René Hamann – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Deutschland, 13. August 2011 http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/deutschland-13-august-2011/ http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/deutschland-13-august-2011/#comments Wed, 07 Sep 2011 06:54:07 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5027 Der Raum verengte sich. Allmählich wurde alles dicht gemacht. Bildbearbeitung, Dunkelkammer, Analogfotografie.

Habe ich ein Verhältnis zu dem Land, in dem ich geboren wurde, aufwuchs, lebe; – das ich nie länger verlassen habe als für vier Wochen? Und immer in der Nähe geblieben, nie aus Europa raus. Und als ich die Gelegenheit bekam, mich für ein anderes Land zu entscheiden, wollte ich nicht.

Schland und Zucker

„Das alles führte dazu, dass ich mich für den östlichen Teil Deutschlands entschied.“

Den ersten Tag der deutschen Einheit, den 3. Oktober 1990, habe ich in London, England, verbracht. Ich habe eine Nacht auf einer Parkbank geschlafen, irgendwo im Norden der Stadt, weil die Tube nicht mehr fuhr, und die Indie-Disko schon um 2 Uhr dicht gemacht hatte. Die erste Tube fuhr um halb sieben, half past six, und ich hatte mich um eine Stunde verschätzt, weil ich dachte half past six bedeute halb sechs.

Das Hotel erreichte ich dann gegen sieben.

Im Folgenden habe ich es fast in jedem Jahr geschafft, zum Tag der deutschen Einheit im Ausland zu sein. Republikflucht.

Später, im neuen Millenium, bin ich vom Rheinland nach Berlin gezogen, auch der Geschichte wegen. Faszination für die Hauptstadt, die einmal untergegangen war, und dann geteilt wurde, und im Osten wieder Hauptstadt war, bis die Mauer fiel, und Zwischenjahre vergingen, Zwischenjahre, die ich in Köln verbracht habe, der damaligen gefühlten Hauptstadt der rheinischen Republik, bis Berlin wieder zur Hauptstadt wurde, eine Hauptstadt mit Narben, mit Weite, mit Farben, und eine andere Hauptstadt als Paris, Rom, London, Madrid –

„Wir erklären uns solidarisch mit allen Bürgern, die nach 1990 für ihr verfassungsgemäßes Handeln zum Schutze der DDR von der Bundesrepublik Deutschland diskriminiert, kriminalisiert, verfolgt, bestraft und inhaftiert wurden und fordern ihre Rehabilitierung.“

Der 13. August 2011 ist ein Samstag. Morgens in der Bahn sitze ich zwei Teenie-Pärchen gegenüber. Die Mädchen auf dem Schoß der Jungen. Sie alle sind höchstens sechzehn (also in dem Alter, das sie für gewisse CDU-ler interessant werden lässt) und ich bin ob ihrer Unbefangenheit und Innigkeit sehr überrascht – das hatte es bei uns nicht gegeben, damals, als ich sechzehn war, da herrschte immer die Angst vor der Peinlichkeit, und der Bestimmung, und überhaupt die Angst vor dem Zwischengeschlechtlichen – damals, als die Mauer noch stand, 1987.

„Nun hatte der frühere US-Militärgouverneur in Deutschland, General Lucius D. Clay, der nach dem 13. August als persönlicher Vertreter des US-Präsidenten nach Westberlin geschickt worden war, verschiedene Attacken auf die Grenze veranlasst, und ich hatte vom Stadtkommandanten Helmut Poppe den Befehl erhalten, mich an der Friedrichstraße aufzuhalten und darauf hinzuwirken, dass keine größeren Provokationen stattfanden.“

1987, habe ich überlegt, wäre eigentlich eine Zeitreise wert. Ich würde mir Zettelchen schreiben mit Hinweisen, Ratschlägen –
Petra küssen, Michaela küssen, Stefanie küssen –
bestimmte Schallplatten zulegen –

1987, Gorbatschow, Helmut Kohl, Hanns-Dietrich Genscher –
Flohmärkte, Restbestände, alte Postkarten in Schwarzweiß, Fotografien von Garagendächern, Fotos von bunten Tapeten, von Männern und Frauen vor Bergen und Tälern, ich könnte ein anderer Mann geworden sein.

1987, eine Zeitreise, ich stelle mir Selbstbegegnungen vor, auch unter sexuellen Vorzeichen – „Hilfe, ich wurde von mir selbst missbraucht“, usw. – ganz à la „Die Wirkung ging der Ursache voraus“.

Das geteilte Deutschland, das eine und das andere Deutschland, ein Österreicher ist ein Deutscher mit Hut, in der Schweiz hat man eine Ablautreihe nicht mitgemacht, in Luxemburg wird alles zerkaut, in Belgien die Ostkantone, „etwas Besseres als die Nation“, nicht schwer eigentlich, das zu finden, und wie war das mit der Mauer, ist das nicht langsam mal egal, die Mauer ist doch auch von kommunistischer Seite von vorne herein ein Fehler gewesen, immer diese Defensiven, die dann auch noch offensiv und gleichsam beleidigt verteidigt werden mussten, müssen, und ausgerechnet heute macht eine der beiden Zeitungen, für die ich arbeite, mit einer missglückten Satire auf, „Danke für 28 Jahre ohne Kapitalismus“, kann man das so machen, nein, das kann man eigentlich nicht so machen, eigentlich nicht, nein.

