sexo – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Rosa steht dir nicht http://superdemokraticos.com/themen/koerper/rosa-steht-dir-nicht/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/rosa-steht-dir-nicht/#comments Thu, 12 Aug 2010 07:06:41 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=667 Die Ansprüche, die Frauen an sich stellen, übersteigen oft bei weitem die, die Männer an sich stellen. Wäre ich hier und jetzt ein Mann, würde ich daher auf keinen Fall eine Frau sein wollen. Aber für eine Frau, die diese hohen Ansprüche hochhält und gleichzeitig unter ihnen leidet, erscheint es zugleich unmöglich, ein Mann sein zu wollen.

Doch beneide ich die Männer zutiefst um ihren Großmut gegenüber sich selbst und auch einem anderen Mann gegenüber. Ich beneide sie vor allem um die Männerfreundschaft. Zwei Männer, die womöglich am Leben gescheitert sind, die vielleicht auch noch unter Perversionen leiden und die zudem noch unrasiert und übergewichtig sind, können einfach zusammen angeln gehen, ohne den anderen abzuschätzen und zu belehren. Im Gegenteil, sie bringen füreinander eine solche Toleranz auf, dass sie es nicht mal für nötig halten, sich zu rasieren und mit einem weiten Pullover die überflüssigen Pfunde zu kaschieren. Und wenn einer dann auch noch seinen Job verloren hat, greift der andere ihm verstehend unter die Arme. Männer haben Verständnis füreinander. Sie brauchen sich nicht füreinander anzustrengen, und wenn sie sich mal anstrengen müssen, dann ist es immer für die Frauen.

Klar, gibt es so etwas hin und wieder auch unter Frauen, aber ist das nicht die Regel. Die Mehrheit der Frauen konkurriert viel stärker untereinander. Nur eines von unzähligen Beispielen aus meinem Auslandsstudium an der Lomonossow-Universität in Moskau: Ich wohnte mit einer netten Schweizerin in einem Zimmer, die ich in den Wochen davor kennengelernt hatte. Zuvor war sie mit einer anderen Kommilitonin sehr eng befreundet. Ich fragte sie, warum sie nicht mit ihr in einem Zimmer sein wollte. Sie antwortete, sie könne deren unrasierten Beine nicht ertragen. Nach einem Monat zusammen mit ihr im Zimmer fand ich eine Freundin, eine Jurastudentin aus Kasachstan, mit der ich immer mehr Zeit verbrachte. Wir redeten schon darüber, vielleicht ein Zimmer zusammen zu nehmen, weil auch sie die stressigen Blicke ihrer Mitbewohnerin leid war. Über meine Erfahrungen in einer Frauen-WG in Rom könnte ich nicht viel anderes erzählen.

Auch wenn man über die Männer einiges sagen könnte, aber Selbsttoleranz ist scheinbar ungynäkologisch und womöglich abhängig von der Menge an Testosteron im Körper.

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Die Stadt als Körper und Witz http://superdemokraticos.com/themen/koerper/die-stadt-als-korper-und-witz/ Tue, 03 Aug 2010 14:31:05 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=565

Ich wie ein Kind in der Stadt.

• Ich fahre im Taxi die Straße entlang und beobachte die Körper der Menschen, wie sie durch die Stadt laufen. Ich beobachte, ob ihre Körper sich an Montevideo anpassen oder ob es Montevideo ist, das sich an ihre Körper anpasst. Ich fahre eingeklemmt auf der Rückbank des Taxis, denn ich bin groß, 1,90 Meter, und in die Taxis von Montevideo wurde vor einigen Jahren aus Sicherheitsgründen eine Schutzscheibe eingebaut, die den Fahrer von den Fahrgästen trennt. Für Langwüchsige wie mich ist es sehr schwierig, Taxi zu fahren; wir müssen immer schräg sitzen, da in der normalen Position unsere Knie an die Scheibe stoßen. Wenn das Taxi ruckartig bremst, stoßen wir uns die Stirn an der Scheibe. Fährt das Taxi irgendwo gegen, ist es sehr wahrscheinlich, dass wir uns einen Zahn ausschlagen oder irgendein Knochen im Gesicht brechen. Die Taxis in Montevideo sind nicht gemacht für die montevideischen Körper.

• Aus dem Taxi gucke ich mir die Fortbewegungsgewohnheiten der montevideischen Körper im Verhältnis zur Stadt an. Ich achte darauf, wie wir uns durch die Adern dieser Hauptstadt bewegen, wie sich die Bürger auf den Hauptarterien kreuzen, wie sie sich auf ihren offenen Plätzen tummeln, wie sie gegen ihre Knochen stoßen, in ihren Gelenken umbiegen, sich in ihren Löchern verstecken. Wenn die Stadt ein Körper wäre, welcher Teil von ihr wäre dann ihr Geschlecht?

