Facebook – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Herbst in Peking http://superdemokraticos.com/laender/venezuela/herbst-in-peking/ http://superdemokraticos.com/laender/venezuela/herbst-in-peking/#comments Mon, 25 Jun 2012 09:45:14 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6441 Ich habe immer schon fernab von der Zivilisation gelebt. In einem abgeschiedenen Kaff mitten in einem abgelegenen Land, in dem die Buchläden voller Schulbedarf, Modezeitschriften und vereinzelter Bestseller waren. Einmal kam – vermutlich aus Versehen – das Buch „Herbst in Peking“ von Boris Vian in eine dieser Buchhandlungen. Mein Vater kaufte es, ohne zu zögern. Er trug es nach Hause, als wäre es eine Rarität. Tatsächlich war es sogar in zweifacher Hinsicht eine Rarität: Zum einen handelte es sich bei diesem Roman um ein derart außergewöhnliches Werk, das ein prüder und geldgieriger Verleger in dieser Zeit niemals herausgegeben hätte, zum anderen ist es für mich unvorstellbar, welches Ausmaß an Verwirrung dieses Buch in jene Auslagen voller Bleistift-Spitzer, Farbstifte, Hefte, Stephen Kings und Hello Kittys bringen konnte. Ich war fasziniert von diesen Seiten und reiste gemeinsam mit dem Hauptdarsteller in einem absurden Autobus in jenen nicht existierenden Herbst, ohne Peking.

In den Buchläden am Ende des Universums gab es sonst nur Bücher, die kurz davor waren zu Staub zu zerfallen. Uralte Reliquien, die sich mehr und mehr mit Termiten füllten. Es waren durchaus gute Bücher, das schon, aber keines davon war jünger als die Buchhandlung selbst. Es gab nichts Aktuelles, als ob die Literatur eine Sache aus einer anderen Zeit wäre.

Jetzt lebe ich an einem anderen Ende, in einem Land, in dem eine andere Sprache gesprochen wird als die meine. Überall gibt es Bücher, zu denen ich keinen Zugang hatte, bis ich dieses starre Alphabet beherrschte. Und selbst jetzt, wo ich es kann, lese ich immer noch lieber Bücher in einer Sprache mit lateinischen Buchstaben. Selbst heute habe ich immer noch keinen Zugang zu diesen Büchern, denn ich „beherrsche“ noch nicht die Wirtschaft. Ich lebe an einem wirtschaftlichen Ende, an dem ich all die Büchern, die ich gerne lese würde, nicht kaufen kann.

Aus all diesen Gründen habe ich nur selten Bücher gekauft. Meine unsichtbare Bibliothek setzt sich aus Leihgaben und Diebesgut zusammen. Früher war sie voller Fotokopien. Heute sind es PDFs, legale und illegale, die im Cyberspace kursieren. Oder Bücher, die ich mir in dieser hervorragenden, öffentlichen Bibliothek ausleihe, bei der ich eingeschrieben und von der ich abhängig bin. An mir gewinnen die Verlage und die Schriftsteller lediglich eine Leserin. Die sich durch Begeisterung, Leidenschaft, Bewunderung erkenntlich zeigt, aber nicht finanziell, niemand gegenüber. Ein Leser mehr – wen interessiert das? So wie es um die Dinge steht, ist es nicht wichtig, Leser zu gewinnen, das einzige, was interessiert, sind die Käufer. Vor ein paar Monaten wurde in der spanischsprachigen Presse von einem Skandal berichtet: Eine ziemlich bekannte spanische Schriftstellerin beschwerte sich öffentlich darüber, das ihr Buch wesentlich häufiger illegal aus dem Netz „heruntergeladen“ wurde, als es verkauft wurde. Die Reaktionen ließen nicht auf sich warten. Ich schließe mich denjenigen an, die darauf hinweisen, wie gering jene Autorin doch die große Anzahl an Lesern wertschätzte, die so ihr Werk lesen konnten und es auf einem anderen Wege nicht getan hätten.

Denn dieser Weg gibt Menschen, die es aus den einen oder anderen Gründen sonst nicht getan hätten, die Möglichkeit, etwas zu lesen. Ich lobe und preise den Informationsfluss, den man von jedem Ende der Welt aus abrufen kann, sobald man sich nur mit einem Kabel ans Netz anschließt. Gäbe es diesen kulturellen Strom nicht, der mir Zugang zu all diesen gemeinnützigen, aber auch illegalen Seiten verschafft, würde ich wohl kaum lesen. Ich könnte mir nur ein, maximal zwei Bücher kaufen. Gäbe es nicht diesen literarischen „Robin-Hood“-Freund, wäre ich überhaupt nicht auf dem neuesten Stand. Gäbe es nicht diese Bibliothek oder jene andere, wäre ich weiterhin abgeschieden von der Welt. Aber es interessiert niemanden, dass ich mich der Welt nähere. Das stellt nämlich weder für die einen noch für die anderen irgendeine Form des Gewinns dar.

Und lasst uns gar nicht erst über Musik reden: Während ich das schreibe, höre ich eine Band namens Chinawoman, auf die ich niemals gekommen wäre, wenn sie nicht jemand auf seiner Facebook-Pinnwand geposted hätte und wenn ich sie nicht über irgendwelche Pfade des Internets weiterhin hören könnte.

Über genau solche Pfade reise ich nun zu diesem Herbst und zu diesem Peking, das eine Rarität war, in jenem abgeschiedenen Kaff und in jenem abgelegenen Land, in dem ich einen Großteil meines Lebens verbracht habe.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Jahresende, Explosionen http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/jahresende-explosionen/ Sat, 31 Dec 2011 09:52:13 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6297 Die Zeit zwischen den Jahren, wie man auf Deutsch sagt, also die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr, sind ruhige Tage. Die Hauptstadt ist leer. Einzig Touristengruppen auf der Friedrichstraße am Checkpoint Charlie trauen sich in das nass-kalte Wetter. Die meisten Menschen ruhen sich  vom Festessen und Endjahresstress aus, schauen ein paar Blockbuster im TV, ordnen Geschenke in die Regale, telefonieren, schweigen, schlafen. Bis dann am letzten Tag des Jahres die Böller kommen. Sie kommen von vorne, von hinten, von oben, am 31. Dezember, wenn es dunkel wird, ist es schwierig, ihnen auszuweichen. Einmal habe ich ein paar Jungs, die gerade dabei waren, etwas zu zünden, zugerufen: „Hey, Jungs, ich hab einen Tinnitus, bitte wartet kurz mit eurem Knaller, bis ich vorbei bin.“ Und sie: „Klar, kein Problem, liebe Dame.“

Diese durch Explosionen immer wieder aufgeweckte Besinnlichkeit könnte ein Bild für den Literarischen Aktivismus sein, ein Verhalten, das wir uns von Superdemokraticos immer wieder auf unsere Fahnen geschrieben haben, dem wir das Monatsthema Dezember, aber auch eine Anthologie gewidmet haben, die für fünf Euro beim Verlag Milena Berlín zu kaufen ist, der sich gründete, nachdem die Verleger 2010 bei der Frankfurter Buchmesse einen Stand besetzten. Literarisch aktiv sein heißt nämlich, sich für die Literatur auch körperlich einzusetzen, nicht nur monetär. Für Autorinnen und Autoren, für Orte, an denen Literatur stattfindet. Heißt, Freiräume aufzusprengen, Aufmerksamkeit zu gewinnen, heißt, sich für etwas, jemanden zu entscheiden, heißt, eine Meinung zu haben, sich nach vorne zu stellen, mit Gesicht, mit Stimme, mit Mikro. Heißt, das Publikum zu schätzen, das mit den Füßen abstimmt. Mal sehen, wer heute kommt, ob jemand kommt…

