LSD – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Offene Arme http://superdemokraticos.com/editorial/offene-arme/ Sun, 17 Oct 2010 13:41:38 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2992

Ich bin traurig. Die Superdemokraten verabschieden sich in ihren letzten Texten, ziehen Bilanz, grüßen sich gegenseitig und die Übersetzer, resümieren die Erfahrung, anhand vorgegebener Fragen in einem anonymen digitalen Raum als Individuum aufzutreten. Sie sind die aktiven gewesen in einem Dialog, der oft im Stillen verlief, beim Lesen, denn Leser, insgesamt 12.000, hatten wir! Sie waren die schweigenden Geister im Dunkeln des Cyberspace, denn oft kam auf die über 200 Essays, die jetzt in diesem Blog zu lesen sind, kein Echo zurück. Auch zwischen den deutsch- und den spanischsprachigen Autoren war es manchmal erstaunlich ruhig. Gemeinsam schweigen.

Ich bin mir dennoch sicher: Alle, die LSD genommen haben, haben ihre „Ichs durch ihre anderen dichs“ sehen können (Pedro Alexander). Das war kein Trip, das war kein Traum, das war eine traumhafte Versammlung von Ideen, Gefühlen, Visionen, eine „virtuelle geteilte Heimat“ (Liliana Lara), eine „Schreibübung“ als „erste Etappe“ (María Medrano) von ähnlichen intellektuellen Tauschrouten, die noch gebaut werden müssen. Wenn wir es geschafft haben, alte Machtstrukturen zwischen Europa und Lateinamerika für diese vier Monate aufzuheben, wenn ihr Menschen vermissen werdet, die ihr eines Tages zu treffen hofft (so wie ich!), dann glaube ich, dass diese globale Skypekonferenz, die wie eine kleine Buchmesse funktioniert hat, nicht abbrechen wird. Wir lesen und lieben uns weiter – und ich bin sicher, dass wir uns immer wieder begegnen werden. Wir werden uns an den offenen Armen und Augen erkennen. Denn ich bin optimistisch. Und wie Juan Gelman, der Shakespeare und Cervantes immer wieder liest, so wie Alan Pauls, der die Singleportionen im Kaiser’s, etwa „eine Scheibe Mozzarella“, wie Kunstobjekte liest, werde ich weiterlesen, wiederlesen, neulesen. Das ist kein Ende. Das ist ein Anfang von etwas.

]]>
Wenn alles möglich ist, dann ist es gleichsam nichts mehr http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/wenn-alles-moglich-ist-dann-ist-es-gleichsam-nichts-mehr/ Thu, 16 Sep 2010 20:26:54 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1940 Die Globalisierung gibt es nicht. Was es gibt, ist eine Verstärkung der Dominanz der mächtigen Kulturen über die schwachen. Das sage ich nicht, das sagen viele Theoretiker und ernster zu nehmende Experten als ich, gerade letztens habe ich das wieder bei einen von ihnen gelesen. Aber es scheint, als würde ein Funken Wahrheit dran sein. VERSTÄRKUNG DER DOMINANZ DER MÄCHTIGEN KULTUREN ÜBER DIE SCHWACHEN. Das kannst du deiner Tante erzählen! Nach so einem Satz will man lieber aufgeben und zur Theorie überlaufen. Doch ich finde diesen bombastischen Satz interessant und er erinnert mich an eine Anekdote.

