Montevideo – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Wenn alles möglich ist, dann ist es gleichsam nichts mehr http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/wenn-alles-moglich-ist-dann-ist-es-gleichsam-nichts-mehr/ Thu, 16 Sep 2010 20:26:54 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1940 Die Globalisierung gibt es nicht. Was es gibt, ist eine Verstärkung der Dominanz der mächtigen Kulturen über die schwachen. Das sage ich nicht, das sagen viele Theoretiker und ernster zu nehmende Experten als ich, gerade letztens habe ich das wieder bei einen von ihnen gelesen. Aber es scheint, als würde ein Funken Wahrheit dran sein. VERSTÄRKUNG DER DOMINANZ DER MÄCHTIGEN KULTUREN ÜBER DIE SCHWACHEN. Das kannst du deiner Tante erzählen! Nach so einem Satz will man lieber aufgeben und zur Theorie überlaufen. Doch ich finde diesen bombastischen Satz interessant und er erinnert mich an eine Anekdote.

Vor ein paar Monaten hatte ich eine Diskussion mit einem Theater in London – das ich ungemein schätze – über ein Drehbuch, das sie angefordert hatten. Ich sollte ein Theaterstück über die Realität meines Landes schreiben, natürlich aus meiner Sichtweise und mit meiner literarischen Stimme, um es irgendwie zu sagen. Ich entschied mich dann, ein Stück über die Diktatur zu schreiben oder, besser gesagt, ein Stück über die Nachwirkungen der Diktatur im Leben der Menschen. Aber ich habe das viel hin und her gewälzt, weil ich dem Ganzen eine eigene Note und Perspektive geben wollte. Ich entschied mich, über eine Familie zu schreiben, deren Tochter während der Diktatur verschwand und die ihr Familiengerüst seitdem um die Abwesenheit der Tochter herum konstruiert hatten. Eines Tages – das ist jetzt schon Teil des Plots– finden sie heraus, dass ihre Tochter zwar zur Zeit der Diktatur entführt worden war, aber nicht vom Militär sondern von Außerirdischen. Die Diktatur hatte es gegeben, es hatte Verschwundene gegeben, nur dass ihre Tochter nicht zu ihnen gehörte. Wie würde diese Familie reagieren, wenn von einem Tag auf den anderen all die Ideen, auf denen sie ihre Werte und moralischen Grundsätze gebaut hatte, auf falschen Annahmen fußten? Die Außerirdischen nehmen erneut die Erde ein,  und die Handlung geht weiter und sie wäre zu lang, um sie hier zu erzählen. Worum es mir hier geht, ist die Auseinandersetzung mit dem Theater in London. Das Theater nahm mein Stück sehr positiv auf, aber sie baten mich die Sache mit den Außerirdischen zu überdenken, da sie fanden, dass dies ein Stilmittel war, dass nicht zu der Dramaturgie und dem Thema des Stücks passte und ein Affront gegen den eigentlichen Wert des Stückes darstellte, der für sie darin bestand, über die Diktatur zu sprechen.

Im Folgenden möchte ich versuchen, so gut es geht einen Dialog wiederzugeben – den Schwachstellen meines Gedächtnis sei verziehen – denn ich erinnere mich nicht genau an den Wortlaut, und zudem erfolgte der Dialog über mehrere Emails verteilt. Zunächst erwiderte ich, dass mein Stück sich in eines der vielen Stücke über die Diktatur in Uruguay einreihen würde, würde ich die Außerirdischen rausnehmen, und dass es mich nicht interessieren würde, zur Fülle der Stücke über die Diktatur ein weiteres hinzuzufügen. Sie antworteten mir, dass sie meinen Einwand interessant und bemerkenswert fänden, weil sie es merkwürdig fänden, dass sie noch nie ein Theaterstück aus Uruguay über die Diktatur gelesen hätten, wenn es doch so viele gäbe. Worauf ich erwiderte, dass es interessant sei zu erfahren, wie viele uruguayische Stücke sie denn überhaupt über die Diktatur kennen würden, und ich schickte ihnen im Anhang eine Liste mit 15 Stücken aus Uruguay über die Diktatur. Die Antwort war klar, dass sie keines der Stücke gelesen hatten, und auf diese Weise blieben die Außerirdischen im Drehbuch, und diesen Monat hat mein Stück Premiere, aber logisch, nicht in London, sondern in Montevideo.