Als ich 1999 nach Berlin umzog, mit Gedichten in meiner Tasche, lief ich von Lesung zu Lesung, um die anderen Dichter kennenzulernen. Die sollte es doch hier geben. Wo waren sie denn? Zunächst fand ich Veranstaltungsankündigungen in Zeitungen, dann fand ich Bekannte, Komplizen, Vertraute, Verrückte, war Mitglied verschiedener privater Lyrikkreise, die alle gemeinsam hatten, dass der Rotwein floss und die Luft aus Qualm waberte, dass die Egos aneinanderprallten, dass aber auch gemeinsame Publikationen erschienen. Ich organisierte mit anderen eine Lesebühne (visch&ferse), die sich jährlich auflöste und wieder neugründete, und einen mehrsprachigen Salon, den Hinterzimmer-Salon. Mal wurde ich eingeladen, mal lud ich ein. Mal stritt man sich, mal versöhnte man sich, manchmal las man sich nur noch auf Facebook. Da war etwas kaputt gegangen. Explosionen können gefährlich sein.

Aber zum Glück ist das Vertreten von Texten, die Text-PR, so emotional, so im- und explosiv. Neues entsteht, wenn Altes vergeht. In der aktuellen Ausgabe der Literaturzeitschrift Am Erker wurden gerade 13 Autorinnen und Autoren gefragt, ob zwischen Schriftstellern Freundschaft möglich sei. Allein diese Frage zeigt schon, wie vermint der Boden ist, auf dem sich Schreibende bewegen. Das Jahr ist zu Ende. Wir machen weiter. Weil wir daran glauben, dass nach dem Knall ein Nachhall bleibt. Wenn man zusammen an etwas glaubt und arbeitet.

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Warum ich nicht auf Facebook bin http://superdemokraticos.com/laender/mexiko/warum-ich-nicht-auf-facebook-bin/ http://superdemokraticos.com/laender/mexiko/warum-ich-nicht-auf-facebook-bin/#comments Thu, 01 Dec 2011 17:09:44 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6049 Ich habe kein Facebook-Profil. Und das liegt nicht daran, dass ich mich von Anfang an dagegen gesträubt hätte oder dass ich ein militanter Verfechter der Diskretion wäre. Ganz im Gegenteil: Ich liebe Klatsch! Es ist nur so, dass mich eine Freundin, María Rivera, Poetin und aktive Polemikerin in den sozialen Netzwerken, jeden Nachmittag anruft, um mir die Neuigkeiten des Tages auf Facebook zu erzählen: die Diskussionen, die Streitereien und die täglichen Indiskretionen aller gemeinsamen Bekannten: alles intrigante Schriftsteller wie wir selbst. Man kann also sagen, dass ich, obwohl ich kein Facebook-Profil habe, dennoch Zugang zu Facebook habe, wenn auch indirekt und durch eher rudimentäre Technik.

Apropos rudimentäre Technik: Einem anderen Freund von mir, dem Poeten Daniel Saldaña París, kam die wahnsinnig witzige Idee, etwas zu initiieren, dem er den Namen „Faxbook“ verlieh: eine Art freiwillig-reaktionäre und mittlerweile gescheiterte Imitation von Facebook. Es hätte sich dabei um Zusammenkünfte gehandelt, bei denen eine Gruppe von Freunden statt Computern Faxgeräte benutzt, um sich gegenseitig unsere Neuigkeiten, Klatsch und Kommentare mitzuteilen. Eine Art anti-ökologische Performance, bei der in jeder Sitzung eine Menge Papier verschwendet wird, die etwa ein paar Bäumen entspricht. Ich weiß nicht, warum ich kein Facebook-Profil habe, aber ich würde keinen Moment zögern, mich bei Faxbook einzuschreiben, wenn es das denn gäbe. Ich weiß nicht, möglicherweise habe ich kein Facebook-Profil, weil ich zu lange gezögert habe, und da jetzt wirklich jeder eines hat, finde ich es interessanter, keines zu haben. Oder vielleicht, weil es für mich einfach eine Horrorvorstellung ist, den Menschen den Kontakt zu mir zu ermöglichen, die ich im Leben zurückgelassen habe. Ich habe absolut kein Interesse daran, von meinen Ex-Kindergartenfreunden gefunden werden zu können. Ich will gar nicht wissen, ob sie verheiratet sind, Kinder haben, ob sie ein Perücken-Geschäft eröffnet haben oder eine Zahnarztpraxis. Ich will auch nicht ihre Bilder aus dem Türkei-Urlaub sehen: diese verkürzten und glücklichen Versionen des Lebens, die für das gesamte Publikum geeignet sind. Natürlich kann man auch eine Freundschaftsanfrage ablehnen, aber ich kenne mich, und mir fällt es schwer Nein zu sagen. Ich habe kein Facebook-Profil und das liegt mitnichten daran, dass ich es für das absolut beste Spionage-Netzwerk schlechthin halte, in dem jedes Mitglied freiwillig zum Informanten und Denunziant seiner selbst wird, es liegt an der Unentschlossenheit. Denn ich muss auch sagen, dass ich mich manchmal so fühle, als würde ich etwas verpassen, vor allem, wenn meine Freundin mir eine Diskussion vorliest, an der ich gerne teilgenommen hätte. Es ist schon komisch: Einige mexikanische Schriftsteller, egal wie politisch und herzlich sie als Menschen sind, zeigen auf Facebook ihre Seite als hitzige Polemiker. Sie sagen Dinge, die sie beispielsweise bei einer öffentlichen Diskussion vor Publikum nicht sagen würden. Ich nehme an, dass liegt an dieser gewissen Atmosphäre der Intimität: Ansichten über Politik und Literatur wechseln sich mit Fotos von der Familie und von Haustieren ab. Außerdem steckt ja die Idee dahinter, dass man sich „unter Freunden“ unterhält. Obwohl man viele davon nicht kennt und den Verdacht hegen kann, dass es sich bei denen um Feinde handelt, getarnt mit falschen Identitäten. Tatsächlich ist es nun so, dass Facebook zu einem Forum für Debatten wurde, zumindest unter den mexikanischen Dichtern, in dem Dinge gesagt werden, die sonst nirgends gesagt werden würden. Natürlich passiert es nicht selten, dass die intellektuelle Debatte in Richtung persönlicher Diskreditierungen schlingert, wahrscheinlich begünstigt durch genau diese Atmosphäre der Intimität. Und so wechseln sich Argumente mit Links zu unerträglichen Liedern mit Beleidigungen und Geburtstags Glückwünschen ab. Das wurde mir jedenfalls so erzählt. Eine Mischung, die ich faszinierend finde. Manchmal. Denn mir wurde auch berichtet, dass ein gewisser verabscheuenswerter Dichterling mich vor einigen Wochen auf seiner Pinnwand beleidigt hat. Tja, und weil ich eben nicht auf Facebook bin, konnte ich mich nicht verteidigen… Nun gut, warum bin ich nicht auf Facebook?

