Kultur – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Ich werde nicht zur Frankfurter Buchmesse gehen http://superdemokraticos.com/themen/buchmesse/ich-werde-nicht-zur-frankfurter-buchmesse-gehen/ Wed, 06 Oct 2010 12:00:08 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2527

Deutsche und argentinische Gastblogger berichten für Los Superdemokraticos über die Frankfurter Buchmesse. Die Lyrikerin, Übersetzerin, Kuratorin und Bloggerin Cecilia Pavón lebt eigentlich in Buenos Aires, aber ist derzeit mit einem Übersetzerstipendium in der Schweiz. Falls Sie heute Abend in Wien sein sollten, können Sie ihr um 19 Uhr bei ihrem Vortrag Poesie ist kein Projekt zuhören.

Ich setze die Welt der Kultur in Anführungszeichen, denn ich weiß nicht, ob mein Werdegang wirklich etwas mit der Welt der „Kultur“ zu tun hat. Die Frankfurter Buchmesse ist ganz klar die Welt der Kultur. Ich hatte einen „Kunstraum“, der vor allem ein Geschenkeladen war. Wir stellten zwar Bilder aus, verkauften aber Geschenke, Schnickschnack, der (sehr billig) aus China  importiert wurde, und wir publizierten Gedichtbände aus Fotokopien, hergestellt in großer Eile. Einige davon wurden morgens geschrieben und waren nachmittags bereits veröffentlicht.

Ich weiß auch nicht, ob diese Poesie, die wir publizierten, etwas mit der Welt der Kultur zu tun hatte. Es war etwas sehr triebhaftes, ich weiß nicht, bis zu welchem Punkt das Triebhafte mit der Welt der Kultur zu tun hat. (Ich habe einen Account bei Twitter auf den Namen „postcultura“.) In Wien, wohin mich die Akademie der Bildenden Künste zu einem Gespräch über meine Arbeit als Autorin und andere Themen, die in Zusammenhang mit der „kulturellen Welt“ stehen, eingeladen hat, werde ich auch über Tu Rito sprechen, einen neuen Kunstraum in Buenos Aires, bei dem ich mitmache. Er befindet sich in einer Straßengalerie, unten in der Avenida Santa Fe und die Miete ist sehr günstig, wir zahlen sie, mehrere Leute gemeinsam, von dem Geld, das uns am Ende jedes Monats übrigbleibt. Dort veranstalten wir Lesungen, bei denen die Poeten manchmal keine wahren Poeten sind oder bei denen sich die Gedichte zu Bildern transformieren, und man sie an der Wand hängend lesen muss. Am Ende von manchen Lesungen verbrennen wir die Gedichte in einem Lagerfeuer, das wir auf dem Hof machen, damit die Wünsche, die in den Gedichten ausgedrückt werden, in Erfüllung gehen. Manchmal frage ich mich wie groß die tatsächliche Entfernung zwischen der Frankfurter Buchmesse (und dem, für das sie steht, dem zeitgenössischen Verlagsmarkt) und vielen von den Dingen, die ich im Leben gemacht habe, ist. In Wahrheit ist die Frage eher ein Wunsch: ich würde gerne Literatur schreiben, die weit von der Frankfurter Buchmesse und dem Verlagsmarkt und seiner Bürokratie entfernt ist. Neulich habe ich bei einem Workshop den zuständigen Herausgeber für Lateinamerika von Suhrkamp kennengelernt und ihn gefragt: Können Sie sich vorstellen, was passiert wäre, wenn Kafka einen Lektor gehabt hätte, der ihn jedes Mal kritisiert hätte, wenn er gerade angefangen hätte, ein Buch zu schreiben?

Übersetzung: Barbara Buxbaum

]]>
Wenn alles möglich ist, dann ist es gleichsam nichts mehr http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/wenn-alles-moglich-ist-dann-ist-es-gleichsam-nichts-mehr/ Thu, 16 Sep 2010 20:26:54 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1940 Die Globalisierung gibt es nicht. Was es gibt, ist eine Verstärkung der Dominanz der mächtigen Kulturen über die schwachen. Das sage ich nicht, das sagen viele Theoretiker und ernster zu nehmende Experten als ich, gerade letztens habe ich das wieder bei einen von ihnen gelesen. Aber es scheint, als würde ein Funken Wahrheit dran sein. VERSTÄRKUNG DER DOMINANZ DER MÄCHTIGEN KULTUREN ÜBER DIE SCHWACHEN. Das kannst du deiner Tante erzählen! Nach so einem Satz will man lieber aufgeben und zur Theorie überlaufen. Doch ich finde diesen bombastischen Satz interessant und er erinnert mich an eine Anekdote.