Die Moral von der Geschichte: Die Globalisierung ist nicht global, sie ist nicht in der uruguayischen Dramaturgie angekommen, so wie sie an hunderten von Orten nicht angekommen ist. Denn ich kann schnell deutsche, französische, US-amerikanische, sogar brasilianische und argentinische Theaterstücke ausfindig machen und lesen… aber wie sollte ich schnell und einfach Zugang zu marokkanischen, costaricanischen, iranischen, finnischen, oder, um noch ein außergewöhnlicheres Beispiel zu nennen, asiatischen Drehbüchern bekommen.

Es handelt sich nicht nur um mächtige und schwache Kulturen – da niemand die Stärke der eben genannten Kulturen leugnen kann – sondern auch darum, dass man sich immer mit den Nachbarländern vergleichen muss und darüber hinaus auch natürliche Hürden zwischen den Kulturen bestehen, und damit meine ich nicht nur die Sprache.

Uns erscheint es so, dass die Globalisierung und das Internet Hand in Hand gehen, dass alles überall hingelangt, doch wir wissen auch, dass obwohl die Welt jeden Tag vernetzter ist, sich weder der Reichtum globalisiert, noch die Macht, noch nicht einmal die Information. Man muss wissen, wie man zu ihnen hinfindet, man muss wissen, wie man sucht, man verliert sich in der Welt der Daten, wie man sich in der Welt verliert. Es ist unglaublich sich vorzustellen, dass die uruguayischen Drehbuchtexte, zumindest ein großer Teil von ihnen, auf der folgenden Internetseite zugänglich ist www.dramaturgiauruguaya.gub.uy. Aber das macht sie nicht global, sie stehen damit nicht der ganzen Welt zur Verfügung, sie macht sie noch nicht einmal den Zirkeln zugänglich, die sicher darauf brennen würden, sie zu lesen. Die Herausforderung gilt weiterhin, denn in einer globalisierten Welt sind die Barrieren immer noch so groß wie zuvor. Auf eine gewisse Weise ist das sicher pessimistisch, aber mit dem Optimismus der Hoffnung, dass dies nicht das Ende aller Tage ist, sondern einfach nur eine Etappe. Ich empfinde die Globalisierung wie diesen Satz von Baudrillard: „Wenn alles möglich ist, dann ist gleichsam nichts mehr möglich.“

Übersetzung: Anne Becker

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Die Stadt als Körper und Witz http://superdemokraticos.com/themen/koerper/die-stadt-als-korper-und-witz/ Tue, 03 Aug 2010 14:31:05 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=565

Ich wie ein Kind in der Stadt.

• Ich fahre im Taxi die Straße entlang und beobachte die Körper der Menschen, wie sie durch die Stadt laufen. Ich beobachte, ob ihre Körper sich an Montevideo anpassen oder ob es Montevideo ist, das sich an ihre Körper anpasst. Ich fahre eingeklemmt auf der Rückbank des Taxis, denn ich bin groß, 1,90 Meter, und in die Taxis von Montevideo wurde vor einigen Jahren aus Sicherheitsgründen eine Schutzscheibe eingebaut, die den Fahrer von den Fahrgästen trennt. Für Langwüchsige wie mich ist es sehr schwierig, Taxi zu fahren; wir müssen immer schräg sitzen, da in der normalen Position unsere Knie an die Scheibe stoßen. Wenn das Taxi ruckartig bremst, stoßen wir uns die Stirn an der Scheibe. Fährt das Taxi irgendwo gegen, ist es sehr wahrscheinlich, dass wir uns einen Zahn ausschlagen oder irgendein Knochen im Gesicht brechen. Die Taxis in Montevideo sind nicht gemacht für die montevideischen Körper.

• Aus dem Taxi gucke ich mir die Fortbewegungsgewohnheiten der montevideischen Körper im Verhältnis zur Stadt an. Ich achte darauf, wie wir uns durch die Adern dieser Hauptstadt bewegen, wie sich die Bürger auf den Hauptarterien kreuzen, wie sie sich auf ihren offenen Plätzen tummeln, wie sie gegen ihre Knochen stoßen, in ihren Gelenken umbiegen, sich in ihren Löchern verstecken. Wenn die Stadt ein Körper wäre, welcher Teil von ihr wäre dann ihr Geschlecht?

• Zuerst dachte ich, es wären die Krankenhäuser. Dort werden die Kinder geboren, dort vermischen sich die krankhaften Körperflüssigkeiten der Leute, da sterben sie, da werden sie geboren, da beginnt und endet die große Masse der Bürger. Aber dann stelle ich fest, dass das Geschlecht mehr als das ist, dass ich danach suchen muss, welcher Part der Stadt sich reproduziert, sich amüsiert, sich selbst genießt. Wenn ich scheinheilig sein wollen würde, würde ich behaupten, dass sich das Geschlecht in jedem Bett unserer Haushalte befindet…..Lüge!