„Die Idee, Deutschland gemeinsam mit den Russen regieren zu wollen, ist ein Wahn.“

Deutschland: Das Wetter ist bescheiden, wie im ganzen Sommer. Wir bekommen allmählich Angst. Das Wetter war immer schon ein Argument gegen dieses Land gewesen. Dieses Land war immer zu kalt, sonnenarm, winterfest, regnerisch und trübe gewesen, kein Vergleich zu den mediterranen Sommern, vier Monate lange Hitzeperioden – davon träumte ich, an diesem Nachmittag in der Übergangsjacke, von den tropischen Nächten, von denen es in diesem Sommer eine, höchstens zwei gegeben hatte; eine typisch deutsche Sehnsucht also tauchte auf, die Sehnsucht nach Wärme.

Ein Mann neben mir, alt, verhuscht, weite, hellbraune Cordhose, Pullover in verwaschenen Farben, darüber eine abgetragene, bleichschwarze Weste, liest sich laut die BZ vor. Ich schaue aus dem Fenster. Jemand hat Hammer und Sichel an eine Häuserwand gesprüht; es sieht aus wie ein umgedrehtes Euro-Zeichen.

PA oder Partei. Hinter jedem Vertrag steht die Polizei.
Fotolagen, Redaktionsschluss, Bebilderungsfragen, niemand nimmt sein Foto mit ins Bett.

„Besser ein zerstückeltes Deutschland, von dem wenigstens der westliche Teil als Prellbock für die Kräfte des Totalitarismus wirkt, als ein geeintes Deutschland, das diese Kräfte wieder bis an die Nordsee vorlässt.“

Im Fernsehen war zu hören, dass auch der Bevölkerungsrückgang für den Frieden in Europa seit 1945 sorgte, neben dem allgemeinen Wohlstand. Es herrschten Ruhe, Zufriedenheit, Platz. Kein Volk konnte sich ein Millionenheer leisten.

Ein Mann in Militärhosen besah sich einen Bogen zur Steuermeldung.
Keine Harmonie mit Nazis.

Abends als fünftes Rad zum Pärchenabendessen. Die Frauen zogen sich in die Küche zurück, um über Beziehungen zu reden, die Männer blieben am Esstisch und redeten über Musik.

Etwas Besseres als die Nation.

Zitate aus: junge Welt, 13. August 2011

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Ich glaube nicht an Abschiede http://superdemokraticos.com/themen/koerper/ich-glaube-nicht-an-abschiede/ Mon, 18 Oct 2010 01:00:30 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2981 Neue Sozialistische Kunst

(c) RH

Ich glaube nicht an Abschiede. Ich habe schon überlegt, einen Nachfolgeblog, einen Eigenblog an den Start zu bringen, warum nicht, schafft vielleicht weitere Ebenen, produktionsmäßig, rezeptionsmäßig, sozial, finanziell, sexuell. Viele von mir verfolgte Kolleginnen (Nikola, Rery) und Kollegen (Herrndorf, Winkler, Melle, Glaser, Ambros Waibel) pflegen mehr oder weniger vorbildlich einen Blog. Als Probebühne und Marketingwerkzeug, als öffentliches Ausprobieren von Text, der später einmal anders öffentlich werden soll (nämlich nach alter Mode auf Papier). Außerdem ist ja bald Zukunft.

Ich glaube nicht an Abschiede.
Ich habe mich wohl gefühlt hier.

Das Licht strahlte hell, hell strahlt auch der Nerv in der Schulter, bis in die Hand hinein. Nerv nervt. Hell strahlte die Schönheit des schönsten Mädchens, aber sie strahlte woanders hin, nur hier nicht. Ich habe gestern einen Film gesehen.

Bevor ich mich beklagen konnte, dass sie mich ein viertes Mal verlassen hat, standen wir in einer ausgeräumten Kirche mit hellem Parkett herum. Keine Kreuze, keine Bänke, kein Altar, nichts. Dann kam Musik und wir tanzten.

Wir haben dann alle umarmt. Mario legte einen Tanzbärtanz hin. Wir trugen alle Sonnenbrillen. Ich habe die Rechte, dich springen zu lassen. Der zwangsernährte Präsident umarmte uns, die Gewerkschaft redete uns zu, die Frauen wollten noch nicht so, wir auch nicht, aber es kamen Einladungen überall her, aus der ganzen Welt.
Wegen uns werden einmal Fußballspiele ausgetragen.
Hoffen wir, dass wir das rechte tun. Hoffen wir, dass wir die Anliegen unserer Klasse in die Welt tragen können. Hoffen wir, dass ein neuer Anfang gemacht sein wird.

Die Namen der Überlebenden,
Videos aus der Tiefe, Überlebensbotschaft,
nun wird er bald heiraten, in einem unzerstörten Tunnel
soll er joggen gegangen sein (sich die Ohren zustopfen und weglaufen),
Foto: R. Hamann

Er schrieb unter Tage Gedichte und schickte sie seiner schwangeren Frau (will ich lesen),
führte ein Tagebuch über die Ereignisse seit dem Unglück (auch),
er ist Fußballfan.
Seine Frau hatte angekündigt, ihn im Trikot seiner Mannschaft zu empfangen.
Der Chef der Eingeschlossenen trug zur Stabilisierung der Gruppe bei.