Ich weiß es nicht. Ich nehme an, dass es früher oder später damit endet, dass ich auch einen Account eröffne. Ja, ich sehe mich schon gemeinsam mit hundert anderen Personen „Gefällt mir“ klicken auf ein Bild vom neuen Haus von der Cousine der Tante vom Lehrer des Töpferkurses, bei dem ich seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr war.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Ein Klick http://superdemokraticos.com/laender/venezuela/ein-klick/ Fri, 25 Nov 2011 06:58:12 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5884 Es ist 20:30. Ich setze mich an meinen Computer, öffne den Texteditor und zünde mir eine Zigarette an, um über die Beschaffenheiten der sozialen Netzwerke, ihre Zweckmäßigkeit und das demokratisierende Potential im Internet nachzudenken. Mich erschreckt der Gedanke, mich ebenfalls über ein Thema auszulassen, das laut meiner Überzeugung schon bis zum Überdruss wiederholt wurde. Davor klicke ich das Spotify Icon an, mit der Intention einen Soundtrack zu finden, der meine Gedanken zum Fließen bringt. Es überfordert mich, ein Musikstück auszuwählen; das verfügbare Angebot ist unendlich. Ein Geistesblitz erleuchtet in mir die Erinnerung an Paolo Conte, ein Hybrid aus Tom Waits und Ennio Morricone. Es ist verfügbar. Sparring Partner ist das Lied, das ich suche. Für den Anfang gefällt es mir; ich tauche in eine süßliche Melancholie ein, die Reflexionen über dieses und jenes begünstigt. Uff! Es steht auf der Liste, ist aber nicht verfügbar. So ein Scheiß! Ich bestehe darauf und gebe in das Suchfeld den Namen des Liedes ein, nicht den Sänger. Ich finde es, aber der Interpret ist nicht Conte. Es handelt sich um eine Version von Carla & The Real Lowdown. Ich drücke Play. Kein Zweifel: Es ist dasselbe Lied, aber auf Englisch. Ich lasse das Lied laufen, gehe auf den Browser und google den Namen der Band. Es stellt sich heraus, dass Carlas voller Name Carla Sanabra ist. Sie singt auf Englisch, aber ihr Äußeres und ihr Nachname weisen offensichtlich auf ihre spanische Abstammung hin, was meine Neugierde weckt. Ich brauche mehr Daten. Ich öffne ein Tab und tippe Face… ein, die Pinnwand meines Facebook Accounts öffnet sich. In dem ersten Post steht „Venezuela: man muss die Pressefreiheit vor Chávez und den Medien selbst beschützen“. Es handelt sich hierbei um einen Artikel, den der venezolanische Journalist Boris Muñoz für sein argentinisches Blog „Puercoespin“ (Stachelschwein) schreibt. Ich schätze seine Arbeit, klicke ohne weiter darüber nachzudenken „Gefällt mir“und öffne den Link. Ich prüfe den Titel und die Zusammenfassung. Ich scrolle schnell nach unten. Meine Augen überfliegen ziellos den Bildschirm, ohne einen einzigen Satz einzufangen. Ich gebe auf und lasse den Tab noch geöffnet, für später. Ich gehe zurück und tippe „Carla Sanabra“ ins Suchfeld. Facebook bietet verschiedene Optionen. Eine davon ist die Seite der Künstlerin, mit einer einzigen verfügbaren Option: „Gefällt mir“. Wo ich schon mal da bin, klicke ich darauf. Die Seite informiert mich über das, was ich intuitiv schon wusste: Carla ist katalanischer Abstammung. Aus der Ferne höre ich, wie meine Waschmaschine durchdreht und zu zittern beginnt, während sie schleudert. Ich frage mich immer noch, wer Carla Sanabra wohl ist und gehe auf Twitter. Die arme Carla hat insgesamt nur 68 Followers. Ich entschließe mich, ihr auch zu folgen. Bevor man die ersten 100 erreicht hat, ist jede neue Person eine heilige Liebkosung für unser digitales Ego. Ich schwöre mir, ihr nächsten Freitag ein #FF zu schenken.

Hier bekomme ich noch andere Daten, ihre Internetseite, die ich in einem anderen Tab öffne. Ihr neues Album wird beworben, das ab Januar des kommenden Jahres auf iTunes verfügbar sein wird. Die Seite bietet dem Benutzer auch die Möglichkeit dieses „vorzubestellen“. Klick. Ich mache ein allgemeines Panning über das Interface des Apple Stores und entdecke, dass in Verbindung mit der Diskografie von Sanabra auch der Soundtrack von „Der Kaufmann von Venedig“ zu haben ist. Da ich den Film vor einigen Tagen gesehen habe und mich Shakespeares Talent als Drehbuchautor überraschte (unerfüllte Liebe, schmerzvoller Verrat, Habsucht, bedingungslose Freundschaft und unerwartetes Ende), kehre ich zurück zum Browser, klick, öffne einen neuen Tab und gehe zu Wikipedia.

Ich tippe „Der Kaufmann von Venedig“ ein. Ich weiß nicht genau, nach was ich suche, aber mich überkommt die Gewissheit einer kurz bevorstehenden Entdeckung. Der Umfang des Artikels enttäuscht mich. Ehrlich gesagt, hatte ich nicht vor ihn komplett zu lesen, aber ich hätte mich an dem Versprechen der reichhaltigen Information erfreut. Ich gebe mich nicht zufrieden und mache noch ein Klick auf dem Namen Michael Radford, dem Regisseur des Filmes. Ich überfliege seine Filmographie und die Titel rauben meine Motivation. Alle, ohne Ausnahme, offenbaren eine grauenvolle Kitschigkeit: „Die letzten Tage in Kenya“, „Ein brillanter Plan“ (dt. Flawless), „Another Time, another Place“. Es kommt mir so vor, als ob die Filmtitel von der Nichte des Kinobesitzers übersetzt wurden, der die Rechte für die Filme erworben hat. Ich lenke mich wieder ab und meine Augen schweifen auf einen Tab im Browser, der schon seit vielen Stunden geöffnet ist. Es ist ein Artikel in „Ñ“, dem Beiheft für Literatur und Kunst der argentinischen Tageszeitung Clarín. Ich klicke darauf und gehe ihn durch. Er trägt den Titel „Cantar con la boca llena“ (Mit vollem Mund singen). Ich lese die Zusammenfassung. Ich muss ihn ganz durchlesen und ihn auf meiner Pinnwand posten. In ihm wird ein Buch von Puntocero (der Verlag des Autors, Anm. d. Übersetzerin) erwähnt und dafür sind die Netzwerke ja definitiv da, oder etwa nicht?

Meine Priorität ist es jetzt aber herauszufinden, ob der Film von Pacino das Werk von Shakespeare originalgetreu umsetzt. Ich bin immer noch hungrig auf mehr Information und verfolge eine weitere Erleuchtung: Vielleicht kann ich ja auf Amazon eine digitale Version des „Kaufmanns“ bekommen, dann könnte ich es heute noch lesen. Los geht’s. Ich öffne einen weiteren Tab und suche nach dem Stück. Wahnsinn, da ist es und es kostet nur einen Euro! Ein Klick. Großartig. Ich durchsuche den Kindle mit dem strukturellen Misstrauen eines Menschen, der im 20. Jahrhundert gelebt hat – vor dem Internet, vor all dem. Tatsächlich, hier ist der Text. Er ist nicht allzu lang und ich freue mich darauf, ihn lesen zu können, bevor ich schlafen gehe. Ich schaue auf die Uhr in der rechten oberen Ecke meines Computers. 1:15 morgens, steht da. Ich bin perplex. Ich schaue auf die Uhr in der Küche. 1:16. Jetzt ist schon fast Morgendämmerung, und ich habe noch nicht einmal angefangen zu schreiben. Ich überprüfe ein letztes Mal die Tabs auf meinem Browser. Es sind mehr als 12. Ich verspüre eine starke Erschöpfung im Nackenbereich. Ich mache den Computer aus. Klick.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Fegefeuer Shopping http://superdemokraticos.com/laender/kolumbien/fegefeuer-shopping/ Thu, 10 Nov 2011 13:55:17 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5741 Das Feuer wird prüfen, was das Werk eines jeden taugt.
Hält das stand, was er aufgebaut hat, so empfängt er Lohn.
Brennt es nieder, dann muss er den Verlust tragen.
Er selbst aber wird gerettet werden, doch so wie durch Feuer hindurch.
1. Korinther 3, 13 – 15

