La Paz – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Ich http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/ich/ http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/ich/#comments Fri, 01 Jun 2012 07:04:24 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6434 Ein bolivianischer Freund fragte mich kürzlich: Warum willst du in dieses país-no país gehen, in dieses Land, das keins ist? Das ist seine Sicht auf Bolivien. Natürlich ist Bolivien ein Land, ebenso wie Deutschland, Kamerun oder Thailand, mit seinem eigenen Charakter. Doch bleibt die Frage: Was zieht mich dorthin? Es fällt mir schwer, das in Worte zu fassen. Die Geschichte begann vor langer Zeit, als mich mit 16 Jahren der Zufall an einen Ort namens Tarija im Süden des Landes verschlug, ein Weinanbaugebiet mit mildem Klima unweit der argentinischen Grenze. Hier verbrachte ich ein Jahr, das mir anfangs unendlich erschien. Ich schrieb Briefe an meine Familie und Freunde in Berlin, die ihr Ziel nach durchschnittlich sechs Wochen erreichten, wenn sie überhaupt ankamen. Meine Mutter rief mich wöchentlich an und zahlte horrende Telefonrechnungen. Die schnellste Art der Kommunikation war neben dem Telefon das Fax; eine Maschine, die beim Empfangen von Nachrichten schiefe Melodien erzeugte und im Minutentakt eine Zeile ausspuckte. Den kommunikativen Beschränkungen geschuldet, entfernte sich mein Zuhause auf der anderen Erdhalbkugel zunehmend, während mein Aufenthaltsort immer präsenter wurde. Als ich nach Europa zurückkehrte, um mein früheres Berliner Leben wieder aufzunehmen, verstand ich nicht, was mit mir los war. Es fühlte sich nicht an wie vorher. Ich stellte fest, dass irgendetwas von mir dort geblieben sein musste.

Ich ging es Jahre später suchen, als ich zurückkehrte, um einige Zeit in La Paz zu verbringen, der auf 4.000 Meter Höhe gelegenen Stadt in der Form eines Topfes, in der es immer gleichzeitig heiß und eisig ist. Ich begriff, dass diese Zeit vor ein paar Jahren keine verstreute Randnotiz gewesen war. Ich fand nicht, was ich suchte, aber stattdessen Neues, Unerwartetes, wie meinen tarijeñischen Freund. Es folgten Jahre des Kommens und Gehens, in denen ich mich, stets im Aufbruch begriffen, wie ein Vogel von Norden nach Süden bewegte. Seit meinem ersten Aufenthalt in Bolivien war die Technologie vorangeschritten. Über das Internet und Chatprogramme führten wir „Videokonferenzen“, konnten uns in 2D in unseren eigenen Umfeldern beobachten. Im Cyberspace schufen wir unsere eigene Welt, unsere Sprache, unsere Codes. Ich fragte mich, wie Paare vor fünfzig, hundert Jahren die Distanz überbrückt hatten. Was hatten sie in Notfällen unternommen und seien sie emotionaler Art?

Ich lebte gleichzeitig hier und dort und war nirgendwo angekommen. Mit der Zeit entwickelte ich eine Art geografische Bipolarität. Meine Freunde sagten, ich solle endlich realistisch werden und mein Leben in Berlin beginnen. Sie verstanden nicht, dass dies alles sehr real war. Und es war keine Frage des Auswählens. Doch obwohl die virtuellen Hilfsmittel eine Nahezu-Gegenwart schaffen, ist ein Chat nicht das Gleiche wie ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht. Während Vorstellungskraft und Ausdauer übernatürliche Kräfte entwickeln, zeichnet sich körperliche Nähe durch ihre Abwesenheit aus. Sex wird zu einem abstrakten Konzept. Liebe schrumpft zu Emoticons zusammen: <3 oder :*. Ich fragte mich, wie viel seit dem letzten Treffen vom „Wir“ geblieben und wie viel zu einer Idee geworden war.