Bergarbeiter, Kumpel, sie hatten unter den Arbeitern und darüber hinaus immer den besten Ruf. Die Leute auf dem Müll, die interessiert einfach niemand.

Verschiedene Einheiten treiben vor sich hin, treiben umher.
Ich mag keine Abschiede. Die Kameras sind auf uns gerichtet, ich schließe die Liebsten in die Arme und sage, wir sehen uns. Wenn nicht hier, dann woanders.

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Questo Abrigado Tanto Mucho que can eat it Carousel http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/questo-abrigado-tanto-mucho-que-can-eat-it-carousel/ http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/questo-abrigado-tanto-mucho-que-can-eat-it-carousel/#comments Mon, 20 Sep 2010 15:14:30 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2067 Ich mag Bananen. Mir ist egal, woher sie kommen. Aus Brandenburg kommen sie nicht, aber ich glaube, ich könnte es für einen Fortschritt halten, wenn sie es können werden. Ich mag auch Billigflüge. Ich glaube, ich könnte es für einen Fortschritt halten, wenn es sie in fünfzig Jahren noch geben könnte, wenn es sie geben könnte, ohne dass die Umwelt und damit die Lebensbedingungen für Mensch und Tier darunter zu leiden hätten. Ich glaube, dass wir an den technischen Fortschritt glauben müssen. Einen Verzicht auf Privilegien halte ich für einen Rückschritt. Im Gegenteil, der vermeintlich hohe Standard, der in der westlichen Welt herrscht, und da auch längst nicht für alle, sollte der global gültige Standard für alle sein.

Zurück zur Natur kann und darf nicht die Lösung sein.

„Doch dann wieder, wenn ich an die unsäglichen Mühen denke, die es mich kostete, in einem fremden Land zurückzufinden zu der Sprache, die sich eingegraben hatte in die tiefsten Schichten meiner Erinnerungen, und dann diese Sprache, ständig umringt von andern Sprachlauten, funktionsfähig zu halten, muss ich diese Sprache als etwas ungemein Gebrechliches, Fragwürdiges ansehen, als etwas, das uns in keiner Silbe gegeben ist, das uns nicht, wie andern, die tatsächlich in ihrer Sprache leben, bei jedem Schritt zufliegt, und das wir uns unaufhörlich selbst schaffen müssen.“ (Peter Weiss, Notizbücher 1971-80, S. 729)

Oder: „Is it politically correct to even be here?“ (Bongwater).

Habe ich mich auch gefragt, damals, als ich von Köln nach Montpellier flog, um meine damalige Freundin zu besuchen. Sollte ich eigentlich hier sein? Ich? Sollte ich nicht lieber die Dekadenz eines Flugs via Paris vermeiden und eine Freundin in meiner Stadt haben? Ja, sollte ich, aber nicht aus diesen Gründen, sondern aus Gründen der Pragmatik.

Öffnen der Meinungsseite:

Tourismus ist ein Grundübel und Mobilität ein hohes Gut.

Umweltbewusstsein ist ein hehres Ziel und Verzicht eine lustfeindliche Selbstbeschränkung, die dumm ist.

Es sollte ein weltweiter Sozialismus (oder etwas ähnliches, zeitgemäßeres; nennt es, wie ihr wollt) möglich sein, der nicht hinter die Errungenschaften des Kapitalismus zurückfällt. Und ja, die Errungenschaften des Kapitalismus gibt es.

Individualverkehr ist größtenteils überflüssig, und doch sollte es jedem und jeder möglich sein, ihren und seinen Standpunkt zu wechseln. Mit Verkehrsmitteln.

Ich glaube, ich bin nur gegen die Atomkraft, weil sie in den Händen des Kapitals liegt, also in denen der sogenannten freien Wirtschaft. Läge die Atomkraft in Händen des Staates, des Volkes, wie sähe die Sache dann aus?

Und: Ich bin nicht gegen die Genforschung. Bananen aus Brandenburg, warum nicht?

Montpellier 1994: Ich erinnere mich an die Menschen, die wie fremde Radios durch die Stadt sendeten. Ich verstand kaum ein Wort. Ich erinnere mich an Sitten, die andere waren, keine globalisierten. Ich erinnere mich an die Freude, einen Gleichsprachigen zu treffen und mit ihm reden zu können, auch wenn er ein Idiot war. Ich erinnere mich an die Wärme dieser Stadt im Oktober. Ich spüre die Kälte der Stadt Berlin zu dieser Jahreszeit. Ich könnte sagen, dass ich es für ein militärisches Versäumnis halte, für eine Todsünde der Deutschen, dass es ihnen nicht gelungen ist, eine mediterrane Stadt zu halten. (Meine Heimat liegt in der Sprache, aber das Wetter meiner Sprache ist schlecht.) Ich erinnere mich an die Schönheit von Triest. An den Friedhof von Pula (Kroatien) mit den Namen aus drei, vier, fünf verschiedenen Kulturnationen.

