Kreuzberg – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Mit unserer Berliner Schnauze… http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/mit-unserer-berliner-schnauze/ http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/mit-unserer-berliner-schnauze/#comments Thu, 01 Sep 2011 07:03:33 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5023 Ich beginne dieses Editorial mit dem körperlichen Drang, einen Spaziergang über ein Minenfeld machen zu wollen. Es liegt nicht daran, dass ich nicht genauestens definieren könnte, wie das Bild des typischen Deutschen im spanischsprachigen Raum, möglicherweise sogar weltweit, ist. Nein, ganz im Gegenteil, seit 14 Jahren beantworte ich immer wieder dieselben Fragen. Aber wenn alles so kalt ist, wie man denkt, so strikt, so rassistisch, wenn die Sprache unaussprechlich ist und den Deutschen jeglicher Sinn für Humor fehlt – warum tue ich mir das dann an? Warum bleibe ich? Warum lebe ich hier?

Die Welt, zumindest meine Generation, hat ein Bild von Deutschland, für das nicht die Deutschen selbst, sondern die US-Amerikaner verantwortlich sind. Deshalb ist „Heil Hitler“ wohl das erste, was ein Deutscher in meinem Land als Grußformel hören wird. Das liegt einerseits an der totalen Unkenntnis der deutschen Geschichte und andererseits an den Hollywood-Filmen, durch die dieses Klischee am Leben erhalten wird. In meinem Fall wird die Tatsache, mich in einer so verzwickten Sprache verständigen zu können, als eine hervorragende Leistung angesehen, da außer für Philosophiestudenten Deutsch in den meisten westlichen Ländern seit langem keine Weltsprache mehr ist.

Die Deutschen haben nicht gerade den Ruf freundlich zu sein, nicht einmal innerhalb Europas. Daher kommt es auch, dass sich bei der Zunahme an Inner-EU-Beziehungen, Englisch langsam als die Sprache unter den jungen Leuten aufdrängt, auch in den Straßen Berlins. Niemanden kann das spektakuläre Scheitern der „Blauen Karte“ verwundern, einer limitierten und bürokratischen Version der US-amerikanischen Green Card, mit welcher die Deutschen eine Zeit lang versuchten, das Profil der Migranten zu verbessern, die in die Bundesrepublik Deutschland kommen.

Hier in Deutschland wartet ein Großteil der Gesellschaft diskursiv darauf, dass ihre Migranten sich integrieren, aber die Mehrheit der darauf ausgerichteten Programme prallen auf dieses Gefühl der autarken Überlegenheit, die von Anfang an jegliche produktive Annäherung verhindert. Von der Regierung angebotene Sprachkurse sind hierfür das anschaulichste Beispiel: Sie sind nicht dazu gedacht, die Neugier derjenigen, die aus Interesse an der Kultur hierherkommen, zu stillen. Es scheint, als wäre es für die Deutschen absolut unbegreiflich, wie jemand, der seine fünf Sinne beisammen hat, die Entscheidung treffen könne, dieses Land besser kennenzulernen, etwas darüber zu lernen. Die Integration auf dem Arbeitsmarkt zielt darauf ab, die Migranten in die Dienstleistungskette zu integrieren anstatt sie als Individuen zu akzeptieren. Es scheint so, als ob die Regierung oder die Gesellschaft selbst nicht in der Lage seien, den Intellekt der Neuankömmlinge anzuerkennen und zu akzeptieren, und das, obwohl unsere Generation hier auch weltoffen ist. Die Regierenden repräsentieren uns nicht.

