeetropfen. Naja, wahrscheinlich wird der Müll getrennt, und so finden sich meine Zeilen zwischen benutzten Servietten, Altpapier und zerrissenen Postkarten wieder. Zur selben Zeit bin ich, auf der anderen Seite des Globus, unglaublich froh, dass ich das Glück gehabt habe, an einem multikulturellen, globalen, transnationalen, Internetprojekt  teilnehmen zu dürfen, durch welches meine Worte in einer anderen als meiner Sprache gelesen werden konnten. Als ich 15, vielleicht 16 Jahre alt war, habe ich „Gruppenbild mit Dame“ von Heinrich Böll gelesen und beschlossen, dass er mein Lieblingsschriftsteller sein würde, auch wenn ich nur dieses eine Buch gelesen hatte (mit 15 Jahren sind alle Entscheidungen kategorischer Natur und so brauchte ich sie nicht lange hin und her zu wälzen). Seit diesem Moment haben sich deutsche Straßen, bestimmte deutsche Namen und ein paar Blumen wie auch eine übersetzte deutsche Syntax in meiner Vorstellungswelt eingenistet. Es war eine unglaubliche Erfahrung, mich in der Sprache von Böll zu lesen oder dies zu glauben.

Dieses globale und plurale Internetprojekt hat es möglich gemacht, dass meine Texte, auch in meiner eigenen Sprache, jenseits meiner unmittelbaren Umgebung von einem räumlich entfernten und in sich sehr unterschiedlichem Publikum gelesen werden konnten. So wie es auch ermöglicht hat, dass ich hervorragende, mir unbekannte lateinamerikanische Autoren lesen konnte. Die heitere Tilsa, die ultrapoetische Lena, die intellektuelle Lizabel, die leidenschaftliche María. Von den Jungs ganz zu schweigen! Mein Landsmann Leo Felipe Campos ist eine kleine „Perle“, ich bin sein erklärter Fan. Viele Intellektuelle, die über Migrationen, Exil, Bewegungen, Irrungen, Identitäten und sonstige Kleinigkeiten nachdenken, sagen immer wieder, dass die Heimat die Sprache ist. Und dieser Raum hat gezeigt, wie 15 so unterschiedliche Personen keinerlei Übersetzung unter einander benötigten, weil sie einer Sprache entsprangen, die sich zwar verästelt und verschiedene Farben annimmt, aber dennoch ein und dieselbe bleibt. Ich mochte es nie, über Lateinamerika als einer Einheit zu sprechen, aber es gibt gewisse Dinge, die wir, wenn wir weit von einander entfernt sind, als Einheit stiftend empfinden. Ich lese diese lateinamerikanischen Autoren und ich verstehe sie auf eine Art und Weise, die weit über das Verstehen der Wörter hinausgeht. Denn diese kosmische Sprache, die uns verbindet, reicht weiter, als es ihre eigenen Vokabeln tun. Ich, die ich Tag für Tag im sprachlichen Exil lebe, hege daran keinen Zweifel.

Ein andere wunderbare Erfahrung, die dieser Raum darbot, war die Möglichkeit deutsche Autoren meiner Generation zu lesen. Böll ist sehr gut, aber es war ein großes Vergnügen die wunderschön entrückte Sprache von René Hamann oder die Eleganz von Emma Braslavsky zu lesen. Euch alle zu lesen war, als ginge ich in diesem Moment die (gepflasterten?) Straßen einer deutschen Stadt entlang. Die Texte der fünf beteiligten deutschen Autoren zu lesen, bedeutete zeitgenössische deutsche Literatur zu lesen – eine für mich, die ich die Sprache nicht spreche und nicht über die Mittel verfüge, an Übersetzungen (sofern sie existieren) heranzukommen, so schwierige Angelegenheit. Ich spürte den Puls der Texte dieser unterschiedlichen Autoren und vermochte auch hier ein zart gestricktes Muster zu vernehmen, das es mir irgendwie ermöglichte, Zugang zu einer Generation von Deutschen zu bekommen, von der ich nichts wusste. Die Fäden dieses Strickmusters weisen Ähnlichkeiten mit meinem eigenen Strickmuster auf. Wir sind mit unsichtbaren Fäden mit einander verstrickt und nur dieser Raum hat sie spürbar werden lassen. Wir sind durch das Netz „verstrickt“, durch die Globalisierung, die Generation oder wie auch immer man das nennen mag, was mich dazu befähigt, euch zu verstehen, Übersetzer wenn man will, aber weit über den unmittelbaren Wortsinn des Übersetzers von Worten hinaus.

Ich danke Rery Maldonado und Nikola Richter für diese aus dem Wollknäuel ihrer Träume entwickelte Idee, uns alle zusammen zu bringen. Dank ihnen sind meine Worte in einem Café in Berlin. Und meine Stimme in einem Ort im Äther des Cyberspace. An einem Ort dieser Raumzeit Null – dieses Chronotopos cero – haben wir uns getroffen.

Übersetzung: Anne Becker

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Eine Finanzspritze http://superdemokraticos.com/editorial/eine-finanzspritze/ Sun, 03 Oct 2010 13:50:41 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2500

Oscar Seco, Apocalipse & Alternative Worlds, 2001

„Unsere Probleme sind die gleichen, wie man sie auf den Straßen von Mailand, Berlin oder New York einatmen kann.“ So lautet ein Satz im letzten Artikel von Javier Badani aus La Paz. Er passt sehr gut zum heutigen Tag, dem 3. Oktober. Heute wird in Deutschland die Wiedervereinigung gefeiert. Ich muss zugeben, dass es mich etwas beschämt, dieses Thema anzuschneiden. Ich bin Ausländerin, und meine Beziehung zur Wiedervereinigung hat sich mit den Jahren entwickelt, daher spreche ich in der ersten Person. Ich lebe seit 13 Jahren in Berlin oder in seiner Umgebung, und als ich 1997 in Potsdam ankam, war der Wiedervereinigungsprozess noch in vollem Gange. Wenn er jetzt vielleicht eines Tages vollendet ist: Was ist denn eigentlich eine Nation?

