Türkei – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Angry Artist in Istanbul http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/angry-artist-in-istanbul/ Sat, 17 Sep 2011 17:06:04 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5010 Die Kücheninseln stehen schon und sind liebevoll mit kleinnoppiger Folie eingepackt. Die Fassade des Rohbaus in der Tatar Beyi Sokak, direkt neben meinem Fenster unterhalb des Galataturms, gibt es aber noch nicht. Ich wundere mich. Die letzte Woche des Ramazan ist angebrochen, zu dieser Zeit gilt die Unterscheidung eines schwarzen von einem weißen Bindfaden als Grenzlinie. Und das ist manchmal eben gar nicht so leicht. Ich verstehe, dass es nicht darauf ankommt, was als nächstes passiert, sondern was jetzt gerade ist. Ein Faden. Eine Küche. Ein Haus.

Die besonders „authentischen“ BewohnerInnen des Mikrokosmos’ Tataros in der Megapole Istanbul sind auch hier Boheme-Mustermenschen, mit expatrierten, transkulturellen Freunden sitzt man am Galataturm, um in einer Art singende Freizone zu gelangen, die es vielleicht schon gar nicht mehr gibt. Man saniert ja alles zu Tode, die Gentrifizierung zischt über die bunten, steilen Gässchen. Die Neuköllnerin reagiert schockiert, jammert über das Sterben und sitzt doch mittendrin. „Ist ja so lebendig“, schreit die plauderlustige Studentin aus Freiburg, „so unkonventionell“, sie weiß auch ganz genau, wie „die Türken“ so ticken. Aus irgendeinem Grund bin ich plötzlich sehr wütend. Ein eigenartiger Trotz steigt auf und prompt beschimpft mich der bayerische Vermieter, dass er die Nase jetzt voll hat von den „Scheiß-Künstlern“ und die Schriftsteller sind da inkludiert. „Ihr seid’s halt hier in der Türkei“, munkelt seine Gattin weise. Ich spüre Handlungsbedarf und hängte ein Schild in mein Fenster, auf dem steht: ANGRY ARTIST. Das Funkeln der Stadt verstrahlt mich, die LED-beleuchtete Bosporusbrücke, die auf die sogenannte asiatische Seite der Stadt führt, wo einen alles eher an die Riviera oder die Cote d’ Azur erinnert, als an Radjasthan oder Ko Samui, protzig leuchtet sie vor der Skyline des mild-windigen Üsküdar.

Erdbeerfarbene Öl- oder Uran-Tanker rauschen vorbei an kleinen Fähren, an zehnstöckigen Pullmannkreuzern und nussbaumhölzernen Viermastern; es stehen neben Moscheen Kirchen, ragen Sendemasten und Hoteltürme hoch, und aus den Nachbarshäusern mit den feinmaschigen Vorhängen dringt blaues TV-Leuchten und die Stimme des Präsidenten, der davon erzählt, dass er einfach einen zweiten Bosporus baut, er würde aber nicht verraten, wo, jedenfalls wäre diese am stärksten befahrene Wasserstraße der Welt, also der Bosporus/Boğazi bald ein Aquarium. All das könnte mich doch auch besänftigen. Zudem schenkt man mir jeden Tag ein Feuerwerk. Über den sieben, sanften Hügeln. Über dem samtblauen Wasser. Warum genügt das denn nicht? Deutsche Undankbarkeit? Jagt mich der wütende griechische Gott Momos, der nichts und niemanden vor seiner Kritik schützt? Bin ich hier richtig und wem zürne ich eigentlich? Alles zwinkert mir freundlich zu und ich halte trotzig die Arme vor der Brust verschränkt. Es liegt mit Sicherheit nicht an den galanten Blicken der Menschen, die genügen, um alle ADHS-Kranken der Welt zu heilen. Nicht an der Jasminhecke, die bis auf die Dachterrasse hinauf duftet. Nicht an den Dondurma (Eiscreme)-Verkäufern, die mit Eiswürstchen-Performances Späßchen treiben. Nicht an der musikalische Beat-Melange auf der hypertrophen Istiklal Caddesi, wo ein altes Mädchen in besticktem Kleidchen und ihrem fast blinden, akkordeonspielenden Mann mit ihrem kleinen Tambourin klopft. An ihnen liegt es nicht. Ein bisschen liegt es vielleicht daran, dass man Zeuge wird, wie Hundertschaften der Polizei mit Maschinengewehren in der Fußgängerzone die Passanten und wütenden Demonstranten voreinander schützen, seit wieder geschossen wird an den Grenzen. Die Flugstaffeln bereiten den Jahrestag der Republik vor und es klingt wie Krieg. Und das, obwohl man hier doch schon viel weiter war. Da zieht eine Grundwut auf, die transnational, überregional und menschlich ist.

Vielleicht liegt die Wut an diesen schwarzen Pfützen im Paradies. Die diese schönste Stadt der Welt, in der alles zusammenkommt, immer schon kam, niemals zerstören, aber eben ärgern mögen. Und in ihr mich. Die Birne heißt „armut“ auf Türkisch und liegt neben den purpurroten Granatäpfeln aufmerksam poliert und arrangiert. Das besänftigt mich dann doch. Aber mein Schild muss wohl noch ein bisschen hängen bleiben. Zumindest bis ich wirklich herausgefunden habe, was das für eine Wut ist und ob sie eine Heimat hat. Ich wundere mich weiter und verstehe aber, dass es hier nicht darum geht, dass etwas fertig wird, sondern etwas zu tun bleibt.

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