Vor ein paar Monaten hatte ich eine Diskussion mit einem Theater in London – das ich ungemein schätze – über ein Drehbuch, das sie angefordert hatten. Ich sollte ein Theaterstück über die Realität meines Landes schreiben, natürlich aus meiner Sichtweise und mit meiner literarischen Stimme, um es irgendwie zu sagen. Ich entschied mich dann, ein Stück über die Diktatur zu schreiben oder, besser gesagt, ein Stück über die Nachwirkungen der Diktatur im Leben der Menschen. Aber ich habe das viel hin und her gewälzt, weil ich dem Ganzen eine eigene Note und Perspektive geben wollte. Ich entschied mich, über eine Familie zu schreiben, deren Tochter während der Diktatur verschwand und die ihr Familiengerüst seitdem um die Abwesenheit der Tochter herum konstruiert hatten. Eines Tages – das ist jetzt schon Teil des Plots– finden sie heraus, dass ihre Tochter zwar zur Zeit der Diktatur entführt worden war, aber nicht vom Militär sondern von Außerirdischen. Die Diktatur hatte es gegeben, es hatte Verschwundene gegeben, nur dass ihre Tochter nicht zu ihnen gehörte. Wie würde diese Familie reagieren, wenn von einem Tag auf den anderen all die Ideen, auf denen sie ihre Werte und moralischen Grundsätze gebaut hatte, auf falschen Annahmen fußten? Die Außerirdischen nehmen erneut die Erde ein,  und die Handlung geht weiter und sie wäre zu lang, um sie hier zu erzählen. Worum es mir hier geht, ist die Auseinandersetzung mit dem Theater in London. Das Theater nahm mein Stück sehr positiv auf, aber sie baten mich die Sache mit den Außerirdischen zu überdenken, da sie fanden, dass dies ein Stilmittel war, dass nicht zu der Dramaturgie und dem Thema des Stücks passte und ein Affront gegen den eigentlichen Wert des Stückes darstellte, der für sie darin bestand, über die Diktatur zu sprechen.

Im Folgenden möchte ich versuchen, so gut es geht einen Dialog wiederzugeben – den Schwachstellen meines Gedächtnis sei verziehen – denn ich erinnere mich nicht genau an den Wortlaut, und zudem erfolgte der Dialog über mehrere Emails verteilt. Zunächst erwiderte ich, dass mein Stück sich in eines der vielen Stücke über die Diktatur in Uruguay einreihen würde, würde ich die Außerirdischen rausnehmen, und dass es mich nicht interessieren würde, zur Fülle der Stücke über die Diktatur ein weiteres hinzuzufügen. Sie antworteten mir, dass sie meinen Einwand interessant und bemerkenswert fänden, weil sie es merkwürdig fänden, dass sie noch nie ein Theaterstück aus Uruguay über die Diktatur gelesen hätten, wenn es doch so viele gäbe. Worauf ich erwiderte, dass es interessant sei zu erfahren, wie viele uruguayische Stücke sie denn überhaupt über die Diktatur kennen würden, und ich schickte ihnen im Anhang eine Liste mit 15 Stücken aus Uruguay über die Diktatur. Die Antwort war klar, dass sie keines der Stücke gelesen hatten, und auf diese Weise blieben die Außerirdischen im Drehbuch, und diesen Monat hat mein Stück Premiere, aber logisch, nicht in London, sondern in Montevideo.

Die Moral von der Geschichte: Die Globalisierung ist nicht global, sie ist nicht in der uruguayischen Dramaturgie angekommen, so wie sie an hunderten von Orten nicht angekommen ist. Denn ich kann schnell deutsche, französische, US-amerikanische, sogar brasilianische und argentinische Theaterstücke ausfindig machen und lesen… aber wie sollte ich schnell und einfach Zugang zu marokkanischen, costaricanischen, iranischen, finnischen, oder, um noch ein außergewöhnlicheres Beispiel zu nennen, asiatischen Drehbüchern bekommen.

Es handelt sich nicht nur um mächtige und schwache Kulturen – da niemand die Stärke der eben genannten Kulturen leugnen kann – sondern auch darum, dass man sich immer mit den Nachbarländern vergleichen muss und darüber hinaus auch natürliche Hürden zwischen den Kulturen bestehen, und damit meine ich nicht nur die Sprache.

Uns erscheint es so, dass die Globalisierung und das Internet Hand in Hand gehen, dass alles überall hingelangt, doch wir wissen auch, dass obwohl die Welt jeden Tag vernetzter ist, sich weder der Reichtum globalisiert, noch die Macht, noch nicht einmal die Information. Man muss wissen, wie man zu ihnen hinfindet, man muss wissen, wie man sucht, man verliert sich in der Welt der Daten, wie man sich in der Welt verliert. Es ist unglaublich sich vorzustellen, dass die uruguayischen Drehbuchtexte, zumindest ein großer Teil von ihnen, auf der folgenden Internetseite zugänglich ist www.dramaturgiauruguaya.gub.uy. Aber das macht sie nicht global, sie stehen damit nicht der ganzen Welt zur Verfügung, sie macht sie noch nicht einmal den Zirkeln zugänglich, die sicher darauf brennen würden, sie zu lesen. Die Herausforderung gilt weiterhin, denn in einer globalisierten Welt sind die Barrieren immer noch so groß wie zuvor. Auf eine gewisse Weise ist das sicher pessimistisch, aber mit dem Optimismus der Hoffnung, dass dies nicht das Ende aller Tage ist, sondern einfach nur eine Etappe. Ich empfinde die Globalisierung wie diesen Satz von Baudrillard: „Wenn alles möglich ist, dann ist gleichsam nichts mehr möglich.“