Die Rückgewinnung des historischen Gedächtnisse ist vielleicht eine der Gemeinsamkeiten unserer Generation, und diesbezüglich gibt es keine bessere Stadt: Berlin ist die Hauptstadt für die westlichen Wendekinder. Für die verwöhnten Kinder der existierenden Leere, nachdem physisch mit dem binären Denken gebrochen wurde. Seitdem ist der Kalte Krieg beendet. Diese Stadt ist voller autorefenzieller Denkmäler. Als ob der allegorische Sinn des Mauerfalls nicht vom „Marcha por la Vida“ (Marsch für das Leben) der bolivianischen Minenarbeiter, vom Sturz des letzten Dinosauriers Pinochet, vom Triumphzug des freien Marktes begleitet worden wäre. In Tarija, in Potsdam, in Buenos Aires und in München, auf der gesamten Welt. Mit den Jahren habe ich bemerkt, dass – jenseits der Toten, die in keinster Weise Diktaturen rechtfertigen – es genau das ist, was unsere Leben verändert hat (hier beziehe ich mich auf den Text von Agustín Calcagno). Die Finanzspritzen führten dazu, dass unsere Eltern ihre Richtung verloren haben, es hinderte sie daran, darüber nachzudenken, und vor allem hat sie der Glaube verlassen, dass sie auf eine andere Art und Weise den amerikanischen Traum erreichen könnten, diesen konsumistischen Traum, vom Tellerwäscher zum Millionär, der dann wahr wird, wenn man alles dafür tut. Auch das lässt sich daran wiedererkennen, wie die deutsche Wiedervereinigung ablief. Ein konkretes Beispiel ist, dass hier niemand mehr sicher weiß, was es eigentlich bedeutet, Sozialdemokrat oder Christdemokrat oder Grüner oder Liberaler zu sein. Berlin und alle anderen Städte vor den Wahlen sehen aus wie Las Vegas. Die wichtigen Entscheidungen sind ökonomischer Art, globalisiert, werden auf Kauderwelsch-Englisch getroffen und benötigen jetzt einen anderen Feind.

Wenn ich mit schlechter Laune aufwache, denke ich dasselbe wie Jo Schneider in seinem letzten Artikel, außer, dass mein Zuhause weit weg ist und ich mich damit tröste, dass ich glaube, dass dies die wiederkehrenden Gedanken der Mittelschicht sind, überall auf der Welt. Besonders das Auf- und Abflauen eines nationalen Pulses, das gilt jetzt für Deutschland, seit 1997, hat mich in einen Status versetzt, der „Nicht-EU-Bürger“ genannt wird. Wie fast alle meiner Mitbürger, egal, welchen legalen Status sie haben, habe ich viele Bürgerrechte in den vergangenen Jahren verloren. Und meine Frage lautet: Welche Rolle spielte dabei die Wiedervereinigung?

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Über Lendenschürze, Morenadas und Hip Hop http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/uber-lendenschurze-morenadas-und-hip-hop/ Fri, 01 Oct 2010 06:14:17 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=576

Aymara-Hiphop der Band Wayna Rap. Foto: Javier Badani

Nein, wir tragen keinen Lendenschurz und wir rennen auch nicht mit Pfeilen bewaffnet durch die Gegend. Unsere Frauen tragen auch keinen Obstkorb auf ihrem Kopf und schwingen völlig grundlos die Hüften. Wir Lateinamerikaner sind ein lebensnotwendiger Bestandteil dieses globalen Dorfs, mit Managern in schicken Dreiteilern, die auf der geteerten Undurchschaubarkeit der Down Towns herumlaufen, und mit Jugendlichen auf der Jagd nach dem neuesten MP4 Model.
Die guten und die dummen Taten der ersten Welt bekommen wir alle ab, und wenn wir sie dann erst in unseren Händen haben, drücken wir ihnen diesen typischen Latino-Stempel auf. Unsere Probleme sind genau die gleichen, wie man sie auch auf den Straßen von Milan, Berlin oder New York einatmen kann.

Natürlich gibt es in manchen Bereichen auch Unterschiede, abgrundtiefe sogar. Aber es ist ganz offensichtlich, dass sich dieser Teil der Erde voll und ganz im Prozess der Wieder-Entdeckung befindet, beim Durchpflügen der Erde nach Geschichte, auf der Suche nach seinen Wurzeln, um dadurch erneuert zu starten. Denn auch wenn wir im 19. Jahrhundert komplett von Europa abhängig waren und im 20. Jahrhundert die USA benötigten, um unsere ersten Schritte machen zu können, richten wir heute den Blick auf uns selbst und fragen uns nach unserer Rolle auf diesem Planet, die wir von diesem neuen Jahrtausend an spielen werden. In der Zwischenzeit erklären wir uns zu einem Regenbogen der Ethnien und Kulturen – und sind glücklich über das, was sich auf diesem mestizischen Kontinent zusammenbraut.