Schließlich beschloss ich, nach Bolivien zu ziehen. Es fällt mir schwer, mein Bedürfnis zu erklären, immer wieder in jenes Land zurückzukehren, das meinem so fern und so fremd ist. Ob es am weiten und ruhigen Hochland liegt, die Nähe zum Himmel, die mich glücklich macht? Ist es, wie eine bolivianische Freundin beschrieb, die existenzielle Angst, die einen begleitet, etwa wenn man im Bus zwei Zentimeter vom Abgrund entlangfährt? Ist der Grund mein imaginärer Freund? Oder der verseuchte See, an den wir fahren, um Fischchen zu essen? Ist es das, was ich suche? Möglicherweise habe ich seit meinem sechzehnten Lebensjahr einfach einen sprunghaften Puls, der mir keine Ruhe lässt. Ich kann weder eindeutig erklären, warum ich gehen will, noch was ich suche. Ich bin mir einzig ziemlich sicher, dass die Sehnsucht meine treue Begleiterin sein wird. Sollte ich keine Bleibe finden, weiß ich immerhin, dass der Cyberspace mich stets willkommen heißen wird.

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Der Schuster trägt die schlechtesten Schuhe http://superdemokraticos.com/laender/bolivien/espanol-en-casa-de-herrero-cuchillo-de-palo/ Sat, 26 Nov 2011 03:42:04 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5939 Eines dieser typischen lateinamerikanischen Motive. Ein Refrain, der überall wieder zitiert wird, ein populäres Mantra mit unendlich vielen semantischen Äquivalenten, in der gesamten Bandbreite, die unsere Sprache zu bieten hat. Bei den Marktschreiern auf den Straßen hinter dem Zócalo, östlich vom Gymnasium San Ildefonso. Ich suchte nur nach einem Blue Demon-T-Shirt. Aber es scheint, als wären diese Person und El Santó (Der Heilige), eine weitere Wrestling-Figur, wohl die einzigen Figuren, die von den Mexikanern als registrierte Marken anerkannt werden. Die Shirts waren einfach nicht zu finden. Jeder weiß, wer sie verkauft, ein Weg von einem Verkäufer zum nächsten Verkäufer, der dich zum Geschäft schickt, wo sie es auch nicht haben. Mehr als eine halbe Stunde Fußmarsch über den Ground Zero der Vereinten Staaten von Mexiko, der Plaza de la Constitución. Trauben von Polizisten an allen Ecken im Osten, noch symbolischer als die Polizisten noch weiter im Osten vor den Geschäften von Cartier in Polanco. Festgelegte Routen für die Touri-Busse. Wir fuhren wieder aus Bolivien ab, ohne einen einzigen Post geschrieben zu haben. Letzten Mittwoch dachten wir noch, dass das Unwohlsein vorübergehend wäre. Manchmal bereitet die Höhe einigen Menschen eine schlechte Zeit. Am Tag unserer Lesung in La Paz bekam ich fast keine Luft. Schlussendlich saß ich mit Schüttelfrost vor einer Menschenmenge, von der ich nicht weiß, inwiweit sie unsere Witze verstanden hat. Jetzt sind wir in Mexiko, heute Nachmittag kommen wir in Guadalajara an.

Mir machen die 3.600 Meter jetzt nicht mehr ganz so sehr so schaffen, obwohl ich schon in meiner Kindheit damit Probleme hatte – ich wurde ja auch nicht dort geboren – und es steht fest, dass ich, wenn ich mal wieder hier bin, in den ersten Tagen vermeide, in das Zentrum hinaufzugehen. In La Paz trinke ich lieber auch nicht, mein eigener Wunsch für uns beide, denn mein Körper tut sich schwer damit, den Kater zu überleben, und auf dieser Reise mit Niko hätte es eh nichts gebracht. An dem Tag, an dem wir lesen sollten, mussten wir unseren Weg durch die Zona Sur zum Goethe Institut plötzlich, von einem Moment auf den anderen, unterbrechen. In den 20 Minuten im Taxi, zwischen Obrajes und der Avenida Arce, versuchte ich mir vorzustellen, wie ich mich aufspalten könnte, um die beiden Stimme gleichzeitig und simultan aus mir herauszuholen. Wie sehr hätte es mir gefallen, das Mädchen aus dem Film „Der Exorzist“ zu sein, um den Texten, die wir gemeinsam geschrieben haben, den Charakter, den Charme verleihen zu können.