Übersetzung: Anne Becker

]]>
Axolotl Cyborg http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/axolotl-cyborg/ http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/axolotl-cyborg/#comments Thu, 16 Sep 2010 06:25:16 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1789

Axolotl. Foto: Ethan Hein, http://www.flickr.com/photos/ethanhein/

Ich bin mir sicher, dass sich niemand von euch jemals die Frage gestellt hat, wie die Globalisierung von einen Axolotl, der aus seinem natürlichen Lebensraum entführt wurde, wahrgenommen wird, und der nun in diesem Fischglas, das ich ihm mit viel Liebe hergerichtet habe, lebt.

Die erste Frage, die dem Tierchen bestimmt in den Kopf kommt, ist die nach dem Ursprung meiner Grausamkeit. Aus welchem Grund ich ihn wohl aus seinem wunderschönen Zuhause in der Lagune von Chapultepec, Mexiko, herausgerissen habe, um ihn an diesen kalten, geschlossenen Raum in Guatemala Stadt zu bringen. Er wird auch nie gänzlich diese Geräusche verstehen, die sich durch das Wasser schleichen und ein bisschen Wellengang verursachen. Er zieht es vor, wenn ich ganz laut ganz harte Musik aufdrehe, dann kann er kleine Kunststücke aus seiner Zeit als Surfer in den Pfützen aufführen. Bei Cannibal Corpse flippt er aus. Bei der nationalen Musik steht er auf Evilminded, auf jeden Fall.

Mein Akzent und der meiner Freunde kommt dem kleinen mexikanischen Salamander nicht ganz so fremd vor. Ab und zu benutzen wir den Ausdruck „pinche“ (mex. für unwichtig, scheiße) und es kommt sogar vor, das wir „buey” (mex. für Alter) als Abschluss des Satzes sagen. Auch Rancheras singen wir ganz gut. Und wenn auch nicht ganz so gut, dann wenigstens mit derselben Leidenschaft. Das machte den Umzug für ihn etwas weniger traumatisch. Hier schlagen Los Tigres del Norte auch ein. Klar, wenn wir dann sehr betrunken sind, wollen wir auch „Unseres“ wieder aus kramen und tanzen einen Danzón, zu irgendeinem Stück (das Land der schönen Frauen und der Marimba, sagt man) von Checha y su India Maya Caballero.

Dieser Axolotl ernährt sich von der Musik und der giftigen Strahlung, die der Tagebau in diesen Gebieten hinterlässt. Dank dieser hat er die Fähigkeiten Lesen und Im-Internet-Surfen entwickelt, ohne auch nur eine Tastatur zu benötigen. Ich lebe mit einem telepathischen Froschlurch und er liebt es, in meinen Emails herumzuschnüffeln. Meine Korrespondenz findet er sehr unterhaltsam, mit all ihren Verwirrungen und Leidenschaften. Er taucht in meinen Twitter und vertreibt sich die Zeit damit, die Texte zu lesen, die ich als Forschungsmaterial für den Roman sammle, den ich gerade vorbereite. Es begeistert ihn, alles bezüglich des Transhumanismus und dessen Möglichkeiten als Werkzeug zur Aktivierung einer neuen Form des globalen menschlichen Bewusstseins zu lesen. Er überdenkt und debattiert mit sich selbst ziemlich komplexe Problematiken: ob die Hypervernetzung zum Web der erste Schritt zur Entwicklung eines kollektiven Gehirns ist; ob er der erste Replikant einer neuen Rasse, Axolotl Cyborg, ist; ob ich in Wirklichkeit gar nicht existiere und lediglich ein Hologramm seines Bewusstseins bin.