Vor ein paar Monaten hatte ich eine Diskussion mit einem Theater in London – das ich ungemein schätze – über ein Drehbuch, das sie angefordert hatten. Ich sollte ein Theaterstück über die Realität meines Landes schreiben, natürlich aus meiner Sichtweise und mit meiner literarischen Stimme, um es irgendwie zu sagen. Ich entschied mich dann, ein Stück über die Diktatur zu schreiben oder, besser gesagt, ein Stück über die Nachwirkungen der Diktatur im Leben der Menschen. Aber ich habe das viel hin und her gewälzt, weil ich dem Ganzen eine eigene Note und Perspektive geben wollte. Ich entschied mich, über eine Familie zu schreiben, deren Tochter während der Diktatur verschwand und die ihr Familiengerüst seitdem um die Abwesenheit der Tochter herum konstruiert hatten. Eines Tages – das ist jetzt schon Teil des Plots– finden sie heraus, dass ihre Tochter zwar zur Zeit der Diktatur entführt worden war, aber nicht vom Militär sondern von Außerirdischen. Die Diktatur hatte es gegeben, es hatte Verschwundene gegeben, nur dass ihre Tochter nicht zu ihnen gehörte. Wie würde diese Familie reagieren, wenn von einem Tag auf den anderen all die Ideen, auf denen sie ihre Werte und moralischen Grundsätze gebaut hatte, auf falschen Annahmen fußten? Die Außerirdischen nehmen erneut die Erde ein,  und die Handlung geht weiter und sie wäre zu lang, um sie hier zu erzählen. Worum es mir hier geht, ist die Auseinandersetzung mit dem Theater in London. Das Theater nahm mein Stück sehr positiv auf, aber sie baten mich die Sache mit den Außerirdischen zu überdenken, da sie fanden, dass dies ein Stilmittel war, dass nicht zu der Dramaturgie und dem Thema des Stücks passte und ein Affront gegen den eigentlichen Wert des Stückes darstellte, der für sie darin bestand, über die Diktatur zu sprechen.

Im Folgenden möchte ich versuchen, so gut es geht einen Dialog wiederzugeben – den Schwachstellen meines Gedächtnis sei verziehen – denn ich erinnere mich nicht genau an den Wortlaut, und zudem erfolgte der Dialog über mehrere Emails verteilt. Zunächst erwiderte ich, dass mein Stück sich in eines der vielen Stücke über die Diktatur in Uruguay einreihen würde, würde ich die Außerirdischen rausnehmen, und dass es mich nicht interessieren würde, zur Fülle der Stücke über die Diktatur ein weiteres hinzuzufügen. Sie antworteten mir, dass sie meinen Einwand interessant und bemerkenswert fänden, weil sie es merkwürdig fänden, dass sie noch nie ein Theaterstück aus Uruguay über die Diktatur gelesen hätten, wenn es doch so viele gäbe. Worauf ich erwiderte, dass es interessant sei zu erfahren, wie viele uruguayische Stücke sie denn überhaupt über die Diktatur kennen würden, und ich schickte ihnen im Anhang eine Liste mit 15 Stücken aus Uruguay über die Diktatur. Die Antwort war klar, dass sie keines der Stücke gelesen hatten, und auf diese Weise blieben die Außerirdischen im Drehbuch, und diesen Monat hat mein Stück Premiere, aber logisch, nicht in London, sondern in Montevideo.

Die Moral von der Geschichte: Die Globalisierung ist nicht global, sie ist nicht in der uruguayischen Dramaturgie angekommen, so wie sie an hunderten von Orten nicht angekommen ist. Denn ich kann schnell deutsche, französische, US-amerikanische, sogar brasilianische und argentinische Theaterstücke ausfindig machen und lesen… aber wie sollte ich schnell und einfach Zugang zu marokkanischen, costaricanischen, iranischen, finnischen, oder, um noch ein außergewöhnlicheres Beispiel zu nennen, asiatischen Drehbüchern bekommen.