Unserer Autoren erschienen nur so viel früher, wie es unbedingt nötig war, damit die Lesung nicht ohne sie begann. Keine Chance, irgendwas zu proben. Fernando Barrientos versuchte, die weibliche Stimme zu ersetzen, die mir fehlte, um mich in die männliche Figur zu verwandeln, die ich normalerweise auf dieser Lesereise bin, wenn wir den Cybersex-Text von Augustin Calcagno inszenieren. Am Ende entschied ich mich dafür, es alleine zu machen, und ersetzte das Geschlecht mit ein bisschen mehr deutschem Schuldgefühl. Das war ein Versuch, die Verwirrung auf der Bühne des armen Flaco zu vermeiden, der ja mit unseren Ablauf nicht vertraut war. Zusätzlich zeigte sich meine Mutter als eine der schlechtesten Fotografinnen der Stadt. Auf jeden Fall und trotz aller Pannen teilte ich mir die Bühne mit unseren Autoren aus La Paz und das war etwas sehr Schönes. Und am nächsten Tag wurde es sogar noch besser, als wir bei unserem Workshop die Arbeit von Ernesto Martínez kennenlernten, der mit Editiones Vinculo als erster bolivianischer Verlag digitalisierte Bücher herausbringt und Mitinhaber der kulturträchtigsten Buchhandlung von La Paz ist, von Martínez Acchini. Außerdem konnten wir uns auch mit der Arbeit von „Desde el sur“ (Aus dem Süden) vertraut machen, einem Portal, das versucht, sich für die Stimmen der bolivianischen Diaspora aus der ganzen Welt zu etablieren. Natürlich haben wir auch Lulhy Castro getroffen, die Repräsentantin des Cartonera Verlags aus Oruro “Rostro Asado” und ein Kollektiv von Schriftstellern und Künstlern, welches in dieser Stadt versucht, den öffentlichen Raum einzunehmen. Sich mit jenen Menschen zu treffen, die so wie wir denken, also mit den anderen Neuronen dieses kollektiven Gehirns, setzt viel Energie frei. Aus dem mobilen Hauptquartier der Superdemokraticos geht unser großer Dank an Michael Friedrich, den Direktor des Goethe-Instituts in La Paz und an Patricia Cuarita, die Kulturbeauftragte des Instituts. Ebenfalls vielen Dank an die lesenden Autoren Javier Badani, Fernando Barrientos und Richard Sánchez, wie auch an das Publikum, das kam, um uns zu hören und am nächsten Tag an unserem Workshop teilzunehmen.

Der Zweck unserer Reise ist es, uns mit Seelenverwandten zu treffen, romantisch gesprochen. In Bolivien haben wir nicht nur neue Freunde gefunden, sondern konnten auch auf die Solidarität von lieben Menschen zählen, die uns geholfen haben, alles, auch das Unvorhersehbare, ohne größeren Schaden zu ertragen und zu überwinden. Vielen Dank, La Paz, ohne euch wäre es schwer gewesen so weit zu kommen. Am 2. Dezember präsentieren wir auf der Buchmesse in Guadalajara unser Buch und unser brandneues Ebook.

In unseren Taschen haben wir Bücher zweier Verlage, die wir voller Stolz präsentieren: des Verbrecher Verlags, ein konsequenter Verlag aus der Unabhängigen Republik Kreuzberg, und der Edicion Vinculo, die mit ihrem digitalen Katalog für zeitgenössische Literatur die Tür für die bolivianische Literatur in der Welt öffnet.

