feria de libros – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Das sind unvermeidbar wir! http://superdemokraticos.com/themen/buchmesse/das-sind-unvermeidbar-wir/ Sat, 09 Oct 2010 14:12:26 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2798
Marvin Kleinemeier betreibt das Blog Wilde Leser mit Informationen und Lektüren zum chilenischen Autor Roberto Bolaño und einem Argentinienschwerpunkt. Mit dem argentinischen Autor Pedro Mairal spazierte er durch die Messehallen.

Beim Betreten der Ehrengastausstellung müssen sich die Augen an die relative Dunkelheit gewöhnen. Das weitläufige Areal wirkt gleichzeitig zu groß und zu klein. Es ist Donnerstag Mittag, die Gänge sind leer, die eingeladenen Lateinamerikaner scheinen für einen Augenblick unter sich zu sein und diskutieren in kleinen Gruppen vor den Exponaten. Das erste Gesicht, das mir auffällt, ist ein bekanntes. Zwischen zwei weißen Spruchbannern, die bewegungslos von der hohen Decke herabhängen, sehe ich Pedro Mairal. Er wirkt unscheinbar, sein dünner Bart erscheint spitzer als auf den Verlagsfotos. Er hält sich mit beiden Händen an der Schlaufe eines kleinen Rucksacks fest, als fürchte er aus dem Setting zu rutschen. Er erinnert sich sofort an meinen Namen. Vor einigen Wochen hatten wir ein langes Interview geführt.

Wir schlängeln uns zwischen den Damokles-Bannern hindurch, beginnen einen kleinen Spaziergang durch die Ausstellung und ich frage ihn, ob er sich angemessen repräsentiert fühle. „Das sind AUCH wir. Das sind unvermeidbar wir!“, gibt er resigniert von sich, ohne mich anzuschauen. Sein Blick ist auf die überdimensionierte Propagandatafel der argentinischen Präsidentin gerichtet. Ein paar Schritte weiter begeistert er sich dann für die Karikaturen des argentinischen Cartoonisten Rep von der Zeitung „Página/12“ und zeichnet mit seinen Fingern die dünnen Linien nach. Während ich ihn beobachte, fällt mein Blick auf eine Vitrine, in der Ernesto Guevaras Tagebücher ausgelegt sind und erinnere mich an das Jahr meines Lebens in dem ich sie alle gelesen hatte. Pedro sage ich nichts davon.

Nach weiteren Schritten über den ungenau verlegten Holzboden erreichen wir ein Mahnmal für die Verschollenen der Diktaturzeit. Wir stehen vor einer Tafel, auf der die Schriftsteller aufgezählt sind, die während der Diktatur verschwunden sind. Es ist eine große Tafel. Vielleicht 60 Namen. Ich hörte bereits andere Schriftsteller den abgenutzten Begriff der „verlorenen Generation“ benutzen. Für Mairal geht das nicht weit genug. „Das ist ein Loch, ein Abgrund zwischen zwei Generationen. Eine ganze Stimme unserer Geschichte wurde ausgelöscht.“ Nachdem er das sagt, erneuert er seinen Griff um die Rucksackschnalle und blickt gedankenverloren auf die riesige Landkarte Argentiniens auf der Fläche nebenan, die mit plakativen Tourismus-Fotos beleuchtet wird.

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Der Humboldtsche Blick. Wissenstransfer aus den Amerikas ist eine neo/ koloniale Leerstelle http://superdemokraticos.com/themen/buchmesse/der-humboldtsche-blick-wissenstransfer-aus-den-amerikas-ist-eine-neo-koloniale-leerstelle/ Fri, 08 Oct 2010 10:00:22 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2734
Deutsche und argentinische Gastblogger berichten für Los Superdemokraticos über die Frankfurter Buchmesse. Die Redakteurin und Doktorandin Julia Roth schreibt für die Zeitschrift polar und das MissyMagazin. Derzeit arbeitet sie an zwei Projekten im Rahmen des Bicentenario-Jubiläums am Haus der Kulturen der Welt und am Hebbel Am Ufer mit.

