Ostsee – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Und schlussendlich wird man von einem Schwanzlurch-Besitzer als Domina gedacht! http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/und-schlussendlich-wird-man-von-einem-schwanzlurch-besitzer-als-domina-gedacht/ http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/und-schlussendlich-wird-man-von-einem-schwanzlurch-besitzer-als-domina-gedacht/#comments Thu, 04 Nov 2010 13:05:33 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=3146 Es war hart und atemstockend, aufregend und heiß.

Fünf Monate fremde, unbekannte Texte übersetzen, bearbeiten, ermahnen, „bloggen“ – die für mich neue Technik. Ich kann sagen, ich habe gelernt. Sehr viel sogar.

Wireless, unter tunesischer Sonne, am Pool, fand ich es cool, zwischen bodenständiger Bespaßung behinderter Menschen komplexe kubanische Beiträge für Los Superdemokraticos zu übersetzen. Als ich dann in der Mitte des inexistenten Sommers an der Ostsee immer wieder die Frage hörte: „Wie, du willst jetzt noch arbeiten – nachdem du von acht Uhr morgens bis elf Uhr Nachts Gruppen von 14 Leuten koordinierst, und wir den ganzen Tag Achterbahnfahren waren?“, da wurde es härter. Allabendlich über dem Laptop einzuschlafen, ist eigentlich nicht mein Style.

Die wahre Herausforderung, mein persönliches reto, durfte ich in Ungarn erleben. Plattensee, Nebensaison, Deadzone: estaba jodida. Ich habe gelernt, wie lange man an einem Wort hängenbleiben kann, dessen Bedeutung man eigentlich zu kennen glaubte. Wie schwer das Alphabet doch ist, wenn man wieder old-school mit Wörterbuch arbeiten muss. Während die maximal fünf Menschen, die in diesem Ferien-Ort aus widrigen Umständen, wie den unsrigen, noch bleiben mussten, schliefen, und ich mich nachts, heimlich, aus dem Haus schlich, die Horror-Szenario-Kulisse einer Allee passierte, über vom Sturm entweihte Äste fuhr und versuchte, den hoffentlich katzenartigen Gestalten, deren Augen aus dem Dunkeln hervorglühen, auszuweichen.

Das alles nahm ich nur deshalb auf mich, um zu einem Hotel oder der ungarische Version von Paules Metal-Eck zu gelangen, in dem es Internet – Trommelwirbel: Wireless – gab. Dort versuchte ich, innerhalb der 18 Minuten, die mir mein Akku aus dem letzten Jahrhundert schenkte, einen Text im Sinne der Herausgeber_innen hochzuladen. Si, ya aprendí, dass diese Art der Arbeit doch schwerer ist, als ich sie mir vorstellte. Obwohl die Globalisierung, so der Axolotl, doch fortgeschritten sein müsste, und Europa, der alte Kontinent keinen Dschungel hat, in dem man Funklöcher erwarten könnte; obwohl die Virtualität den Alltag dominiert, gibt es sie, die Freiheit vom Internet – gut oder schlecht sei dahin gestellt. „Arme“, webunbelastete Landschaften existieren und da gibt es auch Menschen! Und sie wissen nichts von der Sucht, der Abhängigkeit, dem vermeintlichen Wohlstand und Luxus, alles googlen zu müssen und ständig mit allen auf Skype kommunizieren zu können. Dort, mitten im „Herzen“ Europas, in Ungarn, Mallorca, Friedrichshain, kommt manchmal die Surrealität der virtuellen Realität nicht an.

Gleichermaßen wird mir die Abhängigkeit bewusst, die Sinnfrage ist impliziert und verschwindet mit dem nächsten Schuss, nein, Klick!

