Diktatur – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Es war einmal eine Globalisierung http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/es-war-einmal-eine-globalisierung/ Tue, 28 Sep 2010 06:48:30 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2220 -Wenn ihr es erlaubt, erzähl ich euch eine Geschichte, so wie sie mir erzählt wurde. Es war einmal ein junger Mann, der lebte in einer sehr großen Stadt. Es war im Jahr 2010. Er wurde auf der Insel geboren, die im dem Gedicht „La Isla en Peso“ von Virgilio Piñeira beschrieben wird, das ich euch sehr empfehle. Dieser junge Mann war wie unser Morus, dem es gefiel zu reisen, er wollte wissen, ob die Welt Grenzen habe und welche es wären. Als er das Alter dazu erreicht hatte, ging er in ein anderes Land. (Einige von euch werden sich nun fragen, was ein Land war, andere haben dies bereits im Unterricht von Poulantzas gelernt. Gut, ich werde euch nicht die Gelegenheit nehmen, Nachforschungen zu diesem Thema anzustellen.) In jener Zeit hatten die Menschen Artefakte erfunden, die es einfacher erschienen ließen, sich von einem Ort an einem anderen zu bewegen. Das war, in den meisten Fällen, für die überwiegende Mehrheit der Männer und Frauen, die den Planeten bewohnten, extrem schwierig, denn um von einem Ort zu einem anderen zu gelangen, benötigte man eine Erlaubnis von den zuständigen Behörden. Diese Autorisierung wurde in Form eines Zettels erteilt, der für die Person, die verreisen wollte, in einer anderen Sache, die man Pass nannte, abgestempelt wurde. Bei Letzterem handelte es sich um ein Heft, das dazu diente, sich auszuweisen. Dieser junge Mann arbeitete hart, um die Erlaubnis zum Reisen zu erlangen, denn er hatte den Fehler begangen, im falschen Land auf die Welt zu kommen. Dazu kam, dass die Menschen in jener Zeit unter dem Joch des Geldes lebten, Geld, dieser unbeschreibliche Geselle, der zwischen den meisten menschlichen Beziehungen vermittelt.

Kommen wir zu unserem jungen Mann zurück. Nachts arbeitete er in einer Bar, tagsüber ging er in die Universität, er schrieb Essays und literarische Texte für die ein oder andere Zeitschrift oder für Projekte. Sein Leben verlief zwischen diesen alltäglichen Aufgaben.

Dieser junge Mann, lasst ihn uns Aukera nennen, verbrachte viel Zeit damit, mit all seinen Freunden zu reden, die über den gesamten Erdball verstreut waren. Seine Kumpels sprachen unterschiedliche Sprachen und kamen an verschiedenen Orten zur Welt. Fast alle von ihnen hatten ebenfalls nicht den richtigen Pass, um sich in jener Welt fortbewegen zu dürfen.

Einige Freunde von Aukera spielten Theater, andere machten Musik, andere schrieben Poesie und machten Filme, andere arbeiteten mit Behinderten, kochten oder renovierten alten Häuser. Wieder andere hatten keine Arbeit und verbrachten viel Zeit damit, im Kreis zu laufen. Einer von ihnen lebte in einem sehr, sehr kleinen Dorf in einem Land im Süden. Er hieß Ezintasuna und spielte Theater für Kinder. Ezintasuna war sehr erschöpft und wollte in ein Land des Nordens gehen, aber die Erlaubnis zum Reisen war sehr schwer zu bekommen.

Foto: Lazaro Emilio Hernandez Boffill

Er glaubte nicht daran, dass seine Arbeit funktionierte, denn die Botschaft der Freude und die Möglichkeiten, die das Marionettenspiel bat, kamen bei den Kindern nicht an. Diese unterlagen einem sehr starken Einfluss von Gewalt. Die Mehrheit dieser Kinder lebte auf der Straße und konsumierte Drogen statt Nahrung, um ihren Hunger zu stillen. Andere waren verkauft und zur Prostitution gezwungen worden. Um sich zu verteidigen, hatten sie sich zu Gangs zusammengeschlossen. Eines Tages, nach einem Auftritt, näherte sich eines dieser Kinder schüchtern und sagte zu Ezimtasuna:

– Entschuldigung, darf ich Sie etwas fragen?