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Die Rache Monteczumas http://superdemokraticos.com/laender/bolivien/die-rache-monteczumas/ Fri, 25 Nov 2011 02:23:18 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5921

Opfergaben zum Verbrennen bei traditionellen Aymara-Zeremonien: für mehr Geld, eine gute Reise oder was auch immer. Gegen Salmonellen helfen aber nur Salzlösung und Zeit.

Ich werde mich erinnern, an die Kopfsteinpflasterstraßen, die vor der deutschen Schule anfangen und danach wieder aufhören. An das Schild: Achtung, autofahrende Eltern. Oft bin ich hier im Taxiautotaxiauto vorbeigekommen in den zehn Tagen, die wir in La Paz verbracht haben. Mit Blick auf die wackelnde Dufttanne und den hüpfenden Rosenkranz am Rückspiegel des Fahrers. Anfangs, um in der Zona Sur, in San Miguel, im Alexander Coffee das Internet zu nutzen und Fruchtfrappés zu trinken. Alexander Coffee: eines der erfolgreichsten Unternehmen Boliviens, das überall diese modernen Kaffee-cum-Internet-Cafés betreibt, mit verpackten Brownies, aber alles „hecho in Bolivia“, im Land hergestellt.

Mein Hals glüht, drückt, brennt, beim Schlucken, beim Schlafen, ich habe eine Erkältung, eingeschleppt aus der kühl-regnerischen Stadt Bogotá, wo es jeden Tag pünktlich um 14 Uhr grau und nass wird. Nach einer bolivianischen Saltena in einem kleinen Restaurant mit vier Tischen oder nach einer Pizza in einer dieser Shopping Malls, die in Lateinamerika das öffentliche Leben in klimatisierte Palmen-Zonen verlegen, kommt noch ein Bauchgrummeln dazu. Die Rache Monteczumas liegt auf mir: Durchfall, Erbrechen, so nennt man die Reisekrankheit, die angeblich auf dem Fluch des letzten mexikanischen Aztekenherrschers beruht, der vor dem spanischen Eroberer Hernan Cortés zwar friedlich in die Knie ging, aber dann ermordet wurde. Nicht schön. Also verbringe ich die Tage im Bett.

Aber ich werde mich erinnern an die Taxiautotaxifahrten, an das rote Fleisch der Berge, die trocken rund um die Stadt La Paz in die Höhe ragen. An den Ausflug mit Jeep in das Hinterland, durch Geröll-Canyons. Die rohen Steine, die sandig ausgespülten Rinnsale, an den Stadthängen Hochhäuser darauf thronend, steil in die Höhe steigend. Die Lichter nachts. Die Marineschule mit Leuchtturm und Ausguck und Takelage, in einem Land ohne Meer, direkt an der Stadtautobahn. Ich werde mich erinnern an den freundlichen, allgemeinen Arzt, der mich in ein leeres Krankenhaus bringen wollte, wo es kein Klopapier gab. An den lustigen Onkel Pepe, der mich dann in einem anderen Krankenhaus nochmal untersuchte. Ich werde mich erinnern an die Siestas der Straßenarbeiter unter den Bäumen auf den Plazas. Hingestreckt. Dunkle Gesichter. Verschränkte Arme. An die Straßenverkäuferinnen mit weiten Röcken: 2 Bolivianos für ein Haargummi, 6 für eine Cola. An den täglich sinkenden Eurokurs. An die vielen Dienstleister: Wächter vor den reichen Stadtvierteln, Rasensprenger auf Verkehrsinseln, Gepäckträger am Flughafen, Tütenpacker in Geschäften, Sandwichausrufer vor Bürogebäuden. Die Alternative zu 1-Euro-Jobs?