• Zuerst dachte ich, es wären die Krankenhäuser. Dort werden die Kinder geboren, dort vermischen sich die krankhaften Körperflüssigkeiten der Leute, da sterben sie, da werden sie geboren, da beginnt und endet die große Masse der Bürger. Aber dann stelle ich fest, dass das Geschlecht mehr als das ist, dass ich danach suchen muss, welcher Part der Stadt sich reproduziert, sich amüsiert, sich selbst genießt. Wenn ich scheinheilig sein wollen würde, würde ich behaupten, dass sich das Geschlecht in jedem Bett unserer Haushalte befindet…..Lüge!

• Aus der Perspektive der Fortpflanzung betrachtet leidet Uruguay an einer Krankheit im Endstadium. Seine Bevölkerung wächst nicht und ist sowieso schon sehr klein, die wenigen jungen Menschen wandern früh aus. Wir sind knappe dreieinhalb Millionen Personen, und es scheint, als hätten wir nicht genug Lust zu wachsen. In solch einem Land sind die Betten kein Fest. Nein, die Betten in diesem Land sind mehr als für irgendetwas anders zum Schlafen da.

• Nichtsdestotrotz vögeln wir und pflanzen uns fort und amüsieren uns, aber wir sind nicht viele, wir sind sogar ziemlich wenige, aber wir halten unsere Adepten beieinander und missionieren neue Bürger. Ich schließe mich hier mit ein, da ich mich immer am Geschlecht der Stadt aufhalten werde. Ich ziehe das ihren arbeitsamen Armen, ihrem erfinderischen Kopf oder ihren geschickten Füßen tausendfach vor. Ich suche immer das Geschlecht von meiner Stadt, diesen Zugang zum Verborgenen, zum Genuss, zum Exzess, zum Obszönen, zur schönen, wundersamen Perle inmitten des Blutigen und Schmutzigen. Man muss in den Fluss hineinsteigen, um die Goldkörner zu finden.

• Meine Stadt ist ein alter Körper und wir sind alt in dieser Stadt. Wir sind ein junges Land  –  wir sind noch keinen 200 Jahre alt, auch wenn wir diese schon feiern, obgleich es offiziell noch so 20 Jahre bis dann hin sind – aber wir sind sehr alt. So habe ich mich am Anfang dieses ganzen Schreibspiels vor ungefähr fünf Essays vorgestellt. „Ich bin ein alter Mann im Körper eines jungen Mannes“ und das selbe gilt auch für die Stadt. Ihr natürliche Verfassung ist die Langsamkeit, die Traurigkeit und die Nostalgie. Zumindest empfinden…empfanden wir so.

• Etwas passiert gerade: Eine Art Benjamin Button auf Landesebene –  ha, ich weiß, dass der Vergleich fürchterlich ist, aber ich erinnere mich nicht an das andere, kultigere Buch, welches von der selben Geschichte handelt. Die Stadt und ihre Menschen, mit der Zeit hat sie angefangen, wieder jünger zu werden. Wir sind weit davon entfernt, Kinder oder Jugendliche zu sein, und schon gar nicht junge Leute in den 30ern. Aber eine Brise des Erwachsenenseins weht über den Boden unseres Vaterlands. So als wären wir plötzlich nicht mehr 70 Jahre alt sondern 50. Auf diese Weise wollen wir noch ein bisschen mehr vögeln, haben wir die Hoffnung und Lebenserwartung, dass uns noch ein wenig Zeit bleibt. Wir animieren uns sogar zu ein paar Fußballspielchen und dazu, sie zu gewinnen, wenn uns ein Wunder dabei hilft!

• Etwas verändert sich gerade. Uruguay hat das hohe Alter hinter sich gelassen und ist ins Stadium der Reife eingetreten, und mit ein bisschen Glück erfüllt sich jener Witz von Quino (bekannter argentinischer Comiczeichner; Anm.d.Ü.). Vielleicht ist Uruguay dieser Witz von Quino. HA! Hoffentlich.

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Das Leben laut Quino

…Ich denke, dass die Art und Weise, wie der Fluss des Lebens verläuft, falsch ist. Es müsste anders herum sein: Man müsste zuerst sterben, um das ein für alle Mal erledigt zu haben.

Dann eine Zeitlang im Altersheim wohnen, bis sie dich da rausschmeißen, wenn du nicht mehr alt genug bist, um dort zu weilen.

Dann beginnst du zu arbeiten, 40 Jahre lang, bis du jung genug bist, um deinen Ruhestand zu genießen.

Danach Partys, um die Häuser ziehen, Alkohol. Spaß, Geliebte, Freunde, Freundinnen, alles, bis du bereit bist, auf die Sekundärschule zu gehen…

Danach beginnst du die Grundschule und bist ein Kind ohne Verantwortlichkeiten irgendeiner Art…

Danach wirst du zu einem Baby und gehst erneut zurück in den mütterlichen Bauch und dort verbringt du die besten und letzten 9 Monate deines Lebens, schwebend in einer warmen Flüssigkeit, bis dein Leben sich mit einem heftigen Orgasmus ausschaltet.

DAS IST DAS WAHRE LEBEN!!!

