Herta Müller – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Schreiben… http://superdemokraticos.com/laender/peru/espanol-sobrescribir/ Tue, 29 Nov 2011 06:52:06 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6043 Aus Notwendigkeit oder zum Vergnügen? Schreiben – wofür? Schreiben – wozu ? Es gibt so viele Arten Schriftsteller, wie es verschiedene Menschen gibt. Schüchterne, extrovertierte, plaudernde, ernste, pedantische, schlichte, freundliche, mürrische. Die gesamte Palette aller möglichen Adjektive. Es gibt welche, die seit ihrer frühsten Kindheit wissen, dass ihr Schicksal sie zur Literatur führt, wie Borges. Anderen wurde zu Hause die Mission erteilt, sich mit Worten auszurüsten, wieder andere bemächtigten sich des Wortes durch fleißige Arbeit, in Stunden um Stunden um Stunden in Schreibworkshops, Literaturunterricht, um Kontakte aufzubauen. Wieder andere fanden entgegen aller Vorhersagen im Wort ihren Rettungsanker. Es gibt Schriftsteller als Beruf und Schriftsteller aus Berufung, die trotz der unvorhersehbaren Dinge, die das Schicksal ihnen zuwies, ihre Bestimmung fanden. Und es gibt auch Schriftsteller aus Berufung, welche die Zeit zu zuverlässigen Arbeitern des Wortes machte. Zu Figuren des Jet-Sets.

Gestern unterhielten sich zwei der bekanntesten Köpfe der Welt über das Schreiben und das Im-Wort-Sein. Das Gespräch zwischen Mario Vargas Llosa und Herta Müller wurde als das beste verbale Wrestling, das sich die Literaturkritik nur vorstellen kann, angekündigt und tatsächlich war es das auch, es fehlten nur die passenden Poster. Es fehlte nur die Ankündigung des Zusammentreffen der beiden Nobelpreisträger mit Lucha-Libre Masken, auch wenn es weder Diskussion noch Debatte gegeben hatte.

Tatsächlich waren die Standpunkte beider zum Thema Schreiben so offensichtlich unterschiedlich, dass ein Monolog dem nächsten folgte.
Für Vargas Llosa ist die Literatur eine große Lüge, die in der Lage ist Gesellschaften zu gestalten. Als Lateinamerikanerin ist es schwierig, ihn ehrlich zu schätzen, denn obwohl er zweifelsfrei ein großer Schriftsteller ist, sind seit seinen besten Romanen schon einige Jahre vergangen. Seitdem macht er nichts anderes, als sich zu wiederholen und einen politischen Standpunkt zu verteidigen, der ihn davon abhält, den Totalitarismus der lateinamerikanischen Militärregime anzuerkennen. Vargas Llosa träumt weiterhin von Fidel Castro.

Für Herta Müller kann die Literatur hingegen lediglich die Wahrheit vermitteln und mit ihr und ihrer zitternder Stimme lässt sie uns Bücherliebhaber bis ins Knochenmark erschauern. Sie sprach aus ihrer Erfahrung über das Schreiben als Überlebensstrategie und bis zum heutigen Tag strömt aus ihren Texte, aus ihren Worten, die Menschlichkeit und der Horror, zu dem Menschen fähig sein können. Ihr politischer Standpunkt steht nicht unter der Fahne einer vorgefertigten Idee, sondern sie wird im Namen des Individuums gehisst, im Namen dieses hilflosen Menschen, der sich in die Welt der Bücher flüchtet, um seinen Kontext zu überleben. Weder um die Akademie zufriedenzustellen, noch mit dem Anspruch auf den Applaus vorbereitet zu sein.

Gestern wurden zwei Dinge offensichtlich: Vargas Llosa wusste, mit wem er sprach, und das Publikum hatte die Gelegenheit wahrzunehmen und gegenüberzustellen, wie enorm groß der Unterschied zwischen jemandem ist, der mit der Intension schreibt, das Publikum zu erobern, und jemandem, der schreibt, um sein zu können, als Individuum, und um damit das Nichts zu überleben. Als Leserin weiß ich, dass über die Preise hinaus in der Geschichte nur für diejenigen Platz ist, die Worte authentisch benutzen.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Zwei Noble http://superdemokraticos.com/laender/peru/zwei-noble/ http://superdemokraticos.com/laender/peru/zwei-noble/#comments Mon, 28 Nov 2011 04:48:57 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6006 Ich habe noch nie zwei Nobelpreisträger live miteinander sprechen gehört und gesehen. Bis heute! „Dos nobles“, so hieß das mit Publikum überfüllte Gespräch zwischen Herta Müller (NP 2009) und Mario Vargas Llosa (NP 2010), kürzer und lapidarer, aber auch konkreter geht es kaum: zwei noble Geister sozusagen. Der Moderator Juan Cruz Ruiz hielt sich zurück und stellte scheinbar banale, aber daher umso tiefer gehende Fragen, zur Verbindung von Schreiben und Leben, zu Vorurteilen, Totalitarismus, der therapeutischen Wirkung des Autordaseins, der öffentlichen Rolle – und schnell zeigten sich die unterschiedlichen Literaturverständnisse beider Diskutanten.

Das noble Publikum. Vor Bildschirmen und hinter Säulen.