– Ja natürlich!-antwortete Ezintasuna.

-Sagen Sie, wie schaff ich es, in die Welt der Marionetten zu kommen, in der alles gut ausgeht?

Ezintasuna war sprachlos. Mit zugeschnürtem Hals sagte er zu ihm:

Zuerst musst du sie erschaffen, und dann, ganz langsam, wirst du in ihre Welt eintreten können, genau wie sie in deine.

Der Junge begann die Gruppe der Marionettenspieler zu begleiten und mit der Zeit erschuf er seine erste Marionette.

So hat es mir Ezintasuna erzählt und so erzähl ich es euch.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Wenn alles möglich ist, dann ist es gleichsam nichts mehr http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/wenn-alles-moglich-ist-dann-ist-es-gleichsam-nichts-mehr/ Thu, 16 Sep 2010 20:26:54 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1940 Die Globalisierung gibt es nicht. Was es gibt, ist eine Verstärkung der Dominanz der mächtigen Kulturen über die schwachen. Das sage ich nicht, das sagen viele Theoretiker und ernster zu nehmende Experten als ich, gerade letztens habe ich das wieder bei einen von ihnen gelesen. Aber es scheint, als würde ein Funken Wahrheit dran sein. VERSTÄRKUNG DER DOMINANZ DER MÄCHTIGEN KULTUREN ÜBER DIE SCHWACHEN. Das kannst du deiner Tante erzählen! Nach so einem Satz will man lieber aufgeben und zur Theorie überlaufen. Doch ich finde diesen bombastischen Satz interessant und er erinnert mich an eine Anekdote.

Vor ein paar Monaten hatte ich eine Diskussion mit einem Theater in London – das ich ungemein schätze – über ein Drehbuch, das sie angefordert hatten. Ich sollte ein Theaterstück über die Realität meines Landes schreiben, natürlich aus meiner Sichtweise und mit meiner literarischen Stimme, um es irgendwie zu sagen. Ich entschied mich dann, ein Stück über die Diktatur zu schreiben oder, besser gesagt, ein Stück über die Nachwirkungen der Diktatur im Leben der Menschen. Aber ich habe das viel hin und her gewälzt, weil ich dem Ganzen eine eigene Note und Perspektive geben wollte. Ich entschied mich, über eine Familie zu schreiben, deren Tochter während der Diktatur verschwand und die ihr Familiengerüst seitdem um die Abwesenheit der Tochter herum konstruiert hatten. Eines Tages – das ist jetzt schon Teil des Plots– finden sie heraus, dass ihre Tochter zwar zur Zeit der Diktatur entführt worden war, aber nicht vom Militär sondern von Außerirdischen. Die Diktatur hatte es gegeben, es hatte Verschwundene gegeben, nur dass ihre Tochter nicht zu ihnen gehörte. Wie würde diese Familie reagieren, wenn von einem Tag auf den anderen all die Ideen, auf denen sie ihre Werte und moralischen Grundsätze gebaut hatte, auf falschen Annahmen fußten? Die Außerirdischen nehmen erneut die Erde ein,  und die Handlung geht weiter und sie wäre zu lang, um sie hier zu erzählen. Worum es mir hier geht, ist die Auseinandersetzung mit dem Theater in London. Das Theater nahm mein Stück sehr positiv auf, aber sie baten mich die Sache mit den Außerirdischen zu überdenken, da sie fanden, dass dies ein Stilmittel war, dass nicht zu der Dramaturgie und dem Thema des Stücks passte und ein Affront gegen den eigentlichen Wert des Stückes darstellte, der für sie darin bestand, über die Diktatur zu sprechen.