Plötzlich blickt mir der Axolotl in die Augen, spielt eine Szene aus dieser Erzählung von Cortázar nach. Er fragt sich, ob mit uns dasselbe passiert ist, wie mit diesen Figuren, und ob ich jetzt in seinem Körper stecke und unter seiner so dünnen Haut denke. Ich stelle mir die gleiche Frage, während ich zusehe, wie er sich dreht und einen spektakulären halben Salto macht, der gefährlich nahe daran herankommt, das Universum wieder instandzusetzen. Ich atme ein und aus, und beruhige mich. Ich bin immer noch auf dieser Seite des Fischglases.

Für meinen fluoreszierenden Salamander ist die Sache mit den Sprachen nicht so ganz klar. Regelmäßig vergisst er die Sprache, in der er einen Text gelesen hat, der ihn dazu veranlasst zu denken, dass das Gehirn die Ideen in einem Code versorgt, der nicht notwendigerweise linguistisch ist.Vor kurzem wollte er ein paar farbigen Fischchen erzählen, dass die Poesie der historische (genetische) Mechanismus ist, den wir benutzen, um die Gestaltung dessen, was wir als materielle Realität wahrnehmen, in Frage zu stellen. Das wir uns durch sie, die Poesie, weiterentwickeln. Danach zitierte er elegant ein japanisches Haiku, das eine kleine Reihe von Blasen auslöste. Aber, echt, er hat all das in so einem ernsten und phlegmatischen Tonfall gesagt (wie ein deutscher Philosoph), dass mir das Desinteresse der Fische sehr lustig erschien. Diese Armen wissen ja kaum, ob sie im 21. Jahrhundert oder im Paläolithikum leben. Und, wo wir schon dabei sind, das Siglo de Oro oder die Romantik ist ihnen auch scheißegal.

Mein Axolotl Cyborg wurde durch zu viel Kabelfernsehen schlussendlich von der Werbung erobert.

Er hat sogar ein exzellentes Produkt entwickelt, eine Erfindung, etwas, das er gerne vermarkten würde: eine Serie von Bucheinschlägen von Thomas Pynchon, worin die farbigen Fische ihre Bücher von Paulo Coelho einbinden können. Damit können sie diese lesen, ohne der Diskriminierung der Hipster-Umgebung zum Opfer zu fallen. Ich informiere ihn darüber, dass seine Initiative in diesem Land nicht sehr erfolgversprechend ist, denn die Leute ziehen es sowieso vor, gar nicht zu lesen. Hier ist es hip, nichts zu wissen und zu Partys zu gehen, electroclash. Der Axolotl erschreckt sich, und ich muss ihm versprechen, dass er mich bei meiner nächsten Reise nach Buenos Aires begleiten darf, damit er durch die Buchläden planschen kann. Es gibt dort ein paar sehr gute, erzähle ich ihm.

Ja, dieses Tierchen hat sich langsam zu einem Zyniker und einem Frechdachs entwickelt. Aber die Wahrheit ist, ich akzeptiere ihn so wie er ist, mit all seinen Fehlern. Das ist das mindeste was ich tun kann, bei dem Schaden, den ich ihm zugefügt habe – ihn aus seiner idyllischen natürlichen Umgebung zu reißen (wo er mit Kaulquappen und Industriemüll zusammengelebt hat) und ihn hierher zu bringen, um in einer neuen Landschaft zu leben: in einem Habitat, das aus einem durchsichtigen Fischglas besteht und gegenüber von ein paar Bildschirmen aufgestellt ist.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

]]>
http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/axolotl-cyborg/feed/ 1
Traumfänger http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/traumfanger/ http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/traumfanger/#comments Thu, 16 Sep 2010 06:20:51 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1656 *Die Globalisierung erreichte mich mit dem Hypertext, der durch das schwache Signal einer Telefonanlage zu mir gelangte. Sie gab nächtliche, interplanetare Geräusche von sich. Zu diesem Zeitpunkt studierte ich und konnte mir nicht vorstellen, dass ich nicht nur niemals als Journalistin arbeiten würde, sondern dass die Zeit, die Mikroprozessoren und die Globalisierung mich zu der Überzeugung bringen würden, dass das Studium des Journalismus wie ein Studium zum Telegraphen-Operator ist.

