intimidad – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Körperstücke http://superdemokraticos.com/themen/koerper/espanol-pedazos-de-cuerpo/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/espanol-pedazos-de-cuerpo/#comments Fri, 13 Aug 2010 08:02:21 +0000 http://superdemokraticos.com/espanol-pedazos-de-cuerpo/ Ich verstehe meinen Körper nicht immer. In meiner Jugend habe ich den traumatischen Veränderungen, die meinen Körper – ohne Vorankündigung und ohne mein Einverständnis – in ein mysteriöses Wesen verwandelten, welches ich nicht zu kontrollieren vermochte, fast meine ganze Aufmerksamkeit geschenkt. Es geschahen auch andere, nicht sichtbare Veränderungen, aber diese beachtete ich kaum. Dann erwachte in mir eines Tages nach so viel Terror die Hoffnung, dass die Veränderungen irgendwann aufhören würden und mein dünner Körper sich ein einen athletischen Körper transformieren würde. Ich warte immer noch.

*

Als ich entdeckte, dass auch mein Körper ein Ausdrucksort war, begann ich, ihn mit simplen Prothesen abzuändern und neu zu kleiden, um auf diese Weise Dinge auszudrücken, die ich mich nicht zu sagen traute. Vor allem aber machte ich aus meinem Körper einen Tempel, den ich der Verehrung der Jugend widmete (Ferdydurke ist mein Held). Aber der Körper ist eine eigensinnige Uhr, und die Spiegel lügen nicht.

*

Ein tief liegendes Brustbein, sehr dünne Beine, die Nase eines Boxers, eine geteilte Stirn, zu lange Arme, zahlreiche Leberflecken und Narben. Ein klitzekleiner, alles andere als perfekter Raum, in dem ich die Gesetze mache.

*

Ich wollte den Ratschlag mens sana in corpore sano (gesunder Verstand in gesundem Körper) umkehren. Meinen „Verstand“ kultivieren, um meinen Körper zu perfektionieren. Gehirntraining, das meine Muskeln stärken würde. Mit der Zeit bemerkte ich, dass der Körper seine eigene Sprache spricht und sagt, was er will: Er spricht mit der starken Stimme des Begehrens.

*

Verrückte Körper in geistesgestörten Hirnen: Ich sehe Die Fliege von Cronenberg wie eine freie und aktuelle Adaption von Kafkas Verwandlung.

*

In dieser dualistischen Welt vermag es niemand, seinen Körper zu überspringen. Gänzlich versteht niemand den eigenen Schauplatz seines Herzschlags, das Territorium seiner Krankheit, sein unkontrollierbares Archiv. Opfer und Täter des Schmerzes und der Lust, Opfer von kollektiven Somatisierungen.

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Cutter, Autopornographen, Transformatoren: Häftlinge im engen Gefängnis des Körpers.

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In der Jugend dachte ich, dass mein Körper eines Tages seinen unveränderlichen und definitiven Zustand erlangen würde. Jetzt weiß ich, dass die Pubertät nie aufhört.

Übersetzung: Anne Becker

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Wie Wolf Biermann neulich meine Intimsphäre tangierte http://superdemokraticos.com/themen/koerper/wie-wolf-biermann-neulich-meine-intimsphare-tangierte/ Mon, 02 Aug 2010 13:39:58 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=563 Bei Begriffen und Fragen, die einfach klingen, es aber nicht sind, empfiehlt es sich, Gegensatzpaare zu bilden, dachte ich neulich, nach dem zweiten schlechten Text über die Geschichte meines Landes. Man könnte die Frage „Was ist für dich Intimität?“ also am besten erst einmal durch die Beantwortung der Frage „Was ist für dich nicht Intimität?“ beantworten. Bei so was fallen einem ja immer reichlich Dinge ein, nicht-intim ist ja quasi alles, was groß, öffentlich und unvertraut ist: Das Unintimste, was mir in meinem Leben untergekommen ist, war im Alter von neun Jahren der Fährhafen von Calais, nachts, im April. Jeder, der in diesem Alter und zu dieser Tages- und Jahreszeit – übermüdet und mit einem vergleichbar empfindsamen deutschen Bürgerkindergemüt – schon einmal dort war und im harten Licht gelber Dampflampen die ersten schlafenden Obdachlosen seines Lebens gesehen hat, kann sich jetzt meinen Begriff von Nicht-Intimität vorstellen. Für alle anderen rede ich noch ein bisschen weiter.

Also, abgesehen davon, dass große Menschenmassen, Institutionsgebäude, Warenhausketten und dergleichen mehr bestimmt nicht intim sind, würde ich so weit gehen, zu sagen, dass Intimität für mich nicht ohne ein gewisses Maß an gewachsener Vertrautheit möglich ist. Es mag Menschen geben, die Intimität überall verspüren können, wo sie wohlig mit einem kleinen Personenkreis oder einer einzelnen Person oder nur sich selbst zusammen sind. Ich würde in Anspruch nehmen, dass ich die umgebenden Personen, zumindest die Schlüsselpersonen, schon seit geraumer Zeit kennen muss, der Ort mir bis weit über die nächste Wegkreuzung hinaus vertraut ist und das Beisammensein eine Form hat, die ich ebenfalls seit geraumer Zeit praktiziere. Intimität setzt für mich ein hohes Maß an Sich-Auskennen an einem Ort, mit einer Gruppe Menschen und mir selbst voraus.

So weit, Intimität und Interkulturalität ein Gegensatzpaar zu nennen, würde ich zwar nach einigem Nachdenken nicht gehen (zumindest nicht nüchtern und öffentlich), aber dass zum Beispiel dieses Blog hier für mich das Gegenteil von Intimität ist, das kommt mir eigentlich – angesichts meines bis an die Grenzen des Wahnsinns engen Intimitätsbegriffs – nur folgerichtig vor. Man spricht in einen Raum und weiß noch weniger als anderswo im Netz (wo die eigenen Texte nicht gleich übersetzt werden und man es nur mit Lesern des eigenen Sprach- und Kulturraums zu tun bekommt), was aus dem Gesprochenen in diesem Raum wird. Immerhin kennen nur die wenigsten der hier Anwesenden die Haltung, aus der gesprochen wird, die zugrunde liegende (Pop-)Kultur, das Trauma, die Gesellschaft, die Schicht, die Landschaft (momentan deutsche Ostseeküste, zum Sterben schön, für mich). Damit wir uns nicht missverstehen: Das hier ist alles unsagbar aufregend, gut und richtig, aber eben nicht intim (wie auch, im Netz?).

