Hier bekomme ich noch andere Daten, ihre Internetseite, die ich in einem anderen Tab öffne. Ihr neues Album wird beworben, das ab Januar des kommenden Jahres auf iTunes verfügbar sein wird. Die Seite bietet dem Benutzer auch die Möglichkeit dieses „vorzubestellen“. Klick. Ich mache ein allgemeines Panning über das Interface des Apple Stores und entdecke, dass in Verbindung mit der Diskografie von Sanabra auch der Soundtrack von „Der Kaufmann von Venedig“ zu haben ist. Da ich den Film vor einigen Tagen gesehen habe und mich Shakespeares Talent als Drehbuchautor überraschte (unerfüllte Liebe, schmerzvoller Verrat, Habsucht, bedingungslose Freundschaft und unerwartetes Ende), kehre ich zurück zum Browser, klick, öffne einen neuen Tab und gehe zu Wikipedia.
Ich tippe „Der Kaufmann von Venedig“ ein. Ich weiß nicht genau, nach was ich suche, aber mich überkommt die Gewissheit einer kurz bevorstehenden Entdeckung. Der Umfang des Artikels enttäuscht mich. Ehrlich gesagt, hatte ich nicht vor ihn komplett zu lesen, aber ich hätte mich an dem Versprechen der reichhaltigen Information erfreut. Ich gebe mich nicht zufrieden und mache noch ein Klick auf dem Namen Michael Radford, dem Regisseur des Filmes. Ich überfliege seine Filmographie und die Titel rauben meine Motivation. Alle, ohne Ausnahme, offenbaren eine grauenvolle Kitschigkeit: „Die letzten Tage in Kenya“, „Ein brillanter Plan“ (dt. Flawless), „Another Time, another Place“. Es kommt mir so vor, als ob die Filmtitel von der Nichte des Kinobesitzers übersetzt wurden, der die Rechte für die Filme erworben hat. Ich lenke mich wieder ab und meine Augen schweifen auf einen Tab im Browser, der schon seit vielen Stunden geöffnet ist. Es ist ein Artikel in „Ñ“, dem Beiheft für Literatur und Kunst der argentinischen Tageszeitung Clarín. Ich klicke darauf und gehe ihn durch. Er trägt den Titel „Cantar con la boca llena“ (Mit vollem Mund singen). Ich lese die Zusammenfassung. Ich muss ihn ganz durchlesen und ihn auf meiner Pinnwand posten. In ihm wird ein Buch von Puntocero (der Verlag des Autors, Anm. d. Übersetzerin) erwähnt und dafür sind die Netzwerke ja definitiv da, oder etwa nicht?
Meine Priorität ist es jetzt aber herauszufinden, ob der Film von Pacino das Werk von Shakespeare originalgetreu umsetzt. Ich bin immer noch hungrig auf mehr Information und verfolge eine weitere Erleuchtung: Vielleicht kann ich ja auf Amazon eine digitale Version des „Kaufmanns“ bekommen, dann könnte ich es heute noch lesen. Los geht’s. Ich öffne einen weiteren Tab und suche nach dem Stück. Wahnsinn, da ist es und es kostet nur einen Euro! Ein Klick. Großartig. Ich durchsuche den Kindle mit dem strukturellen Misstrauen eines Menschen, der im 20. Jahrhundert gelebt hat – vor dem Internet, vor all dem. Tatsächlich, hier ist der Text. Er ist nicht allzu lang und ich freue mich darauf, ihn lesen zu können, bevor ich schlafen gehe. Ich schaue auf die Uhr in der rechten oberen Ecke meines Computers. 1:15 morgens, steht da. Ich bin perplex. Ich schaue auf die Uhr in der Küche. 1:16. Jetzt ist schon fast Morgendämmerung, und ich habe noch nicht einmal angefangen zu schreiben. Ich überprüfe ein letztes Mal die Tabs auf meinem Browser. Es sind mehr als 12. Ich verspüre eine starke Erschöpfung im Nackenbereich. Ich mache den Computer aus. Klick.
Übersetzung: Barbara Buxbaum
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