Internet – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Herbst in Peking http://superdemokraticos.com/laender/venezuela/herbst-in-peking/ http://superdemokraticos.com/laender/venezuela/herbst-in-peking/#comments Mon, 25 Jun 2012 09:45:14 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6441 Ich habe immer schon fernab von der Zivilisation gelebt. In einem abgeschiedenen Kaff mitten in einem abgelegenen Land, in dem die Buchläden voller Schulbedarf, Modezeitschriften und vereinzelter Bestseller waren. Einmal kam – vermutlich aus Versehen – das Buch „Herbst in Peking“ von Boris Vian in eine dieser Buchhandlungen. Mein Vater kaufte es, ohne zu zögern. Er trug es nach Hause, als wäre es eine Rarität. Tatsächlich war es sogar in zweifacher Hinsicht eine Rarität: Zum einen handelte es sich bei diesem Roman um ein derart außergewöhnliches Werk, das ein prüder und geldgieriger Verleger in dieser Zeit niemals herausgegeben hätte, zum anderen ist es für mich unvorstellbar, welches Ausmaß an Verwirrung dieses Buch in jene Auslagen voller Bleistift-Spitzer, Farbstifte, Hefte, Stephen Kings und Hello Kittys bringen konnte. Ich war fasziniert von diesen Seiten und reiste gemeinsam mit dem Hauptdarsteller in einem absurden Autobus in jenen nicht existierenden Herbst, ohne Peking.

In den Buchläden am Ende des Universums gab es sonst nur Bücher, die kurz davor waren zu Staub zu zerfallen. Uralte Reliquien, die sich mehr und mehr mit Termiten füllten. Es waren durchaus gute Bücher, das schon, aber keines davon war jünger als die Buchhandlung selbst. Es gab nichts Aktuelles, als ob die Literatur eine Sache aus einer anderen Zeit wäre.

Jetzt lebe ich an einem anderen Ende, in einem Land, in dem eine andere Sprache gesprochen wird als die meine. Überall gibt es Bücher, zu denen ich keinen Zugang hatte, bis ich dieses starre Alphabet beherrschte. Und selbst jetzt, wo ich es kann, lese ich immer noch lieber Bücher in einer Sprache mit lateinischen Buchstaben. Selbst heute habe ich immer noch keinen Zugang zu diesen Büchern, denn ich „beherrsche“ noch nicht die Wirtschaft. Ich lebe an einem wirtschaftlichen Ende, an dem ich all die Büchern, die ich gerne lese würde, nicht kaufen kann.

Aus all diesen Gründen habe ich nur selten Bücher gekauft. Meine unsichtbare Bibliothek setzt sich aus Leihgaben und Diebesgut zusammen. Früher war sie voller Fotokopien. Heute sind es PDFs, legale und illegale, die im Cyberspace kursieren. Oder Bücher, die ich mir in dieser hervorragenden, öffentlichen Bibliothek ausleihe, bei der ich eingeschrieben und von der ich abhängig bin. An mir gewinnen die Verlage und die Schriftsteller lediglich eine Leserin. Die sich durch Begeisterung, Leidenschaft, Bewunderung erkenntlich zeigt, aber nicht finanziell, niemand gegenüber. Ein Leser mehr – wen interessiert das? So wie es um die Dinge steht, ist es nicht wichtig, Leser zu gewinnen, das einzige, was interessiert, sind die Käufer. Vor ein paar Monaten wurde in der spanischsprachigen Presse von einem Skandal berichtet: Eine ziemlich bekannte spanische Schriftstellerin beschwerte sich öffentlich darüber, das ihr Buch wesentlich häufiger illegal aus dem Netz „heruntergeladen“ wurde, als es verkauft wurde. Die Reaktionen ließen nicht auf sich warten. Ich schließe mich denjenigen an, die darauf hinweisen, wie gering jene Autorin doch die große Anzahl an Lesern wertschätzte, die so ihr Werk lesen konnten und es auf einem anderen Wege nicht getan hätten.

Denn dieser Weg gibt Menschen, die es aus den einen oder anderen Gründen sonst nicht getan hätten, die Möglichkeit, etwas zu lesen. Ich lobe und preise den Informationsfluss, den man von jedem Ende der Welt aus abrufen kann, sobald man sich nur mit einem Kabel ans Netz anschließt. Gäbe es diesen kulturellen Strom nicht, der mir Zugang zu all diesen gemeinnützigen, aber auch illegalen Seiten verschafft, würde ich wohl kaum lesen. Ich könnte mir nur ein, maximal zwei Bücher kaufen. Gäbe es nicht diesen literarischen „Robin-Hood“-Freund, wäre ich überhaupt nicht auf dem neuesten Stand. Gäbe es nicht diese Bibliothek oder jene andere, wäre ich weiterhin abgeschieden von der Welt. Aber es interessiert niemanden, dass ich mich der Welt nähere. Das stellt nämlich weder für die einen noch für die anderen irgendeine Form des Gewinns dar.

Und lasst uns gar nicht erst über Musik reden: Während ich das schreibe, höre ich eine Band namens Chinawoman, auf die ich niemals gekommen wäre, wenn sie nicht jemand auf seiner Facebook-Pinnwand geposted hätte und wenn ich sie nicht über irgendwelche Pfade des Internets weiterhin hören könnte.

