Web – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Freunde? http://superdemokraticos.com/themen/neue-welt-im-netz/freunde/ Wed, 09 Nov 2011 19:58:01 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5630

(c) Clara Lagos

Yes, you can! Aber manchmal, auch wenn man das World Wide Web in der Hand hält, fühlt man sich so alleine…

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Meine deutschen Worte in einem Café in Berlin http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/meine-deutschen-worte-in-einem-cafe-in-berlin/ Thu, 07 Oct 2010 06:00:37 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2339 Ich stelle mir vor, dass jemand in einem Café in Berlin eine Zeitung (oder ist es eine Zeitschrift, verzeiht, aber ich bin zerstreut) auf einem Tisch liegen lässt. Bevor die Kellnerin sie in den Müll schmeißt, wirft sie einen mürrischen Blick auf die Zeitung. Sie ist müde: So viel Tassen sind abzuräumen, so viele Aschenbecher zu leeren. Doch auch so erweckt der Titel, in dem von schwarzen Puppen und Angosturabitter die Rede ist, ihre Aufmerksamkeit. Sie sieht meinen Namen dort stehen, sie findet, dass er komisch klingt. Ist Lara nicht ein russischer Name? – überlegt sie, bevor sie meinen Artikel liest. Sie liest schnell, eine flüchtige Lektüre, damit niemand bemerkt, dass sie liest, anstatt Tische abzuwischen. Sie lacht kurz. Am Ende wirft sie die Zeitschrift (oder ist es eine Zeitung?) weg und so enden meine in die Sprache Goethes übersetzten Worte in einem großen Mülleimer, angereichert mit Zigarettenstummeln, Brotresten, Kaffeetropfen. Naja, wahrscheinlich wird der Müll getrennt, und so finden sich meine Zeilen zwischen benutzten Servietten, Altpapier und zerrissenen Postkarten wieder. Zur selben Zeit bin ich, auf der anderen Seite des Globus, unglaublich froh, dass ich das Glück gehabt habe, an einem multikulturellen, globalen, transnationalen, Internetprojekt  teilnehmen zu dürfen, durch welches meine Worte in einer anderen als meiner Sprache gelesen werden konnten. Als ich 15, vielleicht 16 Jahre alt war, habe ich „Gruppenbild mit Dame“ von Heinrich Böll gelesen und beschlossen, dass er mein Lieblingsschriftsteller sein würde, auch wenn ich nur dieses eine Buch gelesen hatte (mit 15 Jahren sind alle Entscheidungen kategorischer Natur und so brauchte ich sie nicht lange hin und her zu wälzen). Seit diesem Moment haben sich deutsche Straßen, bestimmte deutsche Namen und ein paar Blumen wie auch eine übersetzte deutsche Syntax in meiner Vorstellungswelt eingenistet. Es war eine unglaubliche Erfahrung, mich in der Sprache von Böll zu lesen oder dies zu glauben.

Dieses globale und plurale Internetprojekt hat es möglich gemacht, dass meine Texte, auch in meiner eigenen Sprache, jenseits meiner unmittelbaren Umgebung von einem räumlich entfernten und in sich sehr unterschiedlichem Publikum gelesen werden konnten. So wie es auch ermöglicht hat, dass ich hervorragende, mir unbekannte lateinamerikanische Autoren lesen konnte. Die heitere Tilsa, die ultrapoetische Lena, die intellektuelle Lizabel, die leidenschaftliche María. Von den Jungs ganz zu schweigen! Mein Landsmann Leo Felipe Campos ist eine kleine „Perle“, ich bin sein erklärter Fan. Viele Intellektuelle, die über Migrationen, Exil, Bewegungen, Irrungen, Identitäten und sonstige Kleinigkeiten nachdenken, sagen immer wieder, dass die Heimat die Sprache ist. Und dieser Raum hat gezeigt, wie 15 so unterschiedliche Personen keinerlei Übersetzung unter einander benötigten, weil sie einer Sprache entsprangen, die sich zwar verästelt und verschiedene Farben annimmt, aber dennoch ein und dieselbe bleibt. Ich mochte es nie, über Lateinamerika als einer Einheit zu sprechen, aber es gibt gewisse Dinge, die wir, wenn wir weit von einander entfernt sind, als Einheit stiftend empfinden. Ich lese diese lateinamerikanischen Autoren und ich verstehe sie auf eine Art und Weise, die weit über das Verstehen der Wörter hinausgeht. Denn diese kosmische Sprache, die uns verbindet, reicht weiter, als es ihre eigenen Vokabeln tun. Ich, die ich Tag für Tag im sprachlichen Exil lebe, hege daran keinen Zweifel.