Als  Dotson Rader seinen Freund Norman Mailer fragte, wo er am 11. September 2001 gewesen sei, zu dem Zeitpunkt, als die Zwillingstürme angegriffen wurden, antwortete ihm der US-amerikanische Schriftsteller: genau hier, in meinem Haus in Provincetown…ich habe ferngesehen…es war eine große Erschütterung. Warum? Das einzige, was uns das Fernsehen verspricht, ist, dass das, was wir sehen, im Grunde nicht real ist. Daher führt das Fernsehen ja auch immer zu dieser leichten Verdummung. Die unglaublichsten Ereignisse, die allerschrecklichsten, hinterlassen einen Eindruck des Nichtvorhandenseins, wenn man sie auf dem kleinen Bildschirm sieht.

Ein deutliches Beispiel hierfür ist die Art und Weise, mit welcher die Information über den Mord an Guillermo León Sáenz, alias Alfonso Cano, durch das kolumbianische Militär behandelt wurde. Aus meiner Sicht war das, um es dezent auszudrücken, unsinnig. Die Journalisten (und auch einige Politiker, wie der jetzige Arbeitsminister Rafael Pardo) berichteten von dem Mord, als würde es sich um eine lobenswerte Tatsache handeln, und, was noch schlimmer ist, als würde uns diese Tatsache tatsächlich näher an eine vermeintliche, lebensrettende Hafenmole auf der rauen kolumbianischen See der Gewalt bringen. Was ich verstehe, ist, dass der Mord an alias Alfonso Cano nicht  der nationale Triumph ist, als den sie ihn uns verkaufen wollen, sondern ein Thermometer, das den exakten Punkt der Barbarei misst, an dem wir uns befinden.

Möglicherweise ist Mord für ein Mitglied des Militärs, also für einen Mann, der für den Krieg ausgebildet wurde, gleichbedeutend mit einem Triumph, und vielleicht erklärt das auch den Ausdruck der Zufriedenheit auf den Gesichtern der militärischen Spitze hinter dem Verteidigungsminister, als den Medien der offizielle Teil der Operation mitgeteilt wurde. Aber für uns Zivilisten, die auf ein Ende des Konflikts mittels Verhandlungen setzen, die wir an den Dialog als ein Werkzeug zur Lösung von Problemen, glauben, ist es definitiv kein Triumph. Für uns ist ein Mord ein Mord und genau deshalb sehen wir es auch als das an, was es ist, auch wenn der Ermordete ein bewaffneter Aufständischer war und damit aus dem rechtlichen Rahmen des Landes fiel.

Es sollte deutlich werden, dass ich die FARC nicht verteidige, auf gar keinen Fall, aber warum sollte man den Mord an einem Menschen feiern und dann auch noch auf diese Art und Weise? Was in jener Nacht geschah, war lediglich eine weitere Injektion Chauvinismus für das Land, und ich weiß nicht wie lange sie wirkt, aber solange sie wirkt, sorgt sie dafür, dass wir denken, ein Mord könne uns näher an den so sehr ersehnten Frieden bringen, den wir seit Jahrzehnten anstreben.

Aber das passiert nicht nur mit dem Fernsehen. So wie Descartes den Körper negierte und die Existenz des Menschen nur an der Funktion des Geistes festmachte, negieren heute viele Männer und Frauen ihre eigene Existenz, indem sie diese auf eine Art und Weise öffentlich machen, wie es vor einiger Zeit noch undenkbar gewesen wäre. Klingt zwar seltsam, ist aber so: Durch all ihr Zurschaustellen werden sie schlussendlich unsichtbar.

Facebook ersetzte gleichzeitig den ausschließlich familiären Charakter eines Fotoalbums, die Treffen von Angesicht zu Angesicht und ermöglichte Unterhaltungen jeglicher Art, erschuf neue Sprachen, eine Tatsache, die nicht an ihrer Attraktivität verliert, aber deshalb nicht minder gefährlich ist. Worin besteht die Gefahr? Die Gefahr besteht darin, dass persönliche Informationen an Fremde weitergegeben werden, die das ausnutzen und dem Einzelnen Schaden zufügen können.

Die Autobahnen der Netzwerke, in denen sich die Menschen heute bewegen, haben so sehr an Konventionen zugenommen, dass sie Ausfahrten jeglicher Art bieten, sogar extrem tragische. Es sollte auch gesagt sein, dass es keine Aischylose gibt, von denen die Tragödien verfasst werden, auch keine Figuren wie Medea und Jason, sondern Martha, Luis, Claudia oder Enrique, je nach Szenario. Es reicht, einen Computer zu besitzen, ein Benutzerkonto, das den Zugang zur virtuellen Gemeinde ermöglicht, und fertig. Und damit beginnen wir diejenigen zu sein, die wir nicht sind, die wir gerne sein würden und im Gegenzug bietet uns das Netz die Möglichkeit, zu einer sozialen Gruppe zu gehören, ohne wegen unserer körperlichen Merkmale oder unseres Verhaltens ausgeschlossen werden zu müssen. Demokratie sagen die einen, Demokratisierung der Technologie der Information und Kommunikation, drücken sich andere etwas stilisierter aus. Aber: ist es das wirklich? Oder ist es nicht eher so, dass sich die Demokratien – während all das passiert – als Vampire verkleiden und in ihrem Eifer nach sozialer und geographischer Kontrolle in einigen Ländern der Welt ein Ambiente des Terrors verbreiten? Ich persönlich tendiere eher zur zweiten Möglichkeit, und außerdem glaube ich, dass der demokratische Vampir nicht nur das Blut aus seinem Opfer saugt, sondern sogar dessen Kadaver verschwinden lässt, wenn er ihn nicht gerade als Medaille oder Trophäe benutzen kann, ihn veröffentlicht kann, wie im Falle Canos. Alles ist erlaubt. Lieben, leben und arbeiten, aber im Netz. Das Internet wurde zu einer effektiven Plattform, um zum Erfolg zu gelangen, aber auch um das Foto vom letzten Ausflug mit Freunden bis hin zum Foto des Toten zu veröffentlichen, jetzt mit der Menschheit in aufgelöster Geste.