Im Folgenden möchte ich versuchen, so gut es geht einen Dialog wiederzugeben – den Schwachstellen meines Gedächtnis sei verziehen – denn ich erinnere mich nicht genau an den Wortlaut, und zudem erfolgte der Dialog über mehrere Emails verteilt. Zunächst erwiderte ich, dass mein Stück sich in eines der vielen Stücke über die Diktatur in Uruguay einreihen würde, würde ich die Außerirdischen rausnehmen, und dass es mich nicht interessieren würde, zur Fülle der Stücke über die Diktatur ein weiteres hinzuzufügen. Sie antworteten mir, dass sie meinen Einwand interessant und bemerkenswert fänden, weil sie es merkwürdig fänden, dass sie noch nie ein Theaterstück aus Uruguay über die Diktatur gelesen hätten, wenn es doch so viele gäbe. Worauf ich erwiderte, dass es interessant sei zu erfahren, wie viele uruguayische Stücke sie denn überhaupt über die Diktatur kennen würden, und ich schickte ihnen im Anhang eine Liste mit 15 Stücken aus Uruguay über die Diktatur. Die Antwort war klar, dass sie keines der Stücke gelesen hatten, und auf diese Weise blieben die Außerirdischen im Drehbuch, und diesen Monat hat mein Stück Premiere, aber logisch, nicht in London, sondern in Montevideo.

Die Moral von der Geschichte: Die Globalisierung ist nicht global, sie ist nicht in der uruguayischen Dramaturgie angekommen, so wie sie an hunderten von Orten nicht angekommen ist. Denn ich kann schnell deutsche, französische, US-amerikanische, sogar brasilianische und argentinische Theaterstücke ausfindig machen und lesen… aber wie sollte ich schnell und einfach Zugang zu marokkanischen, costaricanischen, iranischen, finnischen, oder, um noch ein außergewöhnlicheres Beispiel zu nennen, asiatischen Drehbüchern bekommen.

Es handelt sich nicht nur um mächtige und schwache Kulturen – da niemand die Stärke der eben genannten Kulturen leugnen kann – sondern auch darum, dass man sich immer mit den Nachbarländern vergleichen muss und darüber hinaus auch natürliche Hürden zwischen den Kulturen bestehen, und damit meine ich nicht nur die Sprache.

Uns erscheint es so, dass die Globalisierung und das Internet Hand in Hand gehen, dass alles überall hingelangt, doch wir wissen auch, dass obwohl die Welt jeden Tag vernetzter ist, sich weder der Reichtum globalisiert, noch die Macht, noch nicht einmal die Information. Man muss wissen, wie man zu ihnen hinfindet, man muss wissen, wie man sucht, man verliert sich in der Welt der Daten, wie man sich in der Welt verliert. Es ist unglaublich sich vorzustellen, dass die uruguayischen Drehbuchtexte, zumindest ein großer Teil von ihnen, auf der folgenden Internetseite zugänglich ist www.dramaturgiauruguaya.gub.uy. Aber das macht sie nicht global, sie stehen damit nicht der ganzen Welt zur Verfügung, sie macht sie noch nicht einmal den Zirkeln zugänglich, die sicher darauf brennen würden, sie zu lesen. Die Herausforderung gilt weiterhin, denn in einer globalisierten Welt sind die Barrieren immer noch so groß wie zuvor. Auf eine gewisse Weise ist das sicher pessimistisch, aber mit dem Optimismus der Hoffnung, dass dies nicht das Ende aller Tage ist, sondern einfach nur eine Etappe. Ich empfinde die Globalisierung wie diesen Satz von Baudrillard: „Wenn alles möglich ist, dann ist gleichsam nichts mehr möglich.“

Übersetzung: Anne Becker

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Das Kuba, das nicht in die Geschichtsbücher passt http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/das-kuba-das-nicht-in-die-geschichtsbucher-passt/ http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/das-kuba-das-nicht-in-die-geschichtsbucher-passt/#comments Thu, 24 Jun 2010 12:14:16 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=326