Es handelt sich nicht nur um mächtige und schwache Kulturen – da niemand die Stärke der eben genannten Kulturen leugnen kann – sondern auch darum, dass man sich immer mit den Nachbarländern vergleichen muss und darüber hinaus auch natürliche Hürden zwischen den Kulturen bestehen, und damit meine ich nicht nur die Sprache.

Uns erscheint es so, dass die Globalisierung und das Internet Hand in Hand gehen, dass alles überall hingelangt, doch wir wissen auch, dass obwohl die Welt jeden Tag vernetzter ist, sich weder der Reichtum globalisiert, noch die Macht, noch nicht einmal die Information. Man muss wissen, wie man zu ihnen hinfindet, man muss wissen, wie man sucht, man verliert sich in der Welt der Daten, wie man sich in der Welt verliert. Es ist unglaublich sich vorzustellen, dass die uruguayischen Drehbuchtexte, zumindest ein großer Teil von ihnen, auf der folgenden Internetseite zugänglich ist www.dramaturgiauruguaya.gub.uy. Aber das macht sie nicht global, sie stehen damit nicht der ganzen Welt zur Verfügung, sie macht sie noch nicht einmal den Zirkeln zugänglich, die sicher darauf brennen würden, sie zu lesen. Die Herausforderung gilt weiterhin, denn in einer globalisierten Welt sind die Barrieren immer noch so groß wie zuvor. Auf eine gewisse Weise ist das sicher pessimistisch, aber mit dem Optimismus der Hoffnung, dass dies nicht das Ende aller Tage ist, sondern einfach nur eine Etappe. Ich empfinde die Globalisierung wie diesen Satz von Baudrillard: „Wenn alles möglich ist, dann ist gleichsam nichts mehr möglich.“

Übersetzung: Anne Becker

]]>
Heute Bürger, morgen Fremder? http://superdemokraticos.com/themen/burger/heute-burger-morgen-fremder/ Thu, 09 Sep 2010 07:48:29 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1785

Cover, Sherry Yorke: Multicultural Literature. Foto: Linworth Books

Mein Land ist Kuba, aber heute bin ich zu Besuch in den USA, um genauer zu sein, in Miami. Eine erstaunliche Stadt, voller Latinos – Immigranten aus Lateinamerika – und mit einem Klima, das dem von Havanna ähnelt. Die Kategorie Latino scheint nur hier Sinn zu machen oder im Rest der USA und Kanada. Latino ist eine Etikettierung, die ich politisch sehr produktiv finde, da sie von den kulturellen Unterschieden und Ähnlichkeiten Zeugnis ablegt, das heißt, den Unterschiedlichkeiten und Ähnlichkeiten zwischen dem Nordamerikanischen oder dem, was als Gringo bezeichnet wird, und den verschiedenen Kulturen Lateinamerikas.

Es ist nicht so, dass alle Latinos in den USA denselben Umgang mit dem Nordamerikanischen führen würden, natürlich nicht. Die Kubaner, die Puertorikaner, die Mexikaner – die in Texas am zahlenstärksten sind – die Kolumbianer, die Menschen aus der Dominkanischen Republik, unter vielen anderen, eignen sich auf verschiedene Weise den american dream an. In Miami, zum Beispiel, scheinen die Kubaner tendenziell nach einem wirtschaftlichen american dream zu streben und ihn zu erreichen. Ich weiß von Puertorikanern in manchen Gegenden dieser Stadt, die in Vierteln wohnen bleiben, die als arm und schwarz gelten. Ersteres kann man dort mit eigenen Augen erfahren, zweiteres hat mit der Stellung zu tun, die bestimmte kulturelle Identitäten innerhalb der Vorstellung des Nordamerikanischen innehaben, die von dem Attribut „white people“ dominiert wird, was zugleich auf eine ethnische wie eine politisch-ökonomische Überlegenheit hinweist. Mit „white people“ meint man Angelsachsen oder deren Nachfahren. Alles, was da nicht reinpasst, fällt bezeichnenderweise aus der Kategorie Weiß heraus – was uns in Erinnerung ruft, dass die Kategorie Rasse zur Zeit der Kolonisierung Amerikas geboren wurde.

