Dichter – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Wir sind gekommen, um über die anderen zu sprechen….Venezuela in Worten http://superdemokraticos.com/laender/venezuela/espanol-hemos-venido-a-hablar-del-otro%e2%80%a6-venezuela-en-palabras/ Tue, 29 Nov 2011 19:34:03 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6053 Es war weder ein runder Tisch, bei dem sich die Zuschauer einen Einblick in die Geschichte der venezolanischen Literatur verschaffen konnten, noch eine Performance, noch eine kritische Improvisation. Es war all das und viel mehr. Gestern präsentierten die jungen Schriftsteller und Intellektuellen Elena Cardona, Willy Mckey und Roberto Martínez Bachrich im Mariano Azuela Saal der FIL eine poetische Kurzbiografie über die Literatur ihres Landes und sprachen über die Gründe, die dazu führten, dass die venezolanische Literatur noch kein breites Publikum erreicht hat und die Grenzen des Landes noch nicht überschritten hat. Ein Land in dem die Schriftsteller “mit tausend Revolutionen pro Minute rasen, ein Land, das auf eine Revolution pro Jahrhundert drängt“ (Willy Mckey)

Wesentlich unterhaltsamer als eine Vorlesung, wesentlich ironischer als eine Comedy Show. Die Präsentation der Venezolaner kennzeichnete sich durch ihre Chor-ähnliche Struktur und die Schlichtheit, mit der die Autoren sich in den alten Stammbaum der Autoren, welche die Geschichte überlebten, einreihten. All das an einem Ort, der sich bislang weigerte, die Schriftsteller in ihrer vollen Dimension anzuerkennen und an dem Lesen weiterhin ein von Divisen abhängiges Problem bleibt. Wo ein Buch ein Luxusartikel ist, wo die Autoren mit den Jahren fantastische Fotokopiotheken ansammeln, mit all den Schätzen, die ihnen in die Hände fallen. Wo die fehlenden Divisen die jüngerer Generation dazu zwingen ihre Vorgänger zu lesen.“ „Wo Poeten ein riesiges Heer aus Einzelgängern sind“, so Willy Mckey.

Der Zuschauer hatte während der 45 Minuten die Gelegenheit, einer Kurzfassung der Literatur des 20. und 21. Jahrhundert aus dem Land des Erdöls zuzuhören, mit all dem Respekt und der Bewunderung, die diese jungen Künstler der Literatur zollen. Dadurch haben sie ihr Engagement für die Literatur gezeigt, ihre außergewöhnliche Bescheidenheit und eine noch seltsamere Klassensolidarität, Schriftstellersolidarität gegenüber den Autoren, die vor ihnen den Standard der venezolanischen Literatur gesetzt haben. Eine bewegende und unterhaltsame Lesung, die uns mit dem Verlangen entließ, Yolanda Pantin, Camilo Pino, Rufino Blanco Fambona, Lourdes Sifontes und viele weitere Autoren zu lesen und besser kennenzulernen.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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in falsches Deutsch… http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/in-falsches-deutsch/ http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/in-falsches-deutsch/#comments Tue, 09 Nov 2010 13:44:44 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=3189 Gestern der Froschkönig war von dichter überfühlt, die Stimmung war sehr schön, das Publikum war zufrieden. Es war die schönste Abend von Los Superdemokraticos.es war genau die Stimmung von los superdemokraticos, nur ein Beispiel davon was Nikola und ich veranstalten wollten als unsere Partei gegründet worden. Wir sind nah gekommen und wir wollen uns an alle Dichter und Dichterinen bedanken, die gestern gelesen haben. Indirekt sind viele Projekte anwesend gewesen, ohne die hätten wir die Übersetzungen nicht gehabt. Also vielen Dank an die Literaturwerkstatt, an Lettrétage, an lauter niemand, an Metropolis, an Latinale, an alle. Auch ein besonderes danke schön an unsere Übersetzerinnen Anne Becker und Barbara Bauxbaum für die Moderation.

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Wenn ein Gedicht reist, ist es nun hier dank dieser immateriellen Fabrik, und unsere Partei steht da für gleichberechtige Arbeitsverhältnisse… Heute im Iberoamerikanische Institut um 19 Uhr, sprechen wir über kulturelle „soziale Bewegungen“ im Netz, bloggen, schreiben und leben mit René Hamann, Lina Meruane, Alan Mills und Ezequiel Zaidenwerg. Wir wurden uns an euch wieder zu sehen sehr freuen…

Saludos Superdemokraticos!

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„Weder bin ich ein Star, noch seid ihr nur das Publikum“: Interviews mit Fabián Casas http://superdemokraticos.com/laender/argentinien/espanol-ni-soy-una-estrella-ni-vos-sos-solo-el-publico-entrevista-con-fabian-casas/ Mon, 11 Oct 2010 12:54:12 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2835

Fabián Casas wurde 1965 in Buenos Aires geboren. Er avancierte zu einem Vorbild der neuen Schriftstellergeneration für sein Land und für ganz Lateinamerika. 2007 wurde er in Deutschland mit dem Anna Seghers-Preis ausgezeichnet. Auf der Frankfurter Buchmesse stellte Casas seinen Gedichtband Mitten in der Nacht und seine zwei Erzählungen Lob der Trägheit gefolgt von Die Panikveteranen vor. Zwei Interviews.

Wie definierst du einen Intellektuellen?

Jeder Mensch, der mit Ideen arbeitet, ist ein Intellektueller. Mir gefällt es, wenn es Überschneidungen zwischen den Dingen gibt, dass die Menschen, die mit Ideen arbeiten, mit dem Leben verbunden sind. In diesem Sinne sind die Intellektuellen, für die ich mich interessiere, Menschen, die mit dem Leben arbeiten. Schopenhauer sagte einmal, dass man einer Philosophie, bei der man nicht das Zähneknirschen zwischen den Seiten hört, nicht vertrauen kann. Und ich denke, er hat recht. Hegel, um bei den Deutschen zu bleiben, erscheint mir dagegen viel verkopfter und wenig lebhaft. In der Zeit, in der sie unterrichtet haben, war der Hörsaal von Hegel voll, der von Schopenhauer hingegen leer. Ich glaube, das lag daran, dass Schopenhauer die Dinge sagte, die niemand hören wollte.

Ein Rat für junge Intellektuelle?

Ich denke, wenn eine Person aus Lateinamerika ihre Ideen verbreiten, schreiben will oder ihre Fähigkeit der Wahrnehmung ausdrücken will