Superdemokraticos – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Rote Fahne http://superdemokraticos.com/trip-latino/rote-fahne/ Thu, 10 Nov 2011 14:31:17 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5776 Werbevideo!! Auf unserer Reise von Venezuela über Kolumbien und Bolivien bis Mexiko treffen wir auf die Autoren, mit denen wir seit 2010 für das zweisprachige Blog www.superdemokraticos.com, ein Pilotprojekt für intellektuelles Fairtrade zwischen Deutschland und Lateinamerika mit Essays über globale Fragen, arbeiten. Das Gedicht „Rote Fahne“ des deutschen Dichters Jörg Fauser mit den Stimmen unseres Berliner Teams und Publikums beschreibt die Situation in einem durch eine Ideologie getrennten Land.

Auf unserer Reise wollen wir andere literarische Aktivisten treffen, ihre Texte kennenlernen und Erfahrungen austauschen, wie es mit dem Schreiben im Cyperspace aussieht. Die Mikrophone der Superdemokraticos warten auf all diejenigen, die ihre Arbeit vorstellen wollen. Mit dabei haben wir als Geschenk die spanischsprachige Anthologie mit Gedichten von Berliner Dichtern, die als literarische Aktivisten unterwegs sind „El mecanismo de estar acá“ (Der Mechanismus des Hierseins), erschienen bei Milena Berlín.

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Zu viele Süßigkeiten http://superdemokraticos.com/laender/peru/zu-viele-susigkeiten/ Fri, 24 Jun 2011 08:20:56 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=4208 Die Superdemokraticos boten mir an, ausgehend von der Wahrheitskommission, einer Institution, über die ich letztes Jahr auf dem Blog schrieb, diesmal eine Abhandlung über das Thema Lüge zu verfassen. Gerne werde ich dieser Bitte nachkommen und im Anschluss von der Lügenkommission berichten, dem am weitesten verbreiteten und traditionsreichsten Netzwerk der peruanischen Gesellschaft.

 

Ich versuche mich kurz zu fassen, denn – wie sagen die Süßwaren-Verkäufer in den Bussen so schön – ich möchte ja nicht eure schöne Fahrt unterbrechen, ich komme nur eben vorbei, um dieses Produkt anzubieten, und ich mache diese Bemerkung nicht wegen euch, sondern weil ich selber viel zu viele von diesen Süßigkeiten gegessen habe.

Perus interner Krieg begann mit dem Zusammenstoß „Die subversive Gruppe Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad)“ vs. „Das peruanische Militär“. Er verwandelte sich schnell zu einem Massaker, bei dem die Bewohner der ärmsten Gegenden – dort, wo die Rebellion angefangen hatte – systematisch von beiden Fronten geschändet (die Damen) und hingerichtet (Herren und Kinder) wurden. Der aktuelle Stand: etwa 70.000 Tote. Diese Verluste wurden von einem Land mit dem schwersten und übergangenen inneren Konflikt schlicht und ergreifend jahrelang ignoriert, bis eine kurze und scharfsinnige Übergangsregierung nach einer brutalen Diktatur das Licht der Welt erblickte und wie ein Psychoanalytiker notierte: Denk daran, das lässt dich nicht weiterkommen. Und sie macht sich daran, eine Wahrheits- und Versöhnungskommission einzusetzen: für öffentliche Anhörungen der traumatisierten, quechua-sprachigen Verwandtschaft, die das „moderne“ Peru lieber vergessen würde, für Militärsanktionen und zivile Entschädigungen, welche die folgenden Regierungen nicht übernehmen wollen.

Das ist eine Dosis Wahrheit, der sich nur eine Lügenkommission entgegenstellen konnte, die auf ihrem monumentalen, gestreckten Mittelfinger jenes weise Sprichwort Platons schwenkt: WER DIE GESCHICHTE ERZÄHLT, LENKT DIE GESELLSCHAFT. Dieser schleimige Organismus unterwandert die gesamten soziale Struktur, sein Ursprung waren „gewisse“ Politiker, aber zu seinem tatsächlichen Ruhm verhalfen ihm die Medien (so, dass war mein Spruch, ich steige hier wieder aus dem Bus, denn ich komme gerade von einer dieser Wahlveranstaltungen, die dich so hart auf den Boden der Tatsachen zurückwerfen, als wärst du gegen Holz gerannt). Da wir so sehr daran gewohnt sind, betrachten wir die Lüge, die Demagogie lediglich mit einem Stirnrunzeln und akzeptieren fast die falschen Versprechungen als eine natürliche Charaktereigenschaft der Machthabenden, als inhärenten Defekt der Politiker-Klasse. Und ich fragte mich voller Angst, ob sich die Legitimierung der Verlogenheit im Alltag reproduziert; ich dachte eigentlich nicht! Denn ich kann immer noch sehen, wie der Nächste denunziert, ihm die Maske vom Gesicht gerissen wird, wie Kinder für Lügen und Betrunkene für die Wahrheit getadelt werden. Es gibt eine gewisse Rangordnung: wichtiger als der Anstand ist die Verteidigung eines persönlichen Territoriums der Wahrheit, das uns vor der von 58 Millionen Händen verfassten Fiktion retten wird.

In politischer Hinsicht glaubt jeder an das, was ihm passt; um seine Position, seine Sicherheit behalten zu können, gibt es für jede Tendenz und Zweckmäßigkeit ein Informationsmedium. Das brachte uns die Meinungsfreiheit bei: Wenn es dir nicht gefällt, schalte einfach weiter bis zu einem Sender, der eine Version bringt, die sich an deine Vorlieben anpasst.

An diesem Punkt angekommen könnte ich mich buchstäblich verlieren in all den Beispielen für Verheimlichungen, Täuschungen und Zynismus, die unser Erwachen zwischen der Überschrift und den täglichen Abschlusskommentaren schmücken. Aber ich beschränke mich auf einen einzigen Fall, den ich ergreifend lächerlich finde. Es handelt sich um die Geschichte eines Mannes, der die Willensschwäche aus der jungen Wählerschaft vertrieb (die Generation X, die sich ihre gesamte Lebenszeit darauf vorbereitete, keine X zu setzen, da sie die Worte der Politiker als leere Worte versteht, da Politiker ja keine Dichter oder Ähnliches sind). Er mobilisierte und begeisterte sie mit Marketingstrategien, unwiderstehlichen Farbdesigns und wahnsinnig unterhaltsamen Kampagnen in den sozialen Netzwerken. Dieses Post-Pubertäre Phänomen wurde über seine Initialen PPK bekannt, und ich habe es immer als äußerst unangenehm empfunden. Denn jeder Erwachsene oder Post-Pubertäre, der was auf sich hält, wusste bereits, dass er ein Spielball der internationalen Interessen ist.