Ein anderes Bild von Havanna. Foto: Lizabel Mónica

Für Zaida, Professorin für Geschichte

Immer wenn man „Kuba“ hört, denkt man an das US-amerikanische Wirtschaftsembargo gegen die Insel, an die Schlacht in der Schweinebucht, an Playa Girón – „die erste Niederlage des Imperialismus in Amerika“, wie es die offizielle Propaganda vorbetet –, an die Castro Brüder und die organopódicos (städtische, landwirtschaftlich genutzte organische Gärten). Für manche repräsentiert Kuba die Ikone der Linken und viele Touristen, die von einer überschwänglichen Begeisterung angetrieben werden, versuchen sich aufgeregt dem zu nähern, was für sie das Bild Che Guevaras auf ihren T-Shirts anzudeuten scheint. Andere wiederum sind weiterhin überzeugt, dass Kuba ein roter, populistischer Alptraum ist und dringend eine Kapitalspritze braucht. Für mich hingegen als eine Person, die zu einem Zeitpunkt geboren wurde, als sich der Kalte Krieg zunehmend entspannte, deren Jugend davon geprägt war, das Desillusionierung und Verzweiflung die zwei neuen Regeln des zivilgesellschaftlichen Zusammenlebens zu sein schienen – und so den gewöhnten Triumphdiskurs der proletarischen Utopie ersetzten -, und die schließlich im 21. Jahrhundert volljährig wurde, machen die enthusiastischen Glaubensbekenntnisse meiner Eltern oder die episch geschönte Vision einer immer unglaubwürdigeren Geschichte kaum noch irgendeinen Sinn.

Zu sagen, dass die vom Staat proklamierte Geschichte der Nation nicht für bare Münze genommen werden kann, ist so, wie zu sagen, dass die Menschen die Veränderungen im Ökosystem der Erde mit verursacht haben: Beides sind unbestreitbare Wahrheiten und als solche müssen sie halb ersichtlich sein und halb verhüllt bleiben. In beiden Fällen ist es keine Frage von Gewissheiten, sondern eine Frage, wie damit jeweils politisch umgegangen wird. Der strenge Blick der Staatswächter hat mir vor allem beigebracht, mir meine eigene Meinung über Ereignisse zu bilden. Hier eine kleine Zusammenfassung: Kuba war Ende des 19. Jahrhunderts die letzte Spanische Kolonie, die unabhängig wurde, gerade zur rechten Zeit, um sich in eine Neokolonie der USA zu verwandeln. Nachdem 1933 Präsident Gerardo Machado angesichts von Volksaufständen ins Ausland floh, wurde die formale Unterordnung unter die USA aufgehoben und das Land hangelte sich von einer Regierung zur nächsten, bis Fulgencio Batista schließlich eine blutige Diktatur errichtete. Über diese Diktatur siegten die Guerillakämpfer in den Bergen der Sierra Madre unter der Führung von Fidel Castro. Bei dem Bündnis, das der Kubanischen Revolution 1959 zum Sieg verhalf, handelte sich zunächst um eine nationale Bewegung von verschiedenen, diktaturkritischen gesellschaftlichen Gruppen, die von der heimische Bourgeoisie gestützt wurde. Doch nach und nach zersplitterte die Bewegung und verlor durch „Säuberungen“ ihren heterogenen Charakter, avancierte zu einer monolithischen Einheit und nahm am 16. April 1961 – mit Fidel Castros Verkündung des „sozialistischen Charakters der Revolution“ – ihre endgültige politische Richtung ein, nur wenige Minuten nachdem die Bombardierung von Playa Girón begonnen hatte. Ab dem Moment musste sich alles diesem Regierungsprogramm beugen.