Deshalb soll das Bild, das wir als Los Superdemokraticos über Deutschland zeigen wollen, das genaue Gegenteil der klassischen Klischees sein, die dieses Land und seine Traumata verfolgen. Los Superdemokraticos sind ein weiterer Beweis dafür, ebenso wie die Initiative junger mehrsprachiger Deutscher DeutschPlus oder der Zusammenschluss Neue Deutsche Medienmacher, dass sich Thilo Sarrazin und viele andere rechtspopulistische Politiker täuschen, wenn sie versuchen, uns davon zu überzeugen, dass die Integration gescheitert ist oder dass der eigentümliche deutsche Charakter unerschütterlich ist. Denn wenn das so wäre, würde Kreuzberg nicht existieren, aber es existiert. Unsere alternative deutsche Gesellschaft ist reich an Erfahrungen, an Facetten, an Akzenten und erfüllt von einer menschlichen Wärme, die jeden überrascht. In unserem Kontext existieren nur Bürger, die gemeinsam eine neue Gesellschaft erschaffen, in der Lachen zum Tagesgeschäft gehört und Deutsch unsere lingua franca ist.

Im September, im Monat der Wahlen in Berlin, schreiben unsere Autoren über die verschiedenen Aspekte des Deutschseins und des Bildes, das dieses Land inne hat. Damit wollen wir dazu beitragen, dass sich die Missverständnisse auflösen. Das Deutsch, das wir sprechen, ist intelligent und unterhaltsam, auch wenn es grammatikalisch nicht immer perfekt ist. Die „Berliner Republik“, die wir repräsentieren, ist jung, multikulturell und weltoffen. Sie hat Regierende verdient, die wacher und in der Lage sind,sie zu verstehen. Wir denken nicht daran, unsere Berliner Schnauze zu halten …

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Ist da jemand? http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/ist-da-jemand/ http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/ist-da-jemand/#comments Sat, 09 Jul 2011 10:51:21 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=4494 Wer bin ich? Bestimmt diese Frage die Art und Weise, wie ich mit anderen zusammenlebe? Möglicherweise, obwohl sich die Person, die ich wirklich bin, zu der im Internet viel mehr unterscheidet, als wir es uns vorstellen können. Das kommt daher, dass wir Schöpfer unseres Avatars sind und gleichzeitig die Schnelligkeit des geschriebenen Wortes überwinden. Wir hinterlassen eine unverwischbare Spur. Alle unsere Persönlichkeiten werden gespeichert, all unsere Überlegungen, unsere Liebesleiden, unsere Verstimmung.

Irgendein Neugieriger kann unseren Namen bei Google eingeben und die Suchmaschine wird ihn zu einer Reihe von Internetseiten und Fotos von uns weiterleiten. Bis hin zu lächelnden Geistern aus einer Jugend, die wir mit Menschen verbracht haben, mit denen wir uns heute vielleicht gar nichts mehr zu sagen haben. Früher, als die Welt noch durch unüberwindbare Bergen getrennt wurde, waren wir Menschen auf eine bestimmte Anzahl von Personen in unserem Umfeld beschränkt. Oftmals verlief unser Leben zwischen denselben Gesichtern. Oft hatten die Menschen keine andere Wahl, als unser Schicksal zu akzeptieren. Ein Schicksal, das von unserem Geschlecht, unserer Kaufkraft und unserem kulturellen Niveau geprägt wurde. Ein Förster wurde als absolutes Phänomen angesehen und auch so behandelt, und jemand, der aus fremden Ländern berichten konnte, war ein Gelehrter, wenn wir den Worten von Todorov in „Les Morales de l´histoire“ (dt.: Die Moral der Geschichte) Glauben schenken dürfen.

Im Gegensatz zu früher kommunizieren wir heute die ganze Zeit mit anderen Ländern. Wenn wir den Computer anschalten, öffnet sich vor uns die Welt und mit Hilfe des Internets suchen wir nach unseren Zeitgenossen, auch in den entferntesten Winkeln der Welt. Die Fiktion in der wir leben, macht uns glauben, dass wir alle gleich sind, dass keine Grenzen existieren und dennoch ist die globalisierte Welt an sich definitiv nicht grenzenlos. Das weiß jeder Lateinamerikaner, der den Kontinent verlassen will. Das wissen auch wir, die außereuropäischen Ausländer in Europa: unser Recht auf Reisefreiheit ist eingeschränkter und kontrollierter als je zuvor. Das wissen auch die europäischen Frauen, die trotz des Diskurses über Politische Korrektheit im wahren Leben weiterhin weniger verdienen als ihre Partner und obwohl sie – genau wie die lateinamerikanischen Frauen – beruflich einen Doppelbelastung meistern. Das wissen die Ausländer, die mit den Vorurteilen leben müssen, die sich über ihre Herkunftsländer ranken. Das wissen die Indigenen, die versuchen für ihre Rechte zu kämpfen, auch im Netz.