• Aus der Perspektive der Fortpflanzung betrachtet leidet Uruguay an einer Krankheit im Endstadium. Seine Bevölkerung wächst nicht und ist sowieso schon sehr klein, die wenigen jungen Menschen wandern früh aus. Wir sind knappe dreieinhalb Millionen Personen, und es scheint, als hätten wir nicht genug Lust zu wachsen. In solch einem Land sind die Betten kein Fest. Nein, die Betten in diesem Land sind mehr als für irgendetwas anders zum Schlafen da.

• Nichtsdestotrotz vögeln wir und pflanzen uns fort und amüsieren uns, aber wir sind nicht viele, wir sind sogar ziemlich wenige, aber wir halten unsere Adepten beieinander und missionieren neue Bürger. Ich schließe mich hier mit ein, da ich mich immer am Geschlecht der Stadt aufhalten werde. Ich ziehe das ihren arbeitsamen Armen, ihrem erfinderischen Kopf oder ihren geschickten Füßen tausendfach vor. Ich suche immer das Geschlecht von meiner Stadt, diesen Zugang zum Verborgenen, zum Genuss, zum Exzess, zum Obszönen, zur schönen, wundersamen Perle inmitten des Blutigen und Schmutzigen. Man muss in den Fluss hineinsteigen, um die Goldkörner zu finden.

• Meine Stadt ist ein alter Körper und wir sind alt in dieser Stadt. Wir sind ein junges Land  –  wir sind noch keinen 200 Jahre alt, auch wenn wir diese schon feiern, obgleich es offiziell noch so 20 Jahre bis dann hin sind – aber wir sind sehr alt. So habe ich mich am Anfang dieses ganzen Schreibspiels vor ungefähr fünf Essays vorgestellt. „Ich bin ein alter Mann im Körper eines jungen Mannes“ und das selbe gilt auch für die Stadt. Ihr natürliche Verfassung ist die Langsamkeit, die Traurigkeit und die Nostalgie. Zumindest empfinden…empfanden wir so.

• Etwas passiert gerade: Eine Art Benjamin Button auf Landesebene –  ha, ich weiß, dass der Vergleich fürchterlich ist, aber ich erinnere mich nicht an das andere, kultigere Buch, welches von der selben Geschichte handelt. Die Stadt und ihre Menschen, mit der Zeit hat sie angefangen, wieder jünger zu werden. Wir sind weit davon entfernt, Kinder oder Jugendliche zu sein, und schon gar nicht junge Leute in den 30ern. Aber eine Brise des Erwachsenenseins weht über den Boden unseres Vaterlands. So als wären wir plötzlich nicht mehr 70 Jahre alt sondern 50. Auf diese Weise wollen wir noch ein bisschen mehr vögeln, haben wir die Hoffnung und Lebenserwartung, dass uns noch ein wenig Zeit bleibt. Wir animieren uns sogar zu ein paar Fußballspielchen und dazu, sie zu gewinnen, wenn uns ein Wunder dabei hilft!

• Etwas verändert sich gerade. Uruguay hat das hohe Alter hinter sich gelassen und ist ins Stadium der Reife eingetreten, und mit ein bisschen Glück erfüllt sich jener Witz von Quino (bekannter argentinischer Comiczeichner; Anm.d.Ü.). Vielleicht ist Uruguay dieser Witz von Quino. HA! Hoffentlich.

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Das Leben laut Quino

…Ich denke, dass die Art und Weise, wie der Fluss des Lebens verläuft, falsch ist. Es müsste anders herum sein: Man müsste zuerst sterben, um das ein für alle Mal erledigt zu haben.

Dann eine Zeitlang im Altersheim wohnen, bis sie dich da rausschmeißen, wenn du nicht mehr alt genug bist, um dort zu weilen.

Dann beginnst du zu arbeiten, 40 Jahre lang, bis du jung genug bist, um deinen Ruhestand zu genießen.

Danach Partys, um die Häuser ziehen, Alkohol. Spaß, Geliebte, Freunde, Freundinnen, alles, bis du bereit bist, auf die Sekundärschule zu gehen…

Danach beginnst du die Grundschule und bist ein Kind ohne Verantwortlichkeiten irgendeiner Art…

Danach wirst du zu einem Baby und gehst erneut zurück in den mütterlichen Bauch und dort verbringt du die besten und letzten 9 Monate deines Lebens, schwebend in einer warmen Flüssigkeit, bis dein Leben sich mit einem heftigen Orgasmus ausschaltet.

DAS IST DAS WAHRE LEBEN!!!

Übersetzung: Anne Becker

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