Ich habe gelernt, dass die Geschichte jeweils anders klingt aus dem Mund eines Spaniers, aus dem Mund eines Nordamerikaners und definitiv pikanter aus dem losen Mundwerk eines normalen Kubaners auf der Straße. Ganz zu schweigen von den unerwarteten feinen Unterschieden, wenn es sich um einen Kubaner handelt, der in die kubanische Hauptstadt am anderen Ufer jenseits unserer geographischen Grenzen ausgewandert ist: Little Havanna. Geschichte hängt immer davon ab, wer sie erzählt. In der Regel behalten es sich die Überlebenden, die Sieger, die Machthaber vor, uns zu sagen, wie sich denn alles eigentlich zugetragen hat. In diesem Moment verbirgt sich hinter der Feder eine kubanische Frau (wer sagt, das Geschlecht habe wenig mit geopolitischen Anliegen zu tun, der soll die karibische Insel im Internet suchen; er wird eine weitaus klarere Antwort finden, als meine Argumente hier liefern können), eine weiße Frau (ich empfehle in diesem Fall, in der Suchzeile die kulturelle und imaginäre Kategorie „Rasse“ mit einzugeben), Tochter von Akademikern und selbst Akademikerin (Sie werden sicher bemerkt haben, dass die kubanischen Blogger in der Mehrzahl sehr gebildete Mädels und Jungs sind – sowohl die unabhängigen wie die vom Regime beauftragten), und keine Bewohnerin der marginalisierten Randbezirke von Havanna, aber auch nicht wohnhaft im privilegierten Zentrum der Stadt (obwohl allein schon in Havanna zu wohnen, bedeutet, aus dem Zentrum zu schreiben, was überprüft werden kann, indem man den zu Suchbegriffen Kuba+Geschlecht+Rasse das einfache, scheinbar unschuldige Wort „Stadt“ hinzufügt: fast alle Blogs, fast alle spezialisierten und institutionellen Internetseiten werden aus der Hauptstadt lanciert, während der Rest des Landes in einem vollständigen, hartnäckigen Schweigen verschwindet, das uns den Zugang zu ihm in Bit-Codes verweigert). Aber es wird keine formalisierte Geschichte dieser Zeilen geben.

Die erste Lektion in Geschichte, an die ich mich mit Freuden erinnere, erhielt ich von einer Lehrerin, als sie zu mir meinte: „Entspann dich und lass die Bücher, wir machen jetzt eine Zeitreise.“ Ich möchte hier noch eine Passage zitieren, die ich in einem alternativen Reiseführer gefunden habe: „Kuba ist ein einzigartiges Land mit vielen verschiedenen Facetten. Um dort hinzureisen, bedarf es nicht nur eines Passes, Gelds und eines guten und widerstandsfähigen Rucksacks, es bedarf auch der Flexibilität, der Kreativität, des Sinns für Humor, der Geduld und eines gesunden Gespürs für Abenteuer…“ Das Kuriose an der Geschichte ist, dass sie sich nicht nur mit der Vergangenheit beschäftigt. Denn sie ist zugleich auch in der Lage, unsere heutige Erfahrung drastisch zu verändern. Möchten Sie Kuba kennen lernen? Willkommen an Bord, bringen Sie Ihr Gepäck mit, lassen Sie Ihre Bücher zu Hause…Und falls Ihnen etwas unklar ist, zögern sie nicht, den Kapitän zu fragen, aber fragen sie auch den Heizer.

Übersetzung: Anne Becker

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Das Saubermann-Image http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/das-saubermann-image/ http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/das-saubermann-image/#comments Thu, 24 Jun 2010 07:00:29 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=271 Geschichte, das war das Fach in der Schule, in dem uns (den heute um-die-30-Jährigen) die Schuld eingeimpft wurde. Die Schuld vorangegangener Generationen, die Erbschuld. Aber auch das neue Selbstbewusstsein: „Hitler-Deutschland war böse, keine Frage. Aber jetzt? Wir sind die Guten!“ Wir trennen den Müll, fahren Bahn statt Auto, unsere Kühlschränke sind FCKW-frei. Wir fördern den Zusammenhalt in Europa, betreiben Entwicklungshilfe in der Dritten Welt. Das ist doch was!