Intimität braucht also eine kulturelle Vertrautheit, darüber hinaus eine gewisse Routine, einen Ritualcharakter. Bevor eine Situation wirklich intim sein kann, muss sie es für mich zuvor über Jahre nicht gewesen sein, beziehungsweise auf eine Art intim, die andere Leute vielleicht „intim“ nennen würden, die für mich aber nur unter „potentiell intim“ fällt. Potentiell intim sind Situationen, in denen man plötzliche Glücksgefühle empfindet, in denen das Herz hüpft vor Vertrauen und beginnender Vertrautheit und man denkt: „Wow, mit diesen Menschen, jetzt und hier, da könnte ich ja beinahe intim werden!“ Junge Freundschaft ist immer potentiell intim – speziell der Moment, in dem man aufgeregt ist, weil man merkt, dass es auch ohne die Aufgeregtheit funktionieren würde.

In wahrhaft intimen Situationen ist keiner aufgeregt. Da hüpft kein Herz, wir fühlen uns nicht federleicht und von allen Sorgen befreit, sondern relativ normal. Wie man sich eben fühlt, wenn man mit vertrauten Menschen Vertrautes tut: wie ein vertrautes Möbelstück in vertrauter Umgebung. Die Skala von „Fährhafen Calais, nachts“ bis „absolut intim“ abschreitend gelange ich in unmittelbarer Nähe zu „absolut intim“ zum „Gasthaus Gintoft“, einem Landgasthof an der westdeutschen Ostseeküste, wo ich seit 20 Jahren mit meinen Eltern, Freunden meiner Eltern und Kindern von Freunden meiner Eltern Sommerurlaub mache. Bei den annähernd uralten Wirtsleuten Erika und Uwe Jessen bin ich unaufgeregt vertraut in meinen Ritualen, gewöhnt an die Umsitzenden und das Geschehen im Schankraum, „eingesessen“, wie man zu sagen pflegt.

Gestern Abend prallte ich nun just an diesem magischen Ort auf dem Weg zur Toilette mit Wolf Biermann zusammen, jenem in Deutschland weltberühmten DDR-Dissidenten und Liedermacher, der 1976 aus der DDR ausgebürgert wurde – aber das ist eine andere Geschichte, ebenso, dass er schon seit einigen Jahren ein Haus in der Gegend besitzt, wie im Anschluss schnell herauszufinden war. Worauf ich hier nur hinaus will und warum ich angesichts der jüngsten Ereignisse über das Gasthaus schreibe und nicht etwa über den Mutterleib oder die Segnungen einer Zweierbeziehung – allesamt ebenfalls gewiss gute Intimitätsmetaphern: Intimität ist nicht Zeitgeschichte! Intimität ist zeitlos, aus der Welt gefallen, utopisch. Im Gegensatz zum Zeitgeschehen ist Intimität gnadenlos privat, völlig unspektakulär und – vor allem anderen – nicht der Rede wert. Von und in intimen Situationen kann man schweigen, sie gehen keinen was an.

Deshalb ist der Einbruch von Ereignissen in die Intimität – und sei es auch nur durch die überraschende körperliche Präsenz gealterter Protagonisten einer über 30 Jahre vergangenen Zeitgeschichte – eine Monstrosität.

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Die Kunst des Nicht-Treffens http://superdemokraticos.com/themen/koerper/die-kunst-des-nicht-treffens/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/die-kunst-des-nicht-treffens/#comments Mon, 02 Aug 2010 07:57:31 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=548 “Entonces, a través de la fina malla de tus pestañas,

verás todavía  alargarse en mis pupilas ávidas un

desperezamiento de panteras…”

Rubén Martínez Villena

Eine der größten Herausforderungen in meinem Leben ist, mit der Angst leben zu lernen. Ich hatte viele Ängste, einige sind verflogen, andere verkleiden sich und schleichen versteckt herum. Aber es gibt eine sich hartnäckig haltende Angst, welche immer wach ist und mich aus dem Traum der Vernunft reißt. Die Angst, nicht zu sehen, geht über die Privatsphäre, die ich für mich beanspruchen, hinaus, das heißt auch, Angst davor, dass die anderen mich nicht sehen, dass wir uns nicht sehen können.

Wenn wir es nicht schaffen, uns wahrzunehmen, scheint es, als ob wir austauschbar wären. Dann würden wir uns in der Allgemeinheit der Begrifflichkeiten verlieren, wie beispielsweise „Frau“ oder „Mann“. Du wärst nur eine Frau, und ich wäre nur ein Mann; wir wären irgendeine Frau, irgendein Mann, wir hätten keinerlei Gesicht, und jeder würde seine Geschlechterzugehörigkeit weiterhin wie ein Schutzschild vor sich hertragen. Die Einteilung in Geschlechterzugehörigkeiten erweist sich als unzureichend, um die subtilen Ausprägungen unseres Seins einzufangen. Dein Geschlecht und mein Geschlecht sind zufällig, und ich will mehr in dir sehen und du sollst mehr in mir sehen, als diese Trivialität, die wir so schnell naturalisieren. Und dass, obwohl ich spüre, dass das Wollen alleine nicht ausreicht.

Am Anfang war es das Gegenteil. Genau deshalb hat mich auf meinen intimen Wegen durch die Berliner Straßen, Bars und Betten die meiste Zeit ein seltsames Gefühl befallen. Die Treffen waren wie Nicht-Treffen. Auf diesen Wegen wurde ich von vielen Frauen und von vielen Männern als lateinamerikanischer Mann wahrgenommen. Diese Spezies Tier wird als wilde Bestie wahrgenommen. Es war gar nicht so schlimm, dieser Gattung zugeteilt zu werden, vor allem weil es „in“ war, und es schien nicht mehr als eine vorübergehende Verrücktheit zu sein. Mancher Wahnsinn dauert länger an. Was ich auch tat, alles bestätigte lediglich mein Naturell des wilden Tiers. Die Brille, die ich normalerweise trage, um die Welt sehen zu können, wurde nicht als Lösung eines visuellen Problems verstanden, sondern als der Versuch gewertet, intellektuell wirken zu wollen. Ich gebe keinem die Schuld, auch mein Großvater war der Meinung, dass die Intellektuellen es im Leben einfacher haben würden. Deshalb bestand er darauf, dass seine Kinder eine universitäre Laufbahn einschlagen sollten. Um den familiären Ratschlägen zu folgen, begann ich Philosophie zu studieren, und natürlich ist mir bisher noch nicht aufgefallen, dass mein Leben deshalb einfacher wäre.