Sieht die Realität etwa aus wie die U.S.-amerikanischen Vorabendserien, die wir im Fernsehen sehen? Nein. Oft ist die Multikulturalität, etwas das draußen bleiben muss, wenn wir die Türen unseres Zuhauses schließen und uns wieder in das einigeln, das wir für Realität halten, denn das ist unser reales Leben und trotzdem erschaffen wir in dieser Realität Personen, die uns in der virtuellen Welt vertreten. Dieser Raum, in dem ich die Hautfarbe und das Geschlecht frei wählen kann, mir eine soziale Schicht aussuche, auf die ich gerade am meisten Lust habe, und die politische Einstellung, die ich für passend halte.

Die neuen Technologien bieten uns einen Zugang zu Ersatzmitteln, wir können in Echtzeit mit unseren Verwandten kommunizieren und über die WebCam interagieren. Wir können dort den für uns vorherbestimmten Menschen suchen, auch in den letzten Winkel der Welt. Wir können uns weiterbilden, informieren, selbst herausgeben und uns finden, um eine Revolution anzuzetteln. Online bin ich ein vollständiger Mensch, wie eine fiktive Person. Inwieweit berührt diese Fiktion, diese Projektion, die wir von uns selbst erschaffen, unser Umfeld?

Im Juli beschreiben unsere Autoren ihre Überlegungen zum Thema Zusammenleben in der realen Welt. In derjenigen, die wir durch das Netz in ihren tatsächlichen Möglichkeiten und Einschränkungen immer weniger wahr nehmen. Wer lebt wie und mit wem? Das ist eine Frage, der wir bei Los Superdemokratiocos des öfteren nachgehen, denn unser Modell der Interaktion haben wir von den Straßen des Viertels kopiert, in dem wir wohnen. Das Aleph, das uns das Schicksal zuwies, wie Borges es definieren würde: diese drei Zentimeter, in denen das gesamte Universum enthalten sei, ist konfliktgeladen. Das Land, das ihn besitzt, publiziert nichts anderes als Schlagzeilen über Dinge, die hier nicht funktionieren; und dennoch sind wir alle, die hier wohnen – unabhängig von unseren sexuellen, sprachlichen, ethnischen und politischen Vorlieben, unserer sozialen Schicht und der Armut – wohl an wenigen Orten des aktuellen Europas nahe daran, so zu sein, wie wir tatsächlich sein wollen. Es mag sein, dass die Menschen der Antike kein Internet hatten, aber wir alle haben immer schon an Babylon gebaut.

Wir senden hier aus Kreuzberg. Over. Ist da jemand?

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Bertolt Brecht Roadkill (Berliner Chronik in 6 Akten) http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/bertolt-brecht-roadkill-berliner-chronik-in-6-akten/ http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/bertolt-brecht-roadkill-berliner-chronik-in-6-akten/#comments Mon, 29 Nov 2010 10:59:42 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=3245

1. Berlín, Pulquería

Vor ein paar Wochen lud mich Nikola Richter in ihre schöne Kreuzberger Wohnung zum Essen ein. Niko ist eine junge deutsche Frau, die, abgesehen davon, dass sie eine exzellente Schriftstellerin ist, Jazzgeige lernt und verschiedene kulturelle Projekte mit der Geschicklichkeit einer Logos-Athletin leitet.

