Judith Butler – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Ich denke, also bin ich http://superdemokraticos.com/themen/koerper/ich-denke-also-bin-ich/ Wed, 28 Jul 2010 07:17:50 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=529 El Mejunje, Santa Clara

El Mejunje, Santa Clara. Foto: slosada via Flickr

Was würdest du gerne sein, ein Mann oder eine Frau? So lautet die Frage, die wir Superdemokraten uns diesen Monat stellen. Sie scheint einfach zu sein, aber das ist sie natürlich nicht. Nichts, was mit dem Thema Gender zu tun hat, ist einfach zu beantworten. Die Argumentationsweisen, die dieses Thema zu einer simplen Angelegenheit machen wollen, sind genau jene, die die Willkür verstärken. Sie fördern zum einen Diskriminierung und schreiben zum anderen standardisierte Rollenbilder fest – die auf kulturellen Vorurteilen und einem biologistischen Essentialismus basieren.

Die Frage impliziert ihrerseits eine Reihe von Metafragen, die übereinstimmend beantwortet werden wollen. Zum Beispiel ist da dieses ihr zugrunde liegende anfängliche „du“: Es weist darauf hin, dass eine vorgeschriebenen Identität angenommen wird, was wiederum Lust macht, sich vor einen Spiegel zu stellen und zu fragen: „Du? Wer bist du?“  Das zweite Wort, welches mich aufhören lässt, ist das Wort „sein“. Mein Unwohlsein hat damit zu tun, dass ich eher vorschlagen würde, statt von einem lebenslangen Verweilen von einem ständigen Umherziehen auszugehen. Und muss ich es heute entscheiden? Oder könnte ich die Frage für heute entscheiden? Für diese Minute, in der ich schreibe, diese Minute, in der ich vor dem Bildschirm sitze. Ich halte mich lieber an die zweite Option. Wer weiß schon, wozu ich Lust habe, wenn ich vom Schreibtisch aufstehe? (Ich nähere mein Bild noch mal dem Spiegel.) Du etwa?

Kuba im Widerstreit: Die Insel ohne Geschlecht

Auf Kuba, wie in anderen Ländern Lateinamerikas, ist für viele dieses Gerede über Gender-Fragen eine abstrakte Theoretisierung der Unterschiede zwischen den Geschlechtern, wobei dies vor dem Hintergrund geschieht, dass, logisch, Gender nichts anderes ist als biologisches Geschlecht und dass wir deswegen von nichts anderem reden als dem wohlbekannten Gegensatzpaar Mann/Frau. Jenseits davon gibt es nichts außer Perversion, Krankheit und gewisse Opfer von (ungewissen) schlechten Einflüssen. In diesem Diskurs wird die Frau weiterhin diskriminiert und ein starres Bild von Männlichkeit gefestigt, das erst in jüngster Zeit von den Studien zur Maskulinität auseinander genommen wird. Ich bin eine Frau, bisexuell – was schlimmer ist, als lesbisch zu sein, für die orthodoxen Verfechter der Heteronormativität – und ich muss akzeptieren, dass es nicht um Opfer und Täter geht.  Zumindest nicht allgemein gesprochen. Und die Frage in diesen Begrifflichkeiten zu formulieren, hilft uns nicht viel weiter. Die Männer, diese „Privilegierten“, leiden ganz schön unter der Enge ihrer Rolle. Also nein, ich möchte kein Mann sein, nicht heute vor diesem Blatt Papier und nicht morgen, glaube ich. Zum Glück muss ich es heute nicht entscheiden, da ich mein Geschlecht ändern kann, wann ich will. Diese Möglichkeit habe ich auf Kuba erst seit 2008. Zuvor, so muss ich sagen, war das strikt verboten.