Die Situation fing an erdrückend für mich zu werden. Eines Tages forderte ich ein Mädchen, das gut tanzen konnte, zum Tanzen auf, und ihre Antwort kam prompt und deutlich: „Ich bin schon verheiratet!“ In mir begann das Blut der Jakobiner und der Cimarrónes, das in meinen Adern fließt, zu brodeln. Ich hatte das Werk von Camus gelesen, und seitdem war ich Le latino révolté. Aus dem Schrei heraus entwarf ich eine Strategie, mit der ich Gemeinplätze bekämpfen könne. Meine Taktik war möglicherweise nicht so gut wie die praktische Umsetzung in Afghanistan und im Irak, aber dennoch dachte ich sie funktioniert, denn schlussendlich wollte ich ja nichts erobern – ich wollte lediglich gesehen werden, über das stereotype Bild hinaus.

Die Idee war simpel: Ich musste jene Tänze vermeiden, bei denen sich die Becken berühren könnten. Von da ging das Gerücht herum, dass ich nicht tanzen könne.Ich glaube, er ist gar kein Latino“ – fügten sie hinzu – “er wurde bestimmt hier geboren. Ihm fehlt das Temperament!“ Dieses Gerede hat mich irgendwie getroffen, also habe ich beschlossen gar nicht mehr zu tanzen. Die Interpretation davon ließ nicht lange auf sich warten: „Der tanzt nicht, weil er schwul ist!“

Damit wurde ich auf dem sexuellen Markt sehr hoch gehandelt. Ich fand heraus, dass es für viele Frauen eine willkommene Herausforderung ist, einen Schwulen ins Bett zu bekommen. Als ich meine Frustration in Bier ertränkte, erzählte mir eine Freundin, dass es ihr genauso ginge. Unter Blinden sind die Nicht-Zusammentreffen häufiger als die Zusammentreffen. In dieser Nacht haben wir sie alle, Frauen und Männer, zum Teufel geschickt. Wenn sie uns nicht sehen, können sie uns mal! Sie verpassen was. Es gibt Ängste, die nicht gesund sind, die Angst vor dem Anderen ist eine davon. Die Furcht vor der Blindheit dagegen hilft mir, die Fähigkeit nicht zu verlieren, immer wieder zu staunen, mich zu sehen, dich zu sehen, auf der Suche danach, was ich kann, was du kannst und was ich will, was du willst: Sein. So geh ich, mit Goya an meiner Seite, durch dieses, unser Leben und versuche, die Monster, die aus der Vernunft entstehen, zu ignorieren. Es ist mir nicht immer vergönnt, aber ich versuche es.

Joaquín Sabina, Pie de Guerra.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Beziehungsweise Geräte http://superdemokraticos.com/editorial/beziehungsweise-gerate/ http://superdemokraticos.com/editorial/beziehungsweise-gerate/#comments Sun, 01 Aug 2010 14:14:44 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=564 Da liegt etwas neben mir und blinkt, als ob es atmet. Manchmal nehme ich es auf den Schoß, dann wird mir ganz warm. Ich spreche hier nicht von einem Fahrradlichtdildo oder einer Katze mit blitzenden Augen, nein, ich spreche von einem Gerät. Habe ich ein Verhältnis mit meinem Computer? Was für eines ist das? Hat er sich in eine herzförmige Box verwandelt, die meine Gefühle kontrolliert?

Viele Texte der Superdemokraten befragen die Möglichkeit von Intimität in Zeiten des Webs. Die einen sprechen von Internetsex (Agustín Calcagno), die anderen vom Voyeurismus in sozialen Netzwerken (Liliana Lara). Genau diesen Beobachtungen geht der Schweizer Essayist, Physiker (und Jazzmusiker) Eduard Kaeser in seinem Buch „Der Körper im Zeitalter seiner Entbehrlichkeit nach und fordert „Körpermündigkeit“: Weil wir immer mehr in „Technotopen“ lebten, umgeben und abhängig von Maschinen, die unsere Arbeit und unser Leben und vor allem auch unsere Liebe strukturieren, komme uns die materielle Welt immer mehr abhanden. Wir nähmen sie auf über immaterielle Sinneswahrnehmungen, die uns die Geräte filtern und anbieten. Wir seien mutiert zu „Schnittstellen-Wesen“.

Ich glaube nicht, dass das schlimm ist, sondern einfach ein Teil meiner Realität, mit der ich umgehen lernen muss. So wie ich mit meinen Vorstellungen von Sexualität, Ehe, Familie, Liebe, Gender umgehen lernen muss, die bestimmten (erlernten) Realitäten oder Fiktionen (Filmen, Romanen) entsprechen. Davon erzählen auch Fernando Barrientos, Leo Felipe Campos, Javier Badani, Lizabel Mónica oder René Hamann ihren Essays. Diese Realitäten führen an der Nase herum wie die Karotte den gutgläubigen Esel. Aber wir müssen einfach stehen bleiben. Uns spüren. Die Rettung, die Zukunft, was auch immer kommen mag, liegt nicht im anderen (in der Karotte) sondern in uns selbst. In der Kraft, den Gefühlen, den Worten, die uns umgeben. Die online und offline zu uns kommen.

Ich bin sehr begabt darin, meine Geräte zu zerstören (so ähnlich, wie ich gut darin bin, überall anzustoßen und mir blaue Flecke zu holen). Meinen letzten Laptop hab ich mit Tee geflutet, mein Handy fällt mir oft aus der Hand, es ist nun von feinen Nadelrissen geschmückt. Es trägt Narben als ob es ein Körper wäre. Und daher behaupte ich weiter: Vor einem Computer weinen, ist intim. Hinter einer Glaswand darüber singen, was man im Leben verstanden hat, das ist intim. Youtube-Videos verschicken ist auch intim. So zeigen wir uns im „durchsichtigen Kostüm“ (Tilsa Otta), werden verletzlich, aber bleiben, trotz aller Digitalität, höchstmenschlich.