Übersetzung: Anne Becker

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Ich denke, also bin ich http://superdemokraticos.com/themen/koerper/ich-denke-also-bin-ich/ Wed, 28 Jul 2010 07:17:50 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=529 El Mejunje, Santa Clara

El Mejunje, Santa Clara. Foto: slosada via Flickr

Was würdest du gerne sein, ein Mann oder eine Frau? So lautet die Frage, die wir Superdemokraten uns diesen Monat stellen. Sie scheint einfach zu sein, aber das ist sie natürlich nicht. Nichts, was mit dem Thema Gender zu tun hat, ist einfach zu beantworten. Die Argumentationsweisen, die dieses Thema zu einer simplen Angelegenheit machen wollen, sind genau jene, die die Willkür verstärken. Sie fördern zum einen Diskriminierung und schreiben zum anderen standardisierte Rollenbilder fest – die auf kulturellen Vorurteilen und einem biologistischen Essentialismus basieren.

Die Frage impliziert ihrerseits eine Reihe von Metafragen, die übereinstimmend beantwortet werden wollen. Zum Beispiel ist da dieses ihr zugrunde liegende anfängliche „du“: Es weist darauf hin, dass eine vorgeschriebenen Identität angenommen wird, was wiederum Lust macht, sich vor einen Spiegel zu stellen und zu fragen: „Du? Wer bist du?“  Das zweite Wort, welches mich aufhören lässt, ist das Wort „sein“. Mein Unwohlsein hat damit zu tun, dass ich eher vorschlagen würde, statt von einem lebenslangen Verweilen von einem ständigen Umherziehen auszugehen. Und muss ich es heute entscheiden? Oder könnte ich die Frage für heute entscheiden? Für diese Minute, in der ich schreibe, diese Minute, in der ich vor dem Bildschirm sitze. Ich halte mich lieber an die zweite Option. Wer weiß schon, wozu ich Lust habe, wenn ich vom Schreibtisch aufstehe? (Ich nähere mein Bild noch mal dem Spiegel.) Du etwa?

Kuba im Widerstreit: Die Insel ohne Geschlecht

Auf Kuba, wie in anderen Ländern Lateinamerikas, ist für viele dieses Gerede über Gender-Fragen eine abstrakte Theoretisierung der Unterschiede zwischen den Geschlechtern, wobei dies vor dem Hintergrund geschieht, dass, logisch, Gender nichts anderes ist als biologisches Geschlecht und dass wir deswegen von nichts anderem reden als dem wohlbekannten Gegensatzpaar Mann/Frau. Jenseits davon gibt es nichts außer Perversion, Krankheit und gewisse Opfer von (ungewissen) schlechten Einflüssen. In diesem Diskurs wird die Frau weiterhin diskriminiert und ein starres Bild von Männlichkeit gefestigt, das erst in jüngster Zeit von den Studien zur Maskulinität auseinander genommen wird. Ich bin eine Frau, bisexuell – was schlimmer ist, als lesbisch zu sein, für die orthodoxen Verfechter der Heteronormativität – und ich muss akzeptieren, dass es nicht um Opfer und Täter geht.  Zumindest nicht allgemein gesprochen. Und die Frage in diesen Begrifflichkeiten zu formulieren, hilft uns nicht viel weiter. Die Männer, diese „Privilegierten“, leiden ganz schön unter der Enge ihrer Rolle. Also nein, ich möchte kein Mann sein, nicht heute vor diesem Blatt Papier und nicht morgen, glaube ich. Zum Glück muss ich es heute nicht entscheiden, da ich mein Geschlecht ändern kann, wann ich will. Diese Möglichkeit habe ich auf Kuba erst seit 2008. Zuvor, so muss ich sagen, war das strikt verboten.

Nach Jahren der leisen Forderungen werden heute Geschlechtsumwandlungen erlaubt. Doch dies führt nicht zu einer Anerkennung der Vielheit der Geschlechter. Ich will damit sagen, dass ich auf Kuba nur zwei Möglichkeiten habe: Frau oder Mann sein. Es heißt, dass seien die beiden „natürlichen“ Daseinsformen des Menschen. Das soziale Geschlecht ist eine kulturelle Konstruktion, aber das biologische Geschlecht? Ist es das etwa nicht? Judith Butler hat zu zeigen versucht, dass es so ist, dass auch das biologische Geschlecht eine Konstruktion ist, das sich mittels verschiedener Haltungen in der Gesellschaft ausdrückt. Heute sind die Möglichkeiten, sich mit einem hybriden Geschlecht zu identifizieren oder einer chirurgischen Geschlechtsumwandlung zu unterziehen, noch vielfältiger. Auf diese Weise kann der berühmte Satz „Ich denke, also bin ich“ im 21. Jahrhundert anders gelesen werden. Ich bin kein (in Bezug auf das biologische und soziale Geschlecht, auf die lateinamerikanische, kubanische oder welche  Identität auch immer) natürliches Wesen: Ich denke – ich stehe vom OP-Tisch auf und esse einen Sandwich,  also – gehe ich aus der Klinik, um mich mit meinen Freunden zu treffen – bin ich.