Über genau solche Pfade reise ich nun zu diesem Herbst und zu diesem Peking, das eine Rarität war, in jenem abgeschiedenen Kaff und in jenem abgelegenen Land, in dem ich einen Großteil meines Lebens verbracht habe.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Ein Klick http://superdemokraticos.com/laender/venezuela/ein-klick/ Fri, 25 Nov 2011 06:58:12 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5884 Es ist 20:30. Ich setze mich an meinen Computer, öffne den Texteditor und zünde mir eine Zigarette an, um über die Beschaffenheiten der sozialen Netzwerke, ihre Zweckmäßigkeit und das demokratisierende Potential im Internet nachzudenken. Mich erschreckt der Gedanke, mich ebenfalls über ein Thema auszulassen, das laut meiner Überzeugung schon bis zum Überdruss wiederholt wurde. Davor klicke ich das Spotify Icon an, mit der Intention einen Soundtrack zu finden, der meine Gedanken zum Fließen bringt. Es überfordert mich, ein Musikstück auszuwählen; das verfügbare Angebot ist unendlich. Ein Geistesblitz erleuchtet in mir die Erinnerung an Paolo Conte, ein Hybrid aus Tom Waits und Ennio Morricone. Es ist verfügbar. Sparring Partner ist das Lied, das ich suche. Für den Anfang gefällt es mir; ich tauche in eine süßliche Melancholie ein, die Reflexionen über dieses und jenes begünstigt. Uff! Es steht auf der Liste, ist aber nicht verfügbar. So ein Scheiß! Ich bestehe darauf und gebe in das Suchfeld den Namen des Liedes ein, nicht den Sänger. Ich finde es, aber der Interpret ist nicht Conte. Es handelt sich um eine Version von Carla & The Real Lowdown. Ich drücke Play. Kein Zweifel: Es ist dasselbe Lied, aber auf Englisch. Ich lasse das Lied laufen, gehe auf den Browser und google den Namen der Band. Es stellt sich heraus, dass Carlas voller Name Carla Sanabra ist. Sie singt auf Englisch, aber ihr Äußeres und ihr Nachname weisen offensichtlich auf ihre spanische Abstammung hin, was meine Neugierde weckt. Ich brauche mehr Daten. Ich öffne ein Tab und tippe Face… ein, die Pinnwand meines Facebook Accounts öffnet sich. In dem ersten Post steht „Venezuela: man muss die Pressefreiheit vor Chávez und den Medien selbst beschützen“. Es handelt sich hierbei um einen Artikel, den der venezolanische Journalist Boris Muñoz für sein argentinisches Blog „Puercoespin“ (Stachelschwein) schreibt. Ich schätze seine Arbeit, klicke ohne weiter darüber nachzudenken „Gefällt mir“und öffne den Link. Ich prüfe den Titel und die Zusammenfassung. Ich scrolle schnell nach unten. Meine Augen überfliegen ziellos den Bildschirm, ohne einen einzigen Satz einzufangen. Ich gebe auf und lasse den Tab noch geöffnet, für später. Ich gehe zurück und tippe „Carla Sanabra“ ins Suchfeld. Facebook bietet verschiedene Optionen. Eine davon ist die Seite der Künstlerin, mit einer einzigen verfügbaren Option: „Gefällt mir“. Wo ich schon mal da bin, klicke ich darauf. Die Seite informiert mich über das, was ich intuitiv schon wusste: Carla ist katalanischer Abstammung. Aus der Ferne höre ich, wie meine Waschmaschine durchdreht und zu zittern beginnt, während sie schleudert. Ich frage mich immer noch, wer Carla Sanabra wohl ist und gehe auf Twitter. Die arme Carla hat insgesamt nur 68 Followers. Ich entschließe mich, ihr auch zu folgen. Bevor man die ersten 100 erreicht hat, ist jede neue Person eine heilige Liebkosung für unser digitales Ego. Ich schwöre mir, ihr nächsten Freitag ein #FF zu schenken.

Hier bekomme ich noch andere Daten, ihre Internetseite, die ich in einem anderen Tab öffne. Ihr neues Album wird beworben, das ab Januar des kommenden Jahres auf iTunes verfügbar sein wird. Die Seite bietet dem Benutzer auch die Möglichkeit dieses „vorzubestellen“. Klick. Ich mache ein allgemeines Panning über das Interface des Apple Stores und entdecke, dass in Verbindung mit der Diskografie von Sanabra auch der Soundtrack von „Der Kaufmann von Venedig“ zu haben ist. Da ich den Film vor einigen Tagen gesehen habe und mich Shakespeares Talent als Drehbuchautor überraschte (unerfüllte Liebe, schmerzvoller Verrat, Habsucht, bedingungslose Freundschaft und unerwartetes Ende), kehre ich zurück zum Browser, klick, öffne einen neuen Tab und gehe zu Wikipedia.

Ich tippe „Der Kaufmann von Venedig“ ein. Ich weiß nicht genau, nach was ich suche, aber mich überkommt die Gewissheit einer kurz bevorstehenden Entdeckung. Der Umfang des Artikels enttäuscht mich. Ehrlich gesagt, hatte ich nicht vor ihn komplett zu lesen, aber ich hätte mich an dem Versprechen der reichhaltigen Information erfreut. Ich gebe mich nicht zufrieden und mache noch ein Klick auf dem Namen Michael Radford, dem Regisseur des Filmes. Ich überfliege seine Filmographie und die Titel rauben meine Motivation. Alle, ohne Ausnahme, offenbaren eine grauenvolle Kitschigkeit: „Die letzten Tage in Kenya“, „Ein brillanter Plan“ (dt. Flawless), „Another Time, another Place“. Es kommt mir so vor, als ob die Filmtitel von der Nichte des Kinobesitzers übersetzt wurden, der die Rechte für die Filme erworben hat. Ich lenke mich wieder ab und meine Augen schweifen auf einen Tab im Browser, der schon seit vielen Stunden geöffnet ist. Es ist ein Artikel in „Ñ“, dem Beiheft für Literatur und Kunst der argentinischen Tageszeitung Clarín. Ich klicke darauf und gehe ihn durch. Er trägt den Titel „Cantar con la boca llena“ (Mit vollem Mund singen). Ich lese die Zusammenfassung. Ich muss ihn ganz durchlesen und ihn auf meiner Pinnwand posten. In ihm wird ein Buch von Puntocero (der Verlag des Autors, Anm. d. Übersetzerin) erwähnt und dafür sind die Netzwerke ja definitiv da, oder etwa nicht?

Meine Priorität ist es jetzt aber herauszufinden, ob der Film von Pacino das Werk von Shakespeare originalgetreu umsetzt. Ich bin immer noch hungrig auf mehr Information und verfolge eine weitere Erleuchtung: Vielleicht kann ich ja auf Amazon eine digitale Version des „Kaufmanns“ bekommen, dann könnte ich es heute noch lesen. Los geht’s. Ich öffne einen weiteren Tab und suche nach dem Stück. Wahnsinn, da ist es und es kostet nur einen Euro! Ein Klick. Großartig. Ich durchsuche den Kindle mit dem strukturellen Misstrauen eines Menschen, der im 20. Jahrhundert gelebt hat – vor dem Internet, vor all dem. Tatsächlich, hier ist der Text. Er ist nicht allzu lang und ich freue mich darauf, ihn lesen zu können, bevor ich schlafen gehe. Ich schaue auf die Uhr in der rechten oberen Ecke meines Computers. 1:15 morgens, steht da. Ich bin perplex. Ich schaue auf die Uhr in der Küche. 1:16. Jetzt ist schon fast Morgendämmerung, und ich habe noch nicht einmal angefangen zu schreiben. Ich überprüfe ein letztes Mal die Tabs auf meinem Browser. Es sind mehr als 12. Ich verspüre eine starke Erschöpfung im Nackenbereich. Ich mache den Computer aus. Klick.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Am fliehenden Rand der Flucht http://superdemokraticos.com/themen/neue-welt-im-netz/am-fliehenden-rand-der-flucht/ Mon, 21 Nov 2011 07:34:10 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5838 Das Netz lauert. Es registriert jede Bewegung. So wie im Frost jede Bewegung durch Kontakt mit der kalten Luft schmerzt, macht auch das Internet jede Bewegung kristallin, sichtbar, vereinzelt, erstarrt. Bögen, die mich früher trugen, muss ich gegen das Internet durchhalten, als trüge ich mich selbst als wasserempfindliches Hologramm über meinem Kopf, während ich durch einen reißenden Strom wate. Ich lebe jedoch immer noch nach dem Prinzip, man muss sich in den Strom stürzen, nicht zögern.