Und wenn wir uns das nächste Mal sehen, umarmen wir uns. Denn Menschen sind besser als Geräte.

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Fragmente der Intimität http://superdemokraticos.com/themen/koerper/espanol-fragmentos-de-intimidad/ Thu, 29 Jul 2010 07:00:27 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=546 Manchmal glaube ich, dass ich meine eigene Intimität verloren habe. Dann nehme ich alles wie auf einem entfernten Bildschirm wahr, und mir scheint es, als lebe ich das Leben von jemand anderem. Eine nervöse Stummheit angesichts einer dringenden Frage. Das Gesicht im Spiegel ist eine neue Maske, mein Name eine vorschnelle Fälschung, meine Freunde und Familie verwandeln sich in unergründliche Wesen und meine Stimme gehorcht einem Unbekannten. Dann bin ich durchsichtig wie ein leeres Glas, und von allem trennt mich eine Wand aus weißem Rauschen. Ich fühle mich so merkwürdig, dass ich vergesse, was Intimität bedeutet.

Nach innen tauchen macht mich traurig.

Seit vier Jahren kann ich keine Fiktion mehr schreiben. Ich kann Chroniken, Essays, Berichte schreiben, aber keine fiktionalen Texte. Ich versuche, die Worte zu erzwingen und erziele Resultate, die mich nicht überzeugen. Habe ich vergessen, was ich sagen wollte? Die Show ist sehr real geworden und etwas hat crack gemacht. So viele Versuche, die persönlichen Spuren zu tilgen und mich in einen Mann ohne Eigenschaften zu verwandeln (war nicht das Ich die größte Fiktion?). Jetzt habe ich keinen Zugang mehr zu der geheimen Stimme, so als gäbe es nichts in meinem Inneren. Ich sehe, wie die anderen ihre Lippen bewegen, ohne etwas zu sagen und bekomme Lust, alleine zu bleiben, um zu versuchen, die geheime Stimme zu vernehmen. Einsamkeit und Stille.

Ich suche in mir drinnen. Begierig, entledige ich mich jeder bunten Maske, so als spielte ich mit einer Matroschka. Ich halte plötzlich inne angesichts der Ungewissheit, was ich finden könnte.

Resigniert, versuche ich wie ein Privatdetektiv die Intimität der anderen zu beobachten: Was denkt mein Bruder, der so wenig redet und ein geborener Einzelgänger ist; welche Form hat die Seele meiner Freundin, was tut ihr weh, was macht sie glücklich, was verbirgt sich hinter all den Schleiern, die mich verführen, welche Linien zeichnen diese letzte Falte, wo es keine Wörter gibt? Ich finde Fährten, die wie ein Blatt aus Sand zwischen meinen Fingern zerrieseln, sobald ich mich ihnen zuwende, um sie zu lesen.

Ich sehe im Innersten meiner Generation die Angst, nicht mehr jung zu sein, tätowiert. Angst davor, sich in Menschen zu verwandeln, die das Schlimmste als natürlich akzeptieren und die glauben, dass alle sich daran gewöhnen sollten. Älter werden wie die Signatur des Feindes. So als sei das Erwachsensein die letzte Kapitulation, so als sei die Verwandlung in die Eltern schlimmer als die Verwandlung von Samsa. Oder vielleicht ist das nur eine Projektion meiner eigenen partikularen Sorgen.

In der Tiefe meiner selbst bewahre ich ein Fotoalbum in Bewegung auf, die Schatten von zwei Freunden, die unsichtbar geworden sind, das Schwert des Vaterlands meiner Kindheit, ein Hund, der unter einem Baum schläft, der gutmütige Blick meines Großvaters Tomás, der mir Lesen beibrachte, eine Pille gegen den Sonntagsspleen, ein Pflasterstein einer Straße, die es nicht mehr gibt, ein paar Verse, die ständig ihre Bedeutung ändern, ein Taschentuch, mit dem ich jedes Mal winke, wenn ich Aufwiedersehen sage, eine Faust voll gealteter lauter Musikstücke, eine schwarze Gitarre, ein paar Versprechen. Nachdem ich ein Labyrinth durchquere, gelange ich zum intimen Archiv meiner Erinnerungen.

Sie kommt an, wir reden ein wenig und ziehen uns dann aus. Zur Abwechslung ist es mal kalt, aber die Körper erwärmen sich gegenseitig bis die Temperaturen sich vermischen. Ein Körper, der zuvor unbekannt war, strahlt jetzt die vertraute Illusion der Komplizenschaft aus. Ich hoffe, dass sie sich fühlt – wie ich jetzt, so wohlig wie das Hologramm von der Erfindung von Morel, der sich mit dem Wohlgefühl desjenigen bewegt, der sich nicht beobachtet fühlt. Ich vergesse für einen Moment, dass ich alles durch den Filter des Bewusstseins registriere, ich vergesse das Melodrama der Identität, die Unwegbarkeiten der sozialen Reproduktion, die updates des Superegos, die Politik. Ich atme ruhig und innig mit mir selbst. Zwischen Zizek und einem nackten Mädchen spricht die geheime Stimme.

Übersetzung: Anne Becker

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A cabinet of my own http://superdemokraticos.com/themen/koerper/a-cabinet-of-my-own/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/a-cabinet-of-my-own/#comments Tue, 27 Jul 2010 07:31:31 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=533 Meine Großmutter schenkte mir ihren geräumigen Kleiderschrank aus weiß lackiertem wurmstichigen Holz, weil ich nicht aufhörte ihr vorzuheulen, dass ich zu Hause nirgendwo mal für mich sein könne, und ich sie bat, bei ihr wohnen zu dürfen. Ich lebte mit meinen beiden älteren Schwestern in einem Zimmer. Dann kündigte sich (da war ich zehn) noch mein Bruder an. Ich verbrachte zu der Zeit schon nicht viel Zeit zu Hause, weil es mir in jeder Beziehung zu eng war. 500 Pfund jährlich und ein eigenes Zimmer konnte meine Großmutter mir nicht geben, aber diesen gigantischen Kleiderschrank, in den ich mich zurückziehen konnte.

