Sexualität – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Plastische Sexualität http://superdemokraticos.com/editorial/plastische-sexualitat/ http://superdemokraticos.com/editorial/plastische-sexualitat/#comments Sun, 08 Aug 2010 15:57:50 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=660 In dieser Woche hat der Körper in den Essays der meisten Superdemokraten eine urbane, städtische Dimension angenommen. Gabriel Calderón sprach von Sex in einem Land, das nicht mehr fähig ist, seine Bevölkerung zu vermehren, Karen Naundorf erzählte mit der Geschichte von Oscar Brufani, wie das Erscheinungsbild eines Körper bestimmt, wie andere ihn behandeln und sich zu ihm verhalten. Auch die Intimität, sowie dieses Schwindelgefühl, das die Intimität mit jemand anderem in uns auslöst, thematisierten René Hamann und Fernando Barrientos in ihren Texten.

Der Körper ist der einzige Ort, an dem ich souverän bin, den nur ich beherrsche, er ist der Raum, in dem ich existiere, und die Haut ist die Grenze, die mich von der Welt trennt. Agustín Calcagno spricht lieber von der Freiheit, diese Grenze übertreten zu können, und Liliana Lara von ihren Ahnen und davon, wie die physische Geographie sie in ihrer Genealogie verortet.

Der „Körper“ innerhalb der gegebenen sozialen Rahmenbedingungen lässt sich auf vielfältige Art und Weise analysieren. Nach den Poststrukturalisten und seit der feministischen Bewegung der 1960er, vielleicht der größten Kritik an unseren Gewohnheiten des körperlichen Zusammenlebens, wurde dieser intime Ort die meiste Zeit durch andere dominiert. Bis heute sind die Kontrolle und die Ordnungssyteme verantwortlich dafür, dass das „Patriarchat“ fortdauert und das Modell, auf das eigene Ich und die eigene Lust zu verzichten, weiterlebt, unterstützt von der christlichen Kirche und den staatlichen Medien.

Wie können diese antiken Ideen weiterleben und sich von Generation zu Generation vererben, während die derzeitige Gesellschaft uns doch so viele andere technische Möglichkeiten bietet? Gehen wir schon völlig in dieser „plastischen Sexualität“ auf, wie Ulrich Beck und Anthony Giddens eine von der Fortpflanzung abgetrennte, individuell formbare Sexualität bezeichnen? Inwiefern ist die sexuelle Freiheit, die wir angeblich im Westen genießen, wirklich demokratisch – oder ist sie nicht eher der trügerische Schein einer Oberflächenästhetik, ein einfacher Grund, etwas zu kaufen, denn zwischen einem „Ich“ und einem „Konsumenten“ besteht nur ein minimaler Unterschied, erotisiert wie Zahnpasta?

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Die Kunst des Nicht-Treffens http://superdemokraticos.com/themen/koerper/die-kunst-des-nicht-treffens/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/die-kunst-des-nicht-treffens/#comments Mon, 02 Aug 2010 07:57:31 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=548 “Entonces, a través de la fina malla de tus pestañas,

verás todavía  alargarse en mis pupilas ávidas un

desperezamiento de panteras…”

Rubén Martínez Villena

Eine der größten Herausforderungen in meinem Leben ist, mit der Angst leben zu lernen. Ich hatte viele Ängste, einige sind verflogen, andere verkleiden sich und schleichen versteckt herum. Aber es gibt eine sich hartnäckig haltende Angst, welche immer wach ist und mich aus dem Traum der Vernunft reißt. Die Angst, nicht zu sehen, geht über die Privatsphäre, die ich für mich beanspruchen, hinaus, das heißt auch, Angst davor, dass die anderen mich nicht sehen, dass wir uns nicht sehen können.

Wenn wir es nicht schaffen, uns wahrzunehmen, scheint es, als ob wir austauschbar wären. Dann würden wir uns in der Allgemeinheit der Begrifflichkeiten verlieren, wie beispielsweise „Frau“ oder „Mann“. Du wärst nur eine Frau, und ich wäre nur ein Mann; wir wären irgendeine Frau, irgendein Mann, wir hätten keinerlei Gesicht, und jeder würde seine Geschlechterzugehörigkeit weiterhin wie ein Schutzschild vor sich hertragen. Die Einteilung in Geschlechterzugehörigkeiten erweist sich als unzureichend, um die subtilen Ausprägungen unseres Seins einzufangen. Dein Geschlecht und mein Geschlecht sind zufällig, und ich will mehr in dir sehen und du sollst mehr in mir sehen, als diese Trivialität, die wir so schnell naturalisieren. Und dass, obwohl ich spüre, dass das Wollen alleine nicht ausreicht.

