Narben – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Regen und Körper http://superdemokraticos.com/themen/koerper/regen-und-korper/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/regen-und-korper/#comments Tue, 03 Aug 2010 07:00:20 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=555 * Der Körper ist die einzige Beziehung, die für immer ist. Es ist unmöglich, sich von ihm zu trennen und der Weg ist mühsam. Ich denke, zur Wertschätzung des eigenen Körpers gelangt man schrittweise. Erst muss man ein Melanom haben, erst muss eine Beule anschwellen, muss man sich das Bein brechen. Vor zwei Jahren befand ich mich in denselben Breitengraden und dachte an meinen Tumor, als sich meine lang gehegte Hypochondrie endlich bestätigte. Jahrelang war ich mehr an Ängste als an Schmerzen gewöhnt und endlich: ein runder und riesiger Ball, auf den ich meine Erwartungen konzentrieren konnte.

* Dieser Text überrascht mich, während ich im Wald, im kleinen Haus der Familie nahe der Küste im tropischen Urwald schlafe. Es ist Regenzeit, und die Unwetter füllen die Flüsse und überschwemmen die Felder. Am Morgen trinke ich Kaffee und verlasse barfuß das Haus, um die Erde zu fühlen. Es gibt winzige Schnecken, kleinste Frösche, Eidechsen, die über das Wasser laufen, Würmer, die zwischen den Fingern umher kriechen. Sie fliehen vor dem Schlamm, der sie verjagt, vor den Wassertropfen und Schritten, die sie bombardieren, das Koffein, das ich ausschwitze, alarmiert sie. Sie und ich, wir sind hier alle Körper.

* Meine Füße sind übersät mit Narben der vielen Wunden, die ich mir zuzog, wenn ich in eine Scherbe trat, meine Beine haben sich an Tischen und Surfbrettern verletzt, an Kanten im Asphalt, an hastigen Epilationen, am Leben in anderen Ländern, die ich – möglicherweise auf der Flucht vor diesem – bereiste. Während wir am Stand im Sand sitzen und uns die Haut und die Wünsche verbrennen, beobachte ich die Spuren. All diese kleineren Narben sind wesentlich offensichtlicher als die Narbe, die geblieben ist, nachdem sie mir den Tumor entnommen haben. Sie bleibt unter dem Badeanzug verborgen, als ob nichts geschehen sei.

* Wenn wir im Meer schwimmen, kennen wir unser Gewicht genau, die Leber ist schmerzhaft geschwollen vom Alkohol des gestrigen Tages. Wir vergiften uns immer wieder und unser Körper vergibt uns. Wir öffnen den Mund und füllen die Lungen mit Luft, was uns an die Oberfläche treibt und vor dem Tod rettet. Plötzlich beginnt es zu regnen, aber niemand stört sich daran. Der tropische Regen ist wie ein weißes Laken, das sich über die Menschen und Dinge legt. Manchmal scheint mir, als ob wir, ohne viel darüber nachzudenken, unter der Wasseroberfläche atmeten, und wir verdanken diese unwahrscheinliche Physiologie den Meeressäugetieren.

* Als ich geboren wurde, hatte ich keine Wiege, sondern eine Hängematte wie diese, in der ich nachts schlafe, und ich schaukelte unter dem Lichthof eines Moskitonetzes zwischen meinen Eltern und den Sternen. Auf diese Weise, während wir die Tropfen auf das Dach klopfen hörten, gingen wir mit weniger Angst schlafen. Manchmal vermisse ich diese Wärme ihrer Körper, ihre heilenden Hände, das Hin und Her der Hängematte in einer vorhersagbaren Parabel. Zwischen damals und heute sind die Leiden, Narben und Falten, Zweifel über die eigene und fremde Sterblichkeit, die Gesundheit und Krankheit, die sich wie Wellen abwechseln, ins Leben getreten. Die Hängematte trägt noch immer meinen Körper, dieses Geheimnis, das durch die ihm eigenen Gezeiten reguliert wird, eine feste Masse, die langsam abnutzt und alarmierende Formen annimmt, sich aber auch wieder, ohne es anzukündigen, regeneriert und die mich auf irgendeine Art und Weise immer noch in sich birgt.

Übersetzung: Marcela Knapp

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Beziehungsweise Geräte http://superdemokraticos.com/editorial/beziehungsweise-gerate/ http://superdemokraticos.com/editorial/beziehungsweise-gerate/#comments Sun, 01 Aug 2010 14:14:44 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=564 Da liegt etwas neben mir und blinkt, als ob es atmet. Manchmal nehme ich es auf den Schoß, dann wird mir ganz warm. Ich spreche hier nicht von einem Fahrradlichtdildo oder einer Katze mit blitzenden Augen, nein, ich spreche von einem Gerät. Habe ich ein Verhältnis mit meinem Computer? Was für eines ist das? Hat er sich in eine herzförmige Box verwandelt, die meine Gefühle kontrolliert?

Viele Texte der Superdemokraten befragen die Möglichkeit von Intimität in Zeiten des Webs. Die einen sprechen von Internetsex (Agustín Calcagno), die anderen vom Voyeurismus in sozialen Netzwerken (Liliana Lara). Genau diesen Beobachtungen geht der Schweizer Essayist, Physiker (und Jazzmusiker) Eduard Kaeser in seinem Buch „Der Körper im Zeitalter seiner Entbehrlichkeit nach und fordert „Körpermündigkeit“: Weil wir immer mehr in „Technotopen“ lebten, umgeben und abhängig von Maschinen, die unsere Arbeit und unser Leben und vor allem auch unsere Liebe strukturieren, komme uns die materielle Welt immer mehr abhanden. Wir nähmen sie auf über immaterielle Sinneswahrnehmungen, die uns die Geräte filtern und anbieten. Wir seien mutiert zu „Schnittstellen-Wesen“.

Ich glaube nicht, dass das schlimm ist, sondern einfach ein Teil meiner Realität, mit der ich umgehen lernen muss. So wie ich mit meinen Vorstellungen von Sexualität, Ehe, Familie, Liebe, Gender umgehen lernen muss, die bestimmten (erlernten) Realitäten oder Fiktionen (Filmen, Romanen) entsprechen. Davon erzählen auch Fernando Barrientos, Leo Felipe Campos, Javier Badani, Lizabel Mónica oder René Hamann ihren Essays. Diese Realitäten führen an der Nase herum wie die Karotte den gutgläubigen Esel. Aber wir müssen einfach stehen bleiben. Uns spüren. Die Rettung, die Zukunft, was auch immer kommen mag, liegt nicht im anderen (in der Karotte) sondern in uns selbst. In der Kraft, den Gefühlen, den Worten, die uns umgeben. Die online und offline zu uns kommen.

Ich bin sehr begabt darin, meine Geräte zu zerstören (so ähnlich, wie ich gut darin bin, überall anzustoßen und mir blaue Flecke zu holen). Meinen letzten Laptop hab ich mit Tee geflutet, mein Handy fällt mir oft aus der Hand, es ist nun von feinen Nadelrissen geschmückt. Es trägt Narben als ob es ein Körper wäre. Und daher behaupte ich weiter: Vor einem Computer weinen, ist intim. Hinter einer Glaswand darüber singen, was man im Leben verstanden hat, das ist intim. Youtube-Videos verschicken ist auch intim. So zeigen wir uns im „durchsichtigen Kostüm“ (Tilsa Otta), werden verletzlich, aber bleiben, trotz aller Digitalität, höchstmenschlich.

Und wenn wir uns das nächste Mal sehen, umarmen wir uns. Denn Menschen sind besser als Geräte.

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