Bevor wir uns an jenem Abend an den Tisch setzten, sagte ich zu ihr, dass Berlin sich – mit der Geschwindigkeit und der Gewalt eines Blitzes – in das Hätschelkind des Parnass meiner Lieblingsorte verwandelt hatte. Möglicherweise erschien Nikola diese Behauptung etwas frühreif, aber sie akzeptierte sie mit einem Lächeln, während sie die Zucchini in die vorgefettete Pfanne legte.

Die Nudeln waren ausgezeichnet, fast so gut wie das Gespräch. Wir haben über alles Mögliche geredet, von alternativen argentinischen Verlagen (wie Clase Turista) bis hin zu den intimen und aufschlussreichen Eindrücken, welche die verschiedenen Mitwirkenden von „Los Superdemokraticos“ bei uns hinterließen. Ja, ich stimme Luis Felipe Fabre zu: Es gibt nichts Schmackhafteres als literarische Gerüchte, so gingen wir ohne die Last des Gewissens zum Vergnügen über.

Die Nacht davor haben wir den ein oder anderen Mezcal in der „Pulquería“ Kreuzbergs getrunken, gegenüber vom Görlitzer Park. Ich hatte gerade eine fast 20stündige Reise hinter mir, mit Zwischenlandungen und Flughafen-Wartezeiten, aber ich beschloss, mich der lustigen Truppe anzuschließen und mich vor dem Schlafengehen zu betrinken. Das könnte ich gleich nutzen, so dachte ich, um allen das Amulett, das ich vor ein paar Wochen in Buenos Aires erstanden habe, zu zeigen: einen Plastik-Gorilla, der aus dem Mund Feuer spuckt und seinen Blick mit Infrarot-Licht entzündet.

Es war die totale Freude, als ich meinen neuen Freunden ihre Gauloises damit anmachte… Alle zeigten sich vom Feuer des magischen Affen in den Bann gezogen. Vor allem ein Mädchen, Aline-Sophia, die auch in Delfine verliebt ist.

2. Lucullus, der Prozess

Beim Schreiben vollziehe ich ein Crossover. Ich gehe von einer Sprache in eine andere über. Ich bin ein Geschichtenerzähler, der von seinen Lügen bis zum Text reist.

Auf der Seite sehe ich wie das, was ich vorher erfunden habe, stirbt. Und dieser Kadaver ist es, den einige Literatur nennen.

Wenn ich gefragt werde, warum ich zu schreiben begann, habe ich zwei, oder sogar drei Geschichten als Antwort parat. Es kommt darauf an, ob ich in einer Bar oder in einer Buchhandlung bin. Oder ob mich ein Journalist fragt. Ich wähle die Geschichte je nach meinem Umfeld und meiner momentanen Stimmung aus.

Der Ausgangspunkt für meine Liebe zur Poesie, so erzähle ich Nikola, während ich meine Gabel in der Zucchini-Pasta versenke, lag in einer Oper in gebundener Rede: „El proceso de Lúculo“ von Bertolt Brecht.

Mit 17 spielte ich als einer der Schauspieler das besagte Stück mit der Theatergruppe der Schule. Meine Rolle war die des „Schattens“, der mit fahler Stimme das Gewissen des römischen Generals Lucullus anklagt, der kurz davor steht in der Intra-Welt verurteilt zu werden. Die fahle Stimme, der Schatten, geschminkt im Stil von Brandon Lee in The Crow (Die Krähe), erklärt dem Publikum das Ausmaß des Schadens, den der Diktator seinem Volk zugefügt hatte. Die Figur spricht auf eine metaphorische Weise, elliptisch, und entfaltet eine dichte Aura des Mysteriums, während die anderen Figuren, die Mitglieder des intraweltlichen Gerichts, sich von einem triumphalen Fries lösen.