Tatsächlich liegt mir nichts ferner, als Deutschland schlecht zu schreiben. Von der Südhalbkugel aus betrachtet wird es sogar immer besser. Man lernt zu schätzen, dass das Leben dort einfacher, weil berechenbarer ist. Der Bus kommt zu einer bestimmten Uhrzeit. Auf dem Amt bekommt man heute die gleiche Auskunft wie morgen. Wer nachts um vier mit dem Fahrrad alleine nach Hause fährt, kommt vermutlich heil an. Armuts-, Korruptions-, Kindersterblichkeits-Statistiken erzählen vom Glück einer ganzen Nation. Aus der Ferne betrachtet wirkt Deutschland wie ein kleines Paradies.

Doch wer sich nur weit genug von Niederorla in Thüringen (geographischer Mittelpunkt Deutschlands, nach Berechnungen des Verbands der Schulgeographen) entfernt, merkt schnell, dass das „Wir-sind-die-Guten-Bild“ in erster Linie unsere Selbstwahrnehmung ist. Zum Einen, weil Deutschland ein Paradies ist, zu dem nur wenige Auserwählte Zugang haben. Zum Anderen sind da die A-Themen (Afghanistan, Abschiebungen und andere). Zum Dritten, weil auf internationaler Ebene das „Wir-sind-die-Guten“ auch gerne mal durch ein „Uns-soll’s-gut-gehen“ ersetzt wird. Hauptsache die Wirtschaft läuft.

So hat sich Deutschland etwa in Argentinien während der letzten Militärdiktatur (1976-83) nicht mit Ruhm bekleckert. Damals war ich in der Grundschule. Und ich erinnere mich daran, dass ich vor dem Fernseher geheult habe, als Helmut Schmidt abgewählt wurde und Helmut Kohl gewann (den mochte ich nicht). Ich wusste nicht, wo Argentinien liegt. Und schon gar nicht, dass der Staat dort strategisch zehntausende Menschen foltern und ermorden ließ. Genauso wenig hatte ich eine Ahnung davon, dass die Regierung Schmidt Waffen an die argentinische Militärjunta verkaufte (sogar die USA beschlossen aufgrund der Menschenrechtsverletzungen ein Embargo). Deutschland wollte die guten Beziehungen zur Junta nicht trüben, während andere Regierungen sich um ihre Staatsangehörigen bemühten, die in geheimen Folteranstalten litten. Mehr als das: Hilfesuchenden Angehörige, die sich an die deutsche Botschaft wandten, wurde ein Gespräch mit einem gewissen Major „Peirano“ vermittelt, einem Spitzel der Militärs. Der drastischste Fall ist vermutlich der von Elisabeth Käsemann, einer deutschen Studentin, die Verfolgten der Militärdiktatur half, indem sie ihnen falsche Papiere besorgte, damit sie ausreisen konnten. Wochenlang wurde Elisabeth in einem Foltergefängnis festgehalten, dann ermordet. Eine britische Freundin, die in der gleichen Folteranstalt wie Elisabeth gequält wurde, kam nach wenigen Tagen dank diplomatischer Bemühungen wieder frei und alarmierte Käsemanns Eltern. Deutschland berief nicht einmal den argentinischen Botschafter ein. „Ein verkaufter Mercedes Benz wiegt zweifellos mehr als ein Leben“, warf Käsemanns Vater später den Diplomaten vor. Elisabeths Leiche hatte weder Haare noch Augen.

Zweifel am Saubermann-Image Deutschlands regen sich nicht nur, wenn man in die Vergangenheit blickt. Es reicht, die Zeitungen aufzuschlagen, auch in Lateinamerika. In Argentinien sorgt die Korruptionsaffäre um Siemens für Schlagzeilen. In Kolumbien werden Menschen gewaltsam von ihrem Land vertrieben, damit dort Kohle gefördert werden kann, die tonnenweise nach Deutschland exportiert wird. Deutschland ist nach den USA und Russland weltweit der drittgrößte Waffenexporteur überhaupt, auch Lateinamerika ist guter Kunde. Deutsche U-Boote wurden nach Argentinien, Brasilien, Chile, Ecuador, Kolumbien, Peru und Venezuela verkauft.