In einem informellen Treffen mit Studenten und Bibliotheksangestellten der Universität von Miami traf ich auf junge Leute, die aus Puerto Rico, Mexiko, Kolumbien, Haiti, Kuba… ausgewandert waren. Alle lebten schon seit Jahren in den USA, und ich hatte den Eindruck, dass sie von ihrem Ursprungsland wie von einer entfernten Vergangenheit sprachen oder wie von einem Ort, den man verlassen musste, weil die USA ein besserer Ort seien. Sie fragten mich, ob ich nicht lieber hier bleiben würde, statt nach Kuba zurückzugehen. Als ich verneinte, fragten sie mich, warum.

Warum würde jemand in ein Land zurückgehen wollen, in dem die wirtschaftliche und soziopolitische Lage instabil ist oder  gar einem Alptraum gleicht – in dem Sinne, dass sich das Land in einem Teufelskreis ohne sichtbaren Ausweg zu befinden scheint? Meine Antwort liefert keine Begründung, sie basiert auf Intuition. Auch wenn ich es für wichtig erachte, die Latino-Identität als ein Gegenmittel zur  unheilbringenden Ideologie der bis zu einem gewissen Grad hinfälligen nationalen Identität zu stärken, möchte ich zurückkehren. Denn ich erachte es für wichtig, sich in der Zivilgesellschaft jener Länder einzubringen, die zurück gelassen werden, wenn die Menschen auswandern. Ich finde es wichtig, Migration weniger als Auswanderung aufzufassen – Kuba und jedes andere  lateinamerikanische Land sind so an Abschiede und an durch Ozeane getrennten Familien gewöhnt – denn als ein Hiersein, während man dort ist und viceversa. Nicht gen Norden oder nach Europa als einem Vorbild zu schauen, sondern als ein Beispiel dessen, was wir nicht sind und nie sein werden. Ich schlage also das Reisen als einen Lernprozess vor. Damit meine ich nicht eine Auswanderung, um eine neue nationale Identität oder eine doppelte Nationalität zu erlangen, sondern den Versuch, die sich selbst überholte oder im Wandel begriffene – wann war das in Lateinamerika nicht der Fall? – nationale Identität  abzulegen und zu einer neuen Form der Idenität zu gelangen. In dieser Identität kreuzt sich das Erfahrungswissen, das Wissen, was aus nichts anderem als aus der Erfahrung gewonnen wird… , mit den eigenen und fremden kulturellen Praktiken.

Ich schlage vor, das Fremdsein als eine Form des bürgerschaftlichen Handelns zu praktizieren. Meine Heimat, meine Stadt, befinden sich vor allem an Schnittstellen. Und ich glaube, damit bin ich nicht die einzige…

Übersetzung: Anne Becker

]]>
Leiser Komplott http://superdemokraticos.com/themen/burger/espanol-el-complot-silencioso/ http://superdemokraticos.com/themen/burger/espanol-el-complot-silencioso/#comments Fri, 27 Aug 2010 15:47:39 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1313
Ich praktiziere einen einsamen Aktivismus: Ich treffe mich mit anderen, um Bücher zu verlegen. Getrieben von der unschuldigen Perversion, das Buch als ein quasi magisches Objekt zu betrachten, habe ich mich mit ein paar weiteren Personen fast aus Zufall zusammengetan und damit begonnen, der Kulturindustrie ein wenig von dem verdorbenen, verführerischen Aberglauben zurückzugeben, der uns in unserer Kindheit eingeimpft wurde. Leute mit unterschiedlichen ästhetischen Auffassungen, verschiedenen Geschmäckern und Lektüren, die sich in einem unbesiegbaren literarischen Kampfgeist vereinen. Ein Miniaturheer, das bereit ist, aufs Ganze zu gehen, ohne viel zu erwarten. Alles wegen eines Objekts aus Papier.