*Im Jahr 2001 sah ich auf einem Kunsthandwerkmarkt in Südafrika zwischen peruanischem und ecuadorianischem Trödel einen kleinen Traumfänger aus orange-farbenen Federchen hängen. Es war dieser heilige Kreis, der sich in industriellem Maßstab wiederholt, aus Plastik oder Acryl gefertigt ist und bis zu seinen lächerlichsten Ausformungen getrieben wird, der auf virale Art und Weise in die Schlafzimmer von Millionen von Jugendlichen auf der ganzen Welt einfallen würde, um vergeblich die kollektiven Alpträume des neuen Milleniums aufzuhalten.

*Im selben Jahr, als Nicht-Journalistin, arbeitete ich bereits mit Menschen aus aller Welt und versuchte zu verstehen, was in San Fransisco, Seattle, Porto Alegre, Buenos Aires, Bangalore geschieht… alles zur selben Zeit. Die Dinge begannen, sich anders anzufühlen. In den Folgejahren würden wir lernen, dass wir miteinander mehr gemeinsam haben, als mit den Nachbarn der Wohnung nebenan, dieser Frau, die darauf besteht, ihre Zahlungen in der Zentralstelle des Elektrizitätsunternehmens zu tätigen und die sich bekreuzigt, wenn in den Nachrichten die sozialistische Partei genannt wird.

*Alle meine Freunde waren Aktivisten. Gemeinsam waren wir gegen viele Dinge. Jahre später würden wir uns bewusst werden, dass wir uns in wenigen Dingen einig waren. Damals redeten wir von der Globalisierung und ihren verheerenden Auswirkungen, von der ökonomischen Gewalt, vom Knirschen der Strukturen. Wir hörten von Weitem ein rabiates und unaufhaltsames Rudel kommen, eine Maschine, die arme Menschen fraß und ihre Reste ausspuckte, für den Export gepackt und etikettiert. All diese Dinge würden geschehen und mehr.

*Die Globalisierung findet ihr Territorium der Transaktion auf den Flughäfen. Durch die vielen Besuche trösten mich ihre universellen graphischen Konventionen des Gehen Sie hierhin, Setzen Sie sich dort hin, Durchgang verboten. Die Flughäfen und ihre weichen und harmlosen Speisen, ihre einheitliche Literatur, ihre mehrsprachigen Ansagen in den Lautsprecheranlagen. Dieser Unternehmertyp, der allen Unternehmertypen gleicht, dieses Mädchen, das in Urlaub fährt, um ihr wahres Schicksal bei den Armen dieser Erde zu finden, jene Reisenden, die immer zu schlafen scheinen, diese so stille Frau und ihre Kinder, die von einem Beamten der UNHCR begleitet wird.

*Manchmal, während ich ein Stück Papier schneide, fällt mir auf, dass es gar nicht so verrückt ist zu vermuten, dass diese Scheren in China vom Cousin des Chinesen gemacht wurden, der diese andere Schere gemacht hat. Dieses Buch, das mir gefällt, das euch in Deutschland gefällt, gefällt auch irgendeinem Typen in Singapur, der es in einem dieser Züge liest, in denen keine Portemonnaies geklaut werden. Und ich würde gerne mit Bestimmtheit sagen können, dass letzte Nacht, als ich aufwachte, um das Fenster zu öffnen, weil es sehr warm war, zur selben Zeit eine Frau in Senegal oder in Kroatien zum selben Punkt am Himmel schaute und an mich dachte.

Übersetzung: Marcela Knapp

]]>
http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/traumfanger/feed/ 1
Das Land der Weicheier http://superdemokraticos.com/themen/burger/das-land-der-weicheier/ Wed, 15 Sep 2010 13:11:26 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1952 Ich schreibe aus einem Land heraus, das mich, das Bürgerkind aus der linken Mitte, (noch) watteweich umschließt und mich weltweit vor schlechten Erfahrungen schützt. Ich bin noch nie diskriminiert worden, zumindest nicht wissentlich, und schon gar nicht aufgrund von Rasse, Kultur oder nationaler Herkunft. Groß, schlank, weiß und gut gekleidet komme ich eigentlich überall auf der Welt locker durch – das ist zumindest meine bisherige Erfahrung. Noch nie bin ich vor Clubs an einem Türsteher gescheitert, noch nie wurde mir eine Mitgliedschaft verwehrt und selbst die Homeland Security der Vereinigten Staaten winkt gelangweilt ab. Der Gipfel an Diskriminierung in meinem Leben waren einige anti-deutsche Spitzen eines norwegischen Austauschschülers. Im wahrsten Wortsinn: ein Witz!