Es ist sehr witzig, sehr seltsam, aber niemand von meinen Bekannten hat jemals dieses Stück von Brecht gelesen. Nichtmal die Brechtischsten unter den Brechtischen. Es hat sogar schon mal jemand mir gegenüber angedeutet, dass die Regisseurin der schulischen Theatergruppe möglicherweise den Autor verwechselt hat und wir schlussendlich das Stück eines anderen inszeniert hätten. Eine befreundete Schauspielerin, die etwas dreister, skeptischer und misstrauischer ist, sagte zu mir, dass es sich unter Umständen um eine Farce handelte, etwas, das ja in der Welt des Theaters gar nicht so ungewöhnlich ist: ein Werk, das von genau der Regisseurin verfasst wurde, die zu uns aus einer seltsamen Mischung aus Schüchternheit, Opportunismus und Scham meinte, dass das Stück von Brecht sei.

Ich erinnere mich daran in den letzten Jahren öfter Google-Suchen gestartet zu haben, alle vergeblich. Ich gab „El proceso de Lucullo“ ein – nichts, kein einziges Ergebnis… Manchmal habe ich „El proceso de Lucuyo“ eingegeben und die Leere wurde noch unermesslicher. Es kam sogar so weit, dass ich dachte, das Stück hätte in Wahrheit nie existiert und mein Kopf habe es nur erfunden, um dem Moment meiner Initiation in die Kunst einen würdevollen Ursprung zu verschaffen. Nikola war von der Geschichte fasziniert und schlug mir vor das Brecht-Haus und sein Grab, das sich auf dem Friedhof genau gegenüber von seinem Wohnhaus, in der Chausseestrasse, befindet, zu besuchen. Mit Begeisterung antwortete ich ihr: Ja, das müssen wir machen, sobald es geht, dorthin gehen, fragen, Fotos machen, und es dazu nutzen, dass ich eine Chronik über die Suche nach diesem unbekannten Brecht-Stück schreiben könne.

Das wäre ein perfekter Text für Los Superdemokraticos!

3. Fotos im Görlitzer Park

Am Morgen des 12. November 2010, einem Freitag, hatte ich einen Termin mit dem Fotografen Ekko von Schwichow, im Görlitzer Park, zu einer Fotosession.

Die Nacht davor hatte ich meine Lesung auf der Latinale. Ich las verschiedene Gedichte, wahrscheinlich nicht diejenigen, die ich bevorzuge, aber ich kam mit einem blauen Auge davon. Obwohl ich eigentlich ein „alter Hase“ bei öffentlichen Lesungen bin, war ich diesmal wesentlich nervöser als sonst und brachte sogar die Reihenfolge der Seiten, von denen ich las, durcheinander, was mich dazu zwang, das Lesen meines wohl besten Gedichtes zu unterbrechen. Ich musste die Veranstaltung vor einem erwartungsvollen Publikum im Saal des Berliner Instituto Cervantes eröffnen.

Als er mich in den Park kommen sah, fragte mich Ekko wie es mir bei der Lesung ergangen sei. Ich zog es vor ihm, die Details nicht zu erzählen und fasste alles mit dem klassischen „Gut, sehr gut“ zusammen.

Ekko von Schwichow machte unter anderem schon Aufnahmen von Haruki Murakami, Susan Sontag, Jean Baudrillard, Umberto Eco und Henning Mankell, aber das wusste ich vor dem Shooting noch nicht. Das war für mich von Nutzen, denn es erlaubte mir voller Ungezwungenheit zu posieren, mich mit einer gewissen Verwegenheit durch die herbstliche Berliner Gegend zu bewegen (wenn man von meinem blutenden Kater absieht).

Als das Shooting vorbei war, erzählte mir Ekko von seiner Leidenschaft für das brechtsche Werk, einfach so, ohne ersichtlichen Grund. Das kam mir weder seltsam, noch mystisch vor… bedenkt man die Popularität, die der Dramatiker, vor allem in Deutschland, genießt. Brecht zu mögen ist fast schon natürlich, deshalb fragte ich Ekko, ob er das Theaterstück „El proceso de Lucullo“ kenne.

Wie alle anderen auch, verneinte er dies.