Der Schrank war viel zu groß für die wenige Kleidung, die ich hatte, und wirkte ausgesprochen plump in dem Zimmer. Ich nahm die Regalbretter und die Stange heraus, ordnete die paar Blusen, Hosen und Pullover an der linken tiefergelegten Seite des Schranks, die Unterwäsche und Socken warf ich in die rechte Schublade, die wie eine Treppe herausragte, und darüber legte ich ein großes Kissen, auf das ich mich setzen konnte. Die Wände hatten Ritze, durch die die Luft zirkulieren konnte und durch die ich meine Schwestern im Auge behielt. In diesem Schrank vollzogen sich wesentliche Momente meiner Pubertät. In diesem Schrank fühlte ich mich groß – und frei.

In diesem Schrank verbrachte ich eine erste, nicht mehr ganz platonische Stunde mit meinem ersten Freund, der ein Einzelkind war und ein eigenes Zimmer hatte. Selbst er empfand in diesem Schrank ein besonderes Gefühl von Autonomie und Exklusivität, das ihn in seinem Zimmer nicht überkam. Ich weiß nicht, ob ich in seinem lichtdurchfluteten eigenen Zimmer so hemmungslos gefummelt hätte? Hier in dieser Enge, in dieser Fastdunkelheit, in die sich das Licht durchs Holz schnitt und winzige helle Spots auf unseren Körpern hinterließ, hier drinnen erschien mir die Berührung nicht nur aus proximetrischen Erwägungen heraus folgerichtig. In diesem Schrank, wie sonst nur unter der Bettdecke, genoss ich grenzenlose Intimität.

Intimität ist ein Menschenrecht. Intimität ist eine Form der Abschottung und des Selbsterhalts. Intimität ist asozial und natürlich. Wir entstehen in der Gebärmutter in asozialen exklusiven Verhältnissen. Die Schildkröte vergräbt ihre Eier, die Henne setzt sich drauf. Ohne diesen Schutz vor Einflüssen, vor Beobachtung, ohne das Erlebnis von Autonomie könnten wir nicht heranreifen. Bis heute ist für mich die Vorstellung, in einer sowjetischen Kommunalka wohnen zu müssen weitaus schlimmer, als in einer Gefängniszelle einzusitzen. Ein Mensch, der Angst vor Intimität hat, der nicht mit sich allein sein kann, der sich andauernd dem Druck und den Welten der anderen aussetzen muss, geht sehr schnell vor die Hunde.

Das erste vorgeburtliche, noch unbewusste Erlebnis, das ein Mensch vom Leben hat, ist Intimität. Aus dieser metaphysischen Erfahrung sucht man sein ganzes Leben lang nach Schutzräumen und solchen, in denen man wachsen kann. Ein Schrank tut‘s manchmal auch. Gerade ein Schrank, der nur ein wenig mehr Platz lässt, vielleicht für noch einen (Freund), oder für einen Gegenstand. Er ist ein abgründiger Spiegel. Was ich dort erlebt und gesehen habe, traue ich mich nicht mal aufzuschreiben. Das überlasse ich der Fantasie des Lesers mit der ausdrücklichen Empfehlung, es selbst mal zu versuchen, falls nicht schon getan.

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Sagmirwasdufühlstismus http://superdemokraticos.com/themen/koerper/sagmirwasdufuhlstismus/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/sagmirwasdufuhlstismus/#comments Mon, 26 Jul 2010 18:44:50 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=528 „Da wir glauben, Fragen der Sexualität seien Privatangelegenheiten, hören wir auf, sie in ihrer sozialen und politischen Dimension wahrzunehmen.“ G. Louro

Im Fernsehen verschlingt ein Junge, der Bastian heißt, ein Buch. Sein Gesicht trägt den verstörten Ausdruck eines Abenteurers, der sich in der Wüste verlaufen hat und dem nur noch wenige Seiten in der Feldflasche verblieben sind, der junge Held bedeckt seinen Rücken mit einer Decke, weil die Welt der Fantasie durch das Dach verschwindet, durch das Nichts verwüstet wird und… Werbepause.

Ich erkenne meinen Körper, putze mir freiwillig die Zähne, schlafe alleine, ohne Angst zu haben, ahme die Sänger im Radio nach, wenn niemand da ist, ich durchlebe eine Phase zwanghaften Lügens und Stehlens, entwickle meine persönliche Vorstellung von Gut und Böse. Entscheidende Augenblicke für die Herausbildung der ersten Intimität: der eigenen. Jede Person müsste über solch eine Umgebung verfügen und sie nach Belieben schmücken dürfen, um anschließend Besuch empfangen und sich noch später ein erfülltes, gesundes und geteiltes Heim einrichten zu können. Nachdem der Mensch den infantilen Solipsismus überwunden hat, erreicht er – paradoxerweise – während der Pubertät den Lebensabschnitt „Nur du existierst“.

Meine liebsten Tischgespräche mit jemandem, den ich soeben erst kennen gelernt habe, handeln von der Intimität. „Erzähl mir ein Geheimnis, etwas, von dem ich nicht weiß, und reißen wir ohne lange Vorreden dieses von der Gesellschaft gesäte Kraftfeld ein. Etwas, das du noch nie jemandem erzählt hast, sprich über dein erstes oder dein letztes Mal, von deinen immer wiederkehrenden Träumen. Beichte mir, ob du dich einsam oder elend fühlst, ich werde nicht flüchten. Verkünde, dass du ein glücklicher Mann bist und keine Hemden trägst, das muss gesagt werden.“

Der „Sagwasdufühlstismus“, eine polemische Bewegung, die mir Freude und Gemeinschaft einbrachte, wie auch Unverständnis und ungemütliche (lustige) Situationen, die so weit gingen, dass ich mich eines bestimmten Tages betreten beklagte: „Wenn mir jedes Mal ein Dollar gegeben würde, weil ich alles sage, was ich fühle, würde ich mich in diesem Moment vielleicht besser fühlen.“ Guacira Louro sagt hierzu: „Die Fragen, die Fantasien, die Zweifel und das Experimentieren mit der Lust werden ins Geheime und Private verwiesen. Wir erlernen die Scham und die Schuld, experimentieren mit Zensur und Kontrolle durch die multiplen disziplinierenden Strategien.“

Über Jahrhunderte hinweg mussten Frauen „Anstand wahren“, und bis heute schüchtert es das puritanische Subjekt ein, wenn eine Dame offen über ihr Sexualleben spricht. Das erinnert mich an das wunderschöne Lied von Chabuca Granda „Cardo o ceniza“ (Distel oder Asche), in dem die Dichterin die außergewöhnliche Episode einer passionierten Hingabe schildert und in der letzten Strophe, beschämt von der vollständigen Hemmungslosigkeit der vorangegangenen Nacht, neben ihrem Geliebten aufwacht.