Mein Land erlaubt nur zwei biologische und zwei soziale Geschlechter, aber in meinem Kopf, auf diesem Papier, sind meine Optionen mehr als drei. Heute würde ich gerne sein…mal sehen…lass mich nachdenken….

Judith Butler für Anfänger

Miss Transvesti 2010, Santa Clara, Kuba

Ein Stück von Gente de Zona – eine Reguetón-Band, die auf Kuba sehr in Mode ist – über sexuelle Neigungen (ich empfehle die Kommentare zum Video).

Enhanced by Zemanta

Übersetzung: Anne Becker

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Wir haben uns schon in Cyborgs verwandelt http://superdemokraticos.com/editorial/wir-haben-uns-schon-in-cyborgs-verwandelt/ Sun, 25 Jul 2010 13:27:06 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=531 Als wir über die Themen nachgedacht haben, die wir unseren Autoren für dieses Blog vorschlagen wollten, um sie besser kennenzulernen, war es uns wichtig, uns auch auf den Körper aus Fleisch und Knochen zu beziehen. Denn er stellt die erste Instanz des Bürgerseins dar: in ihm sieht das Subjekt seine Freiheit begrenzt oder nicht, und in ihm wird der freie Wille auf die Probe gestellt. Über Erziehung und Gesetzgebung normieren und regulieren die Staaten unser physiologisches Verhalten. Dieses Verhalten ist der plastischste Ausdruck der Werte einer Zivilisation, der Werte, die die Standards definieren, was denn Liebe, Reproduktion, Religion, Leben sein sollte.

Wir teilen die christliche Vorstellung, dass der Körper ein Gelände ist, ein vom Geist bewohnter Raum, also ein Territorium, in welchem der Staat Tag für Tag Entscheidungen über sexuelle Rechte fällt, darüber, ob und wo wir trinken und rauchen oder essen dürfen, darüber, welche Hautfarbe die Ausübung unserer Rolle in einer festgelegten Gesellschaft bestimmt: Wie leben sich Differenzen?

Welche Rolle spielen die neuen Medien und Technologien für die sexuelle Identität der Menschen? Oder warum beschränken die meisten Parteien in Zeiten der Krise ihr politisches Handeln auf die Gesundheit des Steuerzahlers? Wenn sich diese Veränderungen in Gesetzen ausdrücken, wie beeinflussen sie das tägliche Zusammenleben? Ist der Tod ein verfassungsmäßig festgelegtes Recht? Wie kann die Dichotomie zwischen Frau und Mann gleichzeitig mit der technischen Möglichkeit der Transsexualität existieren? Und inwiefern ist die Transvestismus eine generationelle ästhetische Option?

Diejenigen unter uns, die netzaffin sind, können ihre Identität im Internet konstruieren oder dort ihre Neugier befriedigen. Sie können in den Foren das suchen, was ihnen Genuss und Vergnügen bereitet, ein grundlegendes Element im Diskurs über die Intimität. Möglicherweise ist es für uns viel wichtiger, ein Cyborg als ein Mann oder eine Frau zu sein, und viele haben noch Respekt für die selbstmörderischen Raucher. Die Nackten in dieser Sektion unseres Fotoalbums beobachten, in welchem Ausmaß unsere Gesellschaften uns erlauben, die Subjekte zu sein, die wir gerne und aus freier Wahl heraus sein wollen.

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Kampf der Geschlechter http://superdemokraticos.com/themen/koerper/kampf-der-geschlechter/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/kampf-der-geschlechter/#comments Sun, 25 Jul 2010 07:00:49 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=519

Aus einer Rotkäppchen-Modestrecke. Foto: Javier Badani

Was würdest du lieber sein Mann oder Frau? „Was für eine Frage”, raunten mir meine Testosterone ins Ohr und fragten mich: „Sag mal, kannst du dir vorstellen dir jeden Abend die Zehennägel zu lackieren oder dir jedes Mal die Beine zu epilieren, wenn sich ein Date abzeichnet? Keine andere Chance zu haben, als vor der Damentoilette Schlange zu stehen? Immer dem Blick der Tante ausweichen zu müssen, der dich fragt, warum du mit 35 immer noch Single bist? Jeden Monat Binden mit Flügelchen tragen zu müssen oder zu wissen, dass die Größe deiner Brüste der ausschlaggebende Faktor bei einem Bewerbungsgespräch ist? Kein Frage, Bruder, es ist das Beste ein Männchen zu sein.“

Eine gute Darlegung, antwortete ich.