4. Rery, Superdemokratica

Die Vergangenheit ist ein Polaroid der Zukunft. Und die ewige Gegenwart ist die Bewegung der Fotografie in unseren Händen, während sie sich entwickelt.

Als ich Rery Maldonado (die andere Kommandantin von Los Superdemokraticos, neben Niko) kennen lernte, fühlte es sich an, als würde ich eine Bewohnerin meiner Zukunft und meiner Vergangenheit treffen, die sich in dieser Gleichzeitigkeit präsentiert. Der Archetyp der kämpferischen Frau in bolivianisch-deutscher Version, die einfach so auf mich aufpasst. Eine Süßigkeit, ein Bonbon aus anarchistischem Zyanid.

Rery ging nach Bolivien, gleich nachdem die Latinale vorüber war, und überließ mir deshalb leihweise ihre Wohnung, die auch in Kreuzberg liegt. Eine schöne Wohnung, geräumig und voller Bücher, in der ich begann, Werke von Brecht zu suchen, um mich dann von den verschiedenen Wundern ablenken zu lassen, die ich fand: von Drei traurige Tiger bis hin zur ersten Ausgabe von Entre la piedra y la cruz (Zwischen dem Stein und dem Kreuz) von Mario Monteforte Toledo.

Als ich mich bei Rery eingerichtet hatte, war das erste, versuchte ich als erstes, ins Internet zu kommen, wie ich es immer mache. Aus irgendeinem Grund konnte ich das WLAN nicht benutzen und musste deshalb den Computer meiner Freundin anschalten… Die deutsche Tastatur verursachte mir zu Beginn schwerwiegende Probleme, aber ich konnte sie mit Hilfe meiner Erfahrung mit der französischen Tastatur bändigen.

An jenem Nachmittag las ich die Mails und stieß auf diese Email von Ekko von Schwichow:

„Hallo Alan,

wie läuft deine Nachforschung? Das Stück von Brecht, das ursprünglich für das deutsche Radio geschrieben wurde, heißt: „Das Verhör (interrogatorio) des Lukullus“, 1951. Hast du sonst noch was gefunden?

Ich schicke dir als Anhang die Daten der Bilder – wenn sie dir gefallen, sag mir welche genau; ich hoffe du kannst die Nummern sehen??

Liebe Grüße

Ekko“

Als ich diese Mail las, wurde mir klar, dass ich aus einem einfachen Grund niemals Ergebnisse für den Prozess des Lukullus auf Google gefunden habe: ich hatte „Lucullo“ oder gar „Lucuyo“ in das Suchfeld geschrieben…

Wieder einmal wurde mir bewusst, dass ein paar Buchstaben den Übergang in die unbekannte Dimension bilden können.

5. Berlin, Axolotl Roadkill

Vor einer Woche konnte ich, dank Johanna Richter (die übrigens nicht mit Nikola Richter verwandt ist) den touristischen Rundgang absolvieren und die Fotos machen, die ich mich immer weigere zu machen, wenn ich Reisen dieser Art unternehme. Ich hatte mich dazu entschlossen, da ich kürzlich in einem Artikel las, dass die touristischen Orte von den Snob-Reisenden vermieden werden, ohne dass diesen klar wird, dass diese Orte berühmt für etwas sind, dass es einen Grund für ihre Popularität gibt.

Im Fall von Berlin bestätige ich diese Behauptung. Die gesamte, für die Touristen bereitstehende Szenerie ist wirklich magnetisch. Eine Stadt, die die historische Erinnerung als Referenz für den Konsum von Bildern der Postmoderne benutzt: meta-historischer Tourismus.

Ich machte einige Bilder mit der Kamera von Johanna, die mit mir eine gekürzte, aber effiziente Tour durch die Zone, in der die Mauer stand und durch das Zentrum machte, mitten im aufkommenden Berliner Winter.