Ein andere wunderbare Erfahrung, die dieser Raum darbot, war die Möglichkeit deutsche Autoren meiner Generation zu lesen. Böll ist sehr gut, aber es war ein großes Vergnügen die wunderschön entrückte Sprache von René Hamann oder die Eleganz von Emma Braslavsky zu lesen. Euch alle zu lesen war, als ginge ich in diesem Moment die (gepflasterten?) Straßen einer deutschen Stadt entlang. Die Texte der fünf beteiligten deutschen Autoren zu lesen, bedeutete zeitgenössische deutsche Literatur zu lesen – eine für mich, die ich die Sprache nicht spreche und nicht über die Mittel verfüge, an Übersetzungen (sofern sie existieren) heranzukommen, so schwierige Angelegenheit. Ich spürte den Puls der Texte dieser unterschiedlichen Autoren und vermochte auch hier ein zart gestricktes Muster zu vernehmen, das es mir irgendwie ermöglichte, Zugang zu einer Generation von Deutschen zu bekommen, von der ich nichts wusste. Die Fäden dieses Strickmusters weisen Ähnlichkeiten mit meinem eigenen Strickmuster auf. Wir sind mit unsichtbaren Fäden mit einander verstrickt und nur dieser Raum hat sie spürbar werden lassen. Wir sind durch das Netz „verstrickt“, durch die Globalisierung, die Generation oder wie auch immer man das nennen mag, was mich dazu befähigt, euch zu verstehen, Übersetzer wenn man will, aber weit über den unmittelbaren Wortsinn des Übersetzers von Worten hinaus.

Ich danke Rery Maldonado und Nikola Richter für diese aus dem Wollknäuel ihrer Träume entwickelte Idee, uns alle zusammen zu bringen. Dank ihnen sind meine Worte in einem Café in Berlin. Und meine Stimme in einem Ort im Äther des Cyberspace. An einem Ort dieser Raumzeit Null – dieses Chronotopos cero – haben wir uns getroffen.

Übersetzung: Anne Becker

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Axolotl Cyborg http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/axolotl-cyborg/ http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/axolotl-cyborg/#comments Thu, 16 Sep 2010 06:25:16 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1789

Axolotl. Foto: Ethan Hein, http://www.flickr.com/photos/ethanhein/

Ich bin mir sicher, dass sich niemand von euch jemals die Frage gestellt hat, wie die Globalisierung von einen Axolotl, der aus seinem natürlichen Lebensraum entführt wurde, wahrgenommen wird, und der nun in diesem Fischglas, das ich ihm mit viel Liebe hergerichtet habe, lebt.

Die erste Frage, die dem Tierchen bestimmt in den Kopf kommt, ist die nach dem Ursprung meiner Grausamkeit. Aus welchem Grund ich ihn wohl aus seinem wunderschönen Zuhause in der Lagune von Chapultepec, Mexiko, herausgerissen habe, um ihn an diesen kalten, geschlossenen Raum in Guatemala Stadt zu bringen. Er wird auch nie gänzlich diese Geräusche verstehen, die sich durch das Wasser schleichen und ein bisschen Wellengang verursachen. Er zieht es vor, wenn ich ganz laut ganz harte Musik aufdrehe, dann kann er kleine Kunststücke aus seiner Zeit als Surfer in den Pfützen aufführen. Bei Cannibal Corpse flippt er aus. Bei der nationalen Musik steht er auf Evilminded, auf jeden Fall.

Mein Akzent und der meiner Freunde kommt dem kleinen mexikanischen Salamander nicht ganz so fremd vor. Ab und zu benutzen wir den Ausdruck „pinche“ (mex. für unwichtig, scheiße) und es kommt sogar vor, das wir „buey” (mex. für Alter) als Abschluss des Satzes sagen. Auch Rancheras singen wir ganz gut. Und wenn auch nicht ganz so gut, dann wenigstens mit derselben Leidenschaft. Das machte den Umzug für ihn etwas weniger traumatisch. Hier schlagen Los Tigres del Norte auch ein. Klar, wenn wir dann sehr betrunken sind, wollen wir auch „Unseres“ wieder aus kramen und tanzen einen Danzón, zu irgendeinem Stück (das Land der schönen Frauen und der Marimba, sagt man) von Checha y su India Maya Caballero.