Aber urplötzlich begannen ein paar Östrogene anzugreifen. Sie kramten aus meiner Erinnerung das Foto von jenem Tag hervor, an dem meine Großmutter meinen Vater als Frau verkleidet hatte. Er war sechs und posierte mit einer schwarzen Perücke und einem eleganten weißen Unterrock vor ihrer Kamera. War es wirklich er, der auf diesem Foto lächelte? Ich glaube schon. Und daraufhin argumentierten die Östrogene: „Stell dir vor, du musst weder obligatorisch Fußball mögen, um zu deinen Freunden zu passen, noch musst du andere schlagen, um dir Respekt zu verschaffen. Du musst dir nicht ständig Sorgen über die Größe deines Gliedes machen oder darüber ob deine Partnerin einen Orgasmus hatte oder nicht. Du musst nicht ständig dem Blick deines Onkels ausweichen, der dich fragt, warum du mit 21 immer noch Jungfrau bist. Du kannst sicher sein, dass du dir die Haare färben und einen Ohrring stechen lassen kannst, ohne Angst haben zu müssen, dass du dadurch als homosexuell abgestempelt wirst. Na also, siehst du nicht, dass es nichts Besseres auf der Welt gibt, als eine Frau zu sein?

Gute Argumentation, geb ich ihnen zu verstehen.

Auf einmal verstrickten sich Testoterone und Östrogene in eine unerbittliche Diskussion. Das Schlachtfeld war mein noch in Entwicklung steckender Körper, diese kleine Masse Flüssigkeiten geschützt im Schoß meiner zukünftigen Mutter; ein neues Wesen, das sich dem Leben stellen muss – in der Haut eines Mannes oder der einer Frau. „Was von den beiden denn nun?“, fragte ich mich. „Ist es denn nicht schon genug, sich als Mensch zu deklarieren?“ Natürlich nicht! Männer und Frauen stecken tief im Kampf um die Herrschaft übereinander. Auf der einen Seite stehen die Männer mit dem jahrhundertelangen Vorteil und unter dem Schild des retrograden Machismus, der seit Beginn der Zeitrechnung gefördert und von den Religionen wie ein Sakrament propagiert wurde, wie zum Beispiel im jüdisch-christlichen Glauben, in dem die Frau immer schon ein minderwertiges Wesen war und sein wird. Auf der andern Seite stehen die Frauen, die versuchen mit ihren Talenten Räume zu erobern, die aber auch nicht davor zurückschrecken, sich an die schärfsten Grundsätze des Machotums zu halten, wenn es ihnen nutzt.

Testosteron und Östrogene können mit ihrem Kleinkrieg gerne weitermachen. Ich zumindest komme zu dem Ergebnis, dass es eine verbissene Diskussion ist, auf die nie eine befriedigende Antwort gefunden werden wird. Denn genauso wie es Männer gibt, die Schufte sind, gibt es auch bösartige Frauen; und genauso wie es fähige Männer gibt, gibt es auch fähige Frauen.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Die wunderbare, kurze Hepatitis von Litoscar Vzz http://superdemokraticos.com/themen/koerper/die-wunderbare-kurze-hepatitis-von-litoscar-vzz/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/die-wunderbare-kurze-hepatitis-von-litoscar-vzz/#comments Fri, 23 Jul 2010 06:40:23 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=514 Die wahre Bedeutung der Intimität entdeckte ich eines Nachts, auf meinem Bett liegend, während ich an das Mädchen dachte, in das ich verliebt war, eine kleine Schickse aus Monterrey, die einen weinroten Fiat fuhr. Jahr: 2004. Musik: A ghost is born. Wilco waren zum Soundtrack meiner Momente der Einsamkeit geworden. Diagnose: Hepatitis B. Ich musste das Bett hüten: Wie eine Schwangere, der eine Fehlgeburt droht. Ich versuchte Glamourama von Bret Easton Ellis zu lesen, aber es gelang mir nicht, mich zu konzentrieren. Ich konnte mich nicht erinnern, wo ich mir diese verdammte Krankheit eingefangen hatte. Fährten? Drei.

Die erste: Jene caguama (1-Liter-Bierflasche in Mexiko), die wir auf der Brache von einem zum nächsten durchreichten. Jemand fragte nach einem Glas. Die Crew, markig, verspottete ihn als frisch gepelltes Weichei. Und wenn wir uns mit irgendeinem Scheiß gegenseitig anstecken?, insistierte er. Der dickste Typ von allen stieß hervor: Wer eine Abwehr hat, packt’s, wer nicht, ist jetzt schon am Arsch. Ich war sehr kränklich unterwegs. In Sachen Gesundheit war ich schon immer schwach auf der Brust, so wie „Laurence Harvey wurde schwach auf der Brust / in Servidumbre Humana / […] im Anblick von Kim Novaks Schönheit“ (Saúl Rosales dixit). Ich misstraue der caguama, weil einer der Drugos – so lautet unser Spitzname – blasser aussah als das Cover der Gelben Seiten.