Die Konversation bei der Rückkehr nach Kreuzberg war eine wahre Freude: Johanna macht ihren Doktor in Literatur des 19. Jahrhunderts und sprüht vor Weisheit. Ein Teil unseres Gesprächs drehte sich um den aktuellsten und aufsehenerregendsten Fall von Plagiat in der deutschen Literatur: das Buch Axolotl Roadkill von Helene Hegemann. Es handelt sich um einen Roman (Bestseller), in dem die Technik der Montage verwendet wurde, Fragmente von Blogs und Büchern, welche die Autorin gelesen hatte, wurden darin wiederverwertet. Ausgehend von diesem Fall, diskutierten wir lange über die Grenzen der Urheberschaft, über die Gestaltung eines Buch in der heutigen Zeit, wie das Schreiben funktioniert, usw.

Wir haben auch unsere Nostalgie für Ezequiel Zaidenwerg geteilt, der nach dem Abschluss der Latinale Deutschland verlassen hat. Eze, wie wir Freunde ihn nennen, war zweifelsfrei die Offenbarung des Treffens lateinamerikanischer Poeten in Berlin, er zog das Publikum mit der Kraft und der Eleganz seiner Poesie in seinen Bann. Dieser geschätzte Freund und argentinische Dichter war gemeinsam mit der Puerto Ricanerin Mayra Santos Febres, die am stärksten leuchtenden Perlen der Veranstaltung.

Es bleibt nur nebenbei zu erwähnen, dass Mayra mir mit der Hilfe ihrer Orishas, während eines Abendessens, fast am Ende des Festivals, eine spirituelle Lesung abhielt. Den Nagel auf den Punkt treffend, sagte sie zu mir: „weißt du, du fühlst einfach genau das, was die anderen auch gerade fühlen“…

Und ja, das ist es was mit mir los ist.

6. Brecht, der Affe

Während wir auf einer wirklich, aber wirklich verrückten Party, ebenfalls in Kreuzberg, tanzten, erklärte ich Barbara Buxbaum, meiner Übersetzerin und Freundin, warum ich schlussendlich das Haus von Brecht doch nicht besucht hatte:

– Naja, weißt du, der Affe. Erinnerst du dich? Der, der aus dem Mund Feuer spuckt? Der hatte meine Seele all die Tage entführt, mir die Freiheit genommen… und mir nur erlaubt zu feiern – sagte ich.

– Ach, mein lieber Axolotl – antwortete Barbara und lachte laut auf.

– Aber wir waren auf einem Konzert von Brecht-Weill, mit Nikola – füge ich hinzu.

Bilder: Alan Mills

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Quando paramucho mi amore de felice corazon http://superdemokraticos.com/themen/burger/quando-paramucho-mi-amore-de-felice-corazon/ http://superdemokraticos.com/themen/burger/quando-paramucho-mi-amore-de-felice-corazon/#comments Tue, 24 Aug 2010 11:27:40 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1133 Mariannenplatz, Xberg. Foto: RH.

Mariannenplatz, Kreuzberg. Foto: RH

Erster Traum: Ich werde gekeult. Ich werde geschlagen, mit Fleischstücken, jemand holt aus, ich kann nicht erkennen, woher die Schläge kommen, aber die Einschläge werden stärker, ich beginne zu schreien, endlich wache ich auf.

Teilhabe und Realisierung. Teilhabe: Trost und Abspeise, gleichsam die einzige Form von Relativierung, denn das Individuum wird überschätzt, nicht zuletzt von sich selbst. Die Psychologie, die Hirnforschung ist uns weit voraus.

Bitte versorg mich.

Ein schöner Tag in Kreuzberg, ein übervölkerter Stadtteil, zu viele Touristen, zu viele auf Außenwirkung bedachte junge Menschen. In einem Café an der Wiener Straße sitzen wir bei W-Lan. Tätowierte Bedienungen. Sterne auf heller Haut. Die Bierpreise sind gestiegen. In der Süddeutschen Zeitung zwei Seiten von Nicholson Baker, der sich mit Videospielen auseinandersetzt, gut erzählend, wie nebenbei schöne Sätze fallen lassend, wehrlos und konzise, ohne Tendenz. Die Teilhabe. Des Bürgers.

