Die Mango unterm Weihnachtsbaum

Dass es so etwas wie die Globalisierung gibt, begann ich zu ahnen, als ich einmal ein Glas Gurken aus dem Vorratskeller holen sollte. Ich entschied, heimlich auch nach Keksen zu suchen. Und stieß dabei auf eine zusammen gezimmerte Holzkiste mit bunten Aufklebern aus verschiedenen Ländern.

Am Tag des Gurkenglases war ich erst sechs oder sieben. Ich begann, Fragen zu stellen und erfuhr: Mit dieser Kiste war meine Mutter als junge Frau in die USA gereist, um dort als Kindermädchen zu arbeiten. Sie hievte die Kiste auf ein Schiff, einen Koffer hatte sie nicht. Bis dahin hatte ich mich nicht darüber gewundert, dass wir ständig Briefe aus Amerika oder auch Indonesien bekamen. Dass meine Mutter manchmal Marsh Mellows kaufte und Früchte kannte, von denen ich noch nie gehört hatte. Zu Weihnachten versuchte mein Vater immer, eine Mango aufzutreiben, weil meine Mutter sich auf ihren Reisen in diese Frucht verliebt hatte. Wenn er es schaffte, eine zu bekommen, lag die Mango in Geschenkpapier verpackt unter dem Weihnachtsbaum und meine Mutter war gerührt. Ich begann, mich für exotische Früchte und Fremdsprachen zu interessieren.

Wobei, eigentlich verstand ich die Sache mit den Früchten erst, als es in der Obst- und Gemüseecke bei Kupsch und Kaufland plötzlich Mangos gab, zu jeder Jahreszeit, ganz selbstverständlich, als gehörten sie auf unseren Speiseplan, wie Kartoffeln oder Rote Beete. An Weihnachten tat meine Mutter weiterhin so, als wäre sie jedes Mal wieder unendlich gerührt, dass eine Mango unter dem Baum lag. Aber alle im Raum wussten, dass die Überraschung und das „wo hast Du DIE denn bloß her?“ gespielt waren. Jeder konnte jetzt Mangos kaufen. Damals gab es auch die ersten Kiwis, ich kann mich daran erinnern, dass ich bei der ersten nicht wusste, wie ich sie essen sollte. Und von der praktischen Frucht begeistert war: aufschneiden, die Hälften auslöffeln. Toll. Erst später verstand ich, dass Globalisierung mehr als exotische Früchte bedeutete. Und welche fatalen Konsequenzen sie (in Kombination mit grenzenloser kapitalistischer Gewinnsucht) für die Schwachen auf der Welt hatte. Und dass das Land, in dem ich aufgewuchs, eine Enklave des Glücks war in einer Welt, in der der verdammt viel verkehrt lief.

Wenn Freunde mich in Buenos Aires besuchen, sehen sie eine moderne Stadt. Und sind dann immer wieder überrascht, dass man sich trotzdem „weit weg“ fühlen kann, weil sie nicht wie gewohnt mit ein paar Klicks alles erledigen können. Und wundern sich, dass es ein Land gibt, in dem längst nicht jeder Lady Gaga kennt. In dem man so gut wie keine iPods in Bus und U-Bahn sieht. Über eine Währung, die man im Ausland nicht eintauschen kann. Einen Miele-Staubsauger, für den man keine Beutel mehr bekommt, weil sie nicht mehr importiert werden. Über ein Land, in dem man keine Bücher bei Amazon bestellen kann, ohne dann zur internationalen Post fahren zu müssen, dort zwei Stunden zu warten, und dann eine hohe Zollgebühr zu zahlen. Und in dem man keine MP3s in internationalen Online-Stores kaufen kann, weil man dafür am falschen Fleck wohnt, eine falsche IP-Adresse hat: „Das gewünschte Produkt unterliegt geographischen Einschränkungen“.

Bisher 1 Kommentar zu 'Die Mango unterm Weihnachtsbaum'

  1. tilsa sagt:

    lindo relato. globalización es también sobre frutas exóticas que dejan de serlo.
    yo comí esta mañana mango, y aunque siempre ha estado presente en mis mercados sigo atesorándolo.