Die zweite: Die Tacos mit suadero-Fleisch in La Joya. Eine Zeit lang ging die Paranoia um, dass jede Zwiebel in meiner Stadt mit Hepatitis verseucht war. Die Nachricht von San Agustín: Das Feuer purifiziert alles: stellte sich als falsch heraus. In meiner Freizeit, wenn ich gerade nicht, recht erfolglos, versuchte, an der Tastatur meines Computers zu glänzen, litt ich an Tacosucht. Ich lüge nicht, wenn ich sage, dass ich alle Taquerías meiner Stadt kenne. In manchen kann ich sogar anschreiben. Ich verdächtige die Tacos, weil die Portion, die ich mit extra viel Zwiebeln und Chili-Soße verschlang, den Beginn meines Debakels markierte.

Und drittens (und letztens): Die sexuelle Anziehung, die die kleine D verströmte. Ich lernte sie über das Internet kennen. Bis zu D hatte ich nie an diesen Schwindel der einsamen Menschen geglaubt. Ich zog zwei Wochen zu ihr. So sah unsere Routine aus: Sie stand um 9 Uhr morgens auf und zog ab zur Arbeit. Ich wachte gegen 5 Uhr nachmittags auf, wenn sie von der Arbeit zurückkam. Wir wälzten uns auf dem Teppich und fingen um 7 Uhr mit dem Biertrinken an. Sie leerte nur ein miserables Gläschen; was sie am meisten mochte, war Gras. Sie bewahrte eine Tüte mit zwei Kilo Gras in ihrem Kühlschrank auf. Ich stand da nie drauf, weshalb ich mich einfach neben sie setzte und ihr dabei zuguckte, wie sie ihren Joint baute. Wir wälzten uns noch einmal, und dann ging sie schlafen, da sie am nächsten Morgen zur Arbeit musste. Ich blieb die ganze Nacht lang wach, bis ich die 12 Liter Bier ausgetrunken hatte. D muss mich ein bisschen für einen Alkoholiker gehalten haben, aber nein. Ich habe Bier nie als Alkohol eingestuft. Jeden Tag versorgte mich D mit Bier. Kein einziges Mal hat sie mir etwas zu essen mitgebracht. Auch wenn ich Bier für ein Lebensmittel halte, ist doch manchmal eine Kartoffel nicht schlecht.

Während wir yorch zulegten, erzählte mir D von den Orgien, an denen sie teilgenommen hatte. Sie würden sich vor Lachen in die Hose machen, wenn Sie sie sehen würden. Sie war das unerheblichste kleine Ding der Welt, ohne Brüste und ohne Hintern und ein bisschen hässlich. Aber im Bett, kein mami blue, sie bewegte sich wie eine Cyborg-Sirene. Ich flüchtete aus Ds Wohnung, weil ich sehr viel Gewicht verlor. Ich habe immer ein Kondom benutzt, aber ich verdächtige D wegen ihrer promisken Rauscheskapaden, die sie mitbrachte. Und weil ich in jenem Lebensabschnitt am meisten kränkelte.

Da stand ich nun, ein Teil der Crew, am Boden, dabei, abzuleiten, wer verdammt mich so nieder gestreckt hatte. Du kannst die caguama mit deinen Blutsbrothers teilen, du kannst dem infektiösesten Tacoverkäufer der Stadt vertrauen, und du kannst nach dem Sex die pitoreskesten Geständnisse deiner Liebhaberinnen hören „Als ich klein war, hat mich mein Stiefvater betatscht, aber ich mochte das“, aber nicht die Leibspeise, nicht das Essen, nicht die fleischliche Lust verkörpern die Intimität wirklich. Es ist egal, wie viele Male du siehst, wie diese Frau sich vor dir auszieht, wie viele Male du mit ihr ins Bett gehst: Sie gibt dir gar nichts von sich. Die einzige, wahrhaftige Intimität liegt in der Beschädigung, die unabsichtlich zugefügt wird. Von Herzen gerne hätte ich in jener Nacht den Verantwortlichen meiner Bettlägrigkeit geküsst.

Fühlst du dich zwischen so vielen Nachrichten verloren? Entfache deine Hotness mit Hotmail

Übersetzung: Anne Becker

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Privatsphäre konfigurieren http://superdemokraticos.com/themen/koerper/privatsphare-konfigurieren/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/privatsphare-konfigurieren/#comments Wed, 21 Jul 2010 07:00:34 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=491

Gif: Carolina Niño, http://photobucket.com/

1983. Zungenküsse mit Silvana del Carmen auf den Schaukeln vor ihrem Haus. Sie ist sieben Jahre alt.

1984. Ich bin nur knapp einer Entführung entkommen. Ich ließ eine schöne Frau in mein Haus. Sie stahl die Juwelen meiner Mutter und ein paar Dessous. Hand in Hand gingen wir zum Bahnhof. Die Frau bereut es im letzten Moment und lässt mich zurück, ohne sich zu verabschieden. Enttäuscht von ihrer Zurückweisung gehe ich zurück nach Hause.

1986. Ich höre sexuelle Geräusche im Dunkel meines Zimmer. Ich halte es für ein Kätzchen, das Milch trinkt. Wenigen Stunden davor war ich wegen einer plötzlichen schweren Asthmaattacke ins Krankenhaus eingeliefert worden. Ich sage zu der Krankenschwester, dass Sauerstoff nach Vanille schmeckt. Sie antwortet mir nicht.

