Vergangenheit – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Interessieren Sie sich dafür, ein guter Mensch zu sein? http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/interessieren-sie-sich-dafur-ein-guter-mensch-zu-sein/ Fri, 03 Jun 2011 22:35:39 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=3957 STOP AND THINK

http://www.youtube.com/watch?v=Dc6ZEa_8scM

1.1. Interessieren Sie sich dafür, ein guter Mensch zu sein?
1.2. Warum nicht?
1.3. Wenn Sie sich dafür doch interessieren:
a) besitzen Sie die Mittel dazu?
b) besitzen Sie die Kraft dazu?
c) besitzen Sie das geeignete Netzwerk, das dies anerkennen könnte?
2. Was, glauben Sie, wird im nächsten Jahrhundert einen „guten Menschen“ ausmachen?

Dass wir den Globus mit seinen Schätzen nicht wertschätzend benutzen, ist nicht neu. Manche sagen, dies sei auch nicht möglich. Neu ist auch nicht, das Seuchen und Bakterien unsere ersten Feinde sind, denn sie verfolgen ein einziges Ziel : die Ausbeutung unserer Körper zum Zwecke der eigenen Vermehrung. Neu ist auch nicht, dass das wichtigste Grundnahrungsmittel Wasser weltweit zum Produkt mit Mehrwert geworden ist, und es wundert auch keinen, dass es Lobbys für Kapitalakkumulation gibt. Diese Notiz erreicht mit größter Wahrscheinlichkeit keinen, der sich im Alltag mit Kapitalakkumulation auseinandersetzt. Das Ich in seinen bürgerlichen Verhältnissen setzt sich nur aus, mehr ist nicht zu schaffen, denn die Verwaltung des eigenen Lebens ist aufwändig genug. Ich setze mich allein aus, so wie alle es tun müssen, und dabei bilden wir schon eine Gruppe mit Phantomen, deren Mitglieder in eine Richtung gehen und die dabei nur die eigenen Schritte hören, eine Gruppe, die sich zueinander nicht solidarisch verhalten muss, weil niemand sich in diese Gruppe hineingewählt hat. Man setzt sich dem aus, dem man nicht entgehen kann? Wer sind die Opfer des Kapitalismus, wie wir ihn heute leben? Ist es der Obdachlose oder ist es der Manager, die beide auf andere Arten und doch ähnlich sozial-isoliert sind? Worin unterscheiden sie sich, abgesehen von der Verantwortung, die sie angeblich unterschiedlich tragen – nicht jedenfalls im Missbrauch von niedrig- und hochpreisigen Drogen.

Wie wollen wir eigentlich leben und was ist eigentlich ein erfolgreiches Leben?

Der Begriff des Gutmenschtum (von dem man nicht genau sagen kann, ob er von den Nazis oder von Horkheimer kam und das sagt viel über seine Überflüssigkeit) geht wieder um, mal kontroverser, mal radikaler, wo immer er fällt aber, fällt er falsch.

Denn betreibt nicht der Mensch Wirtschaft, Politik und Wissenschaft um des Menschen Willen? Waren und sind nicht die Bedürfnisse des einzelnen und seines Volkes der Motor fürs Ganze? Hannah Arendt schrieb zum Eichmann Prozess von der „Banalität des Bösen“ (hier ist ihr Interview mit Joachim Fest nachzulesen, auf Deutsch). Mal heute darüber nachgedacht: Ist es nicht tatsächlich esoterisch zu glauben, es gäbe eine teuflische Tiefe in all dem politischen/ wirtschaftlichen/ öffentlichen Treiben, wo doch Fehler in gut laufenden Systemen (Bankencrash, Massenvergiftungen, Atomstromproduktion… ) nur auf Gedankenlosigkeit, Verantwortungslosigkeit oder Beziehungslosigkeit beruhen?