Da müssen wir noch schön viel Bahn fahren und Müll trennen, um wirklich zu den Guten zu gehören.

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Die Obsession, das fehlende Volk zu erfinden http://superdemokraticos.com/poetologie/die-obsession-das-fehlende-volk-zu-erfinden/ http://superdemokraticos.com/poetologie/die-obsession-das-fehlende-volk-zu-erfinden/#comments Wed, 16 Jun 2010 22:29:45 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=269 Mein Name ist Lizabel Mónica und ich bin Kubanerin. Aufgewachsen bin ich mit den achtstündigen Reden unseres Comandante en Jefe (Oberbefehlshaber) und dem Schlachtruf „Pioniere für den Kommunismus, seien wir wie der Che!“ Im Alter von 13 Jahren beschäftigten mich nicht so sehr die Jungs, denn die Sorge, ob ich eine „Revolutionärin“ sei oder nicht. Als ich mein Studium an der Universität begann, hatte sich an diesem Panorama wenig geändert: Ich entschied mich für das Fach Geschichte anstelle von Literatur, was unbestreitbar meine Berufung gewesen wäre – ich habe mich selten von Notizheften und Stiften entfernen können -, weil ich darauf drängte, die Realität zu verstehen, die mich umgab. Ich schloss das Studium ab, fing an Texte zu publizieren und gründete 2007 ein alternatives Kulturprojekt…. heute bin ich 28 Jahre alt und ich weiß, dass die Politik immer einen wichtigen Platz in meinem Leben einnehmen wird.

Ich bin unter dem Einfluss der Kubanischen Revolution geboren. Seit ich klein war, verfolgte ich die Gespräche über mein nächstes Spielzeug mit genauso viel Interesse wie die Abhandlungen über eine Zukunft, in welcher der Kapitalismus nur noch eine ominöse Vergangenheit auf dem Weg zu einem neuen Gesellschaftssystem gewesen sein wird. Die Bühne meiner Kindheit betraten Kinderbücher zur selben Zeit wie das Magazin Sputnik, eine damals recht populäre Zeitschrift aus der Sowjetunion. Der Kalte Krieg hatte die kubanische Realität so sehr erfasst, dass das Verbot, nordamerikanische Musik zu hören, sinnvoll erschien, wenngleich meine Freunde es heimlich sehr wohl taten, während ich mich an die Regeln hielt, weil ich dachte, sie hätten einen guten Grund. Zuhause erlebte ich meine Eltern nicht nur voller Begeisterung für den „revolutionären Prozess“, in den sie tief versunken schienen, sondern auch ich erhielt eine Erziehung, die aus mir ein beispielhaftes Exemplar der neuen Gesellschaft machen sollte. Die nationale Zeitschrift Mujeres (Frauen), die eine weibliche Leserschaft über das adäquate Verhalten der Frau im Sozialismus belehrte, gehörte zu meiner Pflichtlektüre. Als die Berliner Mauer fiel, war ich acht Jahre alt, und ich ahnte nicht, dass dies ein Wendepunkt nicht nur in der Geschichte meines Landes, sondern auch in meinem eigenen Leben sein würde.

Wenn ich mein Leben aus heutiger Sicht betrachte, dann könnte ich sagen, dass aus jenem Mädchen, das Marxismus-Wettbewerbe gewann und in der Schule die Auszeichnung „Beso de la Patria“ (Kuss des Vaterlandes) erhielt, eine Frau geworden ist, die jenem Mädchen immer noch ähnelt, wenngleich sie sich verändert hat. 2006 schloss ich mein Studium an der Universität von Havanna mit einer Arbeit über eine Frau ab, die die Geschlechterpolitik der Revolution dekonstruierte. Für die Gutachter war die Argumentation meiner Arbeit zu kontrovers, obwohl ich für sie die beste Note erhielt. Im Anschluss arbeitete ich ein Jahr lang als Chefsekretärin für eine offizielle Kunst- und Literaturzeitschrift, eine Arbeit, die ich wieder aufkündigte, um meine eigene unabhängige Zeitschrift Desliz (Fauxpas) zu gründen. Meine kulturellen Arbeiten, seien es Kunstwerke, Literatur oder Essays, sind systemkritisch. Projekte wie „Die Kunst des Sexes“ sind zu politisch, um sie der seriösen Gesellschaft zu überlassen, und „Die politische Kunst“ ist zu sexy, um sie in Händen der Männer zu lassen. Cuba Fake News und Pensar Cuba en Tiempo Futuro (Über das Kuba der Zukunft nachdenken) sind literarische Werke und Kunstwerke, aber vor allem sind sie Zeugnisse eines von der Obsession gezeichneten Lebens. Die Obsession, „sich das Volk zu erschaffen, das fehlt“, wie Gilles Deleuze sagen würde.