1989. Ich spiele Atari und springe über die Dächer in meiner Nachbarschaft. In der Schule wählen mich die Mädchen zur männlichen Begleitung der Klassenvertreterin für die Wahl zur „Patin des Sports“. Sie heißt Marianne und ich bin verliebt. In der Nacht lenke ich meine Tagträume, in denen wir am Ende immer heiraten. Mein Vater streitet vor dem kindlichen Schönheitswettbewerb mit meiner Mutter. Meine Mutter versichert, dass sie mich immer wegen meiner Größe wählen. Meine Nachbarn spielen schon Nintendo.

1992. An einem Samstagmorgen bekam ich überraschenden Besuch von meinem Cousin. Er hatte erfahren, dass wir endlich einen Videorekorder bekommen hatten und führte mich in die audiovisuelle Welt der Pornos ein. Mein Ruf verbreitet sich, und ich erfreue mich wachsender Beliebtheit im Viertel. Rosa arbeitet bei uns als Hausangestellte, ich mag sie sehr gern. Rosa würde mir gefallen, wenn ihr nicht die beiden Schneidezähne fehlen würden. Einige meiner Freunde aus der Nachbarschaft stören sich nicht an solchen Kleinigkeiten: Sie machen einen Quantensprung im Vergleich zu mir und meiner Pornographie. Bevor sie das Haus verließ, musste Rosa abtreiben, mit einer selbstgebrauten Mixtur aus irgendwelchen Kräutern.

1993. Riesige Poster von Nirvana in meinem Zimmer. Ich trete von der Virtualität in die Wüste der Wollust ein.

1996. Ich spiele die „Stimme des Schattens“ in einem Brecht-Stück. Ich finde es großartig, weil ich wie Brandon Lee in Die Krähe geschminkt werde. In dieser Nacht im September treffen ich einen meiner Lehrer, einen Priester, im einem Nachtclub. Zum Jahresende unterzeichnen die Guerrilla und die Regierung den „festen und dauerhaften Frieden“.

1998. Wir geben mit unserer und anderen Bands ein Konzert, aus Solidarität für die Opfer des Hurrikan „Mitch“. Als Eintritt müssen die Leute einen Sack Mais oder Bohnen mitbringen.

1999. Ich reise nach Nicaragua, zu den Feierlichkeiten anlässlich des 20. Jahrestags der sandinistische Revolution. An der Grenze hatte ich ein Offenbarung. Meine Freundin schreit mich an, dass ich ihr ein Sandwich machen solle, weil sie gleich verhungert. Ich mach drei aus Schinken und gebe eins dem Bettler, der zu uns kommt um Geld zu schnorren. Der Bettler gibt von seinem Brot die Hälfte seinem Hund. Als wir nach Guatemala zurückkommen, beenden wir die Beziehung.

2000. Ich übe täglich „Die Sims“, ein Videospiel mit Strategie und Gesellschaftssimulation. Ich werde „Prehistorik 2“-abhängig. In Havanna kaufe ich eine wundervolle Ausgabe der „Gesammelten Kurzgeschichten“ von Edgar Allan Poe, übersetzt von Julio Cortázar.

2002. Ich miete mir ein Haus in der Straße Roosevelt. Ich leben mit meinem Hund Rilke. Ich feiere viel. Ich höre hartnäckig die CD Sub von Bohemia Suburbana.

2003. Aus Schamgefühl kann ich gar nichts erzählen, was in diesem Jahr passiert ist.

2005. Während einer Party in unserem Haus in der Rue d’Alésia in Paris fange ich Feuer. Ich hatte mich zu nah an ein paar Duftkerzen gesetzt. Ich habe keine Verbrennungen, bin aber vor allen nackt. Viele lachen und zeigen mit dem Finger. Meine Freundin lädt mich auf das R.E.M. Konzert in das Palais des sports ein. Auf das von Tori Amos will ich sie nicht begleiten. Im Internet lese ich, dass der Tropensturm Stan den Ort Panabaj dem Erdboden gleichgemacht hat.

2006. Ich surfe durch die Realität zwischen Fehlgeburten, schweren Depressionen, almodovorianische Partys und den Wundern der florentinischen Renaissance.

2008. Während meines Aufenthaltes in Medellín, lass ich mich von einem einheimischen Vergil führen, der Erfinder eines Stadtrundgangs, der sich „Anthropologie des Todes“ nennt. Poesie-Vorleserinnen schieben mir Zettelchen unter meiner Tür im Hotel Nutibara durch. Ich lege mir ein Facebook-Profil an. Ich durchquere Frankreich in Hochgeschwindigkeitszügen. Ich erlebe ein wundervolles Jahresende an den Stränden der Copa Cabana. Dort kommt mir die Idee ein Buch über mexikanische und zentralamerikanische Frauen zu schreiben, die nach Brasilien reisen, um ihre flüchtigen Ehemänner einzufangen.