Um sich von dem negativen Präzedenzfall Fujimoris, dem ehemaligen peruanischen Präsidenten, zu distanzieren, dessen doppelte Staatsbürgerschaft bekannt wurde, als seine Vergehen ans Licht kamen und er in einem Privatjet nach Japan flüchtete, wo er für Jahre Asyl erhielt, versprach PPK, seine U.S.-amerikanische Staatsbürgerschaft abzulegen. Während des Wahlkampfes bestätigte er, die ersten Schritte bereits eingeleitet zu haben und seine Fans glaubten ihm. Als er jedoch nach seiner Amtszeit erneut danach befragt wurde, erklärte er rotzfrech, dass diejenigen, die das geglaubt hätten, doch echt dumm sein müssten. Ich erinnerte mich an den Personalausweis von Fujimori, auf dem stand, dass er am 28. Juli geboren wäre, genau am Nationalfeiertag, was für ein außergewöhnlicher Zufall, auch das war eine Lüge. Er war nicht mal Peruaner. Eine Lüge, wir sind alle Peruaner.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Bertolt Brecht Roadkill (Berliner Chronik in 6 Akten) http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/bertolt-brecht-roadkill-berliner-chronik-in-6-akten/ http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/bertolt-brecht-roadkill-berliner-chronik-in-6-akten/#comments Mon, 29 Nov 2010 10:59:42 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=3245

1. Berlín, Pulquería

Vor ein paar Wochen lud mich Nikola Richter in ihre schöne Kreuzberger Wohnung zum Essen ein. Niko ist eine junge deutsche Frau, die, abgesehen davon, dass sie eine exzellente Schriftstellerin ist, Jazzgeige lernt und verschiedene kulturelle Projekte mit der Geschicklichkeit einer Logos-Athletin leitet.

Bevor wir uns an jenem Abend an den Tisch setzten, sagte ich zu ihr, dass Berlin sich – mit der Geschwindigkeit und der Gewalt eines Blitzes – in das Hätschelkind des Parnass meiner Lieblingsorte verwandelt hatte. Möglicherweise erschien Nikola diese Behauptung etwas frühreif, aber sie akzeptierte sie mit einem Lächeln, während sie die Zucchini in die vorgefettete Pfanne legte.

Die Nudeln waren ausgezeichnet, fast so gut wie das Gespräch. Wir haben über alles Mögliche geredet, von alternativen argentinischen Verlagen (wie Clase Turista) bis hin zu den intimen und aufschlussreichen Eindrücken, welche die verschiedenen Mitwirkenden von „Los Superdemokraticos“ bei uns hinterließen. Ja, ich stimme Luis Felipe Fabre zu: Es gibt nichts Schmackhafteres als literarische Gerüchte, so gingen wir ohne die Last des Gewissens zum Vergnügen über.

Die Nacht davor haben wir den ein oder anderen Mezcal in der „Pulquería“ Kreuzbergs getrunken, gegenüber vom Görlitzer Park. Ich hatte gerade eine fast 20stündige Reise hinter mir, mit Zwischenlandungen und Flughafen-Wartezeiten, aber ich beschloss, mich der lustigen Truppe anzuschließen und mich vor dem Schlafengehen zu betrinken. Das könnte ich gleich nutzen, so dachte ich, um allen das Amulett, das ich vor ein paar Wochen in Buenos Aires erstanden habe, zu zeigen: einen Plastik-Gorilla, der aus dem Mund Feuer spuckt und seinen Blick mit Infrarot-Licht entzündet.

Es war die totale Freude, als ich meinen neuen Freunden ihre Gauloises damit anmachte… Alle zeigten sich vom Feuer des magischen Affen in den Bann gezogen. Vor allem ein Mädchen, Aline-Sophia, die auch in Delfine verliebt ist.

2. Lucullus, der Prozess

Beim Schreiben vollziehe ich ein Crossover. Ich gehe von einer Sprache in eine andere über. Ich bin ein Geschichtenerzähler, der von seinen Lügen bis zum Text reist.

Auf der Seite sehe ich wie das, was ich vorher erfunden habe, stirbt. Und dieser Kadaver ist es, den einige Literatur nennen.

Wenn ich gefragt werde, warum ich zu schreiben begann, habe ich zwei, oder sogar drei Geschichten als Antwort parat. Es kommt darauf an, ob ich in einer Bar oder in einer Buchhandlung bin. Oder ob mich ein Journalist fragt. Ich wähle die Geschichte je nach meinem Umfeld und meiner momentanen Stimmung aus.

Der Ausgangspunkt für meine Liebe zur Poesie, so erzähle ich Nikola, während ich meine Gabel in der Zucchini-Pasta versenke, lag in einer Oper in gebundener Rede: „El proceso de Lúculo“ von Bertolt Brecht.

Mit 17 spielte ich als einer der Schauspieler das besagte Stück mit der Theatergruppe der Schule. Meine Rolle war die des „Schattens“, der mit fahler Stimme das Gewissen des römischen Generals Lucullus anklagt, der kurz davor steht in der Intra-Welt verurteilt zu werden. Die fahle Stimme, der Schatten, geschminkt im Stil von Brandon Lee in The Crow (Die Krähe), erklärt dem Publikum das Ausmaß des Schadens, den der Diktator seinem Volk zugefügt hatte. Die Figur spricht auf eine metaphorische Weise, elliptisch, und entfaltet eine dichte Aura des Mysteriums, während die anderen Figuren, die Mitglieder des intraweltlichen Gerichts, sich von einem triumphalen Fries lösen.

Es ist sehr witzig, sehr seltsam, aber niemand von meinen Bekannten hat jemals dieses Stück von Brecht gelesen. Nichtmal die Brechtischsten unter den Brechtischen. Es hat sogar schon mal jemand mir gegenüber angedeutet, dass die Regisseurin der schulischen Theatergruppe möglicherweise den Autor verwechselt hat und wir schlussendlich das Stück eines anderen inszeniert hätten. Eine befreundete Schauspielerin, die etwas dreister, skeptischer und misstrauischer ist, sagte zu mir, dass es sich unter Umständen um eine Farce handelte, etwas, das ja in der Welt des Theaters gar nicht so ungewöhnlich ist: ein Werk, das von genau der Regisseurin verfasst wurde, die zu uns aus einer seltsamen Mischung aus Schüchternheit, Opportunismus und Scham meinte, dass das Stück von Brecht sei.