Es ist die Sprache, die den Unterschied macht. Solange es ÜbersetzerInnen geben muss, brauchen wir uns über Globalisierung keine Gedanken zu machen. Dass vieles falsch läuft, ist ohnehin klar. Das liegt am Kapitalismus.

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Mundo Paparazzi Mi Amore Chica Ferdy Parasol http://superdemokraticos.com/themen/burger/mundo-paparazzi-mi-amore-chica-ferdy-parasol/ Tue, 07 Sep 2010 07:35:49 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1706 Die Erde, vom Merkur aus gesehen. Ein heller Ball im schwarzen All, umgeben von einem kleinen, hellen Punkt.
(c) René Hamann
Mein Horoskop war ausverkauft. Zu viel Blausäure, zu viel Stimmungsschwankung, zu viel Weltall.

Gestern habe ich den perfekten Bürger gesehen. Er hatte goldenes Haar. Er war klug und belesen, unbefleckt, unschuldig und rein. Er strahlte Versonnenheit aus. Gegen ihn musste ich Merkur sein. Ein zerbeulter Planet. Oder Pluto, hinten irgendwo im Dunkeln, oder Jupiter, Neptun, die schwarze Seite der Galaxie. Die Antimaterie. Er konnte gar nicht ahnen, mit wie viel Ballast ich daherkommen würde. Er ahnt nichts von alldem. Er ist der perfekte Bürger. Kein verkrachtes Elternhaus, keine kreativen Allüren, keine Schnitte an den Oberarmen, kein ausgekotzter Schmerz, gar kein Schmerz, gar nichts. Eine Sehschwäche, höchstens.

Die Erde, vom Merkur aus gesehen. Fotografiert von „Messenger“.
Eine Sonde, die sich in die Umlaufbahn eindrehen wird nächstes Jahr.

Ich schreibe für Geld, ich schreibe für Liebe, ich schreibe fürs Glück.
Sie bezahlen mich mit Gift.
Ich lebe zur falschen Zeit am falschen Ort. Zu viel Weltall.
Der perfekte Bürger, ein akkurater Rasen, eine Besonnenheit. Jemand von der Lichtseite.

Sobald man ein Objekt beobachtet, verändert es sich. Unschärferelationen.
Ich fühle mich wie ein Teenager, jeden Tag verliere ich mich aufs neue.
- Wusstest du, dass Gauloises in Frankreich eine Prollmarke ist?
- Nein, wusste ich nicht.
- In Russland auch. Da sind diese schmalen Zigaretten schick.

Zu viel Ich, auch. Eine Welt, die verspiegelt ist. Kennst du das?
Als wenn das Gehirn glüht. Prolongiert. Ein ferner Punkt.
Und ich sitze traurig neben meinen Wunschmaschinen. Die Wunschmaschinen am Strand unter dem Himmelszelt. Sie laufen alle ins Leere.

Der perfekte Bürger fragt nicht nach Geld, er lässt sich einladen. Er gibt mir Gifte. Ich sehe die Fabriken, in denen sie hergestellt werden. Die Fabriken sind uneinnehmbar. Sie werden durchlaufen. Sie sind in einer anderen Zeit.

Ich suche nach den gemeinsamen Frequenzen, ich finde sie nicht.
Was wir reden, ist codiert.

Verspiegelt wie ein Aufzug. Eine verspiegelte Welt, in der ich mir eine Gauloises anstecke.
Immerhin umarmen wir uns zum Abschied.

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Quando paramucho mi amore de felice corazon http://superdemokraticos.com/themen/burger/quando-paramucho-mi-amore-de-felice-corazon/ http://superdemokraticos.com/themen/burger/quando-paramucho-mi-amore-de-felice-corazon/#comments Tue, 24 Aug 2010 11:27:40 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1133 Mariannenplatz, Xberg. Foto: RH.

Mariannenplatz, Kreuzberg. Foto: RH

Erster Traum: Ich werde gekeult. Ich werde geschlagen, mit Fleischstücken, jemand holt aus, ich kann nicht erkennen, woher die Schläge kommen, aber die Einschläge werden stärker, ich beginne zu schreien, endlich wache ich auf.

Teilhabe und Realisierung. Teilhabe: Trost und Abspeise, gleichsam die einzige Form von Relativierung, denn das Individuum wird überschätzt, nicht zuletzt von sich selbst. Die Psychologie, die Hirnforschung ist uns weit voraus.

Bitte versorg mich.

Ein schöner Tag in Kreuzberg, ein übervölkerter Stadtteil, zu viele Touristen, zu viele auf Außenwirkung bedachte junge Menschen. In einem Café an der Wiener Straße sitzen wir bei W-Lan. Tätowierte Bedienungen. Sterne auf heller Haut. Die Bierpreise sind gestiegen. In der Süddeutschen Zeitung zwei Seiten von Nicholson Baker, der sich mit Videospielen auseinandersetzt, gut erzählend, wie nebenbei schöne Sätze fallen lassend, wehrlos und konzise, ohne Tendenz. Die Teilhabe. Des Bürgers.