„Ich besuchte einen Stripclub, in dem ein blaues Alien für mich tanzte.“

Die Sonne bleibt draußen. Die Bedienungen lassen eine CD zum zweiten Mal laufen, ein seltsamer Mix, der mit Morrissey anfängt und mit den Flaming Lips aufhört. Ich weiß nicht, ob ich eine Meinung habe. Ich weiß, dass Meinung ein Comeback feiert, auch in meinen Texten, und zwar zu Recht. Andererseits ist Meinung oft hilflos. Wie ich mich als Bürger fühle? Ich weiß es nicht. Ich bin fünfzehn Jahre nicht wählen gegangen. Ich bin gegen die Wehrpflicht. Ich bin für soziale Gerechtigkeit. Für die Bedienung bin ich ein Typ. Es ist der Tag, an dem der Tod von Schlingensief gemeldet wird, einem der letzten, die es mit den alten Mitteln aus Protest und Skandal versucht hat. Am Ende gründete er eine Kirche der Trauer.

Zweiter Traum: Ich sitze mit einer Reisegruppe in einem hohen Gebäude, einer Art alter Fabrik mit mehreren Stockwerken, während das Nebengebäude bombardiert wird. Wir spüren die Einschläge. Wir sehen die Wände wackeln. Einige Steine werden eingedrückt. Staub rieselt von den Mauern. Wir kauern am Boden. Aber unser Gebäude wird nicht getroffen. Als die Bombardements aussetzen, verlassen wir das Gebäude, wir schauen uns die Treffer an, die ausgehöhlten Stockwerke, die skeletthaften Reste der Gemäuer. Wir fragen uns, von wem die Bombardements kamen, es können nur Russen gewesen sein. Wir sind in einer südosteuropäischen Stadt, die Menschen, besonders die Männer, erscheinen herb und fremd, unnahbar, unfreundlich. Wir ziehen mit einem Militärfahrzeug durch die Stadt. Der Himmel ist dunkel. Mir wird ein Koffer und ein Rucksack geklaut, meine gesamte Habe, ich ärgere mich und versuche mich gleichzeitig, mit dem Gedanken an Besitz als Ballast, Besitz als bürgerliche Kategorie, und „Es ist ja nur (unklar:) Materie, Material“ zu trösten. Aber es will nicht recht gelingen. In einem Seitenverschlag sehe ich E., die mit ihrer besten Freundin im Austausch von Zärtlichkeiten (sie lecken sich) steht. Sitzt. Liegt. Ich will weder zuschauen noch mich nähern. Ich will sie eigentlich nicht sehen.

Fuck Solaris, Bus Wannsee, Foto: RH

Solaris. Foto: RH

Nicholson Baker zitiert Konfuzius: „Wer auf Rache aus ist, der grabe zwei Gräber.“ Ich weiß nicht, was ein neuer Ansatz sein könnte. „Bei mir schlagen zwei Herzen in einer Brust, die sich relativ gewaltsam in den Haaren liegen“, sagt Judith Holofernes in einem Interview in einer anderen Zeitung. Zwei Herzen liegen sich in den Haaren. Am Ende verliert eines der Herzen den Kopf. Wir entscheiden uns für die Sonne. Wir haben Angst vorm Älterwerden. Die Zeichen der Jugend bedeuten uns nichts.

Im dritten Traum treffe ich sie doch. Sie ist merklich fülliger geworden, besonders ihr Gesicht. Sie nähert sich gleich an, ich spüre inneren Widerstand, muss daran denken, dass sie zwei Kinder hat, die im Allgäu sitzen, und sie mich eventuell nur benutzen möchte. Es wird offensichtlich, dass sie mich zurück will. Sie nähert sich weiter, ich widerstehe noch, dann küsst sie mich. „Ich werde nicht wieder weglaufen“, sagt sie.

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