Ich hätte nie gedacht, dass technisch zu machen wäre, dass überall Strom ist.[1]

Mein freies Leben setzt sich aus Zerstreutheit zusammen. Bei jeder Blockade in einer Aufgabe gibt es andere, die leichter gelöst werden können. So postmodern wie meine eigenen Zellen funktioniere ich. Kein fixes Fließband ist meine Arbeit, sondern ein Raum mit osmotisch fließenden Grenzen, in denen die RNA, Proteine etc. (Arbeitsanweisungen und Kopien) herumschweben und ich das Nächstbeste greife, was mich aufgrund seiner Natur und meiner Bereitschaft anzieht. Mein Gehirn funktioniert so, meine Nahrungsaufnahme, meine Freundschaften.

Es zieht mich hin zu Leuten, die im Internet Genuss finden und Lebensart haben. In der Stadt, auf Feldwegen, auf Gartenparties, in Diskos, immer bin ich auf der Flucht. Da entsteht keine Lebensart. Immer bin ich auf Besuch. Dankbar, wenn man mich mag. Dankbar auch für Struktur, Zwänge – denen ich ja allzuleicht entkomme – Rhythmen. Wenn es kein Internet gibt, kann ich einen Haufen Arbeiten jetzt nicht erledigen, das macht die Orientierung leichter. Wenn es draußen sehr unwirtlich ist, stärkt es meinen Entschluss, bei einer Sache zu bleiben.

Das Internet kann man kennen, man kann es bauen, es entspricht Strukturen des Denkens. Es kann ein Lächeln sein, wenn man seine Musik versteht. Es ist doch wie das Werk eines Komponisten. Man muss es lesen können, etwas heraushören. Die Partitur an sich ist unsinnlich. Was für eine riesige Wolke an Kompetenz es doch jetzt gibt! Und die Systeme sind immer noch komplexer, das Internet ist uns in allen Richtungen immer voraus, wie dem Grottenolm der Boden, dem Wal das Meer. Wir sind darin kompetent, aber an ein Ende kommen wir nie.

Freedom is wasted on the free, singt Neil Hannon (Divine Comedy).

Ich gehöre nicht ins Internet. Auch nicht in eine Familie. Auch nicht an eine Uni. Doch zieht es mich dort hin. Ich will nicht mehr Resultate produzieren! Ich wuerde gerne in einen Arbeitsprozess integriert werden. Einen, den nicht ich selber alleine ausgedacht habe. Heißt das nicht schlicht, ich kann mit der Freiheit meiner freien Arbeit nicht umgehen? Ich meine, es hat auch eine andere Komponente. Es braucht die Fiktion von Resultaten, von Achievement, einen naiven Glauben ans Fertig-Werden und eine ungeheuer robuste Perfektionstheorie, um als freier Dienstleister nicht verrückt zu werden. Oder man schafft sich den Arbeitsplatz selber, indem man sich mit Kollegen, die auch so frei umherschwirren, befreundet. Dass sie auch Konkurrenten sind, wäre im Buero genauso der Fall, das ist nicht das Problem. Zweideutige Beziehungen sind der Normalfall. Und dann baue man sich nach und nach eine gemeinsame Orientierung, erarbeite sich, ohne isolationsbedingt verrückt zu werden, eine vernünftige Einstellung zur eigenen Arbeit und deren Beziehung zu den so unterschiedlichen Kontaktpersonen. Hierin könnte die Freiheit wirklich der Boden für das werden, was man an Paradies mit Menschenmitteln bauen kann. Die Isolation ist in der Freiheit eigentlich leicht zu lindern.

Das Problem an der Freiheit ist der Wunsch. Der Wunsch ist ja an sich nie frei. Er kennt die verzwicktesten Winkel der Seele, wo er seine Wurzeln einschlägt, wenn alles schon die reinste Skaterhalle der Wollust geworden ist. Um den Wunsch zu erkennen, muss man die eigenen Unfreiheiten erkennen. Fehlt äußerliche Unfreiheit, gegen die sich der Wunsch sonst sammelt, ist er schwer aufzufinden und funkt ungreifbar herum. Die Möglichkeit, im Internet immer woanders hinzugehen, wirkt wie ein Aufheben des Leidens. Man leidet höchstens, weil man ungeschickt ist oder Schnupfen hat oder Empathie. Wer seine Wünsche kennt und ihnen vertraut, handelt in der Welt wie im Internet meist geschickt, wie auch der, der ein kräftiges Programm hat, dem er folgt. Nur wer das Leiden meidet, kommt in die merkwürdige Situation des Leidensentzuges, das auch ein Freudenentzug ist. Auf ein ewiges Kind wie mich, das will, was es sieht, und vergisst, was es nicht sieht, wirkt das Internet so fatal schützend wie ein Laufkäfig: Man kann fast überall hin, ist aber nicht richtig dort. Und das, was einen wirklich interessiert, ist – das weiß ich genau – woanders.


[1] Ist auch nicht.

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Die Kinder des Netzes http://superdemokraticos.com/laender/bolivien/die-kinder-des-netzes/ http://superdemokraticos.com/laender/bolivien/die-kinder-des-netzes/#comments Thu, 17 Nov 2011 08:01:54 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5828

Die Wege des Lebens sind nicht diejenigen, die ich erwartet hatte, sie sind nicht so wie ich es gewollt hatte…
Vallenato

Auf der 73. Straße in Bogotá fährt ein Bus nach San Blas und nach Germania. Als ich diesen sah, musste ich einfach lachen, denn ich glaube, ich hatte, ohne es zu wissen, vor vielen Jahren genau diesen Bus genommen. In einer anderen Stadt, mit einem Ex-Freund, der Blas hieß und mit dem ich in Potsdam, Deutschland, landete. Im Juli 2012 gedenke ich den 15. Jahrestag dieser ersten Reise. Seitdem überquerte ich viele Male den Atlantik.

Praktisch meine gesamte Familie lebt immer noch in den Anden und ihren Ausläufern, verteilt zwischen der Hauptstadt meines Landes, La Paz, und Tarija, im südlichen Tal, an der Grenze zu Argentinien, aus dem wir eigentlich alle stammen. Dort liegt die Wiege der Galarzas, der Ort, den mein ganzer Clan in sentimentaler Imagination in sich trägt, obwohl wir möglicherweise niemals dort gelebt haben. Das ist es, was beispielsweise meinen beiden Neffen passierte, den beiden Kinder, die fröhlich in London aufwachsen. Die beiden kleinen englischen Kids, die ich so sehr liebe.

Ich kann sie mir nicht vorstellen, die Zeit, in der der Kontakt zueinander auf dem Rücken den Maultiere aufrechterhalten wurde, anhand von Briefen, die Jahrhunderte brauchten, um anzukommen, wenn sie denn eines Tages ankamen. Ich weiß von Freunden, dass sogar Anfang der 1980er noch nicht einmal das Telefon ein sicherer Weg war, um den Kontakt mit der Familie zu halten. Die Telekommunikation war mangelhaft, im Hintergrund hörte man die Geräusche der Welt und die Stimmen derer, die man tatsächlich hören wollte. Sie mussten sich die Seele aus dem Leibe schreien, um sich in diesem Chor der Störgeräusche, diesem ununterbrochenen Lärm, Gehör zu verschaffen.