„Das Leben ist ein Tango“ steht in großen Lettern am Stand des Wagenbach-Verlags. Immer wieder Tango. Ich beginne, mich zu langweilen. Pampa, Patagonien, Gauchos, weites, leeres Land. Die Bilder von und über Argentinien bedienen meistens den (verinnerlichten) europäischen Blick. Und fokussieren die „schöne“ Literatur und fiktive Genres. Die Damen Landesgenossinnen am Nachbartisch diskutieren Korruption und Rückständigkeit Argentiniens und die atemberaubende Landschaft. Zitieren Humboldt. – Aber wo auf unseren diskursiven Landkarten sind die Denkerinnen und Denkern, Theoretikerinnen und Theoretiker aus den Amerikas? Was ist mit nicht eurozentristischem oder sich an europäischen Standards orientierenden Wissen? Wer bestimmt, was übersetzt und rezipiert wird und wie? Auf der Ebene der Bewertung, Einordnung und Theoretisierung von Wissen und die Teilhabe an Wissensproduktion und -transfer besteht die koloniale Schieflage offensichtlich weitgehend fort.

Da! Im Programm des Standes des Goethe-Instituts Buenos Aires ein Lichtblick! Morgen von 16 bis 17 Uhr greift dort eine Diskussionsrunde das Thema Wissensproduktion auf. Dort diskutieren der argentinische Verleger Carlos Díaz, der englische Verleger Bill Swainson und die Geisteswissenschaftlerin Anke Simon Lateinamerika als Ideenschmiede. Zur Debatte steht der asymmetrische hegemoniale Nord-Süd-Kreislauf von Wissen, die Dominanz des Englischen in den Wissenschaften und die hegemoniale Position des globalen Nordens als Produzent von Theorien, an denen sich ‚der Süden’ orientieren muss, um wahrgenommen zu werden.

Es bleiben viele Fragen. Und ich beschließe, den Abend nicht mit der wankelmütigen hegemonialen Intelligentsia bei Rotwein zu begehen. Ich fahre zurück nach Berlin. Dort eröffnet heute die Ausstellung „Das Potosí-Prinzip“ zu kolonialer Ausbeutung von Ressourcen, Wissen und Images Lateinamerikas. Untertitel: „Wie können wir das Lied des Herrn im fremden Land singen?“

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Peri-Feria http://superdemokraticos.com/themen/buchmesse/peri-feria/ http://superdemokraticos.com/themen/buchmesse/peri-feria/#comments Wed, 06 Oct 2010 17:51:37 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2616

Wir sind angekommen! Auf der Messe! Wir wohnen in einem kleinen Dorf außerhalb der Innenstadt und gehen jeden Morgen zu Fuß zur S-Bahn, eine Brücke führt über einen rauschenden Bach mit wilden Orchideen, die am Ufer wachsen, helle, warme Herbstluft, gepflügte Äcker, sogar ein Pferd ist morgens unterwegs.

Der Weg zur Messe. Herbst in Hessen.

Wir gehen „übers Feld“, wie unser netter Gastgeber Paul sagt. Paul liebt Bolivien und seine Wohnung ist bolivianischer als die eines Bolivianers, würde ich mal behaupten: Fotos der Flora und Fauna, die bolivanische Landesflagge, Collagen aus Biersortenlabels (Quilmes, Huari…), Messer in Lederscheiden. In seinem Regal stehen Bücher über Lateinamerika, ein Stadtplan seines Wohnorts dagegen nicht. Wo ist Bolivien, wo ist Frankfurt? Wie verorten wir uns heute,  in welchen imaginären Landschaften? Und ist nicht alles, was wir leben, auch wenn wir es nicht aufschreiben, Fiktion? Wir sind in jeder Minute die Autoren unseres eigenen Lebens – und welche Perspektive nehmen wir ein, eine Zentralperspektive oder eine vom Rand? Von der Peripherie?