Wenn ich dichte und jemandem, der mir nahe steht, die Gedichte zeige, und später, wenn ich sie veröffentliche, wenn ich sie lese, finde ich die eindringliche Intimität in der Poesie. Indem wir mit der Logik und Sensibilität des Künstlers fließen, folgen wir dem Labyrinth, das er in einem magischen und einsamen Moment zeichnete.

Die Mittäterschaft, in der man sich desselben Deliktes unschuldig weiß, bringt einsame Kenner eines schlechten Witzes, einzige Gäste eines verwunschenen Hotels hervor. Es weiche das magnetische Feld, öffnen wir die Türe. Geheimnisse ohne Beichtstuhl.

Der Intimismus wird zu einem Ismus des Gleichen: einen Teller Essen, den Dessertlöffel, die Keime, das Bett miteinander teilen, den Arm ausreißen, der den Arm, der verschwindet, lähmt.

Schon immer wollte ich mein Bankgeheimnis lüften, damit ihr und ich intim sein können, ohne Angst davor zu haben, auf das glamouröse Tuch des Geheimnisses zu verzichten, das mich wie ein aus Gefühlen bestehender Schleier der Frauen Limas schmückt, da das Geheimnis über vielfältige Instanzen und ein eigenes Ministerium im Inneren verfügt. Viele Aspekte müssen übereinstimmen, bevor darüber entschieden wird, dass es sich in eine Party für zwei verwandelt. Nicht jede macht einen Ausflug zu sich selber, und noch seltener wird man regelmäßig zu einem Reisenden, wenn ich mir schließlich die Tätowierung von der Stirn entferne, die besagt: „Liebe den wilden Schwan“ („Ama al cisne salvaje“, Gedicht von Luis Rogelio Nogueras, Anm.d.Übers.), und ich verstehe das durchsichtige Kostüm als ausgepacktes Geschenk, das vor den Augen des riesigen Kindes erstrahlt.

Übersetzung: Marcela Knapp

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Die wunderbare, kurze Hepatitis von Litoscar Vzz http://superdemokraticos.com/themen/koerper/die-wunderbare-kurze-hepatitis-von-litoscar-vzz/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/die-wunderbare-kurze-hepatitis-von-litoscar-vzz/#comments Fri, 23 Jul 2010 06:40:23 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=514 Die wahre Bedeutung der Intimität entdeckte ich eines Nachts, auf meinem Bett liegend, während ich an das Mädchen dachte, in das ich verliebt war, eine kleine Schickse aus Monterrey, die einen weinroten Fiat fuhr. Jahr: 2004. Musik: A ghost is born. Wilco waren zum Soundtrack meiner Momente der Einsamkeit geworden. Diagnose: Hepatitis B. Ich musste das Bett hüten: Wie eine Schwangere, der eine Fehlgeburt droht. Ich versuchte Glamourama von Bret Easton Ellis zu lesen, aber es gelang mir nicht, mich zu konzentrieren. Ich konnte mich nicht erinnern, wo ich mir diese verdammte Krankheit eingefangen hatte. Fährten? Drei.

Die erste: Jene caguama (1-Liter-Bierflasche in Mexiko), die wir auf der Brache von einem zum nächsten durchreichten. Jemand fragte nach einem Glas. Die Crew, markig, verspottete ihn als frisch gepelltes Weichei. Und wenn wir uns mit irgendeinem Scheiß gegenseitig anstecken?, insistierte er. Der dickste Typ von allen stieß hervor: Wer eine Abwehr hat, packt’s, wer nicht, ist jetzt schon am Arsch. Ich war sehr kränklich unterwegs. In Sachen Gesundheit war ich schon immer schwach auf der Brust, so wie „Laurence Harvey wurde schwach auf der Brust / in Servidumbre Humana / […] im Anblick von Kim Novaks Schönheit“ (Saúl Rosales dixit). Ich misstraue der caguama, weil einer der Drugos – so lautet unser Spitzname – blasser aussah als das Cover der Gelben Seiten.

Die zweite: Die Tacos mit suadero-Fleisch in La Joya. Eine Zeit lang ging die Paranoia um, dass jede Zwiebel in meiner Stadt mit Hepatitis verseucht war. Die Nachricht von San Agustín: Das Feuer purifiziert alles: stellte sich als falsch heraus. In meiner Freizeit, wenn ich gerade nicht, recht erfolglos, versuchte, an der Tastatur meines Computers zu glänzen, litt ich an Tacosucht. Ich lüge nicht, wenn ich sage, dass ich alle Taquerías meiner Stadt kenne. In manchen kann ich sogar anschreiben. Ich verdächtige die Tacos, weil die Portion, die ich mit extra viel Zwiebeln und Chili-Soße verschlang, den Beginn meines Debakels markierte.

Und drittens (und letztens): Die sexuelle Anziehung, die die kleine D verströmte. Ich lernte sie über das Internet kennen. Bis zu D hatte ich nie an diesen Schwindel der einsamen Menschen geglaubt. Ich zog zwei Wochen zu ihr. So sah unsere Routine aus: Sie stand um 9 Uhr morgens auf und zog ab zur Arbeit. Ich wachte gegen 5 Uhr nachmittags auf, wenn sie von der Arbeit zurückkam. Wir wälzten uns auf dem Teppich und fingen um 7 Uhr mit dem Biertrinken an. Sie leerte nur ein miserables Gläschen; was sie am meisten mochte, war Gras. Sie bewahrte eine Tüte mit zwei Kilo Gras in ihrem Kühlschrank auf. Ich stand da nie drauf, weshalb ich mich einfach neben sie setzte und ihr dabei zuguckte, wie sie ihren Joint baute. Wir wälzten uns noch einmal, und dann ging sie schlafen, da sie am nächsten Morgen zur Arbeit musste. Ich blieb die ganze Nacht lang wach, bis ich die 12 Liter Bier ausgetrunken hatte. D muss mich ein bisschen für einen Alkoholiker gehalten haben, aber nein. Ich habe Bier nie als Alkohol eingestuft. Jeden Tag versorgte mich D mit Bier. Kein einziges Mal hat sie mir etwas zu essen mitgebracht. Auch wenn ich Bier für ein Lebensmittel halte, ist doch manchmal eine Kartoffel nicht schlecht.