Ich dagegen hatte das unglaubliche Glück in der Offenheit der Welt des Internets aufzuwachsen und mein Ausländerdasein wird erträglich, weil ich mit meiner Mutter bei einem Konferenzgespräch Kaffee trinken kann. Ich kann sie sehen und hören, mit ihr eine Zigarette rauchen, mehrmals die Woche. Es ist erträglich, weil ich sehen kann, wie meine Neffen aufwachsen, und weil ich mit meiner Schwester mit einem Glas Wein zu Abend essen kann, immer, wenn uns danach ist. Ich kann sie zwar nicht anfassen, bin aber dennoch ein Teil ihres Lebens. Ich bin der Kopf auf dem Computer, der versucht sie aus der Ferne zum Lachen zu bringen. Und die Kleine, mein Augenstern, erkennt in dem typischen Windowsgeräusch, wenn der Rechner hochfährt, ihre Tante oder ihre Oma wieder, und sie hat überhaupt keine Hemmungen diesem flachen Bildschirm herzliche Beweise ihrer Liebe zu erbringen.

In diesem Monat war unser Thema Neue Welt im Netz: Liebe, Arbeit, Freiheit, und ich denke, es sind die Ausländer in aller Welt, egal, woher sie stammen, die am meisten dazu zu sagen haben. Ich werde niemals den überraschten Gesichtsausdruck meines Mitbewohners vergessen, als er eines Nachmittags, vor ein paar Monaten, meine Mutter begrüßen musste. Er, der daran gewöhnt ist, dass seine Eltern nicht jederzeit, wann immer sie wollen, zu ihm nach Hause kommen können, weil sie in Bielefeld wohnen und weil sie nicht mit den neuen Medien vertraut sind, sprang vom Stuhl in der Küche auf, um seinen Schlafanzug zu verstecken. Er, der nicht daran gewöhnt ist, dass der Computer so ein essentieller Teil seines sozialen Lebens ist, verstand letztendlich woher meine Unabhängigkeit kommt. Denn ich muss niemanden in der Realität sehen, ich lebe im ständigen Kontakt mit meiner Familie, meinen Freunden und Arbeitskollegen, wo auch immer sie sein mögen.

Ich bin nicht von einem physischen Raum konditioniert, die meiste Zeit über nicht einmal von einer Sprache. Ich fließe zwischen der digitalen und der analogen Realität hin und her, zwischen dem, was in Bolivien passiert, und dem, was in Deutschland los ist, und auf meine Art und Weise bin ich ein aktives Mitglied beider Gesellschaften. Und genau wie ich sind das auch drei Millionen Bolivianer, die in der ganzen Welt verteilt leben. Ein Viertel der Bürger meines Landes lebt zwischen Buenos Aires, Virginia und Madrid. Die Überweisungen, die sie schicken, sind die drittgrößte Einnahmequelle meines Landes. Unsere Ausländer und ihre bescheidene Lebensweise sind effizienter für die Wirtschaft als die Entwicklungshilfe, wesentlich effizienter. Und unsere Kinder konstruieren ihre neuen Identitäten. Emotionale Zugehörigkeiten, die wir möglicherweise noch nicht in ihren gesamten Dimension wahrzunehmen fähig sind.

Ich kann mir vorstellen, dass es überall an den Universitäten Pflicht werden wird, jeweilige soziologische Studien durchzuführen, um die Generation zu verstehen, die derzeit mit Breitband und mit doppeltem Herkunftsort heranwächst, ohne eine gemeinsame Bezugssprache, die wahren Bürger dieser Welt.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Die Zukunft der fehlenden Seiten http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/die-zukunft-der-fehlenden-seiten/ Sun, 30 Oct 2011 13:09:13 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5498 Eigentlich wollte ich diesen Text im Flugzeug schreiben. Über den Wolken. In einer Turkish Airlines Boeing, mit der ich von Berlin nach Istanbul gebracht wurde. Ans Goldene Horn. Dahin, wo Okzident und Orient zusammentreffen. Ich dachte mir, in diesem Luftgefährt kommen mir bestimmt geniale Ideen, die mein Leben in der deutschen Hauptstadt mit den touristischen Erfahrungen in der türkischen Metropole beschreiben. Ich würde neue Einsichten in das Europäische des 21. Jahrhunderts bekommen, aber auch in das Globale (so von oben auf die Welt geschaut), vielleicht auch den Zufall als Lehrmeister haben und neben einem klugen Traveller sitzen, einem Alltagsintellektuellen. Aber es kam anders. Ich schlief ein. Unter mir brummten die Düsen. Die Frau neben mir schlief ein. Das Mädchen neben ihr schlief auch ein. Müder alter Kontinent…

Ich hatte einen Traum.

In meinem Traum gab es keine Talkshows, keine Podiumsdiskussionen, auf denen irgendwelche scheinbar aktuellen Fragen von immer denselben Experten verhandelt wurden, keine Jetsetintellektuellen, da auch das Fliegen unbezahlbar geworden war. Regionale Denker hielten Vorträge, zu denen per Mundzumund-Propaganda eingeladen wurde. Das Fernsehen war abgeschafft worden, weil es keiner mehr schaute. Das Internet war kontrolliert, nur noch, wer zahlte, durfte Inhalte online stellen. Eine Stunde surfen pro Tag war kostenlos, danach galten Minutenpreise. Facebook kostete pro Post, Like und Message – die Monatsgebühr von 20 Euro hatte damals niemanden abgeschreckt, so dass Zuckerberg auf andere Zahlmodalitäten gekommen war. Da in die Bibliotheken schon lange nicht mehr investiert worden war, hatte der vollständige Bestand im Jahre 2011 aufgehört, danach hatte man den Katalog kosten- und platzsparend auf Ebooks umgestellt. Jetzt, im Jahr 2033, waren die Lesegeräte rar, mit denen man diese alten Daten hätte lesen können. Und auf Amazon und Google gabs nur US-amerikanische Klassiker günstig zu erwerben. Viele Autoren schrieben auf Englisch oder Chinesisch, weil der Markt nur nach diesen Sprachen fragte – kleinere Sprachen hielten sich auf Minimalniveau im Alltagsgebrauch, das Vokabular schrumpfte. Wer ein Wörterbuch besaß, war eine lokale Größe.