Dieses scheinbar bedeutungslose Ding, das Buch heißt, ist für mich (und für die halbwegs verrückte Truppe) von großer Bedeutung. Ich gehöre zu der Sorte Mensch, die glaubt, dass man durch die Lektüre eines Buch jede Erfahrung vorweg machen kann: vom Bau einer Bombe bis zu den unergründlichen Mysterien der Liebe über den Fischfang und die Entdeckung von bisher unbekannten Orten in einem selbst. Ich habe mich für alle möglichen Verrichtungen der Bücher bedient, einschließlich für den Gesetzesbruch (klar, Bücher habe ich auch geklaut, was für eine Frage). Der Einfluss, den die Lektüre eines Buches auf das Leben von jemanden haben kann, ist unermesslich: Ich habe die rebellische Seite der Politik durch underground fanzines entdeckt, die ich in meiner Jugend in den 90ern (des vergangenen Jahrhunderts!) gelesen habe. Für mich charakterisiert das Prä-Internet, das Netz unplugged, jene Epoche des Austauschs und der Entdeckungen. Seit damals habe ich begonnen, an dem zu zweifeln, was für normal oder natürlich gehalten wird, seit damals habe ich das Gefühl, dass alles einen anderen Sinn hat.

In einem Land, in dem die Analphabetenrate extrem hoch ist (man muss abwarten, wie die jetzige Alphabetisierungskampagne vorankommt), das intellektuelle Leben wenig Tradition hat und für die große Mehrheit der Bevölkerung Bücher unerschwinglich sind, haben mich in meiner Arbeit drei Personen sehr inspiriert: Franco (ein reiselustiger Anarchist, der in einer Stadt ohne Buchläden Raubkopien von Klassikern und avantgardistischer Literatur anfertigte), Marcelo (jemand, der auf die harte Tour lernen musste, dass nicht nur „das Schöne“ zählt, sondern auch so prosaische Dinge wie der Markt) und Alison (eine promovierte Anthropologin mit einem exquisiten, freakigen Literaturgeschmack, die ihre eigenen Werke verlegt hat  – und die zu den besten meines Landes gehören – und die von weiteren mit Feder und Faust zur Randexistenz Verdammten). Von Nahem zu sehen, wie diese drei durch Widrigkeiten hindurch surften, brachte mich dazu, meinen eigenen Weg in der Welt der Verlage einzuschlagen. Eine Welt, in der die Autoren sich über den Mangel an Aufmerksamkeit und Privilegien seitens der Verleger und über die geringe Anzahl guter Lektoren und scharfsinniger Kritiker beklagen, eine Welt, in der die Verleger sich über den nachlässigen Umgang der Grafiker mit der Rechtschreibung und über die schonungslose Logik des Größenvorteils der Druckereien beschweren, eine Welt, in der die Drucker über die Schikanen der Papierlieferanten jammern, etc. Anstatt in diesem Beschwerdezirkel zu verbleiben, beschlossen wir, unsere Kontingenz mit Hoffnung und Dankbarkeit anzunehmen.

Im Mai 2008 habe ich mich mit anderen zusammen geschlossen, um unseren Narzissmen großzügiger zu dienen und Bücher zu verlegen (bisher ein Gedichtsband, drei Bücher mit Erzählungen und eine Anthologie lateinamerikanischer Literatur) und ein Blog zu betreiben, mit dem Ziel den Prozess zu rationalisieren. Wir wollen einen fehlerlosen und repräsentativen Katalog schaffen: Wir bewundern alle den Fetisch des „Neuen“. Manchmal ist es sehr schwer, und wir haben das Gefühl, alles sei verloren. Aber dann erinnern wir uns wieder daran, dass wir unser Schicksal auf uns nehmen. Wenn es einfach wäre, wäre es witzlos.