Nach Jahren der leisen Forderungen werden heute Geschlechtsumwandlungen erlaubt. Doch dies führt nicht zu einer Anerkennung der Vielheit der Geschlechter. Ich will damit sagen, dass ich auf Kuba nur zwei Möglichkeiten habe: Frau oder Mann sein. Es heißt, dass seien die beiden „natürlichen“ Daseinsformen des Menschen. Das soziale Geschlecht ist eine kulturelle Konstruktion, aber das biologische Geschlecht? Ist es das etwa nicht? Judith Butler hat zu zeigen versucht, dass es so ist, dass auch das biologische Geschlecht eine Konstruktion ist, das sich mittels verschiedener Haltungen in der Gesellschaft ausdrückt. Heute sind die Möglichkeiten, sich mit einem hybriden Geschlecht zu identifizieren oder einer chirurgischen Geschlechtsumwandlung zu unterziehen, noch vielfältiger. Auf diese Weise kann der berühmte Satz „Ich denke, also bin ich“ im 21. Jahrhundert anders gelesen werden. Ich bin kein (in Bezug auf das biologische und soziale Geschlecht, auf die lateinamerikanische, kubanische oder welche  Identität auch immer) natürliches Wesen: Ich denke – ich stehe vom OP-Tisch auf und esse einen Sandwich,  also – gehe ich aus der Klinik, um mich mit meinen Freunden zu treffen – bin ich.

Mein Land erlaubt nur zwei biologische und zwei soziale Geschlechter, aber in meinem Kopf, auf diesem Papier, sind meine Optionen mehr als drei. Heute würde ich gerne sein…mal sehen…lass mich nachdenken….

Judith Butler für Anfänger

Miss Transvesti 2010, Santa Clara, Kuba

Ein Stück von Gente de Zona – eine Reguetón-Band, die auf Kuba sehr in Mode ist – über sexuelle Neigungen (ich empfehle die Kommentare zum Video).

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Übersetzung: Anne Becker

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Wir haben uns schon in Cyborgs verwandelt http://superdemokraticos.com/editorial/wir-haben-uns-schon-in-cyborgs-verwandelt/ Sun, 25 Jul 2010 13:27:06 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=531 Als wir über die Themen nachgedacht haben, die wir unseren Autoren für dieses Blog vorschlagen wollten, um sie besser kennenzulernen, war es uns wichtig, uns auch auf den Körper aus Fleisch und Knochen zu beziehen. Denn er stellt die erste Instanz des Bürgerseins dar: in ihm sieht das Subjekt seine Freiheit begrenzt oder nicht, und in ihm wird der freie Wille auf die Probe gestellt. Über Erziehung und Gesetzgebung normieren und regulieren die Staaten unser physiologisches Verhalten. Dieses Verhalten ist der plastischste Ausdruck der Werte einer Zivilisation, der Werte, die die Standards definieren, was denn Liebe, Reproduktion, Religion, Leben sein sollte.

Wir teilen die christliche Vorstellung, dass der Körper ein Gelände ist, ein vom Geist bewohnter Raum, also ein Territorium, in welchem der Staat Tag für Tag Entscheidungen über sexuelle Rechte fällt, darüber, ob und wo wir trinken und rauchen oder essen dürfen, darüber, welche Hautfarbe die Ausübung unserer Rolle in einer festgelegten Gesellschaft bestimmt: Wie leben sich Differenzen?

Welche Rolle spielen die neuen Medien und Technologien für die sexuelle Identität der Menschen? Oder warum beschränken die meisten Parteien in Zeiten der Krise ihr politisches Handeln auf die Gesundheit des Steuerzahlers? Wenn sich diese Veränderungen in Gesetzen ausdrücken, wie beeinflussen sie das tägliche Zusammenleben? Ist der Tod ein verfassungsmäßig festgelegtes Recht? Wie kann die Dichotomie zwischen Frau und Mann gleichzeitig mit der technischen Möglichkeit der Transsexualität existieren? Und inwiefern ist die Transvestismus eine generationelle ästhetische Option?

Diejenigen unter uns, die netzaffin sind, können ihre Identität im Internet konstruieren oder dort ihre Neugier befriedigen. Sie können in den Foren das suchen, was ihnen Genuss und Vergnügen bereitet, ein grundlegendes Element im Diskurs über die Intimität. Möglicherweise ist es für uns viel wichtiger, ein Cyborg als ein Mann oder eine Frau zu sein, und viele haben noch Respekt für die selbstmörderischen Raucher. Die Nackten in dieser Sektion unseres Fotoalbums beobachten, in welchem Ausmaß unsere Gesellschaften uns erlauben, die Subjekte zu sein, die wir gerne und aus freier Wahl heraus sein wollen.

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