Hier gibt es Hip-Hopper der Hocheben (die andine Region Boliviens), sie reimen über ihren indigenen Ursprung auf Aymara, der Sprache ihrer Vorfahren – oder schreien auf Spanisch: „Was geht/ was soll´s/ wir sind die Söhne der Cholas (Mestizen)“ und damit gewinnen sie ihr urbanes chola-Naturell zurück.

Wir haben Staatsoberhäupter wie Evo Morales, Hugo Chávez oder Lula da Silva, die – mit all ihren Nuancen, Wertstürzen und Risiken – eine Art und Weise der Politik errichten, die zum ersten Mal auch jene sozialen Schichten einschließt, die von der Geschichte des Kontinents seit der Ankunft der europäischen Eroberer missachtet wurden. Von jetzt an werden diese Teile der Gesellschaft es nie wieder zulassen, dass sich die Geschichte wiederholt.

Natürlich sind unsere Herausforderungen enorm, genau wie unsere Widersprüche. Von den militärischen Stiefeln, die uns in den 70ern unterdrückten, unterliegen wir nun der Diktatur der Kartellbosse des Drogenhandels, das sind nun die neuen Pinochets, Somozas und Trujillos von damals. Wir sind eine der Regionen mit dem größten wirtschaftlichen Potential, dennoch schafft die Armut Absurditäten, wie beispielsweise, dass eine komplette Ortschaft des Hochlands ihr Territorium zur Freihandelszone für den illegalen Handel erklärt, Polizisten lyncht und damit die Abwesenheit der staatlichen Macht zelebriert.

Dennoch, die kilometerlangen Supermärkte im Stil der ersten Welt schaffen es nicht, mit unseren bunten Straßenmärkten zu konkurrieren. Genauso wenig, wie es die maßlosen Fastfood-Ketten mit ihren Hamburgern mit doppelt Fleisch geschafft haben, diesen besonderen Genuss auszurotten, den der Geschmack eines kreolischen Gerichts in einer Markthalle hervorruft. Denn es wird für die Lateinamerikaner immer schöner sein, sich die Arterien unserer Städte anzueignen, um dort unsere Folklore mit mehr Inbrunst zu tanzen, als wir das in einer Disko tun könnten. Denn es wird für die Lateinamerikaner immer schöner sein, auf der Straße zum Rhythmus einer bolivianischen Morenada, einer dominikanischen Bachata oder einer kolumbianischen Cumbia zu tanzen, als zu den elektronischen Beats und den rockigen Gitarren.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Globusse, Balkane und Literatur http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/espanol-globos-balcanes-y-literatura/ Mon, 27 Sep 2010 15:01:57 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2230 Wir waren 18 Jahre alt, ein bewegtes Jahrhundert neigte sich dem Ende entgegen und ich und mein Freund Boris suchten wie Drogensüchtige nach Büchern. Da es in unserer Stadt keine Buchhandlungen (bzw. eine mit geringer Auswahl) gab, konzentrierten wir unsere Suche auf die Bücherregale unserer Verwandten und Freunde: Wir fragten nach, liehen Bücher aus oder klauten welche (aus den Bibliotheken, die durch Einschränkungen, schlechten Geschmack und Betriebsroutine verwaist waren). Es war uns egal; wir machten Gebrauch, von dem, was wir fanden: Wir waren glücklich in unserer Beschränkung. Das Lesen hielt uns an, immer mehr zu lesen, ohne dass wir sonderlich an die Zukunft oder die Konsequenzen dachten. Eines Tages erreichte uns das Gerücht, dass Herr Soundso angeblich die gesammelten Werke von Jorge Luis Borges in der Emecé-Ausgabe von 1979 besaß. Nachdem wir die ungefähre Adresse des besagten Besitzers ermittelt hatten, fuhren wir auf Boris’ schrottreifen Motorrad los und klingelten zwischen zwei Straßen an jeder Haustür, bis wir an die richtige Tür gelangten. Ein Typ, den wir noch nie gesehen hatten, öffnete uns die Tür, verschwand nach einer kurzen Erklärung von Boris wieder in der Wohnung und kam mit besagter Ausgabe in grünem Einband wieder. Wir fuhren sofort zum Kopierladen und brachten ihm nach einer Stunde sein Buch zurück. Dass es keine Bücher gab (heute gibt es auch nicht viel mehr als damals), schien mir auch ein Symptom des spießigen und obskuren Angestelltenprofils in der Stadtverwaltung: Es ist schließlich leichter, jemanden zu beherrschen, der uninformiert ist oder nicht weiß, was er mit Informationen anfangen soll.

Uns war die Welt damals weit und fremd, auch wenn dies gerade dabei war, sich zu ändern. Wir sollten bald dazu gezwungen werden, unsere Antennen vom analogischen auf das digitale Modell umzustellen. Ein Jahr bevor das 20. Jahrhundert zu Ende ging, konnten wir schon Zeitungen und Magazine im Internet lesen, die vorher für uns nirgends zugänglich gewesen und in unserem monothematischen Zirkel mythischen Status genossen hatten: Mit einem Klick fühlten wir uns selbst gegenüber nun wahrhaft zeitgenössisch. Aber in der „Realität“ zirkulierten weiterhin sehr wenige Bücher und der Klang der „Realität“ hatte mehr Akkorde in Moll denn in Dur: übertrieben hohe Buchpreise bei Lumpengehältern, deren Kaufkraft jeden Tag abnahm, Geringschätzung der Rolle der Literatur, das Aufkommen multinationaler Konsortien, die sich anschickten, unsere „Nationalliteratur“ zu umsäumen (indem sie tendenziöse Debatten führten, Autoren und Werke ignorierten, den Dialog zwischen literarischen und linguistischen Traditionen, die sich nicht um ihr mittelmäßiges Kriterium der nationalen Grenzen scheren, nicht berücksichtigten, indem sie Schulbuchtexte herausbrachten, in denen der Sinn der Literatur in der erzieherischen Funktion verloren ging etc.). Die von diesen Konsortien geförderte „Nationalliteratur“ war in vielen Fällen nichts als ein ideologischer Pakt zwischen einer Öffentlichkeit (die diese teuren Bücher kaufen und die Lektüre dieser klassistischen Bücher genießen konnte) und einem Autoren (der oftmals aus eben dieser sehr begrenzten Öffentlichkeit stammte). Viele Aspekte haben diesen perversen Effekt zu unterminieren begonnen, unter anderem der Zugang zu Literatur über das Internet.