Übersetzung: Anne Becker

]]>
http://superdemokraticos.com/themen/burger/espanol-el-complot-silencioso/feed/ 1
Ich denke, also bin ich http://superdemokraticos.com/themen/koerper/ich-denke-also-bin-ich/ Wed, 28 Jul 2010 07:17:50 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=529 El Mejunje, Santa Clara

El Mejunje, Santa Clara. Foto: slosada via Flickr

Was würdest du gerne sein, ein Mann oder eine Frau? So lautet die Frage, die wir Superdemokraten uns diesen Monat stellen. Sie scheint einfach zu sein, aber das ist sie natürlich nicht. Nichts, was mit dem Thema Gender zu tun hat, ist einfach zu beantworten. Die Argumentationsweisen, die dieses Thema zu einer simplen Angelegenheit machen wollen, sind genau jene, die die Willkür verstärken. Sie fördern zum einen Diskriminierung und schreiben zum anderen standardisierte Rollenbilder fest – die auf kulturellen Vorurteilen und einem biologistischen Essentialismus basieren.

Die Frage impliziert ihrerseits eine Reihe von Metafragen, die übereinstimmend beantwortet werden wollen. Zum Beispiel ist da dieses ihr zugrunde liegende anfängliche „du“: Es weist darauf hin, dass eine vorgeschriebenen Identität angenommen wird, was wiederum Lust macht, sich vor einen Spiegel zu stellen und zu fragen: „Du? Wer bist du?“  Das zweite Wort, welches mich aufhören lässt, ist das Wort „sein“. Mein Unwohlsein hat damit zu tun, dass ich eher vorschlagen würde, statt von einem lebenslangen Verweilen von einem ständigen Umherziehen auszugehen. Und muss ich es heute entscheiden? Oder könnte ich die Frage für heute entscheiden? Für diese Minute, in der ich schreibe, diese Minute, in der ich vor dem Bildschirm sitze. Ich halte mich lieber an die zweite Option. Wer weiß schon, wozu ich Lust habe, wenn ich vom Schreibtisch aufstehe? (Ich nähere mein Bild noch mal dem Spiegel.) Du etwa?

Kuba im Widerstreit: Die Insel ohne Geschlecht

Auf Kuba, wie in anderen Ländern Lateinamerikas, ist für viele dieses Gerede über Gender-Fragen eine abstrakte Theoretisierung der Unterschiede zwischen den Geschlechtern, wobei dies vor dem Hintergrund geschieht, dass, logisch, Gender nichts anderes ist als biologisches Geschlecht und dass wir deswegen von nichts anderem reden als dem wohlbekannten Gegensatzpaar Mann/Frau. Jenseits davon gibt es nichts außer Perversion, Krankheit und gewisse Opfer von (ungewissen) schlechten Einflüssen. In diesem Diskurs wird die Frau weiterhin diskriminiert und ein starres Bild von Männlichkeit gefestigt, das erst in jüngster Zeit von den Studien zur Maskulinität auseinander genommen wird. Ich bin eine Frau, bisexuell – was schlimmer ist, als lesbisch zu sein, für die orthodoxen Verfechter der Heteronormativität – und ich muss akzeptieren, dass es nicht um Opfer und Täter geht.  Zumindest nicht allgemein gesprochen. Und die Frage in diesen Begrifflichkeiten zu formulieren, hilft uns nicht viel weiter. Die Männer, diese „Privilegierten“, leiden ganz schön unter der Enge ihrer Rolle. Also nein, ich möchte kein Mann sein, nicht heute vor diesem Blatt Papier und nicht morgen, glaube ich. Zum Glück muss ich es heute nicht entscheiden, da ich mein Geschlecht ändern kann, wann ich will. Diese Möglichkeit habe ich auf Kuba erst seit 2008. Zuvor, so muss ich sagen, war das strikt verboten.

Nach Jahren der leisen Forderungen werden heute Geschlechtsumwandlungen erlaubt. Doch dies führt nicht zu einer Anerkennung der Vielheit der Geschlechter. Ich will damit sagen, dass ich auf Kuba nur zwei Möglichkeiten habe: Frau oder Mann sein. Es heißt, dass seien die beiden „natürlichen“ Daseinsformen des Menschen. Das soziale Geschlecht ist eine kulturelle Konstruktion, aber das biologische Geschlecht? Ist es das etwa nicht? Judith Butler hat zu zeigen versucht, dass es so ist, dass auch das biologische Geschlecht eine Konstruktion ist, das sich mittels verschiedener Haltungen in der Gesellschaft ausdrückt. Heute sind die Möglichkeiten, sich mit einem hybriden Geschlecht zu identifizieren oder einer chirurgischen Geschlechtsumwandlung zu unterziehen, noch vielfältiger. Auf diese Weise kann der berühmte Satz „Ich denke, also bin ich“ im 21. Jahrhundert anders gelesen werden. Ich bin kein (in Bezug auf das biologische und soziale Geschlecht, auf die lateinamerikanische, kubanische oder welche  Identität auch immer) natürliches Wesen: Ich denke – ich stehe vom OP-Tisch auf und esse einen Sandwich,  also – gehe ich aus der Klinik, um mich mit meinen Freunden zu treffen – bin ich.