„Ich besuchte einen Stripclub, in dem ein blaues Alien für mich tanzte.“

Die Sonne bleibt draußen. Die Bedienungen lassen eine CD zum zweiten Mal laufen, ein seltsamer Mix, der mit Morrissey anfängt und mit den Flaming Lips aufhört. Ich weiß nicht, ob ich eine Meinung habe. Ich weiß, dass Meinung ein Comeback feiert, auch in meinen Texten, und zwar zu Recht. Andererseits ist Meinung oft hilflos. Wie ich mich als Bürger fühle? Ich weiß es nicht. Ich bin fünfzehn Jahre nicht wählen gegangen. Ich bin gegen die Wehrpflicht. Ich bin für soziale Gerechtigkeit. Für die Bedienung bin ich ein Typ. Es ist der Tag, an dem der Tod von Schlingensief gemeldet wird, einem der letzten, die es mit den alten Mitteln aus Protest und Skandal versucht hat. Am Ende gründete er eine Kirche der Trauer.

Zweiter Traum: Ich sitze mit einer Reisegruppe in einem hohen Gebäude, einer Art alter Fabrik mit mehreren Stockwerken, während das Nebengebäude bombardiert wird. Wir spüren die Einschläge. Wir sehen die Wände wackeln. Einige Steine werden eingedrückt. Staub rieselt von den Mauern. Wir kauern am Boden. Aber unser Gebäude wird nicht getroffen. Als die Bombardements aussetzen, verlassen wir das Gebäude, wir schauen uns die Treffer an, die ausgehöhlten Stockwerke, die skeletthaften Reste der Gemäuer. Wir fragen uns, von wem die Bombardements kamen, es können nur Russen gewesen sein. Wir sind in einer südosteuropäischen Stadt, die Menschen, besonders die Männer, erscheinen herb und fremd, unnahbar, unfreundlich. Wir ziehen mit einem Militärfahrzeug durch die Stadt. Der Himmel ist dunkel. Mir wird ein Koffer und ein Rucksack geklaut, meine gesamte Habe, ich ärgere mich und versuche mich gleichzeitig, mit dem Gedanken an Besitz als Ballast, Besitz als bürgerliche Kategorie, und „Es ist ja nur (unklar:) Materie, Material“ zu trösten. Aber es will nicht recht gelingen. In einem Seitenverschlag sehe ich E., die mit ihrer besten Freundin im Austausch von Zärtlichkeiten (sie lecken sich) steht. Sitzt. Liegt. Ich will weder zuschauen noch mich nähern. Ich will sie eigentlich nicht sehen.

Fuck Solaris, Bus Wannsee, Foto: RH

Solaris. Foto: RH

Nicholson Baker zitiert Konfuzius: „Wer auf Rache aus ist, der grabe zwei Gräber.“ Ich weiß nicht, was ein neuer Ansatz sein könnte. „Bei mir schlagen zwei Herzen in einer Brust, die sich relativ gewaltsam in den Haaren liegen“, sagt Judith Holofernes in einem Interview in einer anderen Zeitung. Zwei Herzen liegen sich in den Haaren. Am Ende verliert eines der Herzen den Kopf. Wir entscheiden uns für die Sonne. Wir haben Angst vorm Älterwerden. Die Zeichen der Jugend bedeuten uns nichts.

Im dritten Traum treffe ich sie doch. Sie ist merklich fülliger geworden, besonders ihr Gesicht. Sie nähert sich gleich an, ich spüre inneren Widerstand, muss daran denken, dass sie zwei Kinder hat, die im Allgäu sitzen, und sie mich eventuell nur benutzen möchte. Es wird offensichtlich, dass sie mich zurück will. Sie nähert sich weiter, ich widerstehe noch, dann küsst sie mich. „Ich werde nicht wieder weglaufen“, sagt sie.

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Tengo que hacer algunas compras http://superdemokraticos.com/themen/koerper/tengo-que-hacer-algunas-compras/ Wed, 04 Aug 2010 08:03:42 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=567

Foto: René Hamann


„Er war linkisch und liebeshungrig, weshalb er auch keine Freundin hatte.“ (Bolaño, 2666).

Sie hat den Schatten ihrer Hand im Gesicht.
Sie schießt Fotos. Sie knipst die Gegend.
Sie fährt hellblond mit ihrem Fahrrad durch die Stadt. Natürlich trägt sie Brille.
Ein Blick auf den Kirchturm, wegen der Uhrzeit. Im Rücken ein klatschender Gefangenenchor. Sie ist die Eine.

Vielleicht ein bisschen fleischig, die Dame. Ich bezeichnete sie als „rundlich“. Mein Freund A. monierte, „rundlich“ wäre entwürdigend, nachgerade beleidigend, das Wort „kompakt“ umschreibe ihren Körperbau besser.
Ich stimmte nicht zu. Ich verneinte.

Salat mit französischem Dressing.
Sie zieht ihre Beine zurück. Er bringt sich mit dem ganzen Körper ein.

Die Jeunesse Dorée sitzt in den Straßencafés und hält ihre perfekte Haut ins Licht. Ich gehöre nicht mehr dazu. Zu den schönen Leuten. Habe vielleicht noch nie dazu gehört. Was mir früher nie etwas ausgemacht hat, im Gegenteil: Da wollte ich nicht dazu gehören, ich hielt mich für etwas Besseres. Jetzt kenne ich die Vergeblichkeit. Jetzt, da ich äußerlich nicht mehr mithalten kann, empfinde ich Neid. Und den Wunsch nach Integration.
Heute bin ich berühmt, morgen wieder nicht.