Auf der einen Seite saß der ehemalige Diplomat, ein Einzelkind getrennter Mittelschichtseltern, aufgewachsen in Peru, der sich als „liberaler Demokrat“ bezeichnet, auf der anderen Seite eine Exilantin, aus der deutschen Minderheit eines kleinen rumänischen Dorfes, aus einem Haushalt ohne Bücher, in dem die Mutter warnte: „Lies nicht so viel, das macht nervenkrank.“ Auch wenn es lange wissenschaftlich verpönt war, die biographischen Kontexte für Analysen heranzuziehen, lassen sie sich doch nicht verleugnen. Und so ist für den einen, der in die Bücherwelten von Karl May und Cervantes  floh, für den Vertreter der „engagierten Literatur“ (Sartre), das Buchlesen und -schreiben immer auch gleich eine politische Angelegenheit, eine Sache des Engagements, der Aktion, des Einmischens, insbesondere zur Verbesserung und des Fortschritts der Menschheit an sich. Lesen ist ein Mitleben besserer Welten, in denen das Individuum andere Werte erkennen kann. Und so ist für die andere, die Vertreterin einer Literatur des „ästhetischen Schmerzes“ (Müller), das Buch ein Einblick in das allgemeine existenzielle Unglück, eine Selbstverteidigung, insbesondere des Eigenen, des Privaten, das doch in der Diktatur nicht erlaubt ist, „ein innerer Kompass“. Herta Müller sagte für sich Gedichte auf, wenn sie verhört wurde: „In der Kultur ist doch schön, was uns weh tut, weil wir kein anderes Wort dafür haben. Literatur tröstet mich, ohne mich zu betrügen,“ definiert sie abgeklärt. Llosa hält dagegen, jede Fiktion sei Lüge, aber so gut gemachte Lüge, dass sie als Wahrheit erscheine. Daher sei sie ein Instrument, um die menschliche Freiheit zu verteidigen. Können wir post-demokracy Europäer noch an solche Werte glauben?

Ich war neulich auf einer Konferenz mit vielen Kulturmachern aus den arabischen Ländern. Auch sie wollten wissen, dass Kunst gesellschaftlichen Einfluss haben kann. Dass eine individuelle kreative Struktur eine kollektive Veränderung bewirkt, etwa wenn ein Künstler zur Demo aufruft und ihm die Menschen mehr vertrauen als einem Politiker. So war das bei uns! Herta Müller wäre da auch skeptisch. Denn Kunst ist etwas Konstruiertes: „Literatur maßt sich etwas an, will künstlich mit Sprache Leben bauen. Danach hat man vielleicht einen besseren Kopf.“ Veränderung im, nicht des Einzelnen sind möglich, mehr nicht.

Und so ist Literatur dann doch immer ein Dialog zwischen zwei Noblen: dem Autor und dem Leser, zwei Köpfen, die versuchen, das Leben zu verstehen. Beide, Llosa und Müller, bezeugten als Leser zum Schluss der Veranstaltung einem anderen Autor ihre Dankbarkeit: Jorge Semprun, dem „Mensch der Aktion“ (Llosa), Schriftsteller der Erinnerung als KZ-Überlebender, der „poetische Zeitgeschichte“ (Müller) schrieb, gestorben am 7. Juli 2011 in Paris.

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Zum Rhythmus von Cumbia und verirrten Kugeln http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/espanol-a-ritomo-de-cumbia-y-balas-perdidas/ Sat, 26 Nov 2011 23:22:54 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5960

 

“Als Schriftsteller ist Fernando Vallejo auch ein wunderbarer Musiker”

Juan Cruz in seiner Kurzbiografie über Fernando Vallejo

Zu den Persönlichkeiten, die sich auf der 25. Internationalen Buchmesse in Guadalajara, der FIL, einfinden, gehören auch die beiden Literaturnobelpreisträger Herta Müller und Mario Vargas Llosa, sowie der diesjährige Preisträger der FIL in romanischer Sprache: Fernando Vallejo. Der beste von allen Vorträgen zur Preisverleihung war zweifelsfrei die des angesehenen spanischen Journalisten Juan Cruz Ruiz, neben dem von Vallejo selbst. Juan Cruz Ruiz‘ Kurzbiografie über den kolumbianischen Schriftsteller machte dem Autor von „Virgen de los Sincarios“ (dt. Die Madonna der Mörder) oder „El Desbarrancadero“ (dt. Der Abgrund) alle Ehre und gleichzeitig das Publikum glücklich.

Während sich Deutschland als Land der Ideen präsentierte, in dem die Wissenschaft und der akademische Austausch eine wesentliche Rolle spielen, ist für die Mexikaner und die Latinos, die wir uns mit den Mexikanern identifizieren können, die gleiche Augenhöhe und der Humor das Wichtigste am Austausch. Vielleicht, weil wir im Gegensatz zum Ehrenland gelernt haben, mit Humor unsere Realitäten zu überleben und anderen Menschen mit einem Lächeln zu begegnen.
Fernando Vallejo erhielt dieses Jahr den Preis nicht nur für sein vielseitiges und fantastisches Werk, sondern bestimmt auch, weil die Themen seiner Bücher direkt jenes Land berühren, das uns derzeit beherbergt. In den letzten fünf Jahren starben in Mexiko mehr als 58.000 Menschen, Opfer der Gewalt, des Krieges gegen die Drogenmafia. Es gibt niemanden, der wie Vallejo das Leid einer Gesellschaft beschreibt, die zum Rhythmus von Cumbia und verirrten Kugeln verblutet.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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