Und damit erinnern die Unterkünfte des digitalen Raums stark an Sanatorien: die einzigen, die real erscheinen, sind diejenigen, die kontrollieren. Aber die Internierten wissen nicht wer es ist, der sie kontrolliert. Die Idee des Realen bestätigt sich somit nicht in einer Tat, sondern bleibt so wie sie ist, eine Idee, eine vage Idee, die betrachtet wird, als wäre sie real, und de facto wird das Wesentliche des Lebens, die natürliche Entwicklung des direkten Kontakts mit der Welt entwertet.  Das Individuum ist nun nicht mehr ein Befürworter der Topophilie, jetzt bewohnt der Mensch nicht mehr seinen Ort, aufgrund der Abwesenheit von Eros, poetisch gesprochen, da dieser virtuell geworden ist. Er erschafft sich Landschaften mit Photoshop und macht seine Reisen durch die Welt an Bord des Flugzeugs Google Earth, ohne Stewardessen.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

 

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Facebook ist mein Ground Control http://superdemokraticos.com/themen/neue-welt-im-netz/facebook-ist-mein-ground-control/ http://superdemokraticos.com/themen/neue-welt-im-netz/facebook-ist-mein-ground-control/#comments Mon, 07 Nov 2011 08:56:53 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5506 Ich bin eine Blind-Userin. Ich will nichts von den Gefahren des gläsernen Menschen wissen, sobald ich mich bloggend, postend oder sonst wie im Netz bewege. Ich bin eine Autorin, die eh jeden schriftlichen Ausdruck, den sie tätigt, als nicht völlig zu ihrem Selbst gehörig betrachten kann, sondern immer schon als das, was sie betreibt, um von sich weg zu kommen, um Distanz zu nehmen, um ihr Selbst einmal von außen betrachten zu können, in Formalin, oder unter dem Elektronenmikroskop. Mit Befremden wie völliger Naivität schlage ich daher jede Warnung in den Wind, vornehmlich von Kollegen, die mich dazu bewegen wollen, sich doch um Privatsphäre wie Berufsethos willen auf solchen Plattformen nicht rumzutreiben, und, wenn schon, immer bedeckt zu halten mit jeglicher Äußerung, die eines Tages, sobald sie eben schriftlich im Netz festgehalten wurde, doch zwangsläufig gegen einen verwandt werden könne, ja, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlachtet, verhökert und in letzter Konsequenz gegen einen selbst gerichtet wird.

Dass es dafür meist überhaupt keiner eigenen Äußerung bedarf, sondern, dass schon Josef K. einfach nur verleumdet werden musste, um ihm den Prozess zu machen und dass sich ein Grund immer finden lässt und immer gefunden wurde in der Menschheitsgeschichte, wollte man sich unliebsamer Personen wie ganzer Völker entledigen, scheint dabei irrelevant. Nein, man ist, wenn schon, seines eigenen Unglückes Schmied gewesen und das mittels Blogs und Facebook um so mehr, so viel steht fest. Man möge doch bitte nicht so bereitwillig und nichtssagend über sich Auskunft erteilen. Wenngleich jede Nichtigkeit eines Andy Warhols mit Interesse und Neugier gern gelesen wurde und dem Nöler aus Vechta, Rolf Dieter Brinkmann, bis heute noch jeder zweite Autor bereitwillig durch falsch verrechnetes Flaschenpfand, Künstlerlandverschickung und Rom, Blicke nachstiefelt. So viel spießige Künstlerlarmoyanz wurde selten danach wieder verfasst. Vielleicht habe ich es auch immer schon als einen Akt des Trotzes wie der Befreiung gesehen, Schnüfflern zuvor zu kommen und den nichtssagenden Nebenäußerungen nicht weniger Bedeutung beigemessen, als den vielsagenden Werken, auch wenn man nicht Warhola heißt und sich über falsch verrechnetes Pfand trotzdem nie so wird echauffieren können wie Rolf Dieter Brinkmann es konnte. Ich bin die Queen des Nebenschauplatzes, immer schon gewesen, und eine glühende Befürworterin der Ablenkung. So gesehen kam mir Facebook entgegen, aber ich trat ihm aus einem profan erscheinenden, doch mir einzig wichtigem Grund bei. Ich wollte Kontakt zu jemandem, zu dem ich eigentlich nicht wusste, wie ich Kontakt wiederherstellen und halten sollte, es gab erst mal keine Schnittmenge zwischen uns, die mir irgendwie groß genug schien, um beiläufig Kontakt zu halten. Und manchmal ist es ja durchaus so, dass man Houston sein Anliegen nicht wirklich vermitteln kann. Facebook war die Ground Control, die da Teilhabe möglich machte und Einblicke gewährt. Viel mehr hab ich eigentlich nicht von Facebook gewollt, und ob ich mehr bekommen habe? Ja, schon, aber darauf kams mir gar nicht an. Natürlich habe ich dann auch alle Facebookuserfehler gemacht, die man machen kann, alle meinem Beruf irgendwie Assoziierte befreundet, die anfragten, und bis heute nicht so wirklich den Ordnungssinn aufgebracht, Listen anzulegen und in liebsam und unliebsam getrennt. Allerdings bin ich mit Freundschaftsanfragen vorsichtiger geworden, nicht zu vorsichtig, denn, wie sagte es ein guter Freund aus dem richtig echten Leben, den ich viel zu selten sehe, wie ich meine Freunde, seit ich zu oft in Sao Paulo lebe, eh zu selten sehe: No risk, no fun. Und mir scheint, ab und an muss man seine Freiheit etwas in Gefahr bringen, um sie lustvoll zu spüren. Vorsicht allein war nie der beste Freund der Freiheit, das gilt wohl auch für Facebook, allen berechtigten Bundestagsdebatten zum Trotz.

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Die Zukunft der fehlenden Seiten http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/die-zukunft-der-fehlenden-seiten/ Sun, 30 Oct 2011 13:09:13 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5498 Eigentlich wollte ich diesen Text im Flugzeug schreiben. Über den Wolken. In einer Turkish Airlines Boeing, mit der ich von Berlin nach Istanbul gebracht wurde. Ans Goldene Horn. Dahin, wo Okzident und Orient zusammentreffen. Ich dachte mir, in diesem Luftgefährt kommen mir bestimmt geniale Ideen, die mein Leben in der deutschen Hauptstadt mit den touristischen Erfahrungen in der türkischen Metropole beschreiben. Ich würde neue Einsichten in das Europäische des 21. Jahrhunderts bekommen, aber auch in das Globale (so von oben auf die Welt geschaut), vielleicht auch den Zufall als Lehrmeister haben und neben einem klugen Traveller sitzen, einem Alltagsintellektuellen. Aber es kam anders. Ich schlief ein. Unter mir brummten die Düsen. Die Frau neben mir schlief ein. Das Mädchen neben ihr schlief auch ein. Müder alter Kontinent…

Ich hatte einen Traum.

In meinem Traum gab es keine Talkshows, keine Podiumsdiskussionen, auf denen irgendwelche scheinbar aktuellen Fragen von immer denselben Experten verhandelt wurden, keine Jetsetintellektuellen, da auch das Fliegen unbezahlbar geworden war. Regionale Denker hielten Vorträge, zu denen per Mundzumund-Propaganda eingeladen wurde. Das Fernsehen war abgeschafft worden, weil es keiner mehr schaute. Das Internet war kontrolliert, nur noch, wer zahlte, durfte Inhalte online stellen. Eine Stunde surfen pro Tag war kostenlos, danach galten Minutenpreise. Facebook kostete pro Post, Like und Message – die Monatsgebühr von 20 Euro hatte damals niemanden abgeschreckt, so dass Zuckerberg auf andere Zahlmodalitäten gekommen war. Da in die Bibliotheken schon lange nicht mehr investiert worden war, hatte der vollständige Bestand im Jahre 2011 aufgehört, danach hatte man den Katalog kosten- und platzsparend auf Ebooks umgestellt. Jetzt, im Jahr 2033, waren die Lesegeräte rar, mit denen man diese alten Daten hätte lesen können. Und auf Amazon und Google gabs nur US-amerikanische Klassiker günstig zu erwerben. Viele Autoren schrieben auf Englisch oder Chinesisch, weil der Markt nur nach diesen Sprachen fragte – kleinere Sprachen hielten sich auf Minimalniveau im Alltagsgebrauch, das Vokabular schrumpfte. Wer ein Wörterbuch besaß, war eine lokale Größe.