Auch wenn es hier keine Buchhandlungen gibt, die an Supermärkte erinnern, in denen Bücher wie Waren mit einem Verfallsdatum verkauft werden (wodurch viele wertvolle Bücher in Vergessenheit geraten), so verharren wir doch in der Position eines kulturellen Flohmarkts, auf den nur die Abfallprodukte und Überschüsse der großen Märkte gelangen. Das, was einige Autoren (unter anderen Piglia und Link) die „Balkanisierung“ der lateinamerikanischen Literatur nennen. Ramsch wie Selbsthilfeliteratur, miserable Übersetzungen von Klassikern, unechte Bestseller, aber fast nie jene Werke, die unsere (gemeinsame, aber unendlich vielseitige) Sprache transformieren und erweitern, die unser Verständnis davon, was es heißt, Lateinamerikaner zu sein, verändern, die den Kanon reformieren etc. Solange das so bleibt, werden wir dank des Internets – mit all seinen Begrenzungen und unseren Illusionen, mit Geduld, aber auch mit Zorn – weiter Widerstand leisten. Seiten aus Sandstein, die ich mit meinem Freund Boris weiter verschlingen werde. So einfach geben wir nicht auf.

Übersetzung: Anne Becker

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Globalisierung: Für Kuba zutreffend? http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/globalisierung-fur-kuba-zutreffend/ Wed, 22 Sep 2010 15:14:12 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2057 Das Wort Globalisierung ist auf Kuba doppeldeutig. Wir haben sicherlich nicht diese in vielen Ländern vorzufindende hybride Wirtschaftsform, die ein allgemein anerkanntes Kennzeichen der Globalisierung ist. Eigentlich haben wir gar keine Wirtschaft. Auf Kuba war das lange ein verbotenes Wort. Zunächst einmal deshalb, weil in der von der Kubanischen Revolution geschaffenen Staatsform der Staat die Verantwortung für die Wirtschaft übernahm. Es ging darum, ein Modell für ein zukünftiges Land aufzubauen, oder besser gesagt, für eine zukünftige Welt. In diesem Modell war, wie in jedem Modell, die Wirtschaft grundlegend.

Die Konsequenz? Heute haben wir einen Expräsidenten, einen historischen Mythos und einen halbwegs linksradikalen Dinosaurier – Fidel Castro, jawohl – der in einem Interview zugibt, dass das Modell des kubanischen Sozialismus nicht sonderlich gut funktioniert. Auch wenn er später die Aussage zurücknahm, steht diese Erklärung doch sehr offensichtlich im Zusammenhang mit den neuen wirtschaftspolitischen Maßnahmen von Präsident Raúl, seinem Bruder, in denen zum ersten Mal seit 50 Jahren nicht nur das Privateigentum wertgeschätzt wird, sondern auch über Massenentlassungen Anreize für die private Akkumulation geschaffen werden. Wie spiegelt sich das im Alltag wider? Sagen wir mal so, dass die Globalisierung der Wirtschaft eine Legende ist, über die ich so viel gehört habe, dass ihr Einfluss auf die Wirklichkeit dem Einfluss der Legende vom Weihnachtsmann gleicht…

Ein weiteres Kennzeichen der Globalisierung: die Zunahme der Migrationsbewegungen. Im Fall von Kuba hat auch hier der nationalistische-kommunistische-sozialistische Staat (das waren die verschiedenen Bezeichnungen des revolutionären Prozesses) unter je unterschiedlichem Vorzeichen, in verschiedenen Kontexten und zu sehr umstrittenen Bedingungen massive Auswanderungswellen angestoßen. Zugleich wurden dem normalen kubanischen Staatsbürger Auslandsreisen verboten. Die Ausreiseerlaubnis – und die Einreiseerlaubnis für den emigrierten Kubaner – machten die Insel zu einem gigantischen Gefängnis, dessen Außenmauer das Meer war. Also, … das mit der Migration ist ein delikates Thema für jeden Kubaner und weit vom modus vivendi eines privilegierten Bürgers der Ersten Welt entfernt.

Zu guter Letzt betet die Propaganda der neuen, vom Norden gehätschelten Ideologie der – Globalisierung (welche andere hätte es sein können? ) – vor, dass jeder von uns ein Mosaik sei. Nun gut, von Lateinamerika aus betrachtet würde die Sache anders aussehen oder sieht sie anders aus… Die Befreiung unserer Länder von der Kolonialherrschaft wurde auf der Basis des Ausschlusses vieler Teile des kontinentalen Mosaiks errungen. Die Ureinwohner, Schwarzen und Chinesen und andere mehr wurden innerhalb jedes Landes an die Ränder einer kreolischen Gesellschaft gedrängt, die sich als weiß und europäisch verstand.