Was ich sonst eigentlich sehr begrüße und an diesem Land so schätze, erscheint mir in Fragen der Sensibilisierung für Diskriminierung wie ein Fluch: Es scheint uns, den deutschen Deutschen (also den porentief weißen Kindern deutscher Eltern und Enkeln deutscher Großeltern), unmöglich, nicht auf der Sonnenseite der Welt zu stehen – es sei denn, wir begäben uns willentlich und wissentlich in Armut und Gesetzlosigkeit, aber das hat dann nichts mit Diskriminierung zu tun, sondern allein mit Dummheit und Erfahrungssucht.

Ist es nun Sophisterei zu sagen, dass ich durch offensichtliche Undiskriminierbarkeit gleich doppelt diskriminiert bin? Der Satz „Auch ich möchte mich irgendwann mal diskriminiert fühlen“, mit dem die erste Fassung dieses Eintrags begann, geht zwar gewiss zu weit, er beinhaltet jedoch einen Kern, der mir gerade angesichts der zurzeit in Deutschland tobenden Debatte über die Integration muslimischer Einwanderer entscheidend erscheint: Wie soll der durchschnittliche „Herkunftsdeutsche“, wie das jetzt schon von einigen genannt wird, ermessen, was es bedeutet, aufgrund von Herkunft, Kultur und Hautfarbe diskriminiert zu werden? Wie soll derjenige, der einer Leitkultur und einer Rasse angehört, die ihn weltweit vor Diskriminierung zu schützen scheint, die Situation derer ermessen, die zu eben dieser Kultur keinen Zugang finden oder schlimmer noch: denen der Zugang verwehrt wird?

Ohne die Erfahrung einer alltäglichen Diskriminierung kann ich nur ahnen, wie unverschämt es sich aus Sicht der Betroffenen anfühlen muss, wenn jetzt jene, die in diesem Land die Gruppe der muslimischen Migranten kollektiv diskriminieren, auf einmal selbst von „Diskriminierung“ sprechen, wenn sie – nicht zuletzt aus den Reihen dieser Migrantinnen und Migranten – scharfe Gegenrede erfahren. Die Erfahrung einer wirklichen Diskriminierung aufgrund von Religion, Kultur und Hautfarbe, von allen Bewohnern des Landes geteilt, würde die Kultur der Zuspitzung, des Tabubruchs, des „Man wird ja nochmal sagen dürfen …“ im Keim ersticken.

Bis es so weit ist (und es kann nie dazu kommen, das wäre ja paradox), wird man ja wohl nochmal sagen dürfen, dass die bürgerlichen „Herkunftsdeutschen“ nichtsahnende Weicheier sind, denen es nur gut täte, selbst mal irgendwo eine diskriminierte und – und das wären diese Leute (wir) bei ihrer ganzen kulturellen Hybris gewiss – eine schwer zu integrierende Minderheit zu sein.

]]>
Zur Kritik der Gewalt http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/zur-kritik-der-gewalt/ Tue, 14 Sep 2010 07:19:44 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1812 Der Durchbruch der Sonne ist im Berliner Alltag immer ein großes Ereignis. Ihre Strahlen kündigen der kalten Stadt die Ankunft von Wonne, Genuss und Freude an. An sonnigen Tagen geht man in einem anderen Takt spazieren und die allgemeine gute Stimmung lässt Toleranz zu etwas Glaubwürdigem werden. Die Stadt scheint in einem unvergleichlichen Ausmaß zu jubeln. Die Liebe würde dann in jedem Augenblick aus dem geringsten Glaubensbeweis entstehen, sich überallhin verstreuen.

Sabine ging an diesem Tag raus, um durch die Stadt zu spazieren. Der Glanz ihres goldenen Haars in der Sonne würde alle Geliebten von Sjöfn, der nordischen Gottheit der Liebe, in ihren Bann ziehen. Aber es war Dienstag und Tyr, der Gott des Krieges, blickte durch ihre Augen.