Wer etwas zu sagen hatte und dies nicht nur mündlich weitergeben wollte, musste eine der wenigen existierenden Druckereien aufsuchen und dort per Hand seinen Text setzen oder einen Kopisten, einen Abschreiber finden. Papier war teuer geworden, wie alle Rohstoffe, aber wer Kontakte hatte, konnte auf alte Reserven der Verlage zurückgreifen. Die meisten waren konkurs gegangen, weil sie verpasst hatten, relevante, eigenständige Programme zu entwickeln und sich immer stärker den Marketingabteilungen gebeugt hatten. Honorare für Buchcover waren höher gewesen als die Vorschüsse für die Autoren. Letztere waren daher vermehrt auf den Selbstverlag umgestiegen, so mussten sie nicht damit rechnen, dass ihr Buch sechs Monate nach Erscheinen Makulatur wurde. Wer kein Geld für ein gesamtes Buch zusammenbekam, war zufrieden mit Flugblättern und Kleineditionen, die dann meist durch viele Hände gingen. Ein einzelner Gedanke war wertvoll, weil selten. Da die Arbeitslosigkeit fast 100 Prozent erreicht hatte, setzte der Staat auf regionale, von Bürgern organisierte Bildungsangebote, Naturpflege und Sport, was gegen Vereinsamung helfen sollte. Einige erinnerte das an die 1930er Jahre in Deutschland, und sie sehnten sich nach dem Individualismus des späten 20. Jahrhunderts zurück. Aber der war unwiderbringlich verloren gegangen. Jetzt zählte ein neuer Verantwortungskollektivismus…

Ich schreckte auf, als mir ein dreigängiges Menü serviert wurde. What would you like to drink, M’am? Tomato Juice, please.

Und ich nahm eine gedruckte Zeitung zur Hand, den Herald Tribune, mit einem Porträt des japanischen Schriftstellers Haruki Murakami, der darin von sich sagte, er sei zu 99 Prozent Autor und zu einem Prozent Bürger. Wenn er etwas Politisches zu sagen habe, dann würde er es deutlich sagen. Und somit war er eine der lautesten Stimmen, die sich in Japan gegen die Weiterbenutzung von Atomkraft aussprach. Ansonsten, schrieb der Journalist, lebte er wie ein Mönch, mit seinen 10.000 Schallplatten – aus der Zeit, als er noch in Tokio eine Jazzkneipe betrieb. Ein versteckter Staatsintellektueller. Auch er hätte den Nobelpreis verdient.

Please fasten seatbelts. Ready for landing.

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Ist da jemand? http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/ist-da-jemand/ http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/ist-da-jemand/#comments Sat, 09 Jul 2011 10:51:21 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=4494 Wer bin ich? Bestimmt diese Frage die Art und Weise, wie ich mit anderen zusammenlebe? Möglicherweise, obwohl sich die Person, die ich wirklich bin, zu der im Internet viel mehr unterscheidet, als wir es uns vorstellen können. Das kommt daher, dass wir Schöpfer unseres Avatars sind und gleichzeitig die Schnelligkeit des geschriebenen Wortes überwinden. Wir hinterlassen eine unverwischbare Spur. Alle unsere Persönlichkeiten werden gespeichert, all unsere Überlegungen, unsere Liebesleiden, unsere Verstimmung.

Irgendein Neugieriger kann unseren Namen bei Google eingeben und die Suchmaschine wird ihn zu einer Reihe von Internetseiten und Fotos von uns weiterleiten. Bis hin zu lächelnden Geistern aus einer Jugend, die wir mit Menschen verbracht haben, mit denen wir uns heute vielleicht gar nichts mehr zu sagen haben. Früher, als die Welt noch durch unüberwindbare Bergen getrennt wurde, waren wir Menschen auf eine bestimmte Anzahl von Personen in unserem Umfeld beschränkt. Oftmals verlief unser Leben zwischen denselben Gesichtern. Oft hatten die Menschen keine andere Wahl, als unser Schicksal zu akzeptieren. Ein Schicksal, das von unserem Geschlecht, unserer Kaufkraft und unserem kulturellen Niveau geprägt wurde. Ein Förster wurde als absolutes Phänomen angesehen und auch so behandelt, und jemand, der aus fremden Ländern berichten konnte, war ein Gelehrter, wenn wir den Worten von Todorov in „Les Morales de l´histoire“ (dt.: Die Moral der Geschichte) Glauben schenken dürfen.

Im Gegensatz zu früher kommunizieren wir heute die ganze Zeit mit anderen Ländern. Wenn wir den Computer anschalten, öffnet sich vor uns die Welt und mit Hilfe des Internets suchen wir nach unseren Zeitgenossen, auch in den entferntesten Winkeln der Welt. Die Fiktion in der wir leben, macht uns glauben, dass wir alle gleich sind, dass keine Grenzen existieren und dennoch ist die globalisierte Welt an sich definitiv nicht grenzenlos. Das weiß jeder Lateinamerikaner, der den Kontinent verlassen will. Das wissen auch wir, die außereuropäischen Ausländer in Europa: unser Recht auf Reisefreiheit ist eingeschränkter und kontrollierter als je zuvor. Das wissen auch die europäischen Frauen, die trotz des Diskurses über Politische Korrektheit im wahren Leben weiterhin weniger verdienen als ihre Partner und obwohl sie – genau wie die lateinamerikanischen Frauen – beruflich einen Doppelbelastung meistern. Das wissen die Ausländer, die mit den Vorurteilen leben müssen, die sich über ihre Herkunftsländer ranken. Das wissen die Indigenen, die versuchen für ihre Rechte zu kämpfen, auch im Netz.

Sieht die Realität etwa aus wie die U.S.-amerikanischen Vorabendserien, die wir im Fernsehen sehen? Nein. Oft ist die Multikulturalität, etwas das draußen bleiben muss, wenn wir die Türen unseres Zuhauses schließen und uns wieder in das einigeln, das wir für Realität halten, denn das ist unser reales Leben und trotzdem erschaffen wir in dieser Realität Personen, die uns in der virtuellen Welt vertreten. Dieser Raum, in dem ich die Hautfarbe und das Geschlecht frei wählen kann, mir eine soziale Schicht aussuche, auf die ich gerade am meisten Lust habe, und die politische Einstellung, die ich für passend halte.

Die neuen Technologien bieten uns einen Zugang zu Ersatzmitteln, wir können in Echtzeit mit unseren Verwandten kommunizieren und über die WebCam interagieren. Wir können dort den für uns vorherbestimmten Menschen suchen, auch in den letzten Winkel der Welt. Wir können uns weiterbilden, informieren, selbst herausgeben und uns finden, um eine Revolution anzuzetteln. Online bin ich ein vollständiger Mensch, wie eine fiktive Person. Inwieweit berührt diese Fiktion, diese Projektion, die wir von uns selbst erschaffen, unser Umfeld?

Im Juli beschreiben unsere Autoren ihre Überlegungen zum Thema Zusammenleben in der realen Welt. In derjenigen, die wir durch das Netz in ihren tatsächlichen Möglichkeiten und Einschränkungen immer weniger wahr nehmen. Wer lebt wie und mit wem? Das ist eine Frage, der wir bei Los Superdemokratiocos des öfteren nachgehen, denn unser Modell der Interaktion haben wir von den Straßen des Viertels kopiert, in dem wir wohnen. Das Aleph, das uns das Schicksal zuwies, wie Borges es definieren würde: diese drei Zentimeter, in denen das gesamte Universum enthalten sei, ist konfliktgeladen. Das Land, das ihn besitzt, publiziert nichts anderes als Schlagzeilen über Dinge, die hier nicht funktionieren; und dennoch sind wir alle, die hier wohnen – unabhängig von unseren sexuellen, sprachlichen, ethnischen und politischen Vorlieben, unserer sozialen Schicht und der Armut – wohl an wenigen Orten des aktuellen Europas nahe daran, so zu sein, wie wir tatsächlich sein wollen. Es mag sein, dass die Menschen der Antike kein Internet hatten, aber wir alle haben immer schon an Babylon gebaut.