Gegen Ende dieses Prozesses fingen viele „Ethnologen“ an – auf Kuba haben wir Fernando Ortiz –, über Synkretismus, Transkulturalisierung, letztlich über kreuz und quere Mischungen zu sprechen. Jedoch hat dieses Bestreben, alle Teile des Mosaiks als Zutaten ein und der selben Suppe zu verstehen, etwas sehr Trügerisches und Vorgegaukeltes. Es handelt sich um eine Form des Einschluss ohne einzuschließen: Was schließen wir ein, wenn alles schon da ist? Die Entwicklungslinie dieses Denkens – welches positivistische Züge trug – reicht bis ins 20. Jahrhundert und fand Eingang in die Kubanische Revolution. Und zwar in dem Moment, als diese auf einzigartige Weise erklärte, alle Minderheitenorganisationen des Landes auflösen zu wollen und jede Diskriminierung auf Grund der Hautfarbe zu verbieten, indem sie einerseits eine Politik der positiven Diskriminierung ins Leben rief und anderseits verlautete, dass ein Revolutionär nicht rassistisch sein könne. Es würde eine gute Lektion in Politik abgeben, würde man analysieren, wie die Kubanische Revolution die Differenz zwischen dem „Sollen“ und dem „Sein“ ideologisch gehandhabt hat: leider aber eine Lektion in Politik, die dazu führen würde, über den „Multikulturalismus“ zu sprechen, diese globalisierte Etikette.

Übersetzung: Anne Becker

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Wer bläst den Globus auf? Eine Umfrage http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/wer-blast-den-globus-auf-eine-umfrage/ http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/wer-blast-den-globus-auf-eine-umfrage/#comments Wed, 22 Sep 2010 06:22:55 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2088 Anleitung: Wählen Sie für jede Frage eine Antwortmöglichkeit und fügen Sie diese in das Feld für Kommentare ein. Fühlen Sie sich frei, eine kurze, persönliche Erklärung dazu abzugeben, falls Sie das für nötig halten.

1- Hat in einer globalisierten Welt ein Poet, der auf Englisch schreibt, irgendeinen Vorteil gegenüber einem Poeten, der auf irgendeiner anderen, viel weniger verbreiteten Sprache schreibt?

a)      Ja.

b)      Nein.

c)      Nein, vorausgesetzt, der Poet aus der anderen Sprache wird nachträglich ins Englische übersetzt.

d)     Der Poet, der auf einer Minderheitensprache schreibt, hat einen Vorteil gegenüber dem Poeten, der auf Englisch schreibt, denn die globalisierte Welt strebt nach Pluralität und Multikulturalität, und deshalb wird er durch positive Diskriminierung begünstigt.

2- Wenn sich ein portugiesischer Dichter (wie es Pessoa eines Tages tat) dafür entscheidet, Gedichte auf Englisch zu verfassen, verliehe diese idiomatische Entscheidung seinem Werk einen Hauch von:

a)      Internationalität.

b)      Globalität.

c)      Universalität.

d)     Kosmopolitismus.

3- Wenn sich ein mexikanischer Dichter (wie es Pessoa eines Tages tat) dafür entscheidet, Gedichte auf Englisch zu verfassen, verliehe diese idiomatische Entscheidung seinem Werk einen Hauch von:

a)      Immigrant.

b)      Verdächtig.

c)      Pro Yankee.

d)     Globalophil.

e)      Pessoaesk.

4- In wie viele Sprachen muss ein Gedicht übersetzt werden, um ein globalisiertes Gedicht zu sein?

a)      Die Übersetzung ins Englische, falls es auf einer anderen Sprache geschrieben wurde, ist absolut ausreichend.

b)      Mindestens in drei westliche und eine fernöstliche Sprache.

c)      Mindestens in zehn indigene Sprachen.

d)     Es hängt nicht von der Übersetzung, sondern von der Verbreitung ab.

5- Ein globalisiertes Gedicht ist in letzter Instanz:

a)      Ein multikulturelles Gut.

b)      Universelle Literatur.

c)      Eine Ware.

d)     Eine Utopie.

6- Welches Gedicht passt besser zu der Idee von einer globalisierten Welt?

a)      Ein Gedicht, das auf mehreren Sprachen verfasst wurde, sich auf verschiedene Kulturen bezieht und in der Lokalzeitung eines kleinen, ländlichen Dorfes erscheint.

b)      Ein hypertextuelles Gedicht, veröffentlicht auf einem dunklen, privaten Blog.

c)      Ein Sonett eines berühmten, US-amerikanischen Dichters, der gerade mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde.

d)     Ein Gedicht, das auf irgendeiner indigenen Sprache verfasst wurde, sagen wir auf Tzotzil, und bei einem internationalen Poesiefestival in Paris verlesen wird, an dem 100 Personen teilnehmen.

7- Wenn der Autor des Gedichtes auf Tzotzil aus Antwort d) der vorherigen Frage sich entscheidet, in Paris zu bleiben, wird er zu:

a)      Einem internationalen Poeten.

b)      Einem Produkt der Globalisierung.

c)      Einem illegalen Einwanderer.

d)     Einem Problem für die Veranstalter des Festivals.