Am Anfang war es das Gegenteil. Genau deshalb hat mich auf meinen intimen Wegen durch die Berliner Straßen, Bars und Betten die meiste Zeit ein seltsames Gefühl befallen. Die Treffen waren wie Nicht-Treffen. Auf diesen Wegen wurde ich von vielen Frauen und von vielen Männern als lateinamerikanischer Mann wahrgenommen. Diese Spezies Tier wird als wilde Bestie wahrgenommen. Es war gar nicht so schlimm, dieser Gattung zugeteilt zu werden, vor allem weil es „in“ war, und es schien nicht mehr als eine vorübergehende Verrücktheit zu sein. Mancher Wahnsinn dauert länger an. Was ich auch tat, alles bestätigte lediglich mein Naturell des wilden Tiers. Die Brille, die ich normalerweise trage, um die Welt sehen zu können, wurde nicht als Lösung eines visuellen Problems verstanden, sondern als der Versuch gewertet, intellektuell wirken zu wollen. Ich gebe keinem die Schuld, auch mein Großvater war der Meinung, dass die Intellektuellen es im Leben einfacher haben würden. Deshalb bestand er darauf, dass seine Kinder eine universitäre Laufbahn einschlagen sollten. Um den familiären Ratschlägen zu folgen, begann ich Philosophie zu studieren, und natürlich ist mir bisher noch nicht aufgefallen, dass mein Leben deshalb einfacher wäre.

Die Situation fing an erdrückend für mich zu werden. Eines Tages forderte ich ein Mädchen, das gut tanzen konnte, zum Tanzen auf, und ihre Antwort kam prompt und deutlich: „Ich bin schon verheiratet!“ In mir begann das Blut der Jakobiner und der Cimarrónes, das in meinen Adern fließt, zu brodeln. Ich hatte das Werk von Camus gelesen, und seitdem war ich Le latino révolté. Aus dem Schrei heraus entwarf ich eine Strategie, mit der ich Gemeinplätze bekämpfen könne. Meine Taktik war möglicherweise nicht so gut wie die praktische Umsetzung in Afghanistan und im Irak, aber dennoch dachte ich sie funktioniert, denn schlussendlich wollte ich ja nichts erobern – ich wollte lediglich gesehen werden, über das stereotype Bild hinaus.

Die Idee war simpel: Ich musste jene Tänze vermeiden, bei denen sich die Becken berühren könnten. Von da ging das Gerücht herum, dass ich nicht tanzen könne.Ich glaube, er ist gar kein Latino“ – fügten sie hinzu – “er wurde bestimmt hier geboren. Ihm fehlt das Temperament!“ Dieses Gerede hat mich irgendwie getroffen, also habe ich beschlossen gar nicht mehr zu tanzen. Die Interpretation davon ließ nicht lange auf sich warten: „Der tanzt nicht, weil er schwul ist!“

Damit wurde ich auf dem sexuellen Markt sehr hoch gehandelt. Ich fand heraus, dass es für viele Frauen eine willkommene Herausforderung ist, einen Schwulen ins Bett zu bekommen. Als ich meine Frustration in Bier ertränkte, erzählte mir eine Freundin, dass es ihr genauso ginge. Unter Blinden sind die Nicht-Zusammentreffen häufiger als die Zusammentreffen. In dieser Nacht haben wir sie alle, Frauen und Männer, zum Teufel geschickt. Wenn sie uns nicht sehen, können sie uns mal! Sie verpassen was. Es gibt Ängste, die nicht gesund sind, die Angst vor dem Anderen ist eine davon. Die Furcht vor der Blindheit dagegen hilft mir, die Fähigkeit nicht zu verlieren, immer wieder zu staunen, mich zu sehen, dich zu sehen, auf der Suche danach, was ich kann, was du kannst und was ich will, was du willst: Sein. So geh ich, mit Goya an meiner Seite, durch dieses, unser Leben und versuche, die Monster, die aus der Vernunft entstehen, zu ignorieren. Es ist mir nicht immer vergönnt, aber ich versuche es.