2009. Ich informiere mich endlich über die Operation, die ich schon lang hätte machen lassen müssen, und finde heraus, dass ich mich für eine Prothese entscheiden kann. Ich nehme an Poesielesungen in Second Life teil und verwandle meine Chat-Sucht auf Gmail in ein Werkzeug meines Schreibens. Viele meiner Phantasien werden erfüllt, ohne das es meine Absicht war. Aus Versehen wasche ich meinen Reisepass in der Waschmaschine mit. Er kommt aufgelöst wieder heraus, als wäre ich nie geflogen. Wie ein Zombie irre ich auf der Straße Guatemala in Buenos Aires umher – so endet für mich das Jahr.

2010. Ich stelle die Privatsphäre auf meinem Facebook-Profil auf die höchste Stufe.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

Gif: Carolina Niño

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Schmutzige Gläser, volle Aschenbecher http://superdemokraticos.com/themen/koerper/schmutzige-glaser-volle-aschenbecher/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/schmutzige-glaser-volle-aschenbecher/#comments Tue, 20 Jul 2010 15:00:37 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=490 Ich hatte einen Juraprofessor, der in Deutschland studiert hatte und deshalb davon überzeugt war, dass er eigentlich Professor für Philosophie war. Mit ihm gingen wir das Konzept der Intimität durch, ein imaginärer Kreis, der uns umgibt, in den wir nur jene, eintreten lassen, die wir eintreten lassen möchten. Diesen Kreis stellte ich mir wie eine kleine Feier mit Getränken und Musik vor, wo wir alle nackt sind und die Türe offen lassen, wenn wir ins Bad gehen. Mein Professor sagte, dass uns dieser unsichtbare, aber machtvolle, Kreis vor den unverschämten Blicken der anderen schützt und uns unter anderem das Recht zuspricht, von ihnen in Ruhe gelassen zu werden. Was so viel bedeutet wie, dass ich die Türe jederzeit schließen und allen auf der Feier sagen könnte, dass sie ihre Kleider wieder anziehen und gehen müssen.

In der Intimität wissen wir voneinander ohne miteinander zu sprechen, manchmal sogar ohne uns anzuschauen. Wir erraten viel mehr, als wir wissen, und wir bewegen uns in einer Nähe, die es uns noch immer erlaubt, die Wärme der Haut des Anderen zu spüren. In der Intimität haben wir vor nichts Angst, am allerwenigsten vor dem anderen. Innerhalb dieses Kreises gibt es Gewissheiten, die der Rest der Welt niemals verstehen wird.

Aber Intimität bedeutet auch, alleine zu sein, sich den Raum zu geben und zu wissen, dass wir uns früher oder später wieder berühren werden. Niemals die Existenz dieses Teils von mir zu leugnen, den ich vor dir nie Preis geben werde, die Einzelheiten, die ich dir niemals erzählen werde, die Stille, die noch immer zwischen dir und mir besteht.

Ich weiß nicht, ob es die Jugend war, oder das Land, aus dem ich komme, aber mir scheint als ob die Intimität viel zugänglicher war, bereit stand, um sie in die Hand zu nehmen. Ich hatte augenblicklich Freunde, sofortiges Vertrauen, wir besuchten uns, ohne uns vorher anzurufen und öffneten den Kühlschrank, um zu schauen, was drin war. Wir wurden in wenigen Tagen intime Freunde und konnten uns Dinge mit großem zerstörerischem Potenzial erzählen. Auf der anderen Seite war es schwer, Dinge privat zu halten, unmöglich, etwas zu verbergen, nicht einmal die Superhelden mit ihren geheimen Identitäten können es.

Wenn man auf Englisch davon spricht, intime Beziehungen zu haben, bedeutet es, Sex zu haben, was mich immer verwirrt hat, da man Sex viel schneller bekommen kann als einen Freund. In der Stadt, in der ich lebe, oder vielleicht in dem Alter, in dem ich bin, kommt es mir vor, als ob die Intimität viel langsamer entsteht, das Vertrauen gewinnt man, die Freude sich zu sehen, erstreckt sich über Jahre, die Freundschaften sind tiefgründig und Stürmen ausgesetzt, aber sie entwickeln sich ausgehend von kurzen Nachrichten und sich wiederholenden Stunden.

Mal vermisse ich die eine, mal die andere Form. Manchmal würde ich mich gerne wieder in irgendeinen, der auf der Straße vorbeigeht, verlieben und ihm alle meine Ängste erzählen können. Manchmal erstaunt es mich festzustellen, dass mir jemand aufgrund kleiner Gespräche über Arbeit und Politik unentbehrlich geworden ist.

Durch das Durcheinander des Umzugs hat sich mein Kreis der Intimität auf ein Minimum reduziert. Die Feier ist zu Ende und schmutzige Gläser und volle Aschenbecher sind zurückgeblieben. Die Musik wird immer leiser, wir sitzen zu zweit oder zu dritt in einer Ecke und sehen zu, wie der Tag anbricht.

Übersetzung: Marcela Knapp

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