Ich nenne die größte Buchmesse der Welt, die Feria de Libro, jetzt nur noch Peri-Feria del Mundo. Es präsentieren sich Verlage aus 111 Ländern: die meisten, 3.315 kommen logischerweise aus Deutschland, 97 aus dem Ehrengastland Argentinien, hier der Gesamtüberblick. Die gesamte Bücherwelt ist zwar in neun Hallen vereint, aber auch hier gibt es Hallen, die voll sind, Hallen, die leerer sind, sozusagen beliebte touristische Regionen und noch unentdeckte Orte, Ränder, leise Stimmen, Unsichtbares. Wir selbst schreiben vom Stand der Bundeszentrale für politische Bildung, Halle 3.1, H141, der Halle für „Fiction and Non-Fiction“ aus. Vom Nebenstand grinst eine Obama-Pappfigur herüber, von schräg blickt mich ein Weihnachtslied-Zitat an, ein christliches Magazin stellt sich vor. Gleich höre ich mir an, wie die MERCOSUR-Länderkulturell  zusammenarbeiten wollen, wie eine „auf Vielfalt, Toleranz und Multikulturalismus basierende Identität“ entstehen kann, organisiert vom brasilianischen Generalkonsulat. Das wahre Zentrum ist dein Zentrum der Aufmerksamkeit.

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Ich werde nicht zur Frankfurter Buchmesse gehen http://superdemokraticos.com/themen/buchmesse/ich-werde-nicht-zur-frankfurter-buchmesse-gehen/ Wed, 06 Oct 2010 12:00:08 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2527

Deutsche und argentinische Gastblogger berichten für Los Superdemokraticos über die Frankfurter Buchmesse. Die Lyrikerin, Übersetzerin, Kuratorin und Bloggerin Cecilia Pavón lebt eigentlich in Buenos Aires, aber ist derzeit mit einem Übersetzerstipendium in der Schweiz. Falls Sie heute Abend in Wien sein sollten, können Sie ihr um 19 Uhr bei ihrem Vortrag Poesie ist kein Projekt zuhören.

Ich setze die Welt der Kultur in Anführungszeichen, denn ich weiß nicht, ob mein Werdegang wirklich etwas mit der Welt der „Kultur“ zu tun hat. Die Frankfurter Buchmesse ist ganz klar die Welt der Kultur. Ich hatte einen „Kunstraum“, der vor allem ein Geschenkeladen war. Wir stellten zwar Bilder aus, verkauften aber Geschenke, Schnickschnack, der (sehr billig) aus China  importiert wurde, und wir publizierten Gedichtbände aus Fotokopien, hergestellt in großer Eile. Einige davon wurden morgens geschrieben und waren nachmittags bereits veröffentlicht.

Ich weiß auch nicht, ob diese Poesie, die wir publizierten, etwas mit der Welt der Kultur zu tun hatte. Es war etwas sehr triebhaftes, ich weiß nicht, bis zu welchem Punkt das Triebhafte mit der Welt der Kultur zu tun hat. (Ich habe einen Account bei Twitter auf den Namen „postcultura“.) In Wien, wohin mich die Akademie der Bildenden Künste zu einem Gespräch über meine Arbeit als Autorin und andere Themen, die in Zusammenhang mit der „kulturellen Welt“ stehen, eingeladen hat, werde ich auch über Tu Rito sprechen, einen neuen Kunstraum in Buenos Aires, bei dem ich mitmache. Er befindet sich in einer Straßengalerie, unten in der Avenida Santa Fe und die Miete ist sehr günstig, wir zahlen sie, mehrere Leute gemeinsam, von dem Geld, das uns am Ende jedes Monats übrigbleibt. Dort veranstalten wir Lesungen, bei denen die Poeten manchmal keine wahren Poeten sind oder bei denen sich die Gedichte zu Bildern transformieren, und man sie an der Wand hängend lesen muss. Am Ende von manchen Lesungen verbrennen wir die Gedichte in einem Lagerfeuer, das wir auf dem Hof machen, damit die Wünsche, die in den Gedichten ausgedrückt werden, in Erfüllung gehen. Manchmal frage ich mich wie groß die tatsächliche Entfernung zwischen der Frankfurter Buchmesse (und dem, für das sie steht, dem zeitgenössischen Verlagsmarkt) und vielen von den Dingen, die ich im Leben gemacht habe, ist. In Wahrheit ist die Frage eher ein Wunsch: ich würde gerne Literatur schreiben, die weit von der Frankfurter Buchmesse und dem Verlagsmarkt und seiner Bürokratie entfernt ist. Neulich habe ich bei einem Workshop den zuständigen Herausgeber für Lateinamerika von Suhrkamp kennengelernt und ihn gefragt: Können Sie sich vorstellen, was passiert wäre, wenn Kafka einen Lektor gehabt hätte, der ihn jedes Mal kritisiert hätte, wenn er gerade angefangen hätte, ein Buch zu schreiben?

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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