Wer etwas zu sagen hatte und dies nicht nur mündlich weitergeben wollte, musste eine der wenigen existierenden Druckereien aufsuchen und dort per Hand seinen Text setzen oder einen Kopisten, einen Abschreiber finden. Papier war teuer geworden, wie alle Rohstoffe, aber wer Kontakte hatte, konnte auf alte Reserven der Verlage zurückgreifen. Die meisten waren konkurs gegangen, weil sie verpasst hatten, relevante, eigenständige Programme zu entwickeln und sich immer stärker den Marketingabteilungen gebeugt hatten. Honorare für Buchcover waren höher gewesen als die Vorschüsse für die Autoren. Letztere waren daher vermehrt auf den Selbstverlag umgestiegen, so mussten sie nicht damit rechnen, dass ihr Buch sechs Monate nach Erscheinen Makulatur wurde. Wer kein Geld für ein gesamtes Buch zusammenbekam, war zufrieden mit Flugblättern und Kleineditionen, die dann meist durch viele Hände gingen. Ein einzelner Gedanke war wertvoll, weil selten. Da die Arbeitslosigkeit fast 100 Prozent erreicht hatte, setzte der Staat auf regionale, von Bürgern organisierte Bildungsangebote, Naturpflege und Sport, was gegen Vereinsamung helfen sollte. Einige erinnerte das an die 1930er Jahre in Deutschland, und sie sehnten sich nach dem Individualismus des späten 20. Jahrhunderts zurück. Aber der war unwiderbringlich verloren gegangen. Jetzt zählte ein neuer Verantwortungskollektivismus…

Ich schreckte auf, als mir ein dreigängiges Menü serviert wurde. What would you like to drink, M’am? Tomato Juice, please.

Und ich nahm eine gedruckte Zeitung zur Hand, den Herald Tribune, mit einem Porträt des japanischen Schriftstellers Haruki Murakami, der darin von sich sagte, er sei zu 99 Prozent Autor und zu einem Prozent Bürger. Wenn er etwas Politisches zu sagen habe, dann würde er es deutlich sagen. Und somit war er eine der lautesten Stimmen, die sich in Japan gegen die Weiterbenutzung von Atomkraft aussprach. Ansonsten, schrieb der Journalist, lebte er wie ein Mönch, mit seinen 10.000 Schallplatten – aus der Zeit, als er noch in Tokio eine Jazzkneipe betrieb. Ein versteckter Staatsintellektueller. Auch er hätte den Nobelpreis verdient.

Please fasten seatbelts. Ready for landing.

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Saftig glänzender Humus http://superdemokraticos.com/themen/burger/saftig-glanzender-humus/ http://superdemokraticos.com/themen/burger/saftig-glanzender-humus/#comments Wed, 01 Jun 2011 16:55:23 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=3880 Spanien durchlebt eine Zeit der sozialen Bewegungen, der Veränderung und der Unruhen, die das Land zwingen, in die Zukunft zu schauen. Umwelt, Wirtschaft und Kulturen werden plötzlich zusammengedacht.

Dieses Foto, das ich während einer Demonstration gemacht habe, halte ich für symbolisch. Neben dem Plakat ("Ihr repräsentiert uns nicht, ihr nennt es Demokratie und das ist es nicht") sieht man im Hintergrund das Rathaus von Saragossa.

Der Dichter Antonio Gamoneda schuf die Grundlage für das Verständnis der derzeitigen intellektuellen Evolution Spaniens. Sein Werk zählt zu der erlesensten Poesie, die in Europa in den letzten 50 Jahren verfasst wurde, und er verfasste einige Verse, die nahezu perfekt das widerspiegeln, was die spanische Gesellschaft derzeit durchlebt – wenn wir uns mit subtiler Eleganz des rhetorischen Stilmittels der Hyperbel bedienen:

Es werden bald neunzehn Jahre sein,/ die ich meinem Herrn diene./ Seit neunzehn Jahren gibt er mir zu essen,/ und noch immer konnte ich sein Gesicht nicht sehen/ (…)/ Es werden bald neunzehn Jahre sein,/ in denen ich mein Haus verlasse und durch die Kälte gehe,/bis ich sein Haus betrete und er mir ein Licht,/ ein gelbes, auf den Kopf stellt.

Diese Zeilen stammen aus dem Gedicht „Blues del amo“ und zweifelsfrei lässt sich feststellen, dass es sich bei diesem „Herren“ um die Wirtschaft handelt, die sich das Land mit fünf Millionen Arbeitslosen (und davon sind 40 Prozent junge Menschen mit Hochschulabschluss) und einem kollabierten Banken-System hält, in das der spanische Staat 4 Prozent des BIP investieren musste, um die Wirtschaftseinheiten „zu retten“, und die schlussendlich auch die generelle Unzufriedenheit über die Nutzung von Atomstrom verursacht hat. Letzten März gab es eine Großdemonstration für die Schließung von sechs der zehn Atomkraftwerke, die derzeit in Spanien am Netz sind.

Die Katastrophe von Fukushima versetzte soziale Bewegungen in aller Welt in Alarmbereitschaft. Im Falle Spaniens waren die Proteste gegen die unheilbringende Kernkraft als Energiequelle nicht ganz so massiv wie in Deutschland oder anderen europäischen Ländern. Dennoch sind sie zum Teil der Auslöser für eine Reihe von Kundgebungen, die im öffentlichen Raum und auf der Straße stattfinden werden, bei denen im Grunde genommen das gesamte politische Handeln des Landes in Frage gestellt wird. Am 22. Mai fanden Kommunal- und Regionalwahlen statt. Mit einer Stimmenenthaltung von 33 Prozent der Wahlberechtigten übernahm die Partido Popular (PP) in 14 von 17 Provinzen der politischen Landschaft Spaniens die Macht. Dieser massive Sieg der rechtsgerichteten Partei repräsentiert nur 22 Prozent der Wählerschaft, was etwa 8 Millionen Menschen entspricht.

Spanien hat 46 Millionen Einwohner. Addiert man die Zahl der Wähler, die den Sieg der PP verursacht haben, mit der Zahl der Arbeitslosen, ist das Ergebnis immer noch niedriger als die Zahl der Menschen, die letzten Sonntag nicht zur Wahl gegangen sind. Dies führt mich erneut zu den Versen von Gamoneda. Irgendetwas ist dieses Mal passiert. Die politische Stimme, die sich bei der Wahl enthalten hat, manifestierte sich auf einer anderen Ebene. Sie bevölkerte die öffentlichen Plätze der meisten spanischen Städte, um dort „zu campieren“ und auf massive Weise dafür zu plädieren, das traditionelle Zweiparteien-System, welches das politische Leben des Landes bestimmt, abzuschaffen und drastische wirtschaftspolitische Veränderungen vorzunehmen. Denn die derzeitige wirtschaftliche Lage erinnert viele Menschen an die enormen Mängel unter Franco. Unter dem Namen „15-M“ (Bewegung 15M) haben verschiedene soziale Bewegungen gemeinsame Aktionen einberufen. Getragen von sozialen Netzwerken entschied dieses Aktionsbündnis, am 15. Mai von seinem Bürgerrecht Gebrauch zu machen und das System zu erschüttern. An diesem Tag bauten tausende junger Spanier ihre Protestcamps rund um die U-Bahn Station „Sol“, im Herzen Madrids, auf und setzten diese Aktion in den wichtigsten Städten Spaniens fort.

