soziale Bewegungen – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Teleskope und Mikroskope http://superdemokraticos.com/themen/burger/teleskope-und-mikroskope/ http://superdemokraticos.com/themen/burger/teleskope-und-mikroskope/#comments Tue, 07 Sep 2010 15:25:41 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1597

© Agrupación Putos Peronistas

Ich verbringe meine Stunden zwischen Mikroskopen und Teleskopen, zwischen Kosmen und deutlich sichtbaren Gesichtsgrimassen, zwischen Dichtung und Utopie. Ich richte meine Augen, mein Fleisch, meine Lungen, meine Leber auf einen unmöglichen Ort, der sich zwischen den Machtbeziehungen und der Macht der zwischenmenschlichen Beziehungen befindet. Von dort aus schreibe ich und wüsste nicht, wie ich es anders tun könnte. Ich versuche, es zu rechtfertigen, um eine Art von zweideutiger Fixierung zu entwickeln, die darin besteht, politische Komponenten in den Blicken zu entdecken und mystische Elemente in einem Gesetz, das frisch aus dem Kongress kommt. Sicherlich schreibe ich deshalb diesen Aufmacher, oder den aller anderen meiner Artikel, um zu versuchen, mit den Händen Ideen zu erfassen, die abstrakt erscheinen mögen, wenn sie sich in das geschriebene Wort verwandeln.

Während ich darüber nachdachte, in welcher Form ich eine Rechtfertigung auf die äußerst negativen Rückmeldungen auf meine Notiz „Erleuchtende Spannungen“ verfassen könnte, fuhr ich gerade mit einem Bus nach Hause. Folgendes kritzelte ich unter Schwierigkeiten, die sich aus der Reise in einem mörderischen Rennwagen ergeben, in ein Heft:

Auf der Bühne gab es nur zwei silberfarbene Stühle. Sie wurden von zwei Herren in ihren Siebzigern belegt, die mit Mikrofonen und Wasserfläschchen in Reichweite ausgestattet waren. Ich näherte mich der Organisatorin und zeigte ihr die Bestätigung, dass ich als Redner geladen war, aber sie wies mich darauf hin, dass ich – da es „ein Panel höchsten Niveaus“ sei – hier nichts zu suchen habe. Ich hätte gehen können, schweigend und mit gesenktem Kopf, aber ich zog es vor, sie darum zu bitten, mir wenigstens „fünf Minütchen“ zu geben… die sie mir schließlich gewährte. Als ich an der Reihe war, trug ich im Wesentlichen dieselbe Idee vor, die ich bei den Superdemokraten eingereicht hatte, mit einigen zusätzlichen Abstufungen und humoristischen Einschüben, die sich aus dem oralen Aspekt einer Rede ergeben. Ich fügte ihm nur ein Element hinzu, das im Artikel aus Platzgründen nur am Rande Erwähnung finden konnte, und den ich für das definierende Element der gegenwärtigen Phase halte, in der sich die Region befindet: den hegemonialen Disput zwischen den populären Kräften und den historisch dominanten Klassen.

Heute können wir beobachten, wie die Diskussion (in vielen Fällen zum ersten Mal) bestimmter moralischer, ethischer und politischer Werte beginnt, die im Zuge der Konsolidierung der Nationalstaaten gegen Ende des 19. Jahrhunderts als unumkehrbar geweiht wurden. Diese Form der Revision und Suche nach neuen Diskursen und Erzählungen schließt soziale Akteure mit ein, die von den traditionellsten Formationen bis hin zu Bloggern oder Artisten jeglichen Typs reichen, die sich stark mit den Bewegungen und neuen linken Regierungen Lateinamerikas identifizieren. Im Fall Argentinien gehören zu dem, was wir das „nationale und populäre Feld“ (nac&pop) nennen so heterogene Identitäten wie die Putos Peronistas (die Peronistischen Schwulen), Los Caniches de Perón (Peróns Pudel), der Anarkoperonismo (Anarchoperonismus), Gruppen, die sich in nationalen Strukturen gründen wie das Movimiento Evita (Bewegung Evita), und sogar Blognetzwerke wie La peronósfera (Die Sphäre Peróns) und andere, organischere, wie das PJ Digital.

Schließlich fügte ich noch hinzu, dass es aufgrund der Heterogenität dessen, was sich hier im Aufbau befindet, unnötig ist, einen einzigen Namen für all diese politischen und kulturellen Phänomene zu finden. Die doktrinäre Schwäche der verschiedenen Sozialismen des 21. Jahrhunderts, des Partido dos Trabalhadores (Partei der Arbeiter) oder desselben Peronismus, ist in Wahrheit ihre größte Stärke und Reichtum, da es ihnen ermöglicht, in ihrer Brust Forderungen und Gruppierungen aller Couleur in sich zu vereinigen, die sich um einen Namen herum bewegen, um einen leeren Signifikanten herum, würde Laclau sagen. Die multiplen Unsichtbarmachungen, die die herrschenden Klassen geschmiedet haben, um uns in eine einzige Stimme zu verwandeln (indem störende Bürger verschwinden, die Armenviertel „nicht urbanisierte Zonen“ genannt werden oder schlicht das Militär gegen mit Menschen gefüllte Wüsten eingesetzt werden), scheinen heute in gewissem Maße an Kraft zu verlieren und bringen die mannigfaltigen Semantiken verschiedener Skalen ans Licht. Das ist die Bewegung der Bewegungen, die sich wie der Wind bewegen… die den Kontinent durchqueren oder einem peruanischen Jugendlichen und mir den Nacken streicheln, während wir im Inneren eines der für Buenos Aires typischen Kleinbusse der erlesenen Fusion von kolumbianischer Cumbia und Minimal Tech lauschen.