Während wir yorch zulegten, erzählte mir D von den Orgien, an denen sie teilgenommen hatte. Sie würden sich vor Lachen in die Hose machen, wenn Sie sie sehen würden. Sie war das unerheblichste kleine Ding der Welt, ohne Brüste und ohne Hintern und ein bisschen hässlich. Aber im Bett, kein mami blue, sie bewegte sich wie eine Cyborg-Sirene. Ich flüchtete aus Ds Wohnung, weil ich sehr viel Gewicht verlor. Ich habe immer ein Kondom benutzt, aber ich verdächtige D wegen ihrer promisken Rauscheskapaden, die sie mitbrachte. Und weil ich in jenem Lebensabschnitt am meisten kränkelte.

Da stand ich nun, ein Teil der Crew, am Boden, dabei, abzuleiten, wer verdammt mich so nieder gestreckt hatte. Du kannst die caguama mit deinen Blutsbrothers teilen, du kannst dem infektiösesten Tacoverkäufer der Stadt vertrauen, und du kannst nach dem Sex die pitoreskesten Geständnisse deiner Liebhaberinnen hören „Als ich klein war, hat mich mein Stiefvater betatscht, aber ich mochte das“, aber nicht die Leibspeise, nicht das Essen, nicht die fleischliche Lust verkörpern die Intimität wirklich. Es ist egal, wie viele Male du siehst, wie diese Frau sich vor dir auszieht, wie viele Male du mit ihr ins Bett gehst: Sie gibt dir gar nichts von sich. Die einzige, wahrhaftige Intimität liegt in der Beschädigung, die unabsichtlich zugefügt wird. Von Herzen gerne hätte ich in jener Nacht den Verantwortlichen meiner Bettlägrigkeit geküsst.

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Übersetzung: Anne Becker

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Nullpunkt Panoptikum http://superdemokraticos.com/themen/koerper/nullpunkt-panoptikum/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/nullpunkt-panoptikum/#comments Thu, 22 Jul 2010 15:03:36 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=494 Ich gucke mir die Fotos meiner Freunde und der Freunde meiner Freunde in den digitalen sozialen Netzwerken, in den Blogs, den Fotologs und so weiter an. Ich kenne ihre Häuser, ihren Geschmack, ihre Haustiere. Von den Wagemutigsten habe auch ihre depilierten Geschlechtsteile gesehen, ihre Verwüstungen, ihre Miseren. Ich bin eine digitale Voyeurin, die sich an der Intimität der anderen erfreut. Ich gucke von meinem Fenster-Bildschirm ihren entfernten, fremden Leben zu. Ihren Lebensumständen, ihren Freunden, den ersten Schritten ihrer Kinder.

Manchmal bin ich Augenzeugin von Streits und Missverständnissen. Manchmal bekomme ich noch vor meiner Mutter den neusten Familienklatsch mit. Ab und zu habe ich das Glück, dass meine Freunde und deren Freunde alte Fotos hochladen: Auf diese Weise lerne ich ihre Geschichte kennen, ihre Windeln, ihre Schuluniformen, ihre Pubertätsakne. Ich bin eine Wächterin inmitten eines panoptischen Gefängnisses – jener Idee von Jeremy Bentham vor abertausenden von Jahren, die von Michel Foucault im letzten Jahrhundert aufgegriffen wurde, um die Techniken der Überwachung zu erklären, die der hegemoniale Staat, die „Disziplinargesellschaft“ erfindet. Den Techniken ging es nicht um die Erforschung des Realen, sondern um Kontrolle. In diesem Bau der Überwachungsarchitektur war alles, was eine Person tat, dem Blick eines Wächters ausgesetzt, der selbst nicht gesehen werden konnte. Der Unterschied heute ist, dass auch ich gesehen werde. Wächterin und Überwachte zugleich, stelle ich meine Intimsphäre zur Schau und gucke mir die Intimsphäre der anderen an. Foucaults Begriff des Panoptikums  ist in letzter Zeit wieder entstaubt worden, um die verblüffendsten Phänomene des Web 2.0 zu erklären: die Zurschaustellung/Beobachtung der Intimsphäre.

Nichtsdestotrotz glaube ich, dass dieser Begriff zu kurz greift, oder dass man zumindest von einem Panoptikum in einem weiteren Panoptikum sprechen müsste – so wie die russischen Babuschka-Puppen. Wir überwachen die Intimsphäre von anderen, und werden zugleich von anderen überwacht, die auch überwacht werden. Es mag sein, dass am Ende dieser Kette von Wächter-Voyeuren die Disziplinargesellschaft und die invasive Gesellschaft steht, die uns in Schranken halten will. Zumindest glauben das die Abtrünnigen der digitalen sozialen Netzwerke und des semantischen Webs.

Wie dem auch sei: Man darf nicht vergessen, dass es sich in dieser neuen Situation, in der unsere Intimität zur Schau gestellt und überwacht wird, um eine absichtliche Zurschaustellung handelt. Ich zeige das, was ich will, dass der andere sieht. Es handelt sich nicht um eine in flagranti aufgeschnappte Intimität, eine offene Tür mitten in der Nacht oder die aufgeschlagene Seite eines zufällig gefundenen Tagebuchs, sondern um die Intimsphäre eines Exhibitionisten, eines Megalomanen, eines Egozentrikers. Einer Person, die weiß, dass sie gesehen wird, mehr sogar, die angeschaut werden will. Der digitale Exhibitionist konstruiert seinen Avatar wie jemand, der sich eine fiktive Geschichte ausdenkt. Eine Autofiktion, ein der Literatur entlehnter Terminus oder viceversa.  Die zur Allgemeinheit gewordene Lust, in die Intimsphäre eines anderen einzudringen, hat die Literatur erreicht: Nicht umsonst weisen Autobiographien und Bücher des Genre „Autofiktion“ die höchsten Verkaufszahlen auf. In den letzten Jahren boomen diese in der ersten Person erzählten Romane, in denen der Erzähler denselben Namen trägt wie der Autor, oder seine Initialien oder einen ähnlich klingenden Namen und in denen die dramatische Wendung der Romane sehr viele Berührungspunkte hat mit realen Begebenheiten aus dem Leben des Autors.