Das Bündnis, das die Proteste initiierte, trägt den Namen Democracia Real Ya (Echte Demokratie Jetzt). Es gründete sich vor drei Monaten und entstand aus sozialen Netzwerken wie Facebook. Es definiert sich als parteilos, gewaltfrei und umweltbewusst, und absolut nicht einverstanden mit dem aktuellen politischen System und der spanischen Wirtschaft. Es finanziert sich hauptsächlich aus Spenden und verwaltet sich selbst; außerdem beabsichtigt es, eine Bewegung zu werden, weniger kurzlebig als die Studentenproteste und Unibesetzungen Ende 2008/Anfang 2009 gegen die Bologna-Reformen. Die neuen Protestierenden wollen drastische Veränderungen erzielen, planen für den kommenden Sommer Massenveranstaltungen und betreuen eine sehr gut besuchte Webseite. Die ersten Auswirkung ist der radikale Zerfall der Linken, da diese sich großteils aus der Wählerschaft zusammengesetzt hatte, die nun Democracia Real Ya und andere soziale Bewegungen unterstützt. Die Partido Socialista Obrero Español, PSOE, (Spanische Sozialistische Arbeiterpartei) ist dieser Veränderung als erste zum Opfer gefallen: Sie erlitt einen massiven und historischen Verlust und regiert nun nur noch in einer einzigen Provinz, Asturien. Auch der amtierende Präsident und Mitglied dieser Koalition José Luis Rodríguez Zapatero, der sich in der linken Mitte verortet, hat diese schwierige Situation als „Schach Matt” anerkannt.

Zu diesem Thema existiert auch eine soziologische Debatte, bei der die Intellektuellen sich nicht einig werden können, ob wir kurz vor einer spanischen Version des „Mai 1968“ stehen oder ob es sich nur um eine vorübergehende Phase der sozialer Unzufriedenheit handelt. Einig sind sie sich nur darin, die Einzigartigkeit und Außergewöhnlichkeit dieser Aktionen zu betonen. Aktionen, die ich als ausländischer Mitbürger, der seit vielen Jahren in diesem widersprüchlichen und gleichzeitig faszinierenden Land lebt, noch nie gesehen habe. Die spanische Lebensweise, die sich mit Sinnlichkeit der Glut des mediterranen Leben und den Fiestas widmet, spielt gewöhnlicherweise in Unzufriedenheitsbekundungen keine Hauptrolle und demonstriert auch nicht übermäßig viel – ganz im Gegensatz zu den lateinamerikanischen Ländern, die auf eine lange Tradition von organisierten und teilweise auch dramatischen Demonstrationen zurückblicken können und ausreichend Erfahrung darin haben, den politischen Mächten gewaltsam entgegenzutreten. Der Konformismus, der bei vielen noch aus den Jahren des wirtschaftlichen Wohlstands der 1990er Jahre herrührt, in denen eine starke und im akademischen Sinn sehr gut ausgebildete Mittelschicht entstand, verwässerte teilweise die Einstellung der Protestler.

Georges Bataille reflektierte auf seine meisterhafte Art in seiner Essaysammlung „La Literatura y el Mal“ (Die Literatur und das Böse) darüber, ob revolutionäre Zeiten den Bereichen Kunst und Literatur nicht mehr Glanz verleihen müssten. Die sozialen Bewegungen und die Presse werden dauerhaft im Konflikt stehen, was in letzter Instanz die Entstehung der Kunst beeinflussen wird. Bataille konstatiert, dass die Französische Revolution nicht unmittelbar eine Generation herausragender Literaten hervorgebracht hat. Er sieht im Marquis de Sade einen der großen Autoren der Revolution, auch trotz der Tatsache, dass dieser zur jakobinischen Wertvorstellung der brandneuen französischen Nation absolut keinen Bezug hatte. Bataille möchte damit den rebellischen Charakter von Literatur betonen, in der die Vorstellung von Gut und Böse so verworren ist, sich sogar mischen und hybride werden, dass es schwierig scheint, in Kategorien wie moralisch und unmoralisch zu urteilen. In dieser Epoche und zweifelsfrei auch heute wieder ist zu sehen, dass der Konflikt zwischen Gut und Böse im Konflikt mit der Macht gipfelt, in der Art und Weise wie die Verlagerung der Energie stattfindet, von der Michel Foucault später sprach. Die Macht ist überall und fließt. Sie verbreitet Information durch die Presse, über Internet-Seiten oder Facebook. Gedichte und Essays, die über die soziale Unruhen verfasst werden, vermitteln etwas von der Gier nach Macht, aber auch von dem Drang, gegen sie anzukämpfen. Bataille spricht von Grenzerfahrungen der Kreativität unter dem Schutz der sozialen Veränderungen, insbesondere seinen Essays über de Sade, Blake, Baudelaire oder Kafka. Der Humus, der aus diesen Grenzerfahrungen gewonnen wird, ist der Humus der sozialen Veränderungen und der ästhetischen Radikalisierung.

Was gerade in Spanien passiert, entstand meiner Meinung nach genau auf diesem Nährboden und wird sich in Zukunft davon ernähren. In Krisenzeiten fragen wir nach Identität. Ich denke etwa an die Schriftsteller und Intellektuellen, die je unterschiedliche Beiträge geleistet haben und dennoch alle in der kosmopolitischen Avantgarde und der subversiven und hinterfragenden Dynamik vereint sind. Ich denke an Paul Celan, Edward Said, David Foster Wallace oder Robert Bolaño. Trotz ihrer extrem unterschiedlichen Werke und den definierten Rollen innerhalb des imaginären westlichen Kollektivs, haben sie erreicht, dass viele von uns Identität als ein Perpetu-Transito, als ewiges Pendeln zwischen Erinnerung, Traum, Lektüre und direkter Realität denken. Ich würde gerne die aktuellen Proteste als saftig glänzenden Humus sehen, damit daraus jene Persönlichkeiten sprießen können, die in der Lage sind, die Realität in Frage zu stellen und auf der Idee des Neuen zu bestehen, auf ästhetische Geschwindigkeiten, die unser Leben lenken und uns zu tadellosen Bürgern machen können.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Experiment im kollaborativen Schnellschreiben http://superdemokraticos.com/themen/koerper/experiment-im-kollaborativen-schnellschreiben/ Tue, 26 Apr 2011 17:05:10 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=3605 Wir sitzen, jede an einem Netzanschluss. Diesmal sind wir nicht einmal in der gleichen Stadt und versuchen uns an einem Online-Gespräch, in dem wir über das Gelernte und das Erlebte des vergangenen Jahres nachdenken und auf das neue LSD-Jahr schauen. Dies ist das Ergebnis unseres Chats:

Eine Sache, die wir im letzten Jahr oft gesagt haben, war: „Allah ist mit uns!“ Wir haben gelernt, dass Ideen keine Grenzen haben, auch wenn wir oft an unsere Grenzen gestoßen sind. Wir danken allen, die uns immer wieder Vertrauen geschenkt haben, sonst würde uns die Bundeszentrale für politische Bildung nicht weiter vertrauen, die unsein weiteres Jahr fördert.

2010 haben wir aus einem Blog mit mehr als 200 Kurzessays von vielen sehr unterschiedlichen Autorinnen und Autoren ein Buch gemacht. Was wir jetzt wissen: Ideen wachsen mit Glauben, Glauben ist wie Dünger. Und Bloggen ist wie Beten, bloß nicht im Liegen, sondern im Sitzen. Blogs richten sich auch an eine imaginäre Person, aus einem konkreten Anlass heraus. Sie wollen etwas loswerden, etwas mitteilen. Wenn wir uns etwas wünschen könnten, würden wir gerne noch mehr wie in einer Großküche arbeiten, Hand in Hand was Leckeres zubereiten und mit anderen teilen. Und zusammen probieren. Auf die digitale Gastfreundschaft!