Wir senden hier aus Kreuzberg. Over. Ist da jemand?

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Die Glücksmaschine? http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/die-glucksmaschine/ http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/die-glucksmaschine/#comments Tue, 12 Oct 2010 15:00:55 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2471
raro (lo cual no es malo)
Image by ectopic via Flickr

Es ist Zeit, sich von den Superdemokraticos zu verabschieden, und ich bin versucht, ein Resümee zu ziehen. Was nehme ich mit aus dieser Erfahrung? Habe ich das Projekt genießen können? Hat dieses Blog gehalten, was es versprochen hat?

Beginnen wir – ich und meine anderen Ichs –  mit der Feststellung, dass keine Erfahrung je so ausfällt wie erwartet. Eines meiner Ichs findet, dass sich einige der Erwartungen erfüllt haben: zum Beispiel, auf gleichgesinnte Leute zu treffen. Oder die Erwartung, interessante Artikel zu lesen und mehr über die Länder der teilnehmenden Autoren zu erfahren. Und was hat sich nicht erfüllt? Ich wüsste keine Antwort. Ich kann nur sagen, dass die Lust auf mehr Dialog bestehen bleibt, auf ein tieferes gegenseitiges Durchdringen und Verstehen, von uns, den Autoren des Blogs. Es kann sein, dass ich mir das Projekt wie eine Art Experiment in virtueller Demokratie vorgestellt habe, wie einen Raum, in dem wir unseren jeweiligen Ort der politischen Partizipation auf die Probe stellen. Es ist mir klar, dass ich einen auf schlau, vielleicht sogar auf träumerisch gemacht habe, das braucht mir niemand zu sagen. Aber ich habe mehr noch getan: Ich habe mich als hellwache Träumerin versucht. Ich habe die Zeit, die ich den Superdemokraticos widmete, in einer Art Limbo verbracht, welcher aus meinen Erwartungen hervor ging. Ich verfasste Essays über Möglichkeiten des politischen Handelns ausgehend von den Ideen meiner Landsmänner und –frauen (ja, für mich war dieses virtuelle, nicht geographisch abgegrenzte Territorium in diesen Monaten eine Art geteilte Heimat). Eine virtuelle Heimat, eine Heimat, die nicht die Signatur von Nationalismen, Geschichten oder Gründungsmythen trägt und kein gemeinschaftliches Pathos als Kleister benutzt. Eine Heimat, die das Verständnis von Heimat als Ort, an dem man geboren ist oder als geopolitisch kodifizierte, physisch-territorial abgegrenzte Einheit neu justiert. Ich habe eine kollektive und deterritorialisierte Heimat erlebt, welche gewagte Ausformungen erhielt, die unter Fragezeichen Gestalt annahmen und schüchtern diskutiert wurden, um dann mangels Glauben an eine kollektive Übereinkunft aus Unlust wieder fallen gelassen zu werden. Ist das schlecht? Ich finde es uninteressant, es aus dieser Perspektive zu betrachten. Es ist, was es ist. Ich finde es interessanter, die damit einher gehende produktive Kraft, die politische Aktivität zu beleuchten. Die Sorte entideologisierten Lüftchens, das unsere Interaktion belebt, hat mit einer bestimmten Sensibilität des 21. Jahrhunderts zu tun, die einem Aufzeichnungsregister ähnelt, das noch keinen Eingang in die epische Erzählungen der historischen Disziplin gefunden hat, trotz der Bemühungen seiner Revitalisierung. Unser Interesse gilt nicht etwa dem Sturz oder der Auswechslung von Regierungen oder der Predigt für eine neue Systeme globaler Gesellschaftlichkeit. Unser Enthusiasmus gilt den Praktiken im Kleinen, Mikrostrukturen oder der Herstellung von Knotenpunkten in der lokalen Struktur. Um das, was ich hier sage, zu beweisen, muss man nur die Posts dieses wundervollen Blogs lesen. Zumindest für mich ist klar, dass es einen kleinen Unterschied in der Rhetorik gibt: Wir wollen nicht die Welt verändern, wir wollen mit kleinen Stückchen dazu beitragen, und wir wollen es jeder und jedem selbst überlassen, ihren und seinen Part in einer globalen (Un)ordnung zu übernehmen. Es gibt keinen Grund, warum diese (Un)ordnung teleologisch auf irgendein perfekten Endzustand ausgerichtet sein sollte. Ohne das weiter auszuführen zu wollen, könnte man sagen, dass man möglicherweise mehr erreicht, wenn man weniger umfassend agiert. Es ist keine Frage des Alters, sondern der Haltungen und – im Fall unseres jüngst begonnenen 21. Jahrhunderts – der Tendenzen. In diesem Sinne bin ich stolz darauf, Teil dieser Generation zu sein. Schon der Dichter Fernando Pessoa hatte dafür kluge Worte gefunden und mit dem folgenden Zeilen verabschiede ich mich von meinen Landsmännern und –frauen des Blogs und wünsche euch alles Gute, bis uns der Zufall wieder zusammen bringt, was er tun wird, in den nächsten Komplizenschaften:

Du redest von Zivilisation, und davon, dass es nicht sein darf
oder nicht so sein darf
Du sagst, dass alle leiden, oder die Mehrheit aller,
Weil die Dinge unter den Menschen so sind wie sie sind.
Du sagst, wenn sie anders wären, würden sie weniger leiden
Du sagst, wenn sie so sein würden, wie du es gern hättest, wäre es besser.
Ich höre dir zu, ohne dich zu hören.
Wenn die Dinge anders wären, wären sie anders: das ist alles.
Wenn die Dinge wären, wie du sie gern hättest, wären sie so, wie du sie gern hättest.
Ach, du und all diejenigen, die ihr Leben damit zubringen, die Glücksmaschine erfinden zu wollen!

Übersetzung: Anne Becker

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http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/die-glucksmaschine/feed/ 2
Googlexploitaglobalisation* http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/googlexploitaglobalisation/ Mon, 27 Sep 2010 07:02:54 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2223 Globalisierung: [Damit] wird so etwas wie eine geheime Macht bezeichnet, die die Welt bewegt, unser aller Leben bestimmt und uns immer stärker beherrscht.
Joachim Hirsch

Wie sehr ich doch diese kleine Maschine mag, auf der ich jeden Tag schreibe, suche, recherchiere, mich informiere, mit Freunden in fernen Ländern spreche… niemand zweifelt an der Unberechenbarkeit des Internets, an seiner technologischen Schönheit….