Und dennoch wiegen mich die schönen Momente, die Freude, die mich erfüllt, wenn es doch – fast zufällig, schicksalshaft passt, das Wort, der Satz, der Sinn. Der Klick auf „Speichern“ und die Gewissheit: Wieder einmal konnte ich, ja ich, helfen, dass sich Menschen, die sich sonst nicht verstehen würden, die sich nie gesehen haben, nie sehen werden, nie interagiert hätten, vereint fühlen, in Lyrik und Prosa. In Tiergeschichten, Fragebögen und Marionettenspielen. Und ich erinnere mich an die Menschen, die mich begleitet haben, meine In-Kultas, denen ich nicht genug danken kann. An die Schwere der deutschen Sprache, die plump auf alles Sinnliche reagiert, unwissend in questiones de entregarse havariert, die Armut beweist, bei soziolektischen Lebensweisheiten wie pinche, son oder guey, und die einfach kein glückliches Wort für felicidad hat, vielleicht ist sie schon glücklich, wenn sie denn glücklich ist – was braucht man da schon ein Substantiv?

Wörter sind Kunstwerke, die richtige Wortauswahl ist eine Kunst, ganze Sätze sind ein Wunder! Egal in welcher Sprache, immer, wenn der Inhalt transportiert werden kann.

Eine wundervolle, Realitäten übersetzende Poetin sagte einmal: Ich hätte gerne einen Bildschirm auf meiner Stirn, damit ihr seht, was ich denke, was ich fühle und damit ihr es genauso sehen und fühlen könnt. Dem kann ich mich nur anschließen und hoffen, dass dieser Bildschirm irgendwann erfunden wird, kultur-, grenz- und sprachübergreifend!

]]>
http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/und-schlussendlich-wird-man-von-einem-schwanzlurch-besitzer-als-domina-gedacht/feed/ 2
Wie Wolf Biermann neulich meine Intimsphäre tangierte http://superdemokraticos.com/themen/koerper/wie-wolf-biermann-neulich-meine-intimsphare-tangierte/ Mon, 02 Aug 2010 13:39:58 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=563 Bei Begriffen und Fragen, die einfach klingen, es aber nicht sind, empfiehlt es sich, Gegensatzpaare zu bilden, dachte ich neulich, nach dem zweiten schlechten Text über die Geschichte meines Landes. Man könnte die Frage „Was ist für dich Intimität?“ also am besten erst einmal durch die Beantwortung der Frage „Was ist für dich nicht Intimität?“ beantworten. Bei so was fallen einem ja immer reichlich Dinge ein, nicht-intim ist ja quasi alles, was groß, öffentlich und unvertraut ist: Das Unintimste, was mir in meinem Leben untergekommen ist, war im Alter von neun Jahren der Fährhafen von Calais, nachts, im April. Jeder, der in diesem Alter und zu dieser Tages- und Jahreszeit – übermüdet und mit einem vergleichbar empfindsamen deutschen Bürgerkindergemüt – schon einmal dort war und im harten Licht gelber Dampflampen die ersten schlafenden Obdachlosen seines Lebens gesehen hat, kann sich jetzt meinen Begriff von Nicht-Intimität vorstellen. Für alle anderen rede ich noch ein bisschen weiter.

Also, abgesehen davon, dass große Menschenmassen, Institutionsgebäude, Warenhausketten und dergleichen mehr bestimmt nicht intim sind, würde ich so weit gehen, zu sagen, dass Intimität für mich nicht ohne ein gewisses Maß an gewachsener Vertrautheit möglich ist. Es mag Menschen geben, die Intimität überall verspüren können, wo sie wohlig mit einem kleinen Personenkreis oder einer einzelnen Person oder nur sich selbst zusammen sind. Ich würde in Anspruch nehmen, dass ich die umgebenden Personen, zumindest die Schlüsselpersonen, schon seit geraumer Zeit kennen muss, der Ort mir bis weit über die nächste Wegkreuzung hinaus vertraut ist und das Beisammensein eine Form hat, die ich ebenfalls seit geraumer Zeit praktiziere. Intimität setzt für mich ein hohes Maß an Sich-Auskennen an einem Ort, mit einer Gruppe Menschen und mir selbst voraus.