Und an das Dachzimmer bei Rerys Familie im Tudorstil mit vielen Fenstern, Holzbalken, Licht, in jedem Fenster ein anderes Himmels-TV: Wolken, Fichtenwipfel, hochragende Klippen aus sandigem Stein, Vögel, bellende Hunde der Nachbarn. An die Krankenkost, die mir Rerys Mutter brachte: Salzlösung mit Ananasgeschmack, mit Wasser aufgelöste Maizena mit Zimt, Salzcracker, dazu der surrende Luftbefeuchter. An die Düfte aus der Küche von Kika, der Haushälterin, die aus dem Dorf Mokomoko („Kleiner Mann mit breitem Schnauzer“) kommt, acht Stunden Autofahrt entfernt von La Paz, mit einem Klima wie im Süden des Landes, wo nur noch 30 Leute wohnen. Daran, dass sie die einzige ist, die in diesem Haushalt eine Privatsphäre hat. Denn in ihrem Zimmer räumt sie selbst auf.

An all das werde ich mich erinnern, obwohl oder weil ich die meiste Zeit im Bett lag. Auf dem Hexenmarkt in La Paz, mein einziger Ausflug ins Zentrum für ein paar Stunden am letzten Tag, hab ich die Medikamente nur fotografiert, die Statuen für Gesundheit, Glück, gute Reise oder Weisheit, die Opfergaben, die Tees, Tinkturen, Lama-Föten und Kräuterkörbe. Gekauft hab ich ein silbernes Kokablatt. Ich werde es Monteczuma nennen. Oder besser Cuauthémoc, so hieß sein Cousin. Er hat sich als letzter Herrscher von Tenochtitlán nicht ergeben, sondern Widerstand geleistet. Salmonellen, adé!

Und ich werde dankbar sein, denn wenn man krank ist, ist die Wahrnehmung eine andere.

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Postkarte aus La Paz http://superdemokraticos.com/laender/bolivien/5944/ Wed, 23 Nov 2011 04:30:03 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5944

Von links nach rechts: 1- Früchte auf dem Markt, 2- Spielen in einer Schrottkarre auf dem Weg nach Palca, 3- Glücksflaschen in der Straße der Hexen in La Paz, 4- Ekekostatue, 5- Fußballmatch mit dem Berg Illimani, 6- Handwerker, der auf einer Straße im Zentrum arbeitet, 7- Mit unseren neuen Freunden im Café Blueberry, 8- Cholita in der Straße Illampu.

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Liebes, ich muss es dir gestehen: Ich betrüge dich mit ein paar Königinnen http://superdemokraticos.com/themen/burger/liebes-ich-muss-es-dir-gestehen-ich-betruge-dich-mir-ein-paar-koniginnen/ http://superdemokraticos.com/themen/burger/liebes-ich-muss-es-dir-gestehen-ich-betruge-dich-mir-ein-paar-koniginnen/#comments Mon, 23 Aug 2010 08:32:53 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1048 Niemand kann mich in letzter Zeit von meinen Lastern und Süchten abhalten. Das Ungeziefer des Pokerns, das gebe ich zu, hat sich tief in meine Knochen eingefressen, genauso wie früher das Rheuma in die kraftlosen Körper all meiner Vorfahren. Nacht für Nacht schalte ich die Realität aus und unterwerfe mich der Diktatur der Karten, in irgendeinem Lokal in La Paz, das Texas Hold’em Turniere anbietet. Meine Frau ist sich sicher, dass in meinem Fall alles verloren ist und bald der Tag kommen wird, an dem ich sie am Tisch als Spieleinsatz verwetten werde (diese Idee, muss ich gestehen, missfällt mir in manchen Momenten gar nicht so sehr).

Mich reizt die heimliche Aura, die von dem Spiel und seinen Spielern ausgeht. Im Gegensatz zu anderen Ländern in der Gegend wird Poker in Bolivien mit großem Argwohn betrachtet. Kartenspielen hat keine lange Tradition und besitzt wegen seiner Darstellung in vielen Hollywoodfilmen einen schlechten Ruf. Zu sagen, man sei ein Verehrer dieses Spiels, ist genauso, als stelle man sich den Eltern der Freundin als Rockstar vor.