Alles was du kannst ist addieren. Sie spielt das immer eine Spur zu flach. Könnte sie einen Moment verharren, damit ich sie anstarren kann wie einen Filmstar? Nein, kann sie nicht. Sie muss eine Handlung ausführen. Sie schaut in ihre Tasche, in der ihr Handy klingelt.
Wird es so sein, als ob wir träumen?
„Sie machte Schluss mit mir, weil ich ihr psychisch nicht helfen konnte.“

Der Mann mit den Militärhosen besah sich einen Bogen zur Steuermeldung.
Taktische Kernwaffen.
Der Mann mit dem halbseidenenen Kragen. Er weicht jeder Antwort aus. Er ist geblendet von Optik. Er lässt sich in die Oberflächen ziehen. Er hat noch Einkäufe zu erledigen.
Die Andere sagt zu ihm, sie zähle nicht. Er sehe sie nicht. Die Zuhause, die, die er haben kann. Sie hat Recht, und immer wieder fragt er sich, wieso das so ist.
Die Traumwelt ist zu deutlich.
Ihre Träume sind zu deutlich.
Ein Kinderwagen voller Ideen in einem Haus voll Trauer.
Da löst sich die Welt auf.

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Mères et filles http://superdemokraticos.com/themen/koerper/meres-et-filles-red/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/meres-et-filles-red/#comments Fri, 23 Jul 2010 13:54:32 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=515

Filmhuis Zevenaar, Maandag 19 Juli 2010. Foto: René Hamann

Ein arbeitsloser Schauspieler. In einem französischen Spielfilm mit holländischen Untertiteln. Im Filmhaus. Mit Pausen zum Teetrinken. Zum Rollenwechseln. Die Liebe. Jeden Tag Fleisch. Die Geschichte, wie sie sich kennen gelernt haben. In einer Diskothek. Zum Abschied hat er sie gefragt, ob er sie wiedersehen dürfe. Ja, warum nicht, sagte sie. Und erzählte ihm gleich darauf, wie es um sie bestellt war, in welcher Situation sie steckte. Sie war noch verheiratet, aber ihr Mann war ausgezogen, sie haben ein gemeinsames Kind, eine Tochter. Ihr Mann sei fremdgegangen, immer wieder, mit immer anderen Frauen, sie habe aus Frust wieder angefangen zu rauchen. Wie er denn nach Hause komme, wollte sie wissen. Ich bin mit dem Bully hier, sagte er, einem umgebauten VW-Bus, dort wolle er sich erstmal hinlegen und morgen früh, wenn er wieder nüchtern sei, fahre er dann nach Hause. Sie hat gegrinst und ist am Morgen mit einem Frühstückspaket vor dem Bully erschienen und hat ihn wach geklopft. Da hat er gestaunt. Später hat sie seine Wohnung nach Utensilien anderer Frauen durchsucht, nach Spielsachen, Anzeichen für irgendwelche Kinder, aber es ließ sich nichts finden. Das überraschte sie. Er war ein Junggeselle, Anfang 40, keine Kinder, selbst Scheidungskind, wie sie. Wie ich übrigens auch. Vielleicht sollten wir Scheidungskinder unter uns bleiben, vielleicht funktioniert es dann.

Obwohl ich es schon merkwürdig gefunden hätte, mir kurz nach dem Kennenlernen ihre Geschichte anhören zu müssen. Und dass sie mit Frühstück auftaucht, wenige Stunden später, kann man romantisch oder charmant finden, aber auch bedrohlich. Jeden Tag Fleisch. Jeden Tag muss gegessen werden, von Esssucht redet da keiner; wer allerdings jeden Tag Liebe machen möchte, gilt schnell als sexsüchtig. Nicht, dass ich es wäre, nein, nein. Ich bin nikotinabhängig, höchstens. Ich habe meine erste Zigarette mit fast 18 erst geraucht.

Jedenfalls, eine Romanze ist eine Romanze, und es werden immer nur Romanzen begonnen. You wanna fuck her, make her love you, sagte der Padre zu seinem Sohn in The Sopranos. Ein arbeitsloser Schauspieler. In dem französischen Spielfilm sah es so aus, dass die Tochter eine männliche Bedienung eines kleinen Restaurants aufgabelte. Jeden Tag Fleisch. Für eine Nacht. Ich dachte darüber nach, ob das einfach nur ein dramatisches Mittel war, diese Aufrissszene, so wie der Mord an der Großmutter zum Schluss, ein Film, ein Buch, eine Handlung kann ja nicht mehr ohne einen Mord oder eine Liebesszene auskommen, geht ja nicht. Verdorben, ruiniert durch Filme. Ich dachte immer, das Leben wäre auch so oder sollte zumindest so sein. Letzteres denke ich immer noch. Wie ich denke, ich hätte eine Französin heiraten sollen, wie jene in dem Film, die von der Bedienung nach der Liebe gefragt wird, ob sie verheiratet sei, ob sie einen Mac hätte. Nein, nein. Die Szene bleibt einmalig. Allerdings ist sie schwanger.