Aber es ist auch gut zu wissen, dass dieses herrliche Notebook, fast schon Verlängerung meiner Finger und Gedanken, mit Sicherheit von einem Sklavenkind in Asien zusammengebaut wurde. Diese schreckliche Dualität, diese dunkle Realität, ist eine erwiesene Präsenz, eine Realität unserer globalisierten Welt und Teil dessen, das ich nicht vergessen möchte.

Wir sind miteinander verstrickt, sehr verstrickt. Und ich ziehe es vor, aufmerksam zu sein und darüber nachzudenken, was man aus all dem macht.

Ich google:

– Globalisierung als ökonomischer Prozess: Das kapitalistische System ist von Anfang an ein globales System, weshalb die gegenwärtige Globalisierung in ihrem Wesen ein kapitalistisches Projekt im Klassenkampf ist.

– Produktion: dazu Folgendes: Es sind die privaten Unternehmen, die die wirtschaftlichen Regeln der Produktion bestimmen. Die ökonomische Globalisierung schlug eine neue Form der Verknüpfung auf der Ebene der Produktion, Verteilung und Kommerzialisierung von Dienstleistungen und Gütern vor, wodurch die Welt als privilegierter Raum gesetzt wurde, in dem es möglich ist, unternehmerischen Gewinn zu erwirtschaften. Gemeinsam mit der Politik des freien Marktes und der industriellen Förderung durch Steuerbefreiungen verlagerte sich die industrielle Produktion territorial, um von geringeren Produktionskosten zu profitieren.

– Klassenkampf: Im Rahmen des kapitalistischen Systems zerstören die globalisierte Wirtschaft und die globale Arbeitsteilung die Arbeitnehmerrechte und die Gewerkschaften und vertiefen die ökonomischen und sozialen Ungleichheiten. Wenn die wichtigste Waffe des Proletariats seine Masse und Organisation ist, so ist die Zwangsarbeit eine Methode, um das Proletariat zu entwaffnen.

– Sklavenarbeit: Die versklavten Arbeiter haben keine Mittel, um gegen die Ausbeutung zu kämpfen, wie es uns, dem Rest der Lohnarbeiter, möglich ist. Sie haben keine Möglichkeit, sich zu vereinigen, gewerkschaftlich aktiv zu werden oder die Unternehmen ökonomisch unter Druck zu setzen. Sie können keinen Kampf gegen den Arbeitgeber aufrecht erhalten, da sie zuallererst überleben müssen. Weiter: Ihre Lebensbedingungen führen dazu, dass sie vom Rest der Arbeiterklasse isoliert sind. Weiter: deklassiert.

– Sklaverei: 1948. Wendepunkt des Kapitalismus. Ende des Zweiten Weltkriegs. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen: „Sklaverei und Sklavenhandel sind in allen Formen verboten.“ Zahlen: Laut Berichten von Organisationen, die sich dem Kampf der Sklaverei verschrieben haben, gibt es heute mindestens 27 Mio. Sklaven auf der Welt. Frage: Warum gibt es heute mehr Sklaven als im 16., 17. und 18. Jahrhundert gemeinsam? Alle diese Zahlen finden sich bei Google.

– ein Beispiel: Die Textilindustrie ist eine der am meisten globalisierten, die großen Marken wie Levi’s, Guess oder Nike verlagern die Produktion, die gering-qualifizierte Arbeit erfordert, in Gebiete wie Asien und Lateinamerika, wo die Industrie sie in Hülle und Fülle mit semi-versklavter Arbeitskraft versorgt, wie auch die Gesetzgebung ausländische Investitionen durch Zollbefreiungen und steuerliche Entlastungen erleichtert, wenn diese Unternehmen innerhalb ihrer Freizonen produzieren. In diesen Fabriken sind zwischen 60 und 90% der Arbeiter Frauen und die Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen ist grotesk. Eine andere Zahl: Kinder sind die ersten Opfer dieser Praktiken, die bis zu 10% der Arbeitskraft der Welt ausmachen und schätzungsweise jährlich 13 Milliarden (US$) des globalen BIP ausmachen.

– in Argentinien: Dem Bericht „Quién es quien en la cadena de valor de la industria textil“ (Wer ist wer in der Wertkette der Textilindustrie) zufolge, der von der Stiftung „El Otro“ (Der Andere) und der Organisation „Interrupción“ (Störung) erstellt wurde, ist die am weitesten verbreitete und bekannteste Form (des Handels mit dem Ziel der Ausbeutung von Arbeit) die Ausbeutung von Personen in den Produktionsstätten der Kleidungsindustrie. Die Fälle von Handel mit versklavter und unterwürfiger Arbeit in Argentinien konzentrieren sich im Norden des Landes und in den Produktionsstätten in der Stadt Buenos Aires und Umgebung. Die Immigranten der angrenzenden Länder, vor allem aus Bolivien, leiden am meisten unter dieser Ausbeutung.

– ein anderes Beispiel: Die Textildesigner-Werkstatt von Yo no fui, wo die Frauen ihre eigenen Produkte herstellen und verkaufen, kann nicht mit den Marktpreisen konkurrieren. Wenn eine Person, die arbeitet, einen gerechten Preis für die geleistete Arbeit verlangt, bleibt sie vom Markt ausgeschlossen… oder besser, wie auch die Poesie, sucht sie sich Nischen, in denen sie wachsen kann. Was tun wir? Wir verkaufen von Angesicht zu Angesicht, direkt vom Produzenten zum Käufer. Auf Märkten, Festen, in Büros usw. Wir sind viele, die diese Form der Produktion bevorzugen, möglicherweise sind wir nicht genügend Leute, aber doch viele… Fairer Handel und verantwortungsvoller Konsum.

*Dieser Text ist eine Kollage aus Material, das durch verschiedene Google-Suchanfragen zusammengestellt wurde.

Übersetzung: Marcela Knapp

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Zeit, zum Globalichiater zu gehen http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/zeit-zum-globalichiater-zu-gehen/ Fri, 24 Sep 2010 15:55:07 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2179 Ich war nie ein globalisierungsfeindlicher Jugendlicher. Ich fand immer, dass die Globalisierung ein Mythos ist: die Globalisierung verstanden als eine einzige Nation. Das one & only Argument dieser Theorie ist das Internet. Das globale Netz infiziert die letzten Ecken der suave patria, des lieblichen Vaterlands (bekanntes mexikanisches Gedicht, Anm. d.Ü.). Ein polarisierender Effekt. Die wahrhaftige Globalisierung gäbe es dann, wenn die Ranch den ganzen Planeten übersähen würde. Wenn das Lokale und der Globus eine wirkungsträchtige Verbindung eingehen, haben wir es mit einem einfachen kulturellen Austausch zu tun. Dieser Austausch ereignet sich immer auf individueller Basis, fast nie kollektiv. Wo ist also das Globalisierende?