8- Angenommen, Sie hätten als Publikum bei diesem angenommenen internationalen Poesiefestival teilgenommen (bei dem unser mittlerweile geschätzter Autor des Gedichtes auf Tzotzil aufgetreten ist) und, natürlich nur angenommen, dass wir von nationaler Literatur sprechen könnten und uns darüber bewusst sind, dass wir vermutlich in der Annahme einer vermutlich globalisierten Welt leben: Für welchen Dichter hätten Sie mehr applaudiert?

a)      Für einen mexikanischen Dichter, dessen Gedichte wirken, als wären sie von einem US-amerikanischen Dichter verfasst worden.

b)      Für einen US-amerikanischen Dichter, dessen Gedichte wirken, als wären sie von einem kubanischen Dichter verfasst worden.

c)      Für einen deutschen Dichter, dessen Gedichte wirken, als wären sie von einem deutschen Dichter verfasst worden.

d)     Für den Autor des Gedichtes auf Tzotzil, obwohl Sie nichts von dem verstanden hätten, was er gelesen hat (und möglicherweise genau deswegen).

e)      Sie würden für sich selbst applaudieren, da Sie ohne Murren eine Lesung von über einer Stunde ertragen haben, die voll von fatalen Vorträgen war, die glücklicherweise jeglicher weltlicher Transzendenz entbehrten, denn Poesie interessiert ja sowieso keinen.

9- Was, glauben Sie, verbirgt sich hinter der offensichtlichen Unschuld eines internationalen Poesiefestivals:

a)      Eine globalophobe Gruppierung, die vorgibt, die Verschiedenheiten und die Regionalismen zu betonen, indem sie die unterschiedlichen Nationalitäten ihrer eingeladenen Dichten hervorhebt, als Akt des geheimen Widerstands.

b)      Eine globalophile Gruppierung, die eine internationale Handvoll Dichter eingeladen hat, aus reiner Geilheit auf exotische Waren, genau wie bei diesen asiatischen Soßen, über die sie jedes Mal so sehr in Aufregung geraten, wenn sie in den Supermarkt gehen.

c)      Eine weder globalophobe noch globalophile Gruppierung, sondern lediglich eine Gruppe von gelangweilten Menschen, die versuchen, ihrem Leben einen Sinn zu verleihen, so armselig dieses auch sein mag.

d)     Eine Gruppe Dichter, die andere Dichter in ihr Land einlädt, in der Hoffnung, dass diese sie ebenfalls einladen und in den jeweiligen Ländern empfangen werden: ein Zweig von dem, was man nun allgemein Fairtrade nennt, eine billige Art des Reisens, literarischer Tourismus, zusammengefasst, eine Gruppe dahergelaufener und opportunistischer Dichter.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Questo Abrigado Tanto Mucho que can eat it Carousel http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/questo-abrigado-tanto-mucho-que-can-eat-it-carousel/ http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/questo-abrigado-tanto-mucho-que-can-eat-it-carousel/#comments Mon, 20 Sep 2010 15:14:30 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2067 Ich mag Bananen. Mir ist egal, woher sie kommen. Aus Brandenburg kommen sie nicht, aber ich glaube, ich könnte es für einen Fortschritt halten, wenn sie es können werden. Ich mag auch Billigflüge. Ich glaube, ich könnte es für einen Fortschritt halten, wenn es sie in fünfzig Jahren noch geben könnte, wenn es sie geben könnte, ohne dass die Umwelt und damit die Lebensbedingungen für Mensch und Tier darunter zu leiden hätten. Ich glaube, dass wir an den technischen Fortschritt glauben müssen. Einen Verzicht auf Privilegien halte ich für einen Rückschritt. Im Gegenteil, der vermeintlich hohe Standard, der in der westlichen Welt herrscht, und da auch längst nicht für alle, sollte der global gültige Standard für alle sein.

Zurück zur Natur kann und darf nicht die Lösung sein.

„Doch dann wieder, wenn ich an die unsäglichen Mühen denke, die es mich kostete, in einem fremden Land zurückzufinden zu der Sprache, die sich eingegraben hatte in die tiefsten Schichten meiner Erinnerungen, und dann diese Sprache, ständig umringt von andern Sprachlauten, funktionsfähig zu halten, muss ich diese Sprache als etwas ungemein Gebrechliches, Fragwürdiges ansehen, als etwas, das uns in keiner Silbe gegeben ist, das uns nicht, wie andern, die tatsächlich in ihrer Sprache leben, bei jedem Schritt zufliegt, und das wir uns unaufhörlich selbst schaffen müssen.“ (Peter Weiss, Notizbücher 1971-80, S. 729)

Oder: „Is it politically correct to even be here?“ (Bongwater).

Habe ich mich auch gefragt, damals, als ich von Köln nach Montpellier flog, um meine damalige Freundin zu besuchen. Sollte ich eigentlich hier sein? Ich? Sollte ich nicht lieber die Dekadenz eines Flugs via Paris vermeiden und eine Freundin in meiner Stadt haben? Ja, sollte ich, aber nicht aus diesen Gründen, sondern aus Gründen der Pragmatik.

Öffnen der Meinungsseite:

Tourismus ist ein Grundübel und Mobilität ein hohes Gut.

Umweltbewusstsein ist ein hehres Ziel und Verzicht eine lustfeindliche Selbstbeschränkung, die dumm ist.

Es sollte ein weltweiter Sozialismus (oder etwas ähnliches, zeitgemäßeres; nennt es, wie ihr wollt) möglich sein, der nicht hinter die Errungenschaften des Kapitalismus zurückfällt. Und ja, die Errungenschaften des Kapitalismus gibt es.

Individualverkehr ist größtenteils überflüssig, und doch sollte es jedem und jeder möglich sein, ihren und seinen Standpunkt zu wechseln. Mit Verkehrsmitteln.

Ich glaube, ich bin nur gegen die Atomkraft, weil sie in den Händen des Kapitals liegt, also in denen der sogenannten freien Wirtschaft. Läge die Atomkraft in Händen des Staates, des Volkes, wie sähe die Sache dann aus?