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ISLA DE ENCANTA http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/isla-de-encanta/ http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/isla-de-encanta/#comments Fri, 09 Jul 2010 06:48:31 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=445 Geschichte spricht nicht, Geschichte verlagert sich. Als die Niederlande die Deutschen im Halbfinale der Europameisterschaft 1988 schlugen, enterten unsere Nachbarn den Jahrmarkt, der an diesem Tag in unserer Grenzstadt stattfand, und malten die Gehsteige orangefarben. Als sie das Finale gewonnen hatten, sprangen sie in Amsterdam in die Grachten. Als zwei Jahre später die Revanche stattfinden sollte, schloss der Zoll vorsorglich die Grenze. Niemand kam mehr her oder hin.

Mein Großvater war noch mit dem Falsch-Schirm auf das platte Land gestürzt, als irgendjemand seinen Flieger abschoss, 1940. Er versteckte sich, so hieß es, lange bei einer niederländischen Familie, bis er als Kriegsinvalide anerkannt in sein großdeutsches Heimatdorf zurückkehren durfte.

Das Heimatdorf, die Grenzstadt, hat Hügel und Wälder an den Rändern, die immer noch von Gräben und Trichtern, Schützengräben und Bombentrichtern, von Bunkern und alten Stellungen durchzogen sind. Aber die Menschen im Seniorenheim erinnern sich nicht. Die Gräben stammen aus dem 1. Weltkrieg, sagen sie.
Was geschichtlich nicht stimmen kann.

Das Heimatdorf kam nach dem Krieg zu den Niederlanden, meine Mutter ist gebürtige Niederländerin. 1963 wurde es wieder Deutsch. Meine Mutter ist Deutsche. Nach ihrer Scheidung, fünf Jahre nach der Wiedervereinigung, nahm sie ihren Mädchennamen wieder an und zog zurück in die Niederlande.

Demokratie schützt uns, und Demokratie regt zur Teilnahme an, macht meist aber teilnahmslos. Das Spiel läuft im Fernsehen. Wir schauen zu. Die Regierung nutzt das Zusammenkommen von Euphorie und Passivität, um ungehörige Beschlüsse zu verabschieden. Das Ende der Gerechtigkeit im Gesundheitswesen. Und vieles mehr.

Aber lasst uns nicht von der Regierung reden.
Reden wir über Fußball.

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No entiendes la onda! http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/no-entiendes-la-onda/ http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/no-entiendes-la-onda/#comments Mon, 28 Jun 2010 14:27:55 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=330 Die Geschichte kam aus dem Fernseher. Sie war schwarzweiß. Sie wurde noch nicht zerschnitten von sprechenden und heulenden Köpfen. Es gab Montagen, es gab in der Hauptsache Originalmaterial und eine wissende Stimme der Analyse. Das Niveau der Dokumentationen, die im dritten Programm liefen damals, war ansprechend für einen Jugendlichen. Es gab eine ganze Dokumentationsreihe zum Spanischen Bürgerkrieg – von dem ich noch nie etwas gehört hatte und den ich faszinierend fand.

Peter Weiss:
„Kultur ist: zu wagen. Lesen zu wagen, zu wagen, an eine eigene Ansicht zu glauben, sich zu äußern wagen –

Severing u Hilferding lösten den Roten Frontkämpferbund auf.
Grzesinski (preuß. Minister des Innern) u Zörgiebel ließen auf die Arbeiter am 1. Mai schießen.
Stampfer verteidigte die Bluttage.
Sozialdemokraten.“
(Notizbücher 1971-1980, 1. Band, S. 233)

Danach folgte eine Dokumentation über den Luftkrieg im 2. Weltkrieg. Dass die deutsche Geschichte schwierig ist, braucht man ja niemandem zu erklären. Die Beschäftigung mit Geschichte, zuerst mehr außerhalb der Schule als innerhalb, zog den ersten Bruch mit dem eigenen Selbstverständnis, mit der eigenen Identität nach sich. Ein unbeeinflusstes Kind hat eine positive, völlig affirmative Beziehung zum Vater- und Mutterland, in meinem Fall änderte sich das sukzessive mit der Geschichte, so wie sie im Fernsehen und in der Schule, in Zeitungen und Büchern dargestellt wurde. In der Folge habe ich gelernt, dem Begriff der Nation mehr als kritisch gegenüber zu stehen. Ich lernte, welches die kleindeutsche und welches die großdeutsche „Lösung“ gewesen war und weshalb sich Bismarck 1866/71 für die kleindeutsche entschied. Ich lernte, dass die Versuche, eine Nation aus dem Volk zu bilden, erst mit dem Wiener Kongress 1815, dann mit der Revolution von 1848 scheiterten, und dass das Deutsche Reich aus einem Krieg entstanden ist. Das Deutsche und das Militärische, eine Verbindung, die lange sehr stark, zu stark war, und die sich hoffentlich mit dem Untergang des Großdeutschen Reiches oder spätestens mit dem Ende des Kalten Krieges erledigt hat.