Daniel versprüht Jugend. Er ist ein Jahr jünger als Sabine und seine Haut schimmert in der Sonne wie schwarzer Marmor. Er fühlt sich hier zuhause, auch wenn für ihn Sjöfn Vishnu und Tyr Shiva heißen würde.

Beide wurden in Berlin geboren, aber die Stadt gehört weder dem einen noch der anderen auf die selbe Art und Weise. An diesem Tag nehmen sie nicht ihre Fahrräder, sondern nutzen lieber die öffentlichen Transportmittel. Die U-Bahnhaltestelle Schlesisches Tor ist wie jede andere auch, etwas dreckig, mit eisigem Licht und sonderbarem Geruch. Eine Sicherheitskamera zeigt uns diese Jugendlichen voller Leben. Er steht einen halben Meter von den Gleisen entfernt, als sie den Bahnsteig betritt und sich ihm nähert. Sie stellt sich neben ihn, sagt etwas zu ihm. Sie gestikuliert und scheint zu schreien. Es ist früh am Morgen, möglicherweise hat er sich erschrocken, ich hätte das getan.

Er versucht ihr den Rücken zu kehren, sich taub der Situation zu entziehen. Sie sucht Streit. Sie stürzt sich auf ihn und schubst ihn auf die Gleise. Der Zug kommt in zwei Minuten. Einige Menschen, die in der Nähe stehen und den Vorfall mitbekommen haben, durchbrechen die morgendliche Benommenheit und versuchen, ihn von den Gleisen zu bekommen. Daniel wird später erzählen, dass sein Training als Verteidiger bei der ansässigen Fußballmannschaft ihm dabei geholfen hat, schnell zu reagieren. Auf fast allen Gesichtern steht Schweiß. Alles geht sehr schnell. Die Frische ist verflogen, die Atmosphäre von Entsetzen erfüllt. Es ist unwichtig, ob er sich selbst von den Gleisen gehievt hat oder ob andere ihn hochgezogen haben: Er lebt. Tiefer als die körperliche Verletzung sitzt der Schock. Alle sind ergriffen. Durch den Zoom der Sicherheitskamera kann man das Gesicht von Sabine sehen, es zeigt keine einzige Regung. Tyr fühlt für sie. Sie rennt auf die andere Seit des Bahnsteigs und springt in die Bahn, die in die andere Richtung fährt. Sie entfernt sich…Keiner der Anwesenden hat bis jetzt reagiert. Dann ruft jemand die Polizei, sie werden sie festnehmen und verhören. Sei zeigt keine Reue, nur Hass… Warum?

Es ist sieben Uhr morgens und Thilo Sarrazin schreibt an seinem Buch: Deutschland schafft sich ab. Sein Bruder, Nicolas Chauvin, unsterblich geworden durch “La Cocarde tricolore” diktiert ihm den Text. Das, was er schreibt, trägt nicht das Feuer des Lebens in sich, sondern die Asche der Niederlage. Ein moderner Heine würde Folgendes zu ihnen sagen:

Die Berliner Weber

Sie gehen durch die Stadt mit der Stirn in Falten.
Sie setzen sich vor ein Bier und fletschen die Zähne;
Deutschland, wir werden dein Leichentuch nicht weben.
Und damit weben wir unseren eigenen Fluch.
Wir weben nicht, wir weben nicht!

Gesegnet sei unsere Religion, die Religion der Intoleranz.
In Vereinsamung und Lynchmorden,
An dich glauben wir und dich zwingen wir auf.
Wir betrügen uns, wir vernichten uns.
Wir weben nicht, wir weben nicht!

Gesegnet sei die Regierung, die Regierung der Reichen,
Die unsere Not nicht lindern konnte,
Die uns auch der letzten Hoffnung beraubt
Und uns wie Hunde sterben lässt.
Wir weben nicht, wir weben nicht!

Gesegnet sei das falsche Vaterland,
Wo die Demütigung und die Schande Hand in Hand laufen,
Wo jede Blume schon beim Knospen knickt,
Wo die fauligen Würmer über dem Festessen schwelgen.
Wir weben nicht, wir weben nicht!

Im durstigen Auge keine Tränen.
Deutschland, deine Weber weben nicht,
Weder bei Nacht, noch bei Tag.
Neues Deutschland, deine Weber weben nicht mehr!


Übersetzung: Barbara Buxbaum

]]>