Joaquín Sabina, Pie de Guerra.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Sagmirwasdufühlstismus http://superdemokraticos.com/themen/koerper/sagmirwasdufuhlstismus/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/sagmirwasdufuhlstismus/#comments Mon, 26 Jul 2010 18:44:50 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=528 „Da wir glauben, Fragen der Sexualität seien Privatangelegenheiten, hören wir auf, sie in ihrer sozialen und politischen Dimension wahrzunehmen.“ G. Louro

Im Fernsehen verschlingt ein Junge, der Bastian heißt, ein Buch. Sein Gesicht trägt den verstörten Ausdruck eines Abenteurers, der sich in der Wüste verlaufen hat und dem nur noch wenige Seiten in der Feldflasche verblieben sind, der junge Held bedeckt seinen Rücken mit einer Decke, weil die Welt der Fantasie durch das Dach verschwindet, durch das Nichts verwüstet wird und… Werbepause.

Ich erkenne meinen Körper, putze mir freiwillig die Zähne, schlafe alleine, ohne Angst zu haben, ahme die Sänger im Radio nach, wenn niemand da ist, ich durchlebe eine Phase zwanghaften Lügens und Stehlens, entwickle meine persönliche Vorstellung von Gut und Böse. Entscheidende Augenblicke für die Herausbildung der ersten Intimität: der eigenen. Jede Person müsste über solch eine Umgebung verfügen und sie nach Belieben schmücken dürfen, um anschließend Besuch empfangen und sich noch später ein erfülltes, gesundes und geteiltes Heim einrichten zu können. Nachdem der Mensch den infantilen Solipsismus überwunden hat, erreicht er – paradoxerweise – während der Pubertät den Lebensabschnitt „Nur du existierst“.

Meine liebsten Tischgespräche mit jemandem, den ich soeben erst kennen gelernt habe, handeln von der Intimität. „Erzähl mir ein Geheimnis, etwas, von dem ich nicht weiß, und reißen wir ohne lange Vorreden dieses von der Gesellschaft gesäte Kraftfeld ein. Etwas, das du noch nie jemandem erzählt hast, sprich über dein erstes oder dein letztes Mal, von deinen immer wiederkehrenden Träumen. Beichte mir, ob du dich einsam oder elend fühlst, ich werde nicht flüchten. Verkünde, dass du ein glücklicher Mann bist und keine Hemden trägst, das muss gesagt werden.“

Der „Sagwasdufühlstismus“, eine polemische Bewegung, die mir Freude und Gemeinschaft einbrachte, wie auch Unverständnis und ungemütliche (lustige) Situationen, die so weit gingen, dass ich mich eines bestimmten Tages betreten beklagte: „Wenn mir jedes Mal ein Dollar gegeben würde, weil ich alles sage, was ich fühle, würde ich mich in diesem Moment vielleicht besser fühlen.“ Guacira Louro sagt hierzu: „Die Fragen, die Fantasien, die Zweifel und das Experimentieren mit der Lust werden ins Geheime und Private verwiesen. Wir erlernen die Scham und die Schuld, experimentieren mit Zensur und Kontrolle durch die multiplen disziplinierenden Strategien.“

Über Jahrhunderte hinweg mussten Frauen „Anstand wahren“, und bis heute schüchtert es das puritanische Subjekt ein, wenn eine Dame offen über ihr Sexualleben spricht. Das erinnert mich an das wunderschöne Lied von Chabuca Granda „Cardo o ceniza“ (Distel oder Asche), in dem die Dichterin die außergewöhnliche Episode einer passionierten Hingabe schildert und in der letzten Strophe, beschämt von der vollständigen Hemmungslosigkeit der vorangegangenen Nacht, neben ihrem Geliebten aufwacht.

Wenn ich dichte und jemandem, der mir nahe steht, die Gedichte zeige, und später, wenn ich sie veröffentliche, wenn ich sie lese, finde ich die eindringliche Intimität in der Poesie. Indem wir mit der Logik und Sensibilität des Künstlers fließen, folgen wir dem Labyrinth, das er in einem magischen und einsamen Moment zeichnete.

Die Mittäterschaft, in der man sich desselben Deliktes unschuldig weiß, bringt einsame Kenner eines schlechten Witzes, einzige Gäste eines verwunschenen Hotels hervor. Es weiche das magnetische Feld, öffnen wir die Türe. Geheimnisse ohne Beichtstuhl.