Der Boden, auf dem ich gehe, ist mit Vergangenheit kontaminiert, von den ach so unterschiedlich definierten Gutmensch-Absichten der Vergangenheit. Bei allem hoffe ich, dass das Haus in dem ich leben muss, nicht auf einem Blindgänger aus dem zweiten Weltkrieg steht. Ich kann froh sein, dass der Krieg in Deutschland schon eine Weile her ist und dass mein Nazi-Großvater (väterlicherseits) tot ist und meine jüdische Urgroßmutter (mütterlicherseits) schon vor Hitler eines natürlichen Todes starb. Ich kann froh sein, nicht in Serbien zu leben und den Wunsch zu verspüren, einen Waldspaziergang zu machen: Die Minen im Boden könnten meinen Körper zerfetzen, die Morgensonne würde weiter strahlen, die Vögel ließen sich wieder auf ihren Ast nieder. Ich kann froh sein, nicht in China zu leben, wo ich für diesen Artikel in Schwierigkeiten kommen könnte, ich kann froh sein, nicht in Afrika beschnitten worden zu sein oder eine Burka tragen zu müssen.

Ich hoffe europäisch: dass die Pestizide in der Baumwolle, die ich am Körper trage, mir nicht eines Tages den Krebs bescheren, der mich unbrauchbar machen würde und zu einer Belastung der Kassen, der anderen Menschen, der Gesellschaft führte. Ich versuche, einen arbeitslosen Nachbarn, der sein Kind immer anbrüllt, zu überzeugen, dass auch der Gang zur Wahlurne etwas ändern könnte, ich hoffe, dass man sich weltweit auf den Humanismus beruft und nicht auf Ideologien.

Was wird „das Gute“ in Zukunft sein, was ist das „Gute, Schöne und Wahre“, wenn Ästhetik und Wissen sich stets ändern? Ist das Gute das, was im 22. Jahrhundert keine Kontrolle mehr verlangt, ist es das, von dem keine Bedrohung (für keinen) ausgeht? Welche Informationen fehlen uns heute, um das nachhaltig Gute einzuschätzen, als solches zu bewerten und umsetzen zu können? Ohne Anhalten ist kein Denken möglich (Hannah Arendt). — Sind wir frei von Schuld trotz unserer Mitwisserschaft? Wir wissen doch um die Gefahr eines nuklearen Unfalls, um die globalen Folgen der Massentierhaltung, um das Plastik im Meer. Man gab mir die Illusion, das Individuum könne etwas ändern, es ist wohl Zeit, die Verantwortung zu übernehmen und die Illusion zur Realität werden zu lassen. Die Idee der Aufklärung: einer Erziehung des Menschen zum Guten – sie kann nicht in missbrauchten Machtverhältnissen umgesetzt werden.

Ich hoffe, dass jemand es gut macht für unsere Nachfahren, nämlich die, die ich dazu wähle. Ich hoffe, sie besitzen heute die Visionen des menschlich Guten, die mir morgen gutes Handeln ermöglichen. Besäße ich das Geld, das für mich arbeiten geht, wäre ich schon heute ein ganz vorbildlicher besserer Gutmensch: Ich würde auf mein umweltfreundlich gebautes Haus eine Solaranlage bauen, ich würde das erste Elektroauto kaufen und ausschließlich Bio kaufen, weil ich Massentierhaltung ekelhaft finde, einen vegetarischen Koch einstellen, und ich würde die besten Lehrer für meine 10 Kinder beauftragen und mich selbst zum Wohle meiner Gesprächspartner stets bilden, ich würde Bücher schreiben lassen und Systeme erfinden lassen, die die Welt besser machten, also mir gleicher, besäße ich das Geld, das für mich arbeitet, würde ich

 

 

 

ein besserer Mensch sein können.