Übersetzung: Marcela Knapp

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Gegen den Strich http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/gegen-den-strich/ http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/gegen-den-strich/#comments Fri, 02 Jul 2010 08:00:12 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=408 Es ist 9 Uhr morgens an einem unglaublich sonnigen Tag. Ich mache mir einen Mate-Tee und fahre den Rechner hoch, um mit der Arbeit zu beginnen. Die Sonne scheint durchs Fenster und blendet mich… ich kann nicht widerstehen, ich muss rausgehen. Ich gehe raus.

Es ist der perfekte Morgen, um Fahrrad zu fahren. Manchmal hilft mir das Gehen oder Radfahren, beim Denken einen Rhythmus zu erzeugen … Ich stelle mir mögliche Stadtrundfahrten vor, mit deren Hilfe meine eigene Erzählung über die Geschichte entsteht.

Ich glaube nicht, dass es eine historische Wahrheit gibt, weil niemals nur eine einzige Wahrheit existiert, und wie wir bereits wissen, wird die offizielle Geschichte von der Macht geschrieben. Es gibt nur verschiedene  Geschichtserzählungen. Und weil die Geschichte lebendig und in permanenter Bewegung ist, ist es uns möglich, in sie einzugreifen und sie zu verändern.

Schau dir zum Beispiel diesen Platz an, der vollständig eingezäunt ist. Alle Plätze der Stadt sind eingesperrt! Es ist eigenartig, aber ich denke, dass man aus solchen Zeichen Geschichte entziffern kann, sie weben den Text der Stadt und erzählen uns eine Geschichte.

Und hier, schau, hier ist das Abgeordnetenhaus, der Nationalkongress, und kaum ein paar Meter davon entfernt die Plaza de Mayo, wo die Mütter mit ihren Kopftüchern ihre berühmte Runde drehen, das Cabildo (Hauptsitz der spanischen Kolonialadministration), wo unsere Unabhängigkeit ausgerufen und die Gleichheit aller bestätigt wurde, und dort, wenige Meter weiter das Monument zu Ehren Rocas. Trotz aller demokratischer Symbole, ehrt die Stadt auch den Völkermörder und Rassisten, der die Sklaverei 1879 wieder einführte, die durch die fortschrittliche verfassungsgebende Generalversammlung des Jahres 1813 bereits abgeschafft worden war. Auch ein Museum ist dem General Roca gewidmet, das Fotos der indigenen Bevölkerung zeigt, die er massakrierte. Das ist die Geschichte, aus denen Körper und Städte gemeißelt werden, und unsere Körper und unsere Stadt wurden durch den wiederholten Terror der Militärregierungen gemeißelt, die seit 1930 fast so zahlreich waren wie zivile Regierungen.

Wenn ich heute eine Karte der Stadt erstellen müsste, würde ich von diesen Symbolen ausgehen, jeder Boulevard ein Nationalheld, jeder Platz ein Gitter, Orte, die als geheime Haft- und Folterzentren während der letzten Militärdiktatur genutzt wurden und eine direkte Linie zu den Zwangsräumungen der Regierung Macris in Buenos Aires bilden. Grausam und systematisch räumt die Regierung – zugunsten ihrer Millionen-Deals im Immobiliengeschäft  – vorwiegend Gemeinschaftszentren, die von sozialen Organisationen und Nachbarschaftsvereinen zurückerobert worden waren und die sich der Förderung von Kultur, Erinnerung und politischer und sozialer Reflexion verschrieben haben.

Hier gab es den kollektiv genutzten Raum der Nachbarschaftsversammlung von Almagro, hier in der Nähe das Zentrum Huerta Orgázmika, dort das Kulturzentrum Trivenchi im Stadtteil Chacarita, wo mehr als elf Gruppen arbeiteten, noch etwas weiter entfernt im Viertel Villa Urquiza gab es die Casa Zitarrosa und das Kulturzentrum 25 de Mayo (25. Mai) und so viele andere…

Das ist die Geschichte, die natürliche Semantik einer Stadt, die mich in ihre Schranken weist.

Aber auf meiner Karte würde ich auch ihr anderes Gesicht zeichnen, die Orte des Widerstands, der Kollektive, der Organisationen und verschiedenen Gruppierungen und Projekte, die aus ihrer jeweiligen Perspektive heraus das hegemoniale System anzweifeln.

Etwas anzuzweifeln heißt, die Geschichte gegen den Strich zu lesen, Räume der Reflexion und andere Sichtweisen auf die Welt zu ermöglichen, die notwendig sind, um eine kritische Position herauszuarbeiten.

Ich hege Zweifel an den Schulbüchern, den verlogenen Karten, der Vergiftung der monopolisierten Information durch ökonomische Interessen, der Zersplitterung des Landes, den Berichten über die Geschichte, die uns die Herrschenden erzählen, den institutionalisierten Erzählungen, den Institutionen, an jenen Erzählungen, die die indigene Bevölkerung, die Schwachen, die Armen und jene, die anders sind, von der Karte streicht, jene also, die buchstäblich aus der Karte heraus fallen.

Mächtigstes Symbol dieser anderen Karte sind die Mütter und Großmütter der Plaza de Mayo, undiszipliniert, aufbegehrend, die für das Land ein kollektives Imaginäres zurückeroberten, das den Widerstand gegen das unterdrückende System, den Kampf und den Glauben an Einheit und Solidarität der Menschen und Bevölkerungen in den Vordergrund rückt. Für mich sind sie ein konkretes Beispiel dafür, dass Veränderung möglich ist und dass, wie Osvaldo Bayer sagt, „in der Geschichte immer die Ethik siegt.“

Übersetzung: Marcela Knapp

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