Ich erinnere mich daran in den letzten Jahren öfter Google-Suchen gestartet zu haben, alle vergeblich. Ich gab „El proceso de Lucullo“ ein – nichts, kein einziges Ergebnis… Manchmal habe ich „El proceso de Lucuyo“ eingegeben und die Leere wurde noch unermesslicher. Es kam sogar so weit, dass ich dachte, das Stück hätte in Wahrheit nie existiert und mein Kopf habe es nur erfunden, um dem Moment meiner Initiation in die Kunst einen würdevollen Ursprung zu verschaffen. Nikola war von der Geschichte fasziniert und schlug mir vor das Brecht-Haus und sein Grab, das sich auf dem Friedhof genau gegenüber von seinem Wohnhaus, in der Chausseestrasse, befindet, zu besuchen. Mit Begeisterung antwortete ich ihr: Ja, das müssen wir machen, sobald es geht, dorthin gehen, fragen, Fotos machen, und es dazu nutzen, dass ich eine Chronik über die Suche nach diesem unbekannten Brecht-Stück schreiben könne.

Das wäre ein perfekter Text für Los Superdemokraticos!

3. Fotos im Görlitzer Park

Am Morgen des 12. November 2010, einem Freitag, hatte ich einen Termin mit dem Fotografen Ekko von Schwichow, im Görlitzer Park, zu einer Fotosession.

Die Nacht davor hatte ich meine Lesung auf der Latinale. Ich las verschiedene Gedichte, wahrscheinlich nicht diejenigen, die ich bevorzuge, aber ich kam mit einem blauen Auge davon. Obwohl ich eigentlich ein „alter Hase“ bei öffentlichen Lesungen bin, war ich diesmal wesentlich nervöser als sonst und brachte sogar die Reihenfolge der Seiten, von denen ich las, durcheinander, was mich dazu zwang, das Lesen meines wohl besten Gedichtes zu unterbrechen. Ich musste die Veranstaltung vor einem erwartungsvollen Publikum im Saal des Berliner Instituto Cervantes eröffnen.

Als er mich in den Park kommen sah, fragte mich Ekko wie es mir bei der Lesung ergangen sei. Ich zog es vor ihm, die Details nicht zu erzählen und fasste alles mit dem klassischen „Gut, sehr gut“ zusammen.

Ekko von Schwichow machte unter anderem schon Aufnahmen von Haruki Murakami, Susan Sontag, Jean Baudrillard, Umberto Eco und Henning Mankell, aber das wusste ich vor dem Shooting noch nicht. Das war für mich von Nutzen, denn es erlaubte mir voller Ungezwungenheit zu posieren, mich mit einer gewissen Verwegenheit durch die herbstliche Berliner Gegend zu bewegen (wenn man von meinem blutenden Kater absieht).

Als das Shooting vorbei war, erzählte mir Ekko von seiner Leidenschaft für das brechtsche Werk, einfach so, ohne ersichtlichen Grund. Das kam mir weder seltsam, noch mystisch vor… bedenkt man die Popularität, die der Dramatiker, vor allem in Deutschland, genießt. Brecht zu mögen ist fast schon natürlich, deshalb fragte ich Ekko, ob er das Theaterstück „El proceso de Lucullo“ kenne.

Wie alle anderen auch, verneinte er dies.

4. Rery, Superdemokratica

Die Vergangenheit ist ein Polaroid der Zukunft. Und die ewige Gegenwart ist die Bewegung der Fotografie in unseren Händen, während sie sich entwickelt.

Als ich Rery Maldonado (die andere Kommandantin von Los Superdemokraticos, neben Niko) kennen lernte, fühlte es sich an, als würde ich eine Bewohnerin meiner Zukunft und meiner Vergangenheit treffen, die sich in dieser Gleichzeitigkeit präsentiert. Der Archetyp der kämpferischen Frau in bolivianisch-deutscher Version, die einfach so auf mich aufpasst. Eine Süßigkeit, ein Bonbon aus anarchistischem Zyanid.

Rery ging nach Bolivien, gleich nachdem die Latinale vorüber war, und überließ mir deshalb leihweise ihre Wohnung, die auch in Kreuzberg liegt. Eine schöne Wohnung, geräumig und voller Bücher, in der ich begann, Werke von Brecht zu suchen, um mich dann von den verschiedenen Wundern ablenken zu lassen, die ich fand: von Drei traurige Tiger bis hin zur ersten Ausgabe von Entre la piedra y la cruz (Zwischen dem Stein und dem Kreuz) von Mario Monteforte Toledo.

Als ich mich bei Rery eingerichtet hatte, war das erste, versuchte ich als erstes, ins Internet zu kommen, wie ich es immer mache. Aus irgendeinem Grund konnte ich das WLAN nicht benutzen und musste deshalb den Computer meiner Freundin anschalten… Die deutsche Tastatur verursachte mir zu Beginn schwerwiegende Probleme, aber ich konnte sie mit Hilfe meiner Erfahrung mit der französischen Tastatur bändigen.

An jenem Nachmittag las ich die Mails und stieß auf diese Email von Ekko von Schwichow:

„Hallo Alan,

wie läuft deine Nachforschung? Das Stück von Brecht, das ursprünglich für das deutsche Radio geschrieben wurde, heißt: „Das Verhör (interrogatorio) des Lukullus“, 1951. Hast du sonst noch was gefunden?

Ich schicke dir als Anhang die Daten der Bilder – wenn sie dir gefallen, sag mir welche genau; ich hoffe du kannst die Nummern sehen??

Liebe Grüße

Ekko“

Als ich diese Mail las, wurde mir klar, dass ich aus einem einfachen Grund niemals Ergebnisse für den Prozess des Lukullus auf Google gefunden habe: ich hatte „Lucullo“ oder gar „Lucuyo“ in das Suchfeld geschrieben…

Wieder einmal wurde mir bewusst, dass ein paar Buchstaben den Übergang in die unbekannte Dimension bilden können.

5. Berlin, Axolotl Roadkill

Vor einer Woche konnte ich, dank Johanna Richter (die übrigens nicht mit Nikola Richter verwandt ist) den touristischen Rundgang absolvieren und die Fotos machen, die ich mich immer weigere zu machen, wenn ich Reisen dieser Art unternehme. Ich hatte mich dazu entschlossen, da ich kürzlich in einem Artikel las, dass die touristischen Orte von den Snob-Reisenden vermieden werden, ohne dass diesen klar wird, dass diese Orte berühmt für etwas sind, dass es einen Grund für ihre Popularität gibt.

Im Fall von Berlin bestätige ich diese Behauptung. Die gesamte, für die Touristen bereitstehende Szenerie ist wirklich magnetisch. Eine Stadt, die die historische Erinnerung als Referenz für den Konsum von Bildern der Postmoderne benutzt: meta-historischer Tourismus.

Ich machte einige Bilder mit der Kamera von Johanna, die mit mir eine gekürzte, aber effiziente Tour durch die Zone, in der die Mauer stand und durch das Zentrum machte, mitten im aufkommenden Berliner Winter.