Mein Land erlaubt nur zwei biologische und zwei soziale Geschlechter, aber in meinem Kopf, auf diesem Papier, sind meine Optionen mehr als drei. Heute würde ich gerne sein…mal sehen…lass mich nachdenken….

Judith Butler für Anfänger

Miss Transvesti 2010, Santa Clara, Kuba

Ein Stück von Gente de Zona – eine Reguetón-Band, die auf Kuba sehr in Mode ist – über sexuelle Neigungen (ich empfehle die Kommentare zum Video).

Enhanced by Zemanta

Übersetzung: Anne Becker

]]>
Hier sprechen meine Freunde http://superdemokraticos.com/poetologie/hier-sprechen-meine-freunde/ http://superdemokraticos.com/poetologie/hier-sprechen-meine-freunde/#comments Tue, 15 Jun 2010 09:26:35 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=265 Ich habe das erste Mal meinen Lebenslauf geschrieben, weil ich mich für ein Studium an der Universität in Berlin bewerben wollte. Eine Freundin setzte sich mit mir zusammen, um mir zu erklären, was das überhaupt ist. Der Text musste klar und bündig sein. In ihm gab es nur Platz für Objektivität. Um das zu schaffen, mussten all die entscheidenden Momente meines Lebens weggelassen werden. Ich durfte nicht sagen wessen Sohn, Bruder oder Freund ich bin. Wer eine Synthese schreibt, wird eventuell dazu gezwungen, Details wegzulassen, so dass die Zusammenfassung zu einer Kernaussage in all ihrer Totalität führt. Ein Lebenslauf ist allerdings eine erzwungene Synthese, die dem Leben des Individuums, für das er steht, die magische Aura nimmt, welche das Leben selber ist.

In diesem Text, der desinformiert, musste ich schreiben, dass ich am 23. September 1978 in Havanna, Kuba geboren wurde. Obwohl ich es interessanter gefunden hätte, das Kuba dieser Zeit zu beschreiben. Oder darüber zu schreiben, was ich empfunden habe, als ich Robin Hood zu Ende gelesen hatte und es meinem besten Freund in der Grundschule erzählt habe; die Erschütterung, mit fünf Jahren ein neues Leben im Viertel Alamar zu beginnen und alle meine alten Freunde zurückzulassen; die Begeisterung über mein eigenes Zimmer; das Leben in der Nähe des Russen-Strands; mein erstes Fahrrad; die Nächte, in denen ich den Geschichten meines Freundes Poli über seine Heimat Bayamo lauschte; erneut umzuziehen – und wieder all meine Freunde zu verlassen; neue Freunde kennenzulernen; meine erste Freundin; wie ich die Musik für mich entdeckte und meine ersten Akkorde auf der Gitarre spielen lernte, bei einer Lehrerin, die mich begeisterte: all das, was mich zu dem macht, der ich bin, durfte nicht im Lebenslauf stehen. Deshalb entschied ich mich ein Curriculum Vitae über Lebensdetails zu schreiben. Einen Lebenslauf, in dem meine Freunde zu Wort kommen.

Ehrlich gesagt, als er noch ein Kind war, hat er mir ständig Kopfschmerzen bereitet. Ich weiß gar nicht mehr, wann er den richtigen Weg gefunden hat. Stellen Sie sich vor: Als er drei war, lief er von zu Hause weg – seinem Vater nach. Ich hatte gar nichts davon mitbekommen, weil ich gerade am Waschen war, bis ich mich fragte: Wo wohl das Kind sein mag? Ich rannte sofort los! An der Straßenecke Monte und San Rafael rief mir eine Frau zu: Bleiben Sie stehen, das Kind ist hier! Das hat mir das Leben gerettet, denn genau in diesem Moment kam ein Auto, das mich überfahren hätte! Und glauben Sie, er hätte sich gefreut mich zu sehen? Nein, gar nicht! Er war glücklich mit seinen neuen Freunden.