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Verlorene Paradiese http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/verlorene-paradiese/ http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/verlorene-paradiese/#comments Fri, 09 Jul 2010 16:26:20 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=444 Da ich ja schon wusste, was mir passieren wird, habe ich versucht, das Lesen der letzten Seiten so lange wie möglich hinauszuzögern. Aber gestern Nacht habe ich es einfach nicht mehr ausgehalten und Die Grasharfe von Truman Capote zu Ende gelesen. Es ist immer das Gleiche: Jedes Mal, wenn ich einen Roman zu Ende lese (oder wenn ich eine der Miniserien, die mein Verderben geworden sind, zu Ende gesehen habe), überfällt mich eine Art Melancholie. Ich will das jetzt nicht dramatischer darstellen, als es ist: Es handelt sich um ein vages Gefühl der Leere, das ich wieder loswerde, indem ich die Teller vom Abendessen abwasche oder wenn das Telefon klingelt.

Aber dieses vage Gefühl des Verlusts kommt hier zur Sprache, weil das Ende der Geschichte mich in eine Gegenwart stürzt, die ich für einen Moment sinnfrei finde. Sagen wir mal, die Zeit der Erzählung wäre eine historische Zeit: Sie schreitet voran, immer weiter. Jedes Mal also, wenn ich einen Roman zu Ende gelesen habe oder das Ende einer Miniserie gesehen habe, erlebe ich einen kleinen Teil von dem, was manche den Weltuntergang nennen, diese andere Geschichte. Ja, natürlich übertreibe ich! Und natürlich kann man ein gutes Buch immer wieder lesen, aber man muss auch sagen, dass das ein schwacher Trost ist: Das Buch ist Teil der eigenen Vergangenheit geworden und man kehrt zu ihm zurück, wie man an einen bekannten Ort zurückkehrt: ein verlorenes Paradies.

Mit der Poesie geht mir das nicht so. Ein Gedicht verlangt von einem, dass man sich ihm immer und immer wieder zuwendet. Traurig zu werden, weil ein Gedichtband zu Ende ist, wäre so, als ob man traurig wäre, wenn eine CD aus ist. Lächerlich. Eine CD, die wir so oft einlegen können, wie wir wollen: Genau so ist ein Gedichtband. Die Zeit der Lieder ist die Zeit der Gedichte: die sich wiederholende, besser gesagt mythische Zeit, dessen, was immer wiederkehrt. Als Exempel dafür halte ich die CD für erstaunlich: Sie eignet sich die sich wiederholende Zeit an: Sie ist rund: Sie dreht sich. Und man macht immer das selbe Lied an.

Vor einigen Jahren habe ich begeistert María Zambrano gelesen – und ich muss zugeben, das gefällt mir jeden Tag weniger. Dennoch bin ich immer noch fasziniert von ihrer Interpretation der Schöpfungsgeschichte. Für sie besteht die Erbsünde darin, in die Falle der Zukunft getappt zu sein. So sagt die Schlange: „(…) und ihr werdet wie Götter sein.“ Das Problem liegt an der Zeitform, in der das Verb konjugiert wurde. Adam und Eva fielen auf die Idee einer besseren Zukunft herein, das heißt, auf die Logik des Fortschritts und verloren damit den Genuss des Moments, und somit das Paradies. Die Zeit spaltet sich: die Vorstellung einer Zukunft wird geboren und damit die Vorstellung einer Vergangenheit. Das ist der Anfang der Geschichte.
Es stimmt, jedes Mal wenn ich einen Roman zu Ende lese, ist es das Ende der Geschichte, aber auch der Anfang: die Vertreibung aus einem Paradies. Und ich finde mich immer am selben Ort wieder: in einer leeren Gegenwart, für die ich einen Sinn erfinden muss, um sie wieder tolerieren zu können (nichts im Vergleich mit dem Genuss des Moments). Das heißt, ich muss sie in die Geschichte integrieren, sie zu einer Erzählung verarbeiten: Wie anstrengend! Ich mach lieber den Fernseher an.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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