Die Konversation bei der Rückkehr nach Kreuzberg war eine wahre Freude: Johanna macht ihren Doktor in Literatur des 19. Jahrhunderts und sprüht vor Weisheit. Ein Teil unseres Gesprächs drehte sich um den aktuellsten und aufsehenerregendsten Fall von Plagiat in der deutschen Literatur: das Buch Axolotl Roadkill von Helene Hegemann. Es handelt sich um einen Roman (Bestseller), in dem die Technik der Montage verwendet wurde, Fragmente von Blogs und Büchern, welche die Autorin gelesen hatte, wurden darin wiederverwertet. Ausgehend von diesem Fall, diskutierten wir lange über die Grenzen der Urheberschaft, über die Gestaltung eines Buch in der heutigen Zeit, wie das Schreiben funktioniert, usw.

Wir haben auch unsere Nostalgie für Ezequiel Zaidenwerg geteilt, der nach dem Abschluss der Latinale Deutschland verlassen hat. Eze, wie wir Freunde ihn nennen, war zweifelsfrei die Offenbarung des Treffens lateinamerikanischer Poeten in Berlin, er zog das Publikum mit der Kraft und der Eleganz seiner Poesie in seinen Bann. Dieser geschätzte Freund und argentinische Dichter war gemeinsam mit der Puerto Ricanerin Mayra Santos Febres, die am stärksten leuchtenden Perlen der Veranstaltung.

Es bleibt nur nebenbei zu erwähnen, dass Mayra mir mit der Hilfe ihrer Orishas, während eines Abendessens, fast am Ende des Festivals, eine spirituelle Lesung abhielt. Den Nagel auf den Punkt treffend, sagte sie zu mir: „weißt du, du fühlst einfach genau das, was die anderen auch gerade fühlen“…

Und ja, das ist es was mit mir los ist.

6. Brecht, der Affe

Während wir auf einer wirklich, aber wirklich verrückten Party, ebenfalls in Kreuzberg, tanzten, erklärte ich Barbara Buxbaum, meiner Übersetzerin und Freundin, warum ich schlussendlich das Haus von Brecht doch nicht besucht hatte:

– Naja, weißt du, der Affe. Erinnerst du dich? Der, der aus dem Mund Feuer spuckt? Der hatte meine Seele all die Tage entführt, mir die Freiheit genommen… und mir nur erlaubt zu feiern – sagte ich.

– Ach, mein lieber Axolotl – antwortete Barbara und lachte laut auf.

– Aber wir waren auf einem Konzert von Brecht-Weill, mit Nikola – füge ich hinzu.

Bilder: Alan Mills

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Gottes Blog http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/gottes-blog/ http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/gottes-blog/#comments Mon, 15 Nov 2010 13:35:32 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=3202

Frauenpo-Poster. Aktuelle Fernsehwerbung für die amerikanische Serie Mad Men im ZDF. Foto: ZDF

Man könnte denken, in Deutschland läuft es in Sachen Gleichberechtigung der Geschlechter seit 100 Jahren super: Seit 1919 dürfen Frauen wählen, seit 1973 darf ein Ehemann seiner Frau nicht mehr verbieten zu arbeiten, seit 1992 ist Vergewaltigung in der Ehe strafbar, seit 1995 wird Abtreibung nicht mehr gesetzlich verboten und heute sind 25 Prozent der öffentlichen leitenden Stellen von Frauen besetzt.

Doch finden es immer noch nicht nicht alle super, wenn Geschlechter gleiche Rechte und Chancen haben. Nachdem sich Thomas Krüger, der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, welche ja auch dieses Blog fördert, auf dem Genderkongress in Berlin Ende Oktober 2010 öffentlich in seiner Rede dafür einsetzte, „das Prinzip des Gender Mainstreaming als zentrale Dimension aller gesellschaftlichen und politischen Bereiche umzusetzen“, hat der Bund Deutscher Katholiken seinen sofortigen Rücktritt verlangt. Der Vorwurf lautete: Krüger vertrete Theorien, „die das Wesen des Menschen zerstören, der seiner Natur gemäß unverwechselbar Mann oder Frau ist“.

Diese Forderung samt Vorwurf ist absurd. Erstens ist Gender Mainstreaming bereits seit einem Beschluss vom 23. Juni 1999  ein politisches Querschnittsziel in Deutschland. Die Regierung informiert über das Thema auf einer eigenen Webseite und weist darauf hin, dass es „keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt“. Gender Mainstreaming bedeutet, so die offizielle Definition, bei allen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein und regelmäßig zu berücksichtigen. Es geht also nicht darum, die Kategorie Geschlecht aufzuheben, sondern genau hinzuschauen, wie aus Geschlechterzuschreibungen gesellschaftliche Rollen erwachsen, darum, nicht schwarz und weiß zu denken, rechts und links, gut und böse, sondern, wie im Logo der Superdemokraticos, dritte und mehr Farben zu sehen und mitzudenken. Die Realität ist vielfältiger und komplizierter als erz-katholisch oder nicht-katholisch. Katholisch-sein kann nicht bedeuten, die Realität zu ignorieren, oder? Zumal die katholische Kirche, was die geschlechtlichen Beziehungen einiger seiner Vertreter angeht, selbst einige Leichen im Keller liegen hat und dort mal lieber aufräumen sollte.

Zweitens verfolgt keine Genderdiskussion das Ziel, das Wesen des Menschen zu zerstören, ganz im Gegenteil. Es geht eher darum, die Vielfalt der Welt zu sehen und anzuerkennen, also, wenn ich in religiösen Begriffen sprechen darf, die Vielfalt der Schöpfung zu verehren. Der Bund Deutscher Katholiken, der sich 2000 gegründet hat, um das Land im Sinne des Katholischen Katechismus neu zu evangelisieren, gibt sich als Hoffnungsbringer. In der Selbstdarstellung heißt es: „Heute geht es darum, die Resignation und Müdigkeit, die auf unserem Land liegt und jeden Neuaufbruch erstickt, zu überwinden und der Hoffnung wieder Raum zu geben.“

Hoffnung liegt, meines Erachtens, aber nicht darin, die politische Bildung zu einem Schauplatz parteipolitischer Interessen zu machen (CDU/CSU versus SPD) und philosophische, politische, gesellschaftliche und religiöse Identitätsdiskurse von zweihundert Jahren zu ignorieren. Hoffnung liegt darin, dass nicht immer alle einer Meinung sind; denn so ist das nun mal in der Demokratie. Hoffnung liegt auch darin, dass es eine Institution für politische Bildung gibt, die junge, aktuelle Debatten über Politik und die Welt unterstützt, etwa auf dem Genderkongress oder hier, auf Los Superdemokraticos: 20 Autorinnen und Autoren haben unter anderem darüber nachgedacht, welche Rolle Körper, Körperkonstruktionen und Körperlichkeit in den jeweils subjektiven politischen Zusammenhängen in Europa und Lateinamerika spielen. Wir sind uns in einem neutralen Raum, dem Netz, als körperlose digitale Wesen begegnet. Wenn Gott die Welt erschaffen hat, hat er auch Debatten im Internet erschaffen. Danke, Gott, Danke Internet.