So weit, Intimität und Interkulturalität ein Gegensatzpaar zu nennen, würde ich zwar nach einigem Nachdenken nicht gehen (zumindest nicht nüchtern und öffentlich), aber dass zum Beispiel dieses Blog hier für mich das Gegenteil von Intimität ist, das kommt mir eigentlich – angesichts meines bis an die Grenzen des Wahnsinns engen Intimitätsbegriffs – nur folgerichtig vor. Man spricht in einen Raum und weiß noch weniger als anderswo im Netz (wo die eigenen Texte nicht gleich übersetzt werden und man es nur mit Lesern des eigenen Sprach- und Kulturraums zu tun bekommt), was aus dem Gesprochenen in diesem Raum wird. Immerhin kennen nur die wenigsten der hier Anwesenden die Haltung, aus der gesprochen wird, die zugrunde liegende (Pop-)Kultur, das Trauma, die Gesellschaft, die Schicht, die Landschaft (momentan deutsche Ostseeküste, zum Sterben schön, für mich). Damit wir uns nicht missverstehen: Das hier ist alles unsagbar aufregend, gut und richtig, aber eben nicht intim (wie auch, im Netz?).

Intimität braucht also eine kulturelle Vertrautheit, darüber hinaus eine gewisse Routine, einen Ritualcharakter. Bevor eine Situation wirklich intim sein kann, muss sie es für mich zuvor über Jahre nicht gewesen sein, beziehungsweise auf eine Art intim, die andere Leute vielleicht „intim“ nennen würden, die für mich aber nur unter „potentiell intim“ fällt. Potentiell intim sind Situationen, in denen man plötzliche Glücksgefühle empfindet, in denen das Herz hüpft vor Vertrauen und beginnender Vertrautheit und man denkt: „Wow, mit diesen Menschen, jetzt und hier, da könnte ich ja beinahe intim werden!“ Junge Freundschaft ist immer potentiell intim – speziell der Moment, in dem man aufgeregt ist, weil man merkt, dass es auch ohne die Aufgeregtheit funktionieren würde.

In wahrhaft intimen Situationen ist keiner aufgeregt. Da hüpft kein Herz, wir fühlen uns nicht federleicht und von allen Sorgen befreit, sondern relativ normal. Wie man sich eben fühlt, wenn man mit vertrauten Menschen Vertrautes tut: wie ein vertrautes Möbelstück in vertrauter Umgebung. Die Skala von „Fährhafen Calais, nachts“ bis „absolut intim“ abschreitend gelange ich in unmittelbarer Nähe zu „absolut intim“ zum „Gasthaus Gintoft“, einem Landgasthof an der westdeutschen Ostseeküste, wo ich seit 20 Jahren mit meinen Eltern, Freunden meiner Eltern und Kindern von Freunden meiner Eltern Sommerurlaub mache. Bei den annähernd uralten Wirtsleuten Erika und Uwe Jessen bin ich unaufgeregt vertraut in meinen Ritualen, gewöhnt an die Umsitzenden und das Geschehen im Schankraum, „eingesessen“, wie man zu sagen pflegt.

Gestern Abend prallte ich nun just an diesem magischen Ort auf dem Weg zur Toilette mit Wolf Biermann zusammen, jenem in Deutschland weltberühmten DDR-Dissidenten und Liedermacher, der 1976 aus der DDR ausgebürgert wurde – aber das ist eine andere Geschichte, ebenso, dass er schon seit einigen Jahren ein Haus in der Gegend besitzt, wie im Anschluss schnell herauszufinden war. Worauf ich hier nur hinaus will und warum ich angesichts der jüngsten Ereignisse über das Gasthaus schreibe und nicht etwa über den Mutterleib oder die Segnungen einer Zweierbeziehung – allesamt ebenfalls gewiss gute Intimitätsmetaphern: Intimität ist nicht Zeitgeschichte! Intimität ist zeitlos, aus der Welt gefallen, utopisch. Im Gegensatz zum Zeitgeschehen ist Intimität gnadenlos privat, völlig unspektakulär und – vor allem anderen – nicht der Rede wert. Von und in intimen Situationen kann man schweigen, sie gehen keinen was an.

Deshalb ist der Einbruch von Ereignissen in die Intimität – und sei es auch nur durch die überraschende körperliche Präsenz gealterter Protagonisten einer über 30 Jahre vergangenen Zeitgeschichte – eine Monstrosität.

]]>