Und: Ich bin nicht gegen die Genforschung. Bananen aus Brandenburg, warum nicht?

Montpellier 1994: Ich erinnere mich an die Menschen, die wie fremde Radios durch die Stadt sendeten. Ich verstand kaum ein Wort. Ich erinnere mich an Sitten, die andere waren, keine globalisierten. Ich erinnere mich an die Freude, einen Gleichsprachigen zu treffen und mit ihm reden zu können, auch wenn er ein Idiot war. Ich erinnere mich an die Wärme dieser Stadt im Oktober. Ich spüre die Kälte der Stadt Berlin zu dieser Jahreszeit. Ich könnte sagen, dass ich es für ein militärisches Versäumnis halte, für eine Todsünde der Deutschen, dass es ihnen nicht gelungen ist, eine mediterrane Stadt zu halten. (Meine Heimat liegt in der Sprache, aber das Wetter meiner Sprache ist schlecht.) Ich erinnere mich an die Schönheit von Triest. An den Friedhof von Pula (Kroatien) mit den Namen aus drei, vier, fünf verschiedenen Kulturnationen.

Es ist die Sprache, die den Unterschied macht. Solange es ÜbersetzerInnen geben muss, brauchen wir uns über Globalisierung keine Gedanken zu machen. Dass vieles falsch läuft, ist ohnehin klar. Das liegt am Kapitalismus.

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Wenn alles möglich ist, dann ist es gleichsam nichts mehr http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/wenn-alles-moglich-ist-dann-ist-es-gleichsam-nichts-mehr/ Thu, 16 Sep 2010 20:26:54 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1940 Die Globalisierung gibt es nicht. Was es gibt, ist eine Verstärkung der Dominanz der mächtigen Kulturen über die schwachen. Das sage ich nicht, das sagen viele Theoretiker und ernster zu nehmende Experten als ich, gerade letztens habe ich das wieder bei einen von ihnen gelesen. Aber es scheint, als würde ein Funken Wahrheit dran sein. VERSTÄRKUNG DER DOMINANZ DER MÄCHTIGEN KULTUREN ÜBER DIE SCHWACHEN. Das kannst du deiner Tante erzählen! Nach so einem Satz will man lieber aufgeben und zur Theorie überlaufen. Doch ich finde diesen bombastischen Satz interessant und er erinnert mich an eine Anekdote.

Vor ein paar Monaten hatte ich eine Diskussion mit einem Theater in London – das ich ungemein schätze – über ein Drehbuch, das sie angefordert hatten. Ich sollte ein Theaterstück über die Realität meines Landes schreiben, natürlich aus meiner Sichtweise und mit meiner literarischen Stimme, um es irgendwie zu sagen. Ich entschied mich dann, ein Stück über die Diktatur zu schreiben oder, besser gesagt, ein Stück über die Nachwirkungen der Diktatur im Leben der Menschen. Aber ich habe das viel hin und her gewälzt, weil ich dem Ganzen eine eigene Note und Perspektive geben wollte. Ich entschied mich, über eine Familie zu schreiben, deren Tochter während der Diktatur verschwand und die ihr Familiengerüst seitdem um die Abwesenheit der Tochter herum konstruiert hatten. Eines Tages – das ist jetzt schon Teil des Plots– finden sie heraus, dass ihre Tochter zwar zur Zeit der Diktatur entführt worden war, aber nicht vom Militär sondern von Außerirdischen. Die Diktatur hatte es gegeben, es hatte Verschwundene gegeben, nur dass ihre Tochter nicht zu ihnen gehörte. Wie würde diese Familie reagieren, wenn von einem Tag auf den anderen all die Ideen, auf denen sie ihre Werte und moralischen Grundsätze gebaut hatte, auf falschen Annahmen fußten? Die Außerirdischen nehmen erneut die Erde ein,  und die Handlung geht weiter und sie wäre zu lang, um sie hier zu erzählen. Worum es mir hier geht, ist die Auseinandersetzung mit dem Theater in London. Das Theater nahm mein Stück sehr positiv auf, aber sie baten mich die Sache mit den Außerirdischen zu überdenken, da sie fanden, dass dies ein Stilmittel war, dass nicht zu der Dramaturgie und dem Thema des Stücks passte und ein Affront gegen den eigentlichen Wert des Stückes darstellte, der für sie darin bestand, über die Diktatur zu sprechen.

Im Folgenden möchte ich versuchen, so gut es geht einen Dialog wiederzugeben – den Schwachstellen meines Gedächtnis sei verziehen – denn ich erinnere mich nicht genau an den Wortlaut, und zudem erfolgte der Dialog über mehrere Emails verteilt. Zunächst erwiderte ich, dass mein Stück sich in eines der vielen Stücke über die Diktatur in Uruguay einreihen würde, würde ich die Außerirdischen rausnehmen, und dass es mich nicht interessieren würde, zur Fülle der Stücke über die Diktatur ein weiteres hinzuzufügen. Sie antworteten mir, dass sie meinen Einwand interessant und bemerkenswert fänden, weil sie es merkwürdig fänden, dass sie noch nie ein Theaterstück aus Uruguay über die Diktatur gelesen hätten, wenn es doch so viele gäbe. Worauf ich erwiderte, dass es interessant sei zu erfahren, wie viele uruguayische Stücke sie denn überhaupt über die Diktatur kennen würden, und ich schickte ihnen im Anhang eine Liste mit 15 Stücken aus Uruguay über die Diktatur. Die Antwort war klar, dass sie keines der Stücke gelesen hatten, und auf diese Weise blieben die Außerirdischen im Drehbuch, und diesen Monat hat mein Stück Premiere, aber logisch, nicht in London, sondern in Montevideo.