Trotz alledem hat das Pokern in Bolivien in den letzten Monaten stark zugenommen. Für dieses Phänomen sind auch die dafür vorgesehen Sendungen für Turniere im internationalen Kabelfernsehen, die sich in den USA und in Europa entwickeln, sehr hilfreich. Genau wie die kostenlosen Seiten, die man im Internet findet. Ich praktiziere es seit einem Jahr, was mich zu einem einfachen Amateur macht, der sein Lehrgeld bezahlt. Als Profi anerkannt zu werden, erfordert jahrelange Übung. Ist man einmal auf diesem Olymp, ist der Rest Peanuts.

Vor allem fasziniert es mich, wie die Spieler an einem Pokertisch einen Umriss der Gesellschaft, in diesem Fall der bolivianischen, bilden können. Hier sitzt Sergio, der erfolgreiche Unternehmer, der voller Stolz seine Goldketten und seinen wohlgenährten Geldbeutel trägt, der sich Zeit nimmt, um Spielstrategien zu entwickeln, die ihn zum Erfolg bringen sollen. Neben ihm Carlos, ein Studentenführer mit trotzkistischen Einflüssen, der regelmäßig Demonstrationen gegen den Kapitalismus organisiert, der keine Angst hat jeden Einsatz mitzubieten, auch wenn das dazu führt, das er den Tuniertisch schnell und gewaltsam verlassen muss.

Zu meiner rechten sitzt Manuel, der aufstrebende Politiker, der keine Gelegenheit auslässt, um mit seinen Karten zu bluffen, egal, wie schlecht diese auch sind. Er, das muss man ihm zugestehen, geht fast immer erfolgreich aus dem Spiel. Neben ihm hat sich Roxana, die über 50jährige Witwe, niedergelassen. Sie findet keine bessere Art und Weise, die Rente ihres Verstorbenen auszugeben, als diese zum Wetteinsatz zu machen, immer dann, wenn sie ein gutes Blatt in der Hand hält. Ihr geht es trotzdem nicht ums Gewinnen; sie hat ein größeres, dringenderes Bedürfnis: ihre Einsamkeit auszulöschen. Und ja, da bin natürlich auch noch ich, derjenig,e der seine Geschichten in journalistischen Notizen erzählt, und davon träumt, eines Tages nicht mehr arm zu sein und ein Pokerturnier in Las Vegas zu gewinnen.

Aber all diese Unterscheide, die ich gerade aufgezählt habe, bleiben draußen vor der Tür des Lokals. Hier, am Pokertisch haben sich die zehn Spieler aller sozialen Vor- und Nachteile entledigt. Es gibt keine Unterschiede mehr, die eine Bedeutung hätten. Wir steigen alle mit der selben Anzahl an Pokerchips ein und haben alle die gleichen Chancen das Spiel erfolgreich oder pleite zu beenden. Wäre es nicht toll, wenn das Leben so einfach wäre? Bedauerlicherweise ist esnicht so.

Entgegen aller gegensätzlichen Meinunge  ist Poker ein Strategiespiel: das Glück und der blinde Zufall am Spieltisch sind viel zu vorübergehend und schwer greifbar. Und wie immer im Leben muss man nachdenken, um zu gewinnen, den Geist des Gegners beeinflussen, um ihn zu besiegen. Die Karten des Gegners sind tatsächlich eher unwichtig, viel wichtiger ist, dass man ihn glauben lässt, dass du bestimmte Karte in deiner Hand hast.

Ok, jetzt hab ich so viel über Poker gesprochen, dass es mich wieder in den Fingern juckt. Ich verlass euch jetzt, ich hab nämlich noch ein Date mit ein paar Königinnen (Q, Q).