Die digitale Intimsphäre ist konstruiert: Wir suchen die Fotos und Sätze aus, die wir zeigen wollen. Wir ziehen uns aus vor der Kamera, aber wir zeigen uns von unserer besten Seite. Wir wissen, dass wir angeguckt werden. Wir wollen gesehen werden. Und wir wollen auch das Simulakrum der Intimität angucken, welches uns die anderen zeigen. Lacan hat gesagt, dass das Begehren immer das Begehren des Anderen ist, dass es einen Appetit des Auges gibt, der nur gestillt wird mit dem Zeigen-um-angesehen-zu-werden. Dieses Zeigen-um-angesehen-zu-werden ist nicht unschuldig.

Zu dem verallgemeinerten Bedürfnis, die Intimität eines Anderen zu beobachten gesellt sich das Bedürfnis, eine digitale Identität zu erschaffen, um sie zu zeigen. Blogs kommen mir weniger wie Aktualisierungen der alten Tagebücher vor, denn wie Multimediaversionen der Reality Shows, von denen es im Fernsehen wimmelt. Klar, es handelt sich um wesentlich interessantere und vielseitigere Reality Shows: die rosafarbene Jugendliche, die von den Details ihres ersten Liebeskummers berichtet; der große Intellektuelle, der Bücher rezensiert und sich versteckt hält; die theoretischen und praktischen Mütter des spanischen Post-Pornos; der Schriftsteller, der sich für alles und mit allen Mitteln des Web 2.0 verkauft. Alle machen sich vor meinen Augen frei und meine Augen gelüsten nach ihnen. Ich folge ihnen, ich etikettiere sie, ich füge sie zu meinen Favoriten hinzu, zu meinem google reader, zu meinen feeds. Ich kenne sie besser als meine Nachbarn.

Übersetzung: Anne Becker

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Schmutzige Gläser, volle Aschenbecher http://superdemokraticos.com/themen/koerper/schmutzige-glaser-volle-aschenbecher/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/schmutzige-glaser-volle-aschenbecher/#comments Tue, 20 Jul 2010 15:00:37 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=490 Ich hatte einen Juraprofessor, der in Deutschland studiert hatte und deshalb davon überzeugt war, dass er eigentlich Professor für Philosophie war. Mit ihm gingen wir das Konzept der Intimität durch, ein imaginärer Kreis, der uns umgibt, in den wir nur jene, eintreten lassen, die wir eintreten lassen möchten. Diesen Kreis stellte ich mir wie eine kleine Feier mit Getränken und Musik vor, wo wir alle nackt sind und die Türe offen lassen, wenn wir ins Bad gehen. Mein Professor sagte, dass uns dieser unsichtbare, aber machtvolle, Kreis vor den unverschämten Blicken der anderen schützt und uns unter anderem das Recht zuspricht, von ihnen in Ruhe gelassen zu werden. Was so viel bedeutet wie, dass ich die Türe jederzeit schließen und allen auf der Feier sagen könnte, dass sie ihre Kleider wieder anziehen und gehen müssen.

In der Intimität wissen wir voneinander ohne miteinander zu sprechen, manchmal sogar ohne uns anzuschauen. Wir erraten viel mehr, als wir wissen, und wir bewegen uns in einer Nähe, die es uns noch immer erlaubt, die Wärme der Haut des Anderen zu spüren. In der Intimität haben wir vor nichts Angst, am allerwenigsten vor dem anderen. Innerhalb dieses Kreises gibt es Gewissheiten, die der Rest der Welt niemals verstehen wird.

Aber Intimität bedeutet auch, alleine zu sein, sich den Raum zu geben und zu wissen, dass wir uns früher oder später wieder berühren werden. Niemals die Existenz dieses Teils von mir zu leugnen, den ich vor dir nie Preis geben werde, die Einzelheiten, die ich dir niemals erzählen werde, die Stille, die noch immer zwischen dir und mir besteht.

Ich weiß nicht, ob es die Jugend war, oder das Land, aus dem ich komme, aber mir scheint als ob die Intimität viel zugänglicher war, bereit stand, um sie in die Hand zu nehmen. Ich hatte augenblicklich Freunde, sofortiges Vertrauen, wir besuchten uns, ohne uns vorher anzurufen und öffneten den Kühlschrank, um zu schauen, was drin war. Wir wurden in wenigen Tagen intime Freunde und konnten uns Dinge mit großem zerstörerischem Potenzial erzählen. Auf der anderen Seite war es schwer, Dinge privat zu halten, unmöglich, etwas zu verbergen, nicht einmal die Superhelden mit ihren geheimen Identitäten können es.

Wenn man auf Englisch davon spricht, intime Beziehungen zu haben, bedeutet es, Sex zu haben, was mich immer verwirrt hat, da man Sex viel schneller bekommen kann als einen Freund. In der Stadt, in der ich lebe, oder vielleicht in dem Alter, in dem ich bin, kommt es mir vor, als ob die Intimität viel langsamer entsteht, das Vertrauen gewinnt man, die Freude sich zu sehen, erstreckt sich über Jahre, die Freundschaften sind tiefgründig und Stürmen ausgesetzt, aber sie entwickeln sich ausgehend von kurzen Nachrichten und sich wiederholenden Stunden.

Mal vermisse ich die eine, mal die andere Form. Manchmal würde ich mich gerne wieder in irgendeinen, der auf der Straße vorbeigeht, verlieben und ihm alle meine Ängste erzählen können. Manchmal erstaunt es mich festzustellen, dass mir jemand aufgrund kleiner Gespräche über Arbeit und Politik unentbehrlich geworden ist.

Durch das Durcheinander des Umzugs hat sich mein Kreis der Intimität auf ein Minimum reduziert. Die Feier ist zu Ende und schmutzige Gläser und volle Aschenbecher sind zurückgeblieben. Die Musik wird immer leiser, wir sitzen zu zweit oder zu dritt in einer Ecke und sehen zu, wie der Tag anbricht.

Übersetzung: Marcela Knapp

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