Übersetzung: Anne Becker

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Die DDR in mir ist nicht einfach verschwunden http://superdemokraticos.com/poetologie/die-ddr-in-mir-ist-nicht-einfach-verschwunden/ http://superdemokraticos.com/poetologie/die-ddr-in-mir-ist-nicht-einfach-verschwunden/#comments Sat, 12 Jun 2010 07:00:12 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=175 Ich bin 1971 in Stralsund an der Ostseeküste geboren und wuchs in den folgenden Jahren auf der Insel Rügen, in der Mark Brandenburg und ab 1982 in Berlin auf, wo ich seitdem immer noch lebe. Nach dem Studium (Germanistik und Romanistik) habe ich zunächst einige Jahre als Autorin und Redakteurin beim Fernsehen gearbeitet, hab mich 2001 jedoch entschlossen, das bunte Quotentheater zu verlassen und meiner eigentlichen Leidenschaft, dem Schreiben, nachzugeben. 2003 erschien mein erstes Buch, ein autobiographischer Erzählband, bei S. Fischer in Frankfurt/Main („Meine freie deutsche Jugend“), 2009 folgte dann im selben Verlag mein zweites Buch, ein ebenfalls weitgehend autobiographisch geprägter Band mit Geschichten und Essays anlässlich des 20. Jahrestages des Mauerfalls („Aufbau Ost. Unterwegs zwischen Zinnowitz und Zwickau“). Beide Bücher behandeln die Themen Demokratie – Diktatur – Freiheit – Werte – jedenfalls sieht es die Presse so. Ich selbst würde eher sagen, es handelt sich um Kurzgeschichten über das Aufwachsen in einer Diktatur und das Leben danach, also darüber, was davon bleibt und womit man später noch umzugehen hat. Denn wir leben ja nicht in einem Hollywoodfilm: Was die DDR angerichtet hat in den Menschen, ist nach wie vor da. In meinem ersten Buch schrieb ich dazu einmal „Die DDR in mir ist nicht einfach verschwunden, nur weil das Land nicht mehr existiert.“

Ich verstehe mich selbst aber nicht als politische Autorin, sondern in erster Linie als Geschichtenerzählerin. Doch wenn ich aus der dunklen Zeit einer Diktatur erzähle, kann ich den politischen Hintergrund des Geschehenen nicht einfach ausklammern. Das wäre unlauter. Zumal viele meiner Geschichten dem Umfeld des (wie es heute genannt wird) Bürgerrechtler-Milieus entstammen, in dem ich aufwuchs, wo ich niemals die Chance hatte, einen romantischen Blick auf die Verhältnisse des realen Sozialismus zu entwickeln, in dem ich lebte. Schon deshalb bin ich heute eine entschiedene Verteidigerin der Demokratie – ich weiß, wie es ist, nicht in ihren Genuss zu kommen.

Mit Südamerika verbindet mich genau diese Erfahrung. Diktatur, Nachhall des Regimes im Land, Umgang mit Schuld und Verantwortung, Neustart und Klarkommen mit dem Leben in der Freiheit. Insbesondere zu Chile habe ich eine tiefe Beziehung, weil dort eine ganze Reihe enger Freunde leben.

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