Wir gehören einer Generation an, die vielleicht nicht anders denkt, aber auf jeden Fall anders kommuniziert als die Generationen zuvor, vor allem viel direkter, weil über das Netz Nettigkeiten meist überflüssig sind. Man erreicht die Menschen, die man sucht, indem man ehrlicher spricht. In einem Gesprächsregister. Man spricht mit „anonymen Freunden“, macht Angebote für Gespräche. Un diese werden sogar mitgeschnitten.

Das ist das Prinzip der Mauer auf Facebook, der so genannten Wand. Auch der Mails, die gespeichert bleiben. Man kann sich auf das berufen, was gesagt wurde. Soziale Netzwerke, Chats, Hin- und Her-Mails, Blogs haben gemeinsam, dass sie Gedanken enthalten, die schnell verfasst wurden. Und dass sie zu Zeugnissen werden können, wie ein offenes Tagebuch. Was die Menschen posten und kommentieren, erzählt, wer sie sind. Allerdings können wir nur bestimmte Dinge ablesen, eher Auffälliges wie Standpunkte und Interessen, Zeitungslektüre, Musikgeschmack, Freundeskreis. Was machen wir mit dem blinden Fleck?

Mit dem Blog möchten wir ab Mai 2011 weiterhin das Blinde entdecken, die Terra Incognita zwischen dir und mir. In den nächsten Monaten entwickeln wir uns mit euch weiter zu Pionieren der Nanotechnologie. Zu monatlich wechselnden Themen, die stärker an aktuelle politische und gesellschaftliche Debatten angedockt sind, postet LSD Texte, Cartoons von Chicks on Comics, Bilder befreundeter Künstler, Videos, Musik. Wir lauschen auch darauf, was unsere Facebook-Gruppe beschäftigt.

Wenn du auch dieser ipod-, iphone-, ipad-, I/ich/yo, )-Gesellschaft angehörst, die nur, indem sie absolut ICH ist, Teil der Gemeinschaft sein kann, dann befreie dich und werde Teil der YOU-Topie. Hier verschwinden die Ichs hinter ihren Ideen. Das funktioniert asosiativ, weil Privates und Öffentliches sich ständig vermischen: „Ich kann über Libyen sprechen und gleich danach ein Lied hochladen, das meinen Liebeskummer oder mein Glück ausdrückt, weil ich gerade was Gutes erlebt habe.“ Deine Teil-Öffentlichkeiten schalten sich da ein, wo sie sich einschalten wollen. Mach mit bei unserer Gruppenerfahrung! Die Kollaboration ist heute eine Voraussetzung dafür, das man überhaupt eine eigene Meinung darstellen kann.

Und das macht Mut, denn du bist nicht alleine. Aber denk dran, du hast eine Spur im Netz, denn wir leben wie stenge Protestanten ohne Vorhänge.

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Kommunikation? Nein danke http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/kommunikation-nein-danke/ Mon, 20 Sep 2010 06:10:36 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2001

Ch'utas. Foto: http://reyquienlapaz.blogspot.com/2010/02/los-chutas-de-la-paz.html

Komische Sache, die Modernität. Ich kommuniziere mit meinem engen Freund und Arbeitskollegen mehr über Facebook als über meine natürliche und angeborene Fähigkeit des Sprechens. Meine Finger ersetzen meine ungeschickten Lippen, und meine Zunge wird von Mal zu Mal bei meinem Mitteilungsbedürfnis in dieser digitalen Ära entbehrlicher. Immer häufiger halte ich das Wort im Halbdunkeln gefangen. Ein ständiger Widerspruch für einen Kommunikationswissenschaftler, und dieser verschlimmert sich noch, wenn man bedenkt, dass der Schreibtisch meines Freundes weniger als ein Meter von meinem entfernt ist.

Hab ich euch schon erzählt, dass mein Arbeitskollege Juan heißt? Er liebt ch’utas (ein Rhythmus, der ruralen-urbanen Folklore, dessen Ursprung La Paz ist, und den man dort während des Karnevals auf den Straßen tanzt). Durch soziale Netzwerke hat es Juan geschafft Anhänger dieses Rhythmus aufzutreiben, sogar in weit entlegenen Orten wie der Tschechischen Republik. Die Ausländerchen bitten ihn permanent, er solle auf seiner Webseite Videos vom Karnevalseinzug postet, in denen man Karnevalstruppen beim ch’utas-Tanzen sehen kann; Gruppen, wie beispielsweise die Juventud Súper Elegantes y sus Lindas Mamitas (die super elegante Jugend und ihre schönen Mamis) und die Papitos Choleros (mujeriegos) y sus Lindas Bellezas Tipo Holandesas
(Weiberhelden Papas und ihre hübschen Schönheiten holländischer Art). Nun gut, er hat erzählt, dass die Tschechen versprochen haben, 2011 nach Bolivien zu kommen, um beim Karnevalseinzug ch’utas zu tanzen. Wer weiß, wie sie ihre Karnevalstruppe nennen werden.

Jorge überzeugt mich gerade, mich einer seiner Internetgruppen zur Erhaltung der Walschutzgebiete im Südpolarmeer anzuschließen, wo permanent weiter Wale getötet werden. „Und wo liegt das?“ frage ich ihn. „Keine Ahnung“, antwortet er mir. Jorge hat nicht die geringste Ahnung wo dieses Walschutzgebiet liegen könnte. Er kennt nicht mal das Meer, aber das ist egal. Er ist immer dabei, Botschaften in die Welt zu schicken wie „Lasst die Wale leben!“ und „Es lebe das Walschutzgebiet im Südpolarmeer!“.

Das sind die Vorteile, wenn man Teil der kontemporären Globalisierung ist. Die kulturellen Äußerungen einer Gesellschaft, ihre Schwachstellen und ihr Wissen, ihre Sorgen und ihre Freuden sind nicht mehr nur deren Eigentum, sondern werden sich auch von den anderen angeeignet. In dieser Ära sind Grenzen jedes Mal mehr überholt.
Standardisierte Massenmails werden im selben Moment von verschiedenen Personen, an unterschiedlichen Orten der Welt empfangen. Aber je mehr wir technologisch in Kommunikation stehen, desto weniger kommunizieren wir tatsächlich. Es ist beispielsweise ein Widerspruch, dass es die Autoren, die ich für die Zeitung interviewe, vorziehen, sich meine Fragen per Mail zukommen zu lassen, anstatt dass wir uns in einem Cafe treffen und uns unterhalten. Und dadurch entstehen Beiträge, die schlussendlich fade sind. Das bedeutet nicht, dass sie schlecht sind, aber sie machen das Fehlen des menschlichen Kontaktes deutlich.

Eine der globalen Diktaturen ist das Internet. Wenn du nicht bei Facebook bist, bist du nicht Teil dieses globalen Dorfes. Und jemand, der nicht in einem sozialen Netzwerk angemeldet ist und nicht einmal eine E-Mailadresse hat, ist ein Paria, ein Niemand, ohne Identität in dieser Cyberzivilisation. Je mehr elektronische Artefakte unsere Taschen füllen, desto besser. Es ist unwichtig, dass sie nicht von größtem Nutzen sind. Und die Handys? Hast du schon mal darüber nachgedacht, wie viele brillante Gehirne wohl daran gearbeitet haben, dass wir dieses Ungeziefer mit Display an unserer Seite haben? Und wofür verwenden wir es? Einen Großteil der Zeit dafür, Textmitteilungen zu schreiben. Oder nur um Sätze zu senden, die keinen anständiges Gespräch ergeben werden, wie: „Wo bist du“. „Ich komme gleich“. „Warte auf mich, warte auf mich.“ Wir können ihm einen besseren Nutzen geben, glaubst du nicht?

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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