Allerdings steht deutsches Militär seit einigen Jahren auf fremden Boden, um mehr oder weniger uneingestanden die „Interessen der deutschen Wirtschaft“ zu verteidigen. Bundespräsident Köhler wurde harsch kritisiert, weil er diese uneingestandene Wahrheit ausplauderte, und trat daraufhin zurück; aber nicht dieser Wahrheit, dieser unfassbaren Wahrheit wegen, sondern wegen der Kritik an seiner Amtsführung. So sieht die deutsche Wirklichkeit im Jahr 2010 aus. Die Dokumentationen im Fernsehen sind auch schlechter geworden. Trotzdem möchte ich kein Kulturpessimist sein und glaube weiterhin an die Lernfähigkeit eines Volkes und seiner Vertreter, so schwer es auch manchmal fällt.

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Con algo hay que empezar http://superdemokraticos.com/poetologie/con-algo-hay-que-empezar/ Sat, 12 Jun 2010 07:59:45 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=172 Mit irgendetwas muss man ja anfangen: Wir schreiben das Jahr 1997. Die studentische Linke an der Universität zu Köln war fest in der Hand der Regionalwissenschaftler. Regionalwissenschaft Lateinamerika, so hieß der Studiengang offiziell, und die Linken waren mit Solidaritätskundgebungen, Waffeln für Nicaragua, der alten Kuba-Romantik und dem obligaten Chili con carne („Jeder Löffel ein Schlag in die Fresse des Kapitals“) beschäftigt. Nichts für mich, das wurde mir schnell klar, zu Südamerika hatte ich keine Bindung, höchstens zu Spanien, aber eigentlich war ich Poplinker und Wahlfranzose. Denn, außer den ganzen tollen Filmen der Nouvelle Vague und den ganzen tollen Romanen der Surrealisten und des Nouveau Roman, die ich verschlang, kamen auch die Theoretiker aus Frankreich, die damals mein sozusagen linkes Bewusstsein bestimmten. Und ich las sie alle, die Strukturalisten, die Poststrukturalisten, die Dekonstruktivisten und Postmodernen, von Althusser bis Lyotard, von Foucault bis Baudrillard, von Bourdieu bis Deleuze.

In den Neunzigern wurde es Zeit, mit alten Mythen und Romantizismen aufzuräumen, die Ideologien kamen in Misskredit, die Mauer war gefallen, die zweite Welt untergegangen. „Das Jahr 2000 findet nicht statt“, sagte Baudrillard, alle Freiheit schien eingetauscht gegen die technischen Erleichterungen des Lebens, alles kam ins Rutschen und dann ins Fließen, der Kapitalismus schien auf Jahrhunderte unschlagbar. Aber welche Freiheit eigentlich? Welche Freiheit war gemeint – schließlich schien es diese in den östlichen Nationen Europas eben gar nicht gegeben zu haben. Zwar herrschte Gleichheit, aber eben auch Gleichförmigkeit und Unterdrückung alles Unangepassten. Die DDR hatte sich als paranoid, als Zwangsjacke entpuppt. Im wiedervereinten Deutschland, das mich natürlicherweise mehr interessierte als ferne Länder auf anderen Kontinenten, brannten Asylheime und Wohnhäuser, eines sogar in meiner Geburtsstadt Solingen. In Köln antwortete man mit alten Ritualen – man ging auf die Straße, man sang betroffene Lieder, man gab sich ernster als sonst, man demonstrierte. All das gefiel mir auch nicht. Ich wollte schreiben, Schriftsteller werden, wenn überhaupt irgendetwas, das war mir schon vorher klar gewesen. Und neben der Liebe und dem Sex, dem Pop und der Musik, waren der Staat und die Politik die Themen, die mich interessierten.

Und ein Zurück in die Befindlichkeit, in die Bekenntnis- und Betroffenheitslyrik der achtziger Jahre konnte es, das war mir schnell klar, nicht mehr geben. Wie also politische Literatur? Ich schaute in die Franzosenbücher. Und wie war das jetzt noch mal mit der Freiheit? Es gab ein Buch eines deutschen Sozialisten, nicht DDR, sondern Schweden, ein Ziegelstein, ein Schinken – vielleicht sollte ich erst mal lernen, woher die Ideen, die ich gut fand, kamen, und was aus und mit ihnen passiert ist. Das so oftmalige Scheitern der kommunistischen Idee studieren. Das Buch, das dafür in Frage kam, und das ich mit auf die erste Reise seit Jahren nahm, ich war 26, war „Die Ästhetik des Widerstands“ von Peter Weiss, und die Reise, die ich unternahm, führte nach Barcelona.

Con algo hay que empezar: Von Peter Weiss ist auch das Buch, das ich jetzt lese, es sind die Notizbücher, die rund um das große Buch angelegt wurden. Das andere Buch, das ich gerade anfange, stammt von einem lateinamerikanischen Autor, der lange Zeit in Barcelona gelebt hat und leider schon verstorben ist. Er ist gewissermaßen der Antipode, der notwendige Gegenpol zu Weiss. Ein wenig magischer Realismus und die neue Narration. Das Buch stammt von dem Chilenen Roberto Bolaño und heißt „2666“. Diese beiden Bücher werden mein Denken und Arbeiten hier in den nächsten Wochen begleiten. Mal sehen, was so alles dabei herauskommt.

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