Der Intimismus wird zu einem Ismus des Gleichen: einen Teller Essen, den Dessertlöffel, die Keime, das Bett miteinander teilen, den Arm ausreißen, der den Arm, der verschwindet, lähmt.

Schon immer wollte ich mein Bankgeheimnis lüften, damit ihr und ich intim sein können, ohne Angst davor zu haben, auf das glamouröse Tuch des Geheimnisses zu verzichten, das mich wie ein aus Gefühlen bestehender Schleier der Frauen Limas schmückt, da das Geheimnis über vielfältige Instanzen und ein eigenes Ministerium im Inneren verfügt. Viele Aspekte müssen übereinstimmen, bevor darüber entschieden wird, dass es sich in eine Party für zwei verwandelt. Nicht jede macht einen Ausflug zu sich selber, und noch seltener wird man regelmäßig zu einem Reisenden, wenn ich mir schließlich die Tätowierung von der Stirn entferne, die besagt: „Liebe den wilden Schwan“ („Ama al cisne salvaje“, Gedicht von Luis Rogelio Nogueras, Anm.d.Übers.), und ich verstehe das durchsichtige Kostüm als ausgepacktes Geschenk, das vor den Augen des riesigen Kindes erstrahlt.

Übersetzung: Marcela Knapp

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Morgen heirate ich http://superdemokraticos.com/laender/argentinien/morgen-heirate-ich/ http://superdemokraticos.com/laender/argentinien/morgen-heirate-ich/#comments Fri, 16 Jul 2010 10:48:49 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=465

Ja, Hochzeit!

Seit Wochen wird in unserem Land mit Pro- und Contra-Argumenten über die gleichgeschlechtliche Ehe diskutiert. In diesen letzten Tagen war im Namen Gottes, der Liebe und der Familie so viel Unsinn zu hören, dass ich dem Ganzen nicht mehr traue.

Heute findet eine Demonstration von den Gegnern der schwul-lesbischen Ehe statt. Auch wir, die wir an die Freiheit für alle glauben, protestieren lautstark an verschiedenen Orten der Stadt.

Mir stehen die Haare zu Berge, wenn ich nur daran denke, dass wir das Thema bei dem heutigen Stand der Dinge so diskutieren und auf derart ungebremsten Gewaltniveau austragen. Es überrascht mich und doch wieder nicht, natürlich… in einem Land, in dem noch immer Menschen verschwinden (erinnert ihr euch an Julio López?) und ich erwähne das, um nicht nacherzählen zu müssen, was sich in unserem Land alles mit dem Segen der Heiligen Katholischen Kirche ereignete… und von dem jeder weiß… und all das wurde normal. Was ist das Normale? Ist es normal, dass all das normal ist?

Ich kann es in meiner eigenen Familie beobachten… mein älterer Bruder spricht seit neun Jahren nicht mehr mit mir, weil ich mit einer Frau zusammen bin, mein Vater sagte mir: „Tu was du willst, aber für mich ist ‚das‘ eine Krankheit.“ Ausgerechnet heute, wo die Katholiken gegen die Freiheit demonstrieren, löschte mich mein anderer Bruder vom MSN.

Wovor haben sie solche Angst? Wieso klingen ihre verbissenen Argumente und ihre vehemente Ablehnung in meinen Ohren nach versteckter Perversion? Wieso denken sie, wenn sie an ein homosexuelles Paar denken, nur an Sex und nicht an Liebe? Wieso hegen sie, wenn doch Gott Liebe ist, wie sie behaupten, solchen Hass und Ablehnung gegenüber ihren Nächsten, die sie lieben sollten wie sich selber?

Vor Kurzem trennte ich mich von der schönsten und besten Frau der Welt. Wir waren fast neun Jahre lang ein Paar. Morgen heirate ich nicht, das war ein Witz. Aber wenn wir irgendwann wieder zusammen kommen sollten, sie und ich, werde ich sie sicherlich fragen, ob sie mich nicht heiraten möchte.

Heute machen wir die Geschichte!

Übersetzung: Marcela Knapp

Anmerkung: Das Gesetz zur gleichgeschlechtlichen Ehe wurde am 14. Juli 2010 vom argentinischen Senat nach einer vierzehnstündigen Sitzung verabschiedet. Damit ist Argentinien das erste Land in Lateinamerika, das die gleichgeschlechtliche Ehe unterstützt.

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