Dieser Axolotl ernährt sich von der Musik und der giftigen Strahlung, die der Tagebau in diesen Gebieten hinterlässt. Dank dieser hat er die Fähigkeiten Lesen und Im-Internet-Surfen entwickelt, ohne auch nur eine Tastatur zu benötigen. Ich lebe mit einem telepathischen Froschlurch und er liebt es, in meinen Emails herumzuschnüffeln. Meine Korrespondenz findet er sehr unterhaltsam, mit all ihren Verwirrungen und Leidenschaften. Er taucht in meinen Twitter und vertreibt sich die Zeit damit, die Texte zu lesen, die ich als Forschungsmaterial für den Roman sammle, den ich gerade vorbereite. Es begeistert ihn, alles bezüglich des Transhumanismus und dessen Möglichkeiten als Werkzeug zur Aktivierung einer neuen Form des globalen menschlichen Bewusstseins zu lesen. Er überdenkt und debattiert mit sich selbst ziemlich komplexe Problematiken: ob die Hypervernetzung zum Web der erste Schritt zur Entwicklung eines kollektiven Gehirns ist; ob er der erste Replikant einer neuen Rasse, Axolotl Cyborg, ist; ob ich in Wirklichkeit gar nicht existiere und lediglich ein Hologramm seines Bewusstseins bin.

Plötzlich blickt mir der Axolotl in die Augen, spielt eine Szene aus dieser Erzählung von Cortázar nach. Er fragt sich, ob mit uns dasselbe passiert ist, wie mit diesen Figuren, und ob ich jetzt in seinem Körper stecke und unter seiner so dünnen Haut denke. Ich stelle mir die gleiche Frage, während ich zusehe, wie er sich dreht und einen spektakulären halben Salto macht, der gefährlich nahe daran herankommt, das Universum wieder instandzusetzen. Ich atme ein und aus, und beruhige mich. Ich bin immer noch auf dieser Seite des Fischglases.

Für meinen fluoreszierenden Salamander ist die Sache mit den Sprachen nicht so ganz klar. Regelmäßig vergisst er die Sprache, in der er einen Text gelesen hat, der ihn dazu veranlasst zu denken, dass das Gehirn die Ideen in einem Code versorgt, der nicht notwendigerweise linguistisch ist.Vor kurzem wollte er ein paar farbigen Fischchen erzählen, dass die Poesie der historische (genetische) Mechanismus ist, den wir benutzen, um die Gestaltung dessen, was wir als materielle Realität wahrnehmen, in Frage zu stellen. Das wir uns durch sie, die Poesie, weiterentwickeln. Danach zitierte er elegant ein japanisches Haiku, das eine kleine Reihe von Blasen auslöste. Aber, echt, er hat all das in so einem ernsten und phlegmatischen Tonfall gesagt (wie ein deutscher Philosoph), dass mir das Desinteresse der Fische sehr lustig erschien. Diese Armen wissen ja kaum, ob sie im 21. Jahrhundert oder im Paläolithikum leben. Und, wo wir schon dabei sind, das Siglo de Oro oder die Romantik ist ihnen auch scheißegal.

Mein Axolotl Cyborg wurde durch zu viel Kabelfernsehen schlussendlich von der Werbung erobert.

Er hat sogar ein exzellentes Produkt entwickelt, eine Erfindung, etwas, das er gerne vermarkten würde: eine Serie von Bucheinschlägen von Thomas Pynchon, worin die farbigen Fische ihre Bücher von Paulo Coelho einbinden können. Damit können sie diese lesen, ohne der Diskriminierung der Hipster-Umgebung zum Opfer zu fallen. Ich informiere ihn darüber, dass seine Initiative in diesem Land nicht sehr erfolgversprechend ist, denn die Leute ziehen es sowieso vor, gar nicht zu lesen. Hier ist es hip, nichts zu wissen und zu Partys zu gehen, electroclash. Der Axolotl erschreckt sich, und ich muss ihm versprechen, dass er mich bei meiner nächsten Reise nach Buenos Aires begleiten darf, damit er durch die Buchläden planschen kann. Es gibt dort ein paar sehr gute, erzähle ich ihm.

Ja, dieses Tierchen hat sich langsam zu einem Zyniker und einem Frechdachs entwickelt. Aber die Wahrheit ist, ich akzeptiere ihn so wie er ist, mit all seinen Fehlern. Das ist das mindeste was ich tun kann, bei dem Schaden, den ich ihm zugefügt habe – ihn aus seiner idyllischen natürlichen Umgebung zu reißen (wo er mit Kaulquappen und Industriemüll zusammengelebt hat) und ihn hierher zu bringen, um in einer neuen Landschaft zu leben: in einem Habitat, das aus einem durchsichtigen Fischglas besteht und gegenüber von ein paar Bildschirmen aufgestellt ist.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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