Es ist der Globalisierung wie auch den Unabhängigkeitskriegen oder Revolutionen eigen, von einem Projekt der Nation getragen zu werden. Die Globalisierung ist das Projekt einer gescheiterten Nation. Vielleicht ist die einzig mögliche Globalisierung die Globalisierung der Sprache. Nicht die Verknüpfung eines Netzes mit einem weiteren, sondern die Globalisierung eines Codes, der just vom Internet verbreitet wird. Ich war nie ein Verteidiger der Sprache. William Burroughs schlug vor, mit dem gesamten rationalen Denken Schluss zu machen. Die Globalisierung der Sprache könnte von einem Symbolsystem diktiert werden, das gar nichts mehr mit der menschlichen Vernunft zu tun hat.

Wie jede Neuinvasion der Technologie ist die Globalisierung unter anderem dazu gut, der Paranoia Nahrung zu geben. Ich schätze mal, dass die Globalisierung bei der Sprache anfangen und dazu führen wird, dass wir uns in außerirdische Wesen verwandeln. Es folgt meine Version, das, was meine Paranoia auf der Basis der vereinheitlichten Sprache erfunden hat.

Jahr 3000 (oder früher): Die menschliche Gattung hat ihre Art der Kommunikation modifiziert. Die Zunge wurde von den Emoticons des msn ersetzt. Alle Welt versteht sich anhand dieser Symbole. Es nicht mehr nötig, eine andere Sprache zu erlernen, um nach Kopenhagen oder Singapur zu reisen. Wie in der Fernsehwerbung ist das Geruchsorgan beliebig austauschbar. Dann wird die Luft so dick, dass es unmöglich ist, mehr als zwei Meter weit zu gucken; der Smog beerdigt das Konzept der Landschaft. Wir pflanzen uns durchsichtige Augenlider ein, verdunkelten Scheiben gleich, die uns die Nachtsicht wie bei Programmen von animal planet ermöglichen. Wir modifizieren unseren Körper so sehr, dass wir aussehen wie Kinder von Jaime Mausan. Dann taucht ein Raumschiff auf, eine Fliegende Untertasse oder ein U.F.O., wie ihr wollt, und verbindet sich mit dem gesamten Netz. Es verschickt eine Nachricht: Der Planet Erde wird explodieren. Wir verlassen die Erde in einer großen, intergalaktischen Arche Noah. Wir leben in entfernten Galaxien, auf dem Mond und auch gleich um die Ecke der Erde. Wir erfinden die Zeitmaschine, um ins 20. Jahrhundert zu reisen und versenden Zeichen in einer Sprache, die niemand versteht. Wir wollen uns selber warnen, dass wir in der Zukunft aliens sein werden. Dass wir der Zähmung der globalisierten Sprache Einhalt gebieten müssen. Dass wir es nie schaffen werden, uns zu verständigen. Die Sprache, die wir selbst erfunden haben, können unsere Vorfahren nicht verstehen.

In dem Moment, in dem die Vorstellung von planetarischen Nationalitäten einmal verinnerlicht wurde, entsteht auf einem Planten ein Projekt, dass sich vornimmt, das Wesen des Lateinamerikaners, Entschuldigung, den lateinamerikanischen alien zu ergründen. Sie heißen Die intergalaktischen Superdemokraten, Los superdemokráticos intergalácticos. Schriftsteller des Weltraums werden in ihrem Posteingang darauf warten, eine Einladung zur Mitarbeit in diesem Forum zu erhalten.

Übersetzung: Anne Becker

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Wer hat denn schon die ganze Welt regiert? http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/wer-hat-denn-schon-die-ganze-welt-regiert/ Fri, 24 Sep 2010 07:04:57 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2256 Ich bin froh, dass ich im Augenblick nicht auf hoher See dahintreiben muss, um den Seeweg nach Indien zu suchen. Ich danke all den tapferen Seefahrern, Entdeckern und Abenteurern, dass mir diese Strapazen heute erspart bleiben können. Wenn mir Google Earth nicht immer wieder die Sachverhalte bestätigen würde, die wir alle in Geographie gelernt haben, würde ich vor Neugier platzen und am Ende selbst in See stechen müssen. Und wie schon der Titel eines Buches von Ilja Trojanow suggerieren will: Die Welt ist groß und Rettung lauert überall, ist die Welt in unsere Köpfe eingezogen und bietet uns unendlich scheinende Welten, in die wir reisen können. Migration verliert durch die Linse der Globalisierung betrachtet ihre ausländische Schattierung. Plötzlich scheinen wir alle Teil einer großen Fremde oder eines ganzen Planeten zu sein.

Doch die Erde hat für mich seltsame Flecken. Sie ist politisch segmentiert und zerfasert, und diese Fragmentation erinnert mich immer wieder daran, dass der Weltbürger ein Ideal und kaum real ist, denn jeder Bürger würde an Barrieren von Nationalstaatenpolitiken scheitern, noch bevor er Welt– oder Weltenbürger werden könnte. Und das schon seit Columbus. Die Welt ist groß? Nicht für jeden. Rettung? Kommt drauf an. Wer hat denn nun die ganze Welt regiert? – Niemand! Und das wird auch niemand, denn die ganze Welt passt nicht in einen einzigen Kopf. Selbst Geld gibt es nicht überall, also: Money doesn‘t rule the whole world, but just a part of it.

Wie könnte ich trotzdem noch Weltbürger im Geiste Humboldts werden? Würde es reichen, dass ich mehr als sechs Monate im Jahr in Flugzeugen verbringen würde und damit meinen ersten Wohnsitz in Deutschland verlöre? Ich bekäme Ärger und wäre gezwungen, mich auf einen Wohnsitz festzulegen – der Steuern wegen, denn Weltsteuern gibt es nicht. Wäre ich staatenlos, wäre ich verloren, keiner würde was mit mir zu tun haben wollen. Ich hätte horrende Einreiseprobleme, weil nicht klar wäre, wohin ich gehörte – ich könnte ein Feind sein! Der Status Frau von Welt ist da schon einfacher zu erreichen, da braucht man bloß ein bisschen zu reisen und viele exotische Geschichten zu erzählen. Dabei ist einem sogar das Internet behilflich. Weltbürger, mit allem was die Begriffe Welt und Bürger mit sich bringen, kann schon aus nationalstaatlichen Verfassungen heraus bis heute niemand werden. Der Begriff ist zu ideal, denn so rund ist die Erde schließlich auch wieder nicht, wie wir sie uns vorstellen.

Globalisierung ist ebenfalls ein Ideal, denn die politischen Asymmetrien auf diesem Planeten widerstreben ihr. Sie ist so ein Unbegriff wie universal oder total. Ideale sind Druckmittel, aber keine echten Zustände. Und unglaublicherweise konnte Humboldt nur das Ideal von Weltbürger werden, weil schon zu seinen Lebzeiten der Planet in den Köpfen vieler Leute globalisiert war. Seine Ideale sind aber bis heute Ideale geblieben. Globalisierung hat doch zum einen mit der Frage zu tun: Wie kommt die ganze Welt in meinen Kopf? Und die Antwort darauf kapituliert zumeist vor der Angst vor dem Verlust an kultureller oder sozialer Schwerkraft. Aber die Welt umfasst nun mal die ganze Erde, global gesehen oder nicht.

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