Paris – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Ich bin ein Bürger der Milchstraße http://superdemokraticos.com/poetologie/ich-bin-ein-burger-der-milchstrase/ http://superdemokraticos.com/poetologie/ich-bin-ein-burger-der-milchstrase/#comments Wed, 16 Jun 2010 14:09:31 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=228 Ich heiße Alan Mills und bin ursprünglich aus Guatemala, einem Land der komplexen Gesellschaftsstrukturen, aber auch des unermesslichen kulturellen Reichtums, einer – nicht konfliktfreien – Mischung aus Tradition und Gegenwart.

Seit meiner frühsten Kindheit bin ich ein Fabulierer, und in den vergangenen zehn Jahren machte ich aus meinem manischen Lügen ein literarisches Werk, um so die Grünschnäbel der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu unterhalten. Ich halte mich außerdem für einen Nomaden: In den letzten fünf Jahren habe ich in Frankreich, Spanien, Brasilien und Argentinien gelebt – jeweils ein halbes oder ein ganzes Jahr. Letzteres ist dennoch schwer nachzuweisen, da ich die Angewohnheit habe, niemals Fotos zu machen.

Ich spreche vier Sprachen und es fasziniert mich, den Entwicklungspfaden mir fremder Kulturen nachzuspüren. Ich halte mich für einen Nationalisten – jeweils für das Land, in dem ich gerade bin. Mein Mikroroman „Synkopen“ wurde kürzlich in Frankreich von dem Verlag Rouge Inside veröffentlicht. Davor wurde er bereits von unabhängigen Verlagen in Mexiko, Peru und Bolivien herausgebracht. „Synkopen“ wurde auch ins Portugiesische und Englische übersetzt. Um meine Arbeit weiter zu verbreiten, habe ich mir Strategien des Web 2.0 zunutze gemacht und einige Grundkonzepte des viralen Marketings angeeignet. Ich denke, dass die Literatur ein Virus sein kann, der in der Lage ist, den Gesellschaftskörper zu infizieren, ihn in einen Fieberwahn zu versetzen und dadurch einen Zustand zu erreichen, in dem dieser fähig sein wird, seinen eigenen Kulturbereich zu erneuern.

Ich schaue in den Spiegel und antworte mir selbst: Ja, ich heiße Alan Mills und bin ein Guatemalteke, der von Spaniern und Jamaikanern abstammt. Deine Gesichtszüge sind sehr lateinamerikanisch, sagt mir mein Spiegel. Ich erinnere mich an jenen Nachmittag in Paris, als ich mit der Metro fuhr und mich fühlte wie die Reinkarnation von Julio Cortázar in einem tropischeren Körper. An der Station Saint-Michel stiegen ein paar Musiker in meinen Wagen, die Lieder improvisierten – und als sie mich sahen, begannen sie „La Bamba“ zu singen. Um die Bamba zu tanzen, braucht man etwas Anmut und ein paar andere Kleinigkeiten. Diese anderen Kleinigkeiten sorgen dafür, dass ich mich wie ein Bürger der Milchstraße und ein Nomade der Zeit fühle.

Unter meiner Haut schlägt das Herz eines futuristischen, amerikanischen Indigenen. Geboren wurde ich vor etwas mehr als 30 Jahren im Schutze meines Nahual, einer aztekischen Schutzgottheit: B’alam, der Jaguar der Maya-Wälder. Also bin ich Balam Mills und richte mein Leben nach dem Ziel aus zu lieben; mein rhythmischer Ton ist die Harmonie. Ich folge meiner eigenen Kraft, die von meinem Nahual verdoppelt wird. Einige Astrologen bestätigen die Meinung, dass diejenigen, deren Nahual der Jaguar ist, sieben Leben haben wie die Katzen. Sie leben, sterben und erschaffen sich selbst aufs Neue. Außerdem gibt es zwei verschiedene Typen von Jaguar-Menschen: die exzentrischen und die konventionellen. Manchmal leben diese beiden Persönlichkeiten in ein und demselben Menschen. Dem einen gefällt es zu feiern, dem anderen gefallen extravagante Autos und Kleidung der 1970er Jahre.

Ich suche mich noch einmal im Spiegel, für einen Moment hatte ich mich verloren. Ich hab bei Google ein paar Daten über mein Leben gesucht, die ich vergessen hatte, um sie hier erzählen zu können. Da stand nichts, was es wert gewesen wäre, hier zu erwähnen: Das wirklich Interessante kann ich euch nicht erzählen. Gerade lebe ich mal wieder in meinem Land, wo ich meine Zeit damit verbringe, die Biographie, die Geschichte, das Gesellschaftliche und das Politische zu erforschen, insbesondere die fiktionalen Möglichkeiten unter anderen Sprachen und Codes.

Und ich betreibe das Blog „Revólver„.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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