Übersetzung:
Barbara Buxbaum

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Help! Eine Göttin hat sich neben mich gesetzt! http://superdemokraticos.com/themen/koerper/help-eine-gottin-hat-sich-neben-mich-gesetzt/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/help-eine-gottin-hat-sich-neben-mich-gesetzt/#comments Mon, 09 Aug 2010 07:08:47 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=593

Eingeklemmt im Trufi. Foto: Javier Badani

Schwitzen. Meine Hände schwitzen. Eine Göttin hat sich gerade neben mich in das Trufi gesetzt und ich versuche alles, um meine Schüchternheit abzuschütteln, während ich ihren Körper aufgrund des Fahrzeuggeruckels berühre. Was? Du weißt nicht was ein Trufi ist? Ich erkläre es dir: Das ist ein sehr spezielles, öffentliches Transportmittel, das in La Paz das Zentrum mit dem Süden der Stadt verbindet. Die Fahrer benutzen dazu klassische, viertürige Limousinen von Toyota. Um mehr Geld zu verdienen, haben sie einen extra „Sitz“ (besser gesagt ein Kissen) im vorderen Teil des Autos eingebaut. Somit kann man die eigentliche, über Jahre entwickelte Idee jener japanischen Ingenieure, ein Auto zu konzipieren, in dem vier Personen bequem transportiert werden können, vergessen. Hier hat der kreolische Erfindungsgeist einen Platz für einen zusätzlichen Passagier hinzugefügt. Verstehst du jetzt mein Problem? Hier bin ich, in der Mitte des Sandwichs, ich kann nichts mehr bewegen außer meinen Kopf, noch wesentlich eingequetschter als eine Sardine in ihrer Dose.

Zu meiner Linken der stinkende Fahrer des Trufi, der mir immer wieder gegen das Knie schlägt, wenn er schaltet. Meine linke Seite fühlt sich angegriffen.

Und zu meiner Rechten eine Zwanzigjährige, die nach Frühling riecht und deren linkes Beine und ihr linker Arm mit mir zusammenstoßen, mich im Geschaukels das Autos schlagen. Meine rechte Seite will angreifen.

Sie hat so weiche Haut, das merke ich an dem Teil des Armes, der mich hin und wieder berührt. Und es scheint, als hätte sie…nein, sie hat wirklich ausgeprägte Hüften, und ich habe das Gefühl, dass diese mit meinen verschmelzen wollen, jedes Mal wenn das Trufi eine enge Kurve nimmt. Ich schließe die Augen und versuche, diesen Moment an ihrer Seite zu genießen und gleichzeitig bemühe ich mich, die lästige Anwesenheit des Körper des Fahrers zu verdrängen. „Was für seltsame Sachen diese Haut, der Körper“, sage ich mir. Schon ein ganz geringer Kontakt reicht aus, eine physische und psychische Reaktion auszulösen, deren Ende nicht absehbar ist. Und diese Hände, die nicht aufhören zu schwitzen. Tatsächlich fühlt sich mein Körper so an, als hätte er sich verflüssigt.

Kurven hierhin und Kurven dahin. Zweifellos werden auf dem Vordersitz eines Trufis über den Tag verteilt Dutzende Körperschlachten ausgetragen.

In diesem Fall versucht der fünfte Körper – also meiner – verzweifelt, sich dem Kontakt mit den pummeligen Körperteilen des Fahrers zu entziehen. Diesen Kampf, muss ich zugeben, kann ich nicht gewinnen.

Auf der anderen Seite dagegen entwickelte sich ein interessanter Dialog zwischen meinen Armhärchen und denen der Zwanzigjährigen, die nach Frühling duftet. Sie sprechen miteinander, sie berühren sich. „Irgendwie muss man ja anfangen“, ermuntere ich mich.

Plötzlich das abrupte Ende: „Ich steig an der Ecke aus!“ sagt das Mädchen zum Fahrer. Das Trufi hält, die Göttin steigt aus und mein Körper schwitzt nicht mehr, er weint jetzt.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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