Wiedervereinigung – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Eine Finanzspritze http://superdemokraticos.com/editorial/eine-finanzspritze/ Sun, 03 Oct 2010 13:50:41 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2500

Oscar Seco, Apocalipse & Alternative Worlds, 2001

„Unsere Probleme sind die gleichen, wie man sie auf den Straßen von Mailand, Berlin oder New York einatmen kann.“ So lautet ein Satz im letzten Artikel von Javier Badani aus La Paz. Er passt sehr gut zum heutigen Tag, dem 3. Oktober. Heute wird in Deutschland die Wiedervereinigung gefeiert. Ich muss zugeben, dass es mich etwas beschämt, dieses Thema anzuschneiden. Ich bin Ausländerin, und meine Beziehung zur Wiedervereinigung hat sich mit den Jahren entwickelt, daher spreche ich in der ersten Person. Ich lebe seit 13 Jahren in Berlin oder in seiner Umgebung, und als ich 1997 in Potsdam ankam, war der Wiedervereinigungsprozess noch in vollem Gange. Wenn er jetzt vielleicht eines Tages vollendet ist: Was ist denn eigentlich eine Nation?

Die Rückgewinnung des historischen Gedächtnisse ist vielleicht eine der Gemeinsamkeiten unserer Generation, und diesbezüglich gibt es keine bessere Stadt: Berlin ist die Hauptstadt für die westlichen Wendekinder. Für die verwöhnten Kinder der existierenden Leere, nachdem physisch mit dem binären Denken gebrochen wurde. Seitdem ist der Kalte Krieg beendet. Diese Stadt ist voller autorefenzieller Denkmäler. Als ob der allegorische Sinn des Mauerfalls nicht vom „Marcha por la Vida“ (Marsch für das Leben) der bolivianischen Minenarbeiter, vom Sturz des letzten Dinosauriers Pinochet, vom Triumphzug des freien Marktes begleitet worden wäre. In Tarija, in Potsdam, in Buenos Aires und in München, auf der gesamten Welt. Mit den Jahren habe ich bemerkt, dass – jenseits der Toten, die in keinster Weise Diktaturen rechtfertigen – es genau das ist, was unsere Leben verändert hat (hier beziehe ich mich auf den Text von Agustín Calcagno). Die Finanzspritzen führten dazu, dass unsere Eltern ihre Richtung verloren haben, es hinderte sie daran, darüber nachzudenken, und vor allem hat sie der Glaube verlassen, dass sie auf eine andere Art und Weise den amerikanischen Traum erreichen könnten, diesen konsumistischen Traum, vom Tellerwäscher zum Millionär, der dann wahr wird, wenn man alles dafür tut. Auch das lässt sich daran wiedererkennen, wie die deutsche Wiedervereinigung ablief. Ein konkretes Beispiel ist, dass hier niemand mehr sicher weiß, was es eigentlich bedeutet, Sozialdemokrat oder Christdemokrat oder Grüner oder Liberaler zu sein. Berlin und alle anderen Städte vor den Wahlen sehen aus wie Las Vegas. Die wichtigen Entscheidungen sind ökonomischer Art, globalisiert, werden auf Kauderwelsch-Englisch getroffen und benötigen jetzt einen anderen Feind.

Wenn ich mit schlechter Laune aufwache, denke ich dasselbe wie Jo Schneider in seinem letzten Artikel, außer, dass mein Zuhause weit weg ist und ich mich damit tröste, dass ich glaube, dass dies die wiederkehrenden Gedanken der Mittelschicht sind, überall auf der Welt. Besonders das Auf- und Abflauen eines nationalen Pulses, das gilt jetzt für Deutschland, seit 1997, hat mich in einen Status versetzt, der „Nicht-EU-Bürger“ genannt wird. Wie fast alle meiner Mitbürger, egal, welchen legalen Status sie haben, habe ich viele Bürgerrechte in den vergangenen Jahren verloren. Und meine Frage lautet: Welche Rolle spielte dabei die Wiedervereinigung?

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