Völker dieser Welt, schaut auf mich!

Seit drei Wochen weiß die Welt, wo ich wohne. Nicht, weil ich es ihr gesagt hätte – ich bin lediglich umgezogen und muss endlich nicht mehr diesen ganzen Quatsch machen mit „a rather big down in the Ruhr District, an industrial area north of Cologne“ (Kindheit, Dortmund) oder „a small city south of Hannover, in the center of the country“ (Hildesheim, Studium). Ich sage „Berlin“, die Welt sagt „Oh!“ Und dass man da ja selbst schon im Rahmen einer Europareise die Mauer/die Clubs etc …

An sich ist es herrlich. Man tritt auf die Straße und alle Coolnessprobleme, die man als erdverbundener Kleinstädter in der Vergangenheit mit sich selbst zu diskutieren hatte, sind gegessen. Man ist qua Wohnort nun aufgestiegen zu einem weltgewandten, leicht fatalistischen Stadtbewohner, der das unglaubliche Privileg hat, eine 1-Zimmer-Wohnung an jenem Ort, zu dem alles strebt, eigenhändig vollgemöbelt zu haben. Es hebt die Geister, die Kleinen und die Großen, der Welt dabei zuzusehen, wie sie vor der eigenen (meiner) Haustür im Gras sitzt und auf irgendwas wartet. (An besonders guten Tagen kommt es mir sogar so vor, als warte sie auf mich.)

An schlechten Tagen bin ich ich, wie ich mich kenne. An schlechten Tagen dulde ich keine Wichtigtuerei (außer meiner eigenen), dulde keinen betont zur Schau gestellten Müßiggang, dulde nicht die „eitle Omnipräsenz der Tagediebe“, die eine kluge Frau mal in meinem Beisein als solche labelte. Dann dulde ich auch nicht den interkulturellen Austausch, ich dulde nicht das betont-freundliche Klarkomm-Verhalten zwischen (deutschen) Medien- und (türkischen) Dönertypen (immer dieses Gezwinker!), und ich dulde nicht das Gespräch zwischen jungen Geisteswissenschaftlern aus aller Welt, das da – geführt in einem fließenden Spanenglesperanteutsch – eigentlich nicht mehr sagen möchte als: „Seht her, wir haben’s kapiert!“

Was haben diese Menschen – im Gegensatz zu mir und allen anderen, die gerne zu Hause geblieben wären, kapiert? Dass es in einer Welt der globalen Märkte – als Anreiz und Ausgleich – auch den globalen Austausch der Zivilisten braucht? Dass, wer die Dinge in ihren Zusammenhängen begreifen, die Zusammenhänge selbst nachvollziehen muss? Dass das Monadentum des alten Nationalstaats längst durch das Nomadentum der globalen Netze abgelöst ist? Selbiges hält die Welt zwar nicht im Innersten zusammen-, aber doch so fest umklammert, dass niemand aus diesem Mainstream ausbrechen kann und will – den Anschein erweckt Berlin, zumindest an Tagen, an denen ich schlecht gelaunt bin. Die progressiven Medientypen sprechen progressives Medientypenenglisch, die spanischen Austauschstudenten Austauschstudentenspanisch und immer wieder sitzt ein deutsches Kleinstadtkind dazwischen und ist selig über so viel Am-Puls-der-Zeit-sein und darüber, wie gut es mit seinem Schulenglisch und -spanisch doch mitplappern kann.

So sitzen dann alle am Kanal, während ich schlecht gelaunt vorbeiziehe, mürrisch, weil mein batterieschwacher MP-3-Player mich nicht mehr mit Thomas-Mann-Hörspielen vor den Emissionen dieser globalen Gemeinschaft schützt, die – da sprachlich dann doch etwas limitiert – sich meist auf Gespräche über Speisen, Reisen oder auf Reisen kennen gelernte Speisen beschränkt. Weil ich sonst nichts zu tun habe, frage ich mich dann zum 1000. Mal, was das soll, und sehne mich nach geordneten westdeutschen Kleinstadtverhältnissen: wo das deutsche Mittelschichtkind unter sich bleibt, um dort in Ruhe, von der Globalisierung ungestört und in bestem Deutsch die Probleme der Globalisierung erörtern zu können. Während am Kanal in Berlin deutsche Mädchen spanischen Mädchen von dänischen Jungs und lettischen WGs erzählen, vergieße ich eine Träne der Wehmut und denke an die Göttingens, Münsters und Freiburgs dieser Welt, in denen man(n) – ob in der Attac-Gruppe oder dem FDP-Ortsverein, ganz egal – so herrlich produktiv unter sich und seinesgleichen das Für und Wider einer globalen Finanzmarktsteuer abwägen kann.

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