Die Moral von der Geschichte: Die Globalisierung ist nicht global, sie ist nicht in der uruguayischen Dramaturgie angekommen, so wie sie an hunderten von Orten nicht angekommen ist. Denn ich kann schnell deutsche, französische, US-amerikanische, sogar brasilianische und argentinische Theaterstücke ausfindig machen und lesen… aber wie sollte ich schnell und einfach Zugang zu marokkanischen, costaricanischen, iranischen, finnischen, oder, um noch ein außergewöhnlicheres Beispiel zu nennen, asiatischen Drehbüchern bekommen.

Es handelt sich nicht nur um mächtige und schwache Kulturen – da niemand die Stärke der eben genannten Kulturen leugnen kann – sondern auch darum, dass man sich immer mit den Nachbarländern vergleichen muss und darüber hinaus auch natürliche Hürden zwischen den Kulturen bestehen, und damit meine ich nicht nur die Sprache.

Uns erscheint es so, dass die Globalisierung und das Internet Hand in Hand gehen, dass alles überall hingelangt, doch wir wissen auch, dass obwohl die Welt jeden Tag vernetzter ist, sich weder der Reichtum globalisiert, noch die Macht, noch nicht einmal die Information. Man muss wissen, wie man zu ihnen hinfindet, man muss wissen, wie man sucht, man verliert sich in der Welt der Daten, wie man sich in der Welt verliert. Es ist unglaublich sich vorzustellen, dass die uruguayischen Drehbuchtexte, zumindest ein großer Teil von ihnen, auf der folgenden Internetseite zugänglich ist www.dramaturgiauruguaya.gub.uy. Aber das macht sie nicht global, sie stehen damit nicht der ganzen Welt zur Verfügung, sie macht sie noch nicht einmal den Zirkeln zugänglich, die sicher darauf brennen würden, sie zu lesen. Die Herausforderung gilt weiterhin, denn in einer globalisierten Welt sind die Barrieren immer noch so groß wie zuvor. Auf eine gewisse Weise ist das sicher pessimistisch, aber mit dem Optimismus der Hoffnung, dass dies nicht das Ende aller Tage ist, sondern einfach nur eine Etappe. Ich empfinde die Globalisierung wie diesen Satz von Baudrillard: „Wenn alles möglich ist, dann ist gleichsam nichts mehr möglich.“

Übersetzung: Anne Becker

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Ausscheidungen, Röcheln, Tod http://superdemokraticos.com/themen/koerper/ausscheidungen-rocheln-tod/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/ausscheidungen-rocheln-tod/#comments Wed, 11 Aug 2010 07:17:44 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=601
Deth of Field
Image by Hryck. via Flickr

Nara „Pionierin nationale Avantgarde“ misstönend und wohlklingend, liebt sich und bewaffnet sich „bis auf die Zähne“, sie wiederholt sich: „Ich habe einen Ausbruch/ ich habe eine Nation/ ich habe eine Revolution, wenn ich aus dieser Tür hinaustrete.“.

Jamila Medina. Ich, herrliche Tür: Ansichten einer Poesie mit Zwischenräumen

Revista Desliz 3, Kuba, 2009

Mein Körper ist kein Körper, er ist eine überinterpretierte Einheit, die zu viele Adjektive übrig hat und der zugleich die Fingernägel fehlen. Heute, hier im Westen, hier in Lateinamerika, hier in der Karibik, hier auf dieser Insel und in Havanna, ist ein Körper niemals ein Körper, sondern ein Ensemble von Worten, die Eigenschaften evozieren, aber die mögliche Stimme des Körpers ausschließen. Mit Glück schenkt der tropische Körper im Falle einer visuellen Überraschung ein paar spontane und eloquente Einsilber, die sich am ehesten an das annähern, was man sich unter dem Diskurs des Körpers vorstellen könnte.

Ein Körper ist übermäßig oft schlank, exquisit, leicht, brutal, abgegriffen, makellos und aufdringlich. Ein Körper Nicht-Körper, ist dieses Sprechen ohne Haare, Zähne und Flüssigkeiten. Während die Stadt sich immer häufiger in vitalen, organischen Metaphern erzählt, als sei sie ein Lebewesen, bleibt der Körper sich selbst blind. Die Glokalität buchstabiert sich wie ein Körper: Hier werden Informations„flüsse“ ausgetauscht, hier „zirkulieren“ Autos auf den Straßen, während sich zum Beispiel das Kapital aus dem Agrobusiness in Sinaloa „in den Händen des Drogenhandels“ befindet.  Die Stadt humanisiert sich, aber der Körper ist dennoch nicht da. Was ist letztlich das Menschliche? Müsst man diesen Begriff nicht genauso mit körperlicher Materie – man lese Schwindel, Röcheln und Ausscheidungen – auffüllen?

Also, versuchen wir, es einfach mal zu sagen: Das Wort zivil verlangt ein Individuum, das nicht vor seinem Körper davon rennt, sondern versteht, mit seinem Tod einen einsamen Dialog zu führen. Mit einem Körpers zu leben bedeutet auch, die Gewissheit eines nahe bevorstehenden Todes zu ertragen. Und ja, die Stammzellen machen Hoffnung. Aber wer möchte wahrhaftig die Unsterblichkeit? Und noch besser: Wer kann mit ihr leben?

Übersetzung: Anne Becker

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