Wir waren in derselben Klasse auf der Sekundarschule. Wir haben uns kennengelernt, als wir über irgendeinen Blödsinn diskutiert haben. Mit der Zeit wurden wir unzertrennlich. Ich werde nie vergessen, wie ihn eine Lehrerin zum Direktor schleppte, weil er gesagt hatte, Fidel sei der Präsident von Kuba. Du warst ein Fanatiker – fürs Problememachen.

Ich hab ihn in der neunten Klasse kennengelernt, er ging auf dem Weg zum Sport immer an meinem Haus vorbei. Ich fand ihn nett, auch wenn wir uns nie unterhalten hatten. Eines Tages auf einer Party haben wir getanzt, und damit das klar ist, ich habe mit dir getanzt, weil meine Freundin meinte, du könntest gut tanzen, was eine Lüge war, du konntest überhaupt nicht tanzen!

Wie haben wir uns kennengelernt? Naja, also am Gymnasium wurde unsere Freundschaft intensiver. Wir waren damals ein größerer Freundeskreis. Pedro hatte immer schon einen eher schwierigen Charakter: Manchmal introvertiert und dann hat er uns wieder mit seiner Extrovertiertheit überrascht. Als wir mit dem Gymnasium fertig waren, haben wir mit Privatlehrern gelernt, um die Aufnahmeprüfung für die Uni zu bestehen. Zur gleichen Zeit traten wir einer Theatergruppe bei, und von 7 Uhr morgens bis 15 Uhr nachmittags arbeiteten wir als Sanitäter im Krankenhaus, um unseren Privatunterricht zu bezahlen. Ab 20 Uhr probten wir mit der Theatergruppe, bis ungefähr Mitternacht. Gegen 2 Uhr morgens kamen wir nach Hause. In dieser Zeit haben wir wirklich nicht viel geschlafen. Wir hatten wirklich überhaupt kein Geld und tranken immer billigen Wein. Aufgrund der Nostalgie kommt es Pedruco wie eine großartige Zeit vor. Sag bloß, Alter! Natürlich war das keine schlechte Zeit, aber nur, weil wir ihr viel Gefühl gegeben haben und mit Herzblut dabei waren. Die Situation war brenzlig, und wir hatten viele Träume. Ein Träumer: Das war Pedruco schon immer.

Ich war eine der wenigen, die Philosophie gewählt hatten, und ich glaube Pedro auch. Er war immer einer derjenigen, die im Unterricht über alles diskutiert haben und das hat ihn mehr als einmal in Schwierigkeiten gebracht. Sehr leidenschaftlich werde ich immer sagen! Und dann kam es, dass sich der begeisterte Compañero Pedro im dritten Jahr an der Uni exmatrikulieren lassen wollte. Niemand hat das verstanden. Es gab eine Versammlung, und es wurde entschieden, dass man ihn nicht so einfach gehen lassen könne. Er war ein sehr guter Student! Ich wurde beauftragt mit ihm zu reden, und man gab ihm die Möglichkeit im nächsten Jahr weiter zu studieren. Es hat uns alle sehr überrascht, als er uns zu seiner Abschiedsparty eingeladen hat. Einfach so ohne alles nach Deutschland zu gehen – das hatte niemand von ihm gedacht! Aber tatsächlich ist er jetzt dort und studiert Philosophie.

Berlin war eine Herausforderung. In Sprache und Kultur hineinzuwachsen, waren der Schlüssel, um weiter studieren zu können. Die Stadt hat mich aufgenommen und mir in ihrem Alltag den Albtraum des Emigranten-Daseins gezeigt. Das Abenteuer geht weiter. Manchmal zeigt es seine groteske und grausame Seite, aber ich bin auf der Suche nach dem Lächeln, das mich rettet.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

]]>
http://superdemokraticos.com/poetologie/hier-sprechen-meine-freunde/feed/ 1