Wir bloggen weiter. Amen.

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Titel (Deutsch) – Titel (Español) http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/titel/ http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/titel/#comments Tue, 19 Oct 2010 11:55:55 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2969 Es ist ja nun Zeit, Bilanz zu ziehen. Die Welt dreht sich, und nun dreht sie sich fortan fort von einem wunderbar geruhsamen Sommer zwischen Studium und Beruf, in den sich die Arbeit an diesem Blog biographisch hervorragend einpasste. Schon ist man Arbeitnehmer und Gewerkschafter, schon blickt man sorgenvoll auf das Konto und unsicher in die Zukunft, und schon findet man sich nicht mehr bereit, das reine Denken über das reine Denken zu betreiben, sondern fragt sich nur noch, welche der bestehenden Freundschaften, zu denen keine einzige interkulturelle zählt, trotz deutlich vermindertem Freizeitaufkommen fortgesetzt werden soll.

Man verblödet also und irgendwann wird man, wenn die eigenen Kinder einen als rückständigen, chauvinistischen Kleinstadt-Spießer mit null Sozialkontakten und der Weltgewandtheit eines Bielefelder Senioren enttarnen, auf diese goldene Zeit (weniger auf einzelne Texte) verweisen können und sagen: „Seht her, es gab Zeiten, da stand euer Papa mit der ganzen Welt im Austausch. Kluge Menschen aus Mexiko, Argentinien und Bolivien diskutierten mit ihm über nationale Historiographie und Fragen der Identität in einer beweglich gewordenen Welt.“

Wenn die Welt eine UNO-Vollversammlung ist und der Computer ein sensibler Dolmetscher …

Wenn die Kinder halbwegs Hirn haben, fragen sie dann, was dabei rumgekommen ist – und bringen ihren Erzeuger damit in schwere Verlegenheit: Hat er sich denn etwa jemals für die anderen internationalen Blogger oder die Leser dieses internationalen Blogs interessiert? Nicht wirklich, auch wenn manches interessant und manches bedenkenswert erschien – letztendlich war die Kommunikation zu mühsam. Denn, so würde man in der Rückschau zugeben müssen: Zwar wurden die spanischprachigen Texte im Deutschen lesbar gemacht (und umgekehrt), doch für einen wirklichen mediengemäßen Dialog fehlten Geld und Technik.

Und wer weiß, vielleicht werden die Kinder, die ihren Vater für ein Fossil halten, den schon ganz selbstverständlich finden, wird er doch genau in dem Moment möglich, in dem Echtzeitübersetzungsmaschinen Chat-Beiträge derart gut in andere Sprachen übertragen, wie es jetzige Übersetzungs-Algorhythmen nicht einmal mit fixiertem Textmaterial ansatzweise vermögen. Wenn die Welt eine UNO-Vollversammlung ist und der Computer ein Simultandolmetscher (ein guter, sensibler, einsichtsvoller mit einem Händchen für die stimmige Übertragung kultureller Codes), dann wird überhaupt so etwas Ähnliches möglich sein wie ein interkultureller Dialog. Dann irgendwann werden auch über Sprachräume hinweg Horizonte im Dialog verschmelzen können.

Manchmal möchte man verzweifelt „Argh!“ rufen.

Bis dahin plagt man sich mit Substituten wie Weltsprachen: Wenn fünf Nicht-Muttersprachler um einen Tisch sitzen und Englisch parlieren, möchte man sehr laut gähnen, und wenn 20 Blogger und ihre Leser um ein Blog sitzen und trotz allen guten Willens nicht wirklich zueinander finden können, dann möchte man verzweifelt „Argh!“ rufen. Was mache ich aus den spanischen Reaktionen zu meinen (in jeder Hinsicht sehr deutschen) Beiträgen über Schuldkultur, Auschwitz und deutsche Identität? Die Übersetzungsmaschinen können einem zwar eine Ahnung davon geben, was das verhinderte Gegenüber bewegt. Trotzdem bedeuten sie zugleich eine unsachgemäße Surrealisierung: Wenn da steht „leider, und mit allem Respekt, es gab nur einen Holocaust, der Grenze ein verdammt Jukebox, die nie aufhört, warum so blau sind unsere Ziele können wir nur beten, nach San Antonio, wenn Neal Cassady kam, hier zu sterben, um zu immigrieren“, dann mutet das zwar in höchstem Maße lyrisch an, trotzdem bleibt darüber hinaus eben nur eine Ahnung vom semantischen Inhalt und der Grenze zwischen den USA und Mexiko und das kann’s ja wohl nicht sein.

Freuen wir uns also auf eine Zeit, in der es keine Sprachen mehr gibt; in der Landessprachen nur noch gewohnheits- und neigungsmäßige Dialekte sein werden, die für alte Provinz-Spießer, wie ich dann einer sein werde, eine ansonsten gänzlich virtuell gewordene Grenze zwischen Virtualität und Realität markieren. Dass wir dann sentimental werden, steht außer Frage. Immerhin wird dann das, was hier versucht wurde, nichts Besonderes mehr sein. Die ungewohnte Zuneigung, die es speziell für einen jungen Autor deutscher Zunge bedeutet, von nichtdeutsch sozialisierten Lesern gelesen werden zu können, der faszinierte und befremdete Blick auf die Übersetzung der eigenen Texte, den wird es nicht mehr geben. Alles wird Alltag sein, die Superdemokraten waren ein Fest. Danke dafür!

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Im Abschiednehmen war ich nie gut http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/im-abschiednehmen-war-ich-nie-gut/ Wed, 29 Sep 2010 15:00:57 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2325 Im Abschiednehmen war ich nie gut. Es ist nicht so, dass ich Abschiede nicht mögen würde, ich würde fast behaupten, dass sie mir egal sind. Ich werde mir einfach nie des Endes von etwas bewusst. Und nicht etwa, weil ich zu denjenigen Personen gehören würde, die sagen „man weiß nicht, was man hat, bis man es verliert“. Wenn ich mir dem Wert von etwas währenddessen nicht bewusst bin, würde ich wahrscheinlich den Moment des Verlustes nicht bemerken. Das ist kein Mangel an Zuneigung oder an Gefühlen. Es ist nur so, dass ich nicht an das Ende glaube. Die Welt von heute erlaubt keine Enden, noch nicht einmal der Tod ist ein Ende. Manchmal denke ich, dass ich zu der letzten Generation auf dieser Erde gehöre, dass wir geboren wurden, um das Ende dieser Welt zu erleben. Aber ich bezweifle auch, dass das dann das Ende wäre. Doch ich will nicht abschweifen, ich möchte hier von dem Abschluss dieses kostbaren gemeinsamen Schreibprozesses sprechen. Mich hat diese Übung des gemeinsamen Schreibens, in der man sich fremde Themen zu eigen macht, um sie interessant werden zu lassen, überzeugt, und sie hat mir viel Spaß bereitet. Mehr noch, es hat mir sehr gefallen zu sehen wie verschiedene Charaktere, Nationalitäten, Erlebnisweisen die selben Themen ihren Körpern-Herzen-Köpfen zuführten, wie ich sie gewissermaßen verdaute. Wir sollten uns ein Beispiel an dieser Erfahrung nehmen und sie in Tausenden von Formaten wiederholen. Schon kommen mir Projekte in den Kopf wie: Supereskritores (Superschriftsteller) –Superdeskonocidos (Superunbekannte) – Superfacebookeros (Superfacebookers) –Superkiudadanos (Superbürger) –Superkalifragilisticoespialidosos (Superkalifragilistikexpialigeten) und die Liste würde ewig weiter gehen. Tschüss, bis dann, man sieht sich, bis zum nächsten Mal, mach es gut, es gibt hunderte Art und Weisen sich zu verabschieden; die schönsten sind die, die bekräftigen, dass man sich wieder sehen, wieder treffen, lesen wird. Das sind ausführliche Abschiedszeilen, ein langer Abschiedszettel. Ich habe einen spanischen Freund, der sich immer sehr über eine Eigenschaft, von der er sagt, dass sie typisch für uns Uruguayer sei, wundert. Wir würden immer so lang für den Abschied brauchen, dass man denke, wir würden eigentlich gar nicht mehr gehen. Immer wenn jemand ankündigt aufzubrechen, wird dies etwa eine halbe Stunde vorher mit einem lakonischen „also gut, wir ziehen mal los“ angekündigt und dann verlängert sich das Abschiednehmen, das niemals konkret zu werden scheint, über etliche Minuten, bis die Person schließlich, nicht ohne sich mehrfach zu küssen und tschüss zu sagen, geht. Diese Zeilen sind ein langer Abschied mit mehreren Küssen und mehrfachem Tschüssrufen. Und ich betone noch einmal, dass ich tschüss sage, wie man hallo sagt, als würde ich mir selbst nicht ganz glauben, wie von etwas, das nicht zu Ende geht, dessen Ende nicht wahr ist, es wird nicht geschehen. Vielleicht gibt es ein wenig dieses Gefühls in der Demokratie, so als wäre die Demokratie nicht aus Schlusspunkten errichtet. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, erscheinen mir die Enden eher faschistisch, nach Geschichten ohne Interpretationsspielraum, abschließend, endgültig, geschlossen. Die Demokratie hingegen, perfektionierbar, lang, komplex, divers, ist nichts als ein Prozess, ein langer Prozess, der vorher begann und danach enden wird, lange nachdem wir beschlossen haben, einen Schlussstrich unter sie zu setzen. Die Demokratie ist reinster Beginn. Ich muss an einige Passagen in diesem wunderbaren Buch „Der Tag eines Wahlhelfers“ von Italo Calvino denken, das ich jedem Liebhaber der Demokratie empfehle:

„Amerigo hatte begriffen, dass Veränderungen in der Politik ein langer und komplizierter Prozess waren, und nicht eine Sache, die von der man erwarten konnte, dass sie von heute auf morgen geschahen, wie eine Wendung des Glücks.“

„Ist es also so, dass allein der Moment zählt, in dem Dinge beginnen, in dem alle Energien in Spannung geraten und in dem nichts existiert außer der Zukunft? (…) was zählt, sind nicht die Institutionen, die veraltern, sondern die menschlichen Willenskräfte und Bedürfnisse, die sich weiterhin erneuern und den Instrumenten, von denen sie Gebrauch machen, Authentizität verleihen?“

Ich lade euch also alle zu einem neuen Anfang ein, dem Beginn davon, die Seite umblättern, den Computer ausschalten oder einen neuen zu starten, ein Superbürger, Superdemokrat, Superengagierter und Superoptimist zu sein. Ich lade euch dazu ein, heute viel Male tschüss zu sagen, viele Geschichten zu beenden, mehrere Freunde zum letzten Mal zu sehen und dass all diese Enden nichts als eine große Lüge sein werden, ein Wort, das bleibt, eine Absicht, die sich nicht konkretisiert, weil uns später die Zeit, das Leben, die Welt an dem wahrhaften Ort unserer Fabel einrichten wird.

Welchen Part unserer Erzählung werden wir verkörpern? Vorwort, Schluss, Epilog, Dyslalie, Randbemerkung, Titel, Fußnote? Welche Figur sind wir und welches ist unsere traurige oder schöne Rolle? Es geht zu Ende, da kommt es, beginnt.

Küsse
Tschüss
Auf Wiedersehen
Man sieht sich
Bis bald
Dicker Kuss
Fühl dich umarmt
Grüße
Ende….

Übersetzung: Anne Becker

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Zeit, zum Globalichiater zu gehen http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/zeit-zum-globalichiater-zu-gehen/ Fri, 24 Sep 2010 15:55:07 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2179 Ich war nie ein globalisierungsfeindlicher Jugendlicher. Ich fand immer, dass die Globalisierung ein Mythos ist: die Globalisierung verstanden als eine einzige Nation. Das one & only Argument dieser Theorie ist das Internet. Das globale Netz infiziert die letzten Ecken der suave patria, des lieblichen Vaterlands (bekanntes mexikanisches Gedicht, Anm. d.Ü.). Ein polarisierender Effekt. Die wahrhaftige Globalisierung gäbe es dann, wenn die Ranch den ganzen Planeten übersähen würde. Wenn das Lokale und der Globus eine wirkungsträchtige Verbindung eingehen, haben wir es mit einem einfachen kulturellen Austausch zu tun. Dieser Austausch ereignet sich immer auf individueller Basis, fast nie kollektiv. Wo ist also das Globalisierende?

Es ist der Globalisierung wie auch den Unabhängigkeitskriegen oder Revolutionen eigen, von einem Projekt der Nation getragen zu werden. Die Globalisierung ist das Projekt einer gescheiterten Nation. Vielleicht ist die einzig mögliche Globalisierung die Globalisierung der Sprache. Nicht die Verknüpfung eines Netzes mit einem weiteren, sondern die Globalisierung eines Codes, der just vom Internet verbreitet wird. Ich war nie ein Verteidiger der Sprache. William Burroughs schlug vor, mit dem gesamten rationalen Denken Schluss zu machen. Die Globalisierung der Sprache könnte von einem Symbolsystem diktiert werden, das gar nichts mehr mit der menschlichen Vernunft zu tun hat.

Wie jede Neuinvasion der Technologie ist die Globalisierung unter anderem dazu gut, der Paranoia Nahrung zu geben. Ich schätze mal, dass die Globalisierung bei der Sprache anfangen und dazu führen wird, dass wir uns in außerirdische Wesen verwandeln. Es folgt meine Version, das, was meine Paranoia auf der Basis der vereinheitlichten Sprache erfunden hat.

Jahr 3000 (oder früher): Die menschliche Gattung hat ihre Art der Kommunikation modifiziert. Die Zunge wurde von den Emoticons des msn ersetzt. Alle Welt versteht sich anhand dieser Symbole. Es nicht mehr nötig, eine andere Sprache zu erlernen, um nach Kopenhagen oder Singapur zu reisen. Wie in der Fernsehwerbung ist das Geruchsorgan beliebig austauschbar. Dann wird die Luft so dick, dass es unmöglich ist, mehr als zwei Meter weit zu gucken; der Smog beerdigt das Konzept der Landschaft. Wir pflanzen uns durchsichtige Augenlider ein, verdunkelten Scheiben gleich, die uns die Nachtsicht wie bei Programmen von animal planet ermöglichen. Wir modifizieren unseren Körper so sehr, dass wir aussehen wie Kinder von Jaime Mausan. Dann taucht ein Raumschiff auf, eine Fliegende Untertasse oder ein U.F.O., wie ihr wollt, und verbindet sich mit dem gesamten Netz. Es verschickt eine Nachricht: Der Planet Erde wird explodieren. Wir verlassen die Erde in einer großen, intergalaktischen Arche Noah. Wir leben in entfernten Galaxien, auf dem Mond und auch gleich um die Ecke der Erde. Wir erfinden die Zeitmaschine, um ins 20. Jahrhundert zu reisen und versenden Zeichen in einer Sprache, die niemand versteht. Wir wollen uns selber warnen, dass wir in der Zukunft aliens sein werden. Dass wir der Zähmung der globalisierten Sprache Einhalt gebieten müssen. Dass wir es nie schaffen werden, uns zu verständigen. Die Sprache, die wir selbst erfunden haben, können unsere Vorfahren nicht verstehen.

In dem Moment, in dem die Vorstellung von planetarischen Nationalitäten einmal verinnerlicht wurde, entsteht auf einem Planten ein Projekt, dass sich vornimmt, das Wesen des Lateinamerikaners, Entschuldigung, den lateinamerikanischen alien zu ergründen. Sie heißen Die intergalaktischen Superdemokraten, Los superdemokráticos intergalácticos. Schriftsteller des Weltraums werden in ihrem Posteingang darauf warten, eine Einladung zur Mitarbeit in diesem Forum zu erhalten.

Übersetzung: Anne Becker

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Digitale Körper II: Swinger Club (+18) http://superdemokraticos.com/themen/koerper/digitale-korper-ii-swinger-club-18/ Fri, 06 Aug 2010 17:54:50 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=591 Bildschirme bringen die Menschen näher. Die begeben sich dann – unzufrieden mit diesem strahlenden Verführer – auf die Straße, um jene Freuden zu finden, die der Voyeurismus und der Exhibitionismus nicht schenken können. Die Normalität verfolgt und diszipliniert uns, sei es, indem sie uns von einer Empore psychoanalytische Doktrin lehrt oder indem sie uns einen von einer Soutane verborgenen, masturbierenden Arm zeigt. Was für eine Normalität fordern diese Mächte von uns ein, in einer Zeit, in der wir unsere Intimität in einem Schaufenster ausstellen, das den gesamten Globus, alle Kulturen, alle Moral zu umfassen scheint?

Wir treten auf die Straße und sind uns dieser Dilemmata bewusst. Unser Wissen von dem Widerspruch, dass wir nicht besitzen können, was noch nicht existiert, ist unerschütterlich; wir fühlen uns schuldig, uns selbst zu unterdrücken, schuldig, Regeln zu benötigen, um uns zwischen andere Körper zu begeben. Wir fühlen uns durch die miteinander geteilte Geilheit und die schlaflosen Stunden, in denen wir mit Hilfe von Emoticons, vorgefertigten Wörtern und unmöglichen, übertriebenen Bildern reden und reden, ermutigt. Wir, nur zwei Menschen, die auf der Suche danach waren, unsere wirkungslosen Genitalien wiederzubeleben, stürzten uns auf die Straße, um zum ersten Mal unsere Gerüche zu suchen, die Farben, die die Realität in sich birgt.

Eine bestimmte Etikette musste befolgt werden, um Zugang zu diesem Swinger Club zu bekommen, wobei es sich lediglich um gemeinschaftliche Normen handelte, die dazu gedacht waren, den Gruppensex entspannter zu gestalten. Die Neutralität der Dinge, der Objekte und sogar des Denkens verdeckten sich hinter Keimfreiheit. Eingehüllt in ein Kleid, das jeden Millimeter deines Körper abzeichnete, hast du gestrahlt und warst auch ein bisschen erschrocken. Der Stoff, den du trugst, war so zart wie deine Haut, und das Geschehen des Abends geleitete uns bis zu einem dunklen Raum, das von einem riesigen, in Plastik gehüllten Bett beherrscht wurde. Ein Pärchen schloss sich uns an, das ihre Blicke auf deine spitzen Brüste heftete, die schon von meiner Spucke schimmerten.

Eingebunden in das Spiel, nähertest du dich diesen zwei Körpern, um ihnen mit Gesten zu signalisieren, dass ich nur hier war, um dir zuzuschauen, dass meine Anwesenheit ausschließlich professioneller Natur war, dass ich gerade einen Artikel über Körper für „Los Superdemokráticos“ schrieb… über die Körper, die in unseren Computern ein- und ausgehen; diese Körper, die sich uns anschlossen, während deine Kleidung verschwand.

Du warst die einzige, die vollständig nackt war, du warst ein Fleck aus Fleisch inmitten der verwickelten Kleidung der Menge, und ich beobachtete dich, um deine authentische Lust von simulierter Lust trennen zu können. Du bewegtest dich wie ein riesiger Mund von einem Geschlecht zum anderen, und alle Teilnehmenden begannen, sich deinem schwachen Stöhnen, deiner Atmung anzuschließen. Es türmte sich bereits auf dem Bett und die Hände der Männer und Frauen über dir, als du den Entschluss fasstest, einen jungen Mann, der abseits wartete, einzuladen. Du bücktest dich und strecktest ihm deinen Hintern entgegen und verführtest ihn damit auf solch überzeugende Weise, dass er sich innerhalb weniger Minuten entkleidete und sich einen Weg bahnte, um in dich einzudringen. Indem er sanft deine winzige Hüfte umfasste und seinen Blick auf deine offenen Pobacken heftete, brachte er meine Geilheit fast bis zum Kollaps. Mit einer geplanten Bewegung zogst du deinen Kopf zwischen den Beinen einer Brünetten hervor und lehntest deinen Rücken an die Brust des jungen Mannes, der weiterhin in dir war. Als er deine Wärme, die hohe Temperatur deines Fiebers spürte, fasste er dir an die Brust und schenkte dir einen Schauer feuchter Küsse und schmutziger Worte…

Du danktest ihm

mit einem Stöhnen

das ein massives

kollektives Seufzen

entfesselte…

Übersetzung: Marcela Knapp

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Zweiter Sommersalon am 29. Juli 2010 – Eine Sommernacht mit Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com/editorial/zweiter-sommersalon-%e2%80%93-eine-sommernacht-mit-los-superdemokraticos/ Wed, 21 Jul 2010 17:04:41 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=500 Eines der besten lateinamerikanischen Talente ist das Improvisationstalent: unter wenigen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten eine Lösung finden. Lateinamerikanische Künstler stellen Bücher aus Karton her oder machen Theater mit Plastikflaschen, die lokalen Straßenmärkte sind voller Spielzeug und anderem Kram, den in Deutschland schon lange niemand kennt. Lateinamerikanische Kulturen sind nicht subventioniert, kreative Räume entstehen aus eigener Kraft. Die Mehrheit der lateinamerikanischen Künstler weiß, dass es unrealistisch ist, von der Kunst zu leben, aber egal… So ist nun die lateinamerikanische Kultur, die sich improvisierend über die Welt verteilt dank der Menschen, die sich auf diesen Weg begeben haben.

In unserem zweiten Sommersalon möchten wir die Initiativen einer neuen lateinamerikanischen Generation in Berlin vorstellen, die versucht, die Stadt ästhetisch zu unterstützen. Sei es, indem sie gegen absurde und unflexible Baurichtlinien kämpft, die verhindern, dass ein langweiliger Betonkasten etwas Farbe bekommt, sei es, indem sie die traditionelle Musik eines Landes wieder aufleben lassen, in diesem Fall die Musik Kubas, oder sei es, indem sie die mexikanische Küche innovativ erneuern.

Am Donnerstag, 29. Juli, ab 21 Uhr laden wir herzlich dazu ein, mit uns eine Sommernacht zu verbringen, in dieser Zeit, in der die Stadt fast leer ist. Kommt in die Pulquería, in ein neues mexikanisches Restaurant am Spreewaldplatz.

Den Abend einleiten wird das Projekt Ganga. Die Musiker fusionieren traditionelle Rhythmen mit Jazz-, Reggae-, Pop- und Funkelementen. Ganga sind beeinflusst von Trova Cubana, einer Musikrichtung, die seit den 1960ern versucht, wie „Troubadoure“ politische und poetische Aussagen zusammenzubringen. Später legt Roque Rodriguez (Colectivo Chupacabra, Chile / Funk, Soul, House) auf, die perfekte Tanz-Begleitung. Sie wird uns durch diese laue Nacht im subtropischen Berlin führen.

Donnerstag, 29. Juli
La Pulquería, Spreewaldplatz
21 Uhr

Eintritt frei

http://www.lapulqueria.de
www.superdemokraticos.com

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Adam und Eva im Amazonas http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/adam-und-eva-im-amazonas/ http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/adam-und-eva-im-amazonas/#comments Mon, 12 Jul 2010 18:53:12 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=443 Das irdische Paradies hat real existiert und lag in der Neuen Welt. Das versicherte zumindest der spanische Historiker Antonio de León Pinelo im 17. Jahrhundert, der – indem er sich auf Passagen aus der Bibel bezog – zu der Schlussfolgerung kam, dass Gott keinen geeigneteren Ort gefunden habe, um seinen Garten Eden zu errichten als den amazonischen Regenwald, der sich heute über Bolivien, Brasilien und Peru erstreckt. Und wer würde schon die Worte eines Historikers in Frage stellen?

Die Eroberer fanden bald Dinge in der Natur, die diese Theorie stützten. In den Papageien sahen sie beispielsweise den Beweis der Existenz jener „sprechenden Vögel‘, die im Werk ihres Landsmannes beschrieben wurden. Auf diese Weise wurde eine Lawine losgetreten, die nicht mehr zu bremsen war: Die Eroberer glaubten an Pinelo, Spanien glaubte an seine Eroberer und Europa glaubte an ihre Spanier. Schlussendlich wurde während des gesamten 17. Jahrhunderts geglaubt, dass sich der Garten Eden auf südamerikanischem Boden befände.

Könnt ihr euch Adam und Eva dunkelhäutig vorstellen, wie sie Taitetús (Bergschweine) mit Kochbananen verschlingen und sich in den schlängelnden Flüssen des Amazonas baden? Oder wie sie die Früchte des verbotenen Baumes (jener da, von der Erkenntnis des Guten und des Bösen) mit andinen Händlern gegen Kokablätter eintauschen? Oder vielleicht wie Kain, nachdem er Abel ermordete, in Richtung Nordamerika flieht?

Ich finde die Idee verführerisch, aber meine Mutter würde sich sicherlich umbringen, wenn sie die Theorie bestätigt sehen würde, dass ihre Vorfahren kleine Dunkelhäutige aus dem Urwald waren und nicht diese blonden und stolzen Blankoiden mit ihren perfekten Körpern und ihrem europäischem Antlitz, wie sie in der Bibel auf ihrem Nachttisch abgebildet sind, (also besser: pssst!).

Es ist schon komisch, welche Wendungen die Geschichte manchmal nimmt, findet ihr nicht? In vielen Fällen wird sie nur durch eine einzelne Aussage geboren, verwandelt sich in eine kollektive Vorstellung und endet schließlich als historische Wahrheit. Einige Wahrheiten mutieren und verschwinden wieder, wie das mit der Theorie über den südamerikanische Garten Eden der Fall war. Diese unterlag letztendlich der wissenschaftlichen Theorie, die Afrika als die Wiege der Menschheit sieht.

So etwas passiert jeden Tag und mit den alltäglichsten Dingen: Zum Beispiel, dass man beim Sex in einer Badewanne mit heißem Wasser garantiert nicht schwanger werden kann. Dass es im Winter eine höhere Selbstmordrate gibt. Dass Männern, die masturbieren, ein Haar auf der Handfläche wächst. Dass die Brüste von Selma Hayek falsch sind…Letztlich gibt es Themen jeder Couleur und für jeden Geschmack und es hängt von jedem einzelnen ab, ob er sie glauben oder verwerfen will; oder aber auch, ob er sie erfinden will.

Wie wäre es, wenn wir uns von den „Superdemokraticos“ aus vornehmen, ein solche Vorstellung ins Leben zu rufen? Und sie solange im Netz streuen, bis sie eine unanfechtbare Wahrheit ist? Ich schlage vor, wir versichern allen, dass Grenzen schädlich für die Gesundheit des Planeten sind. Und du? Was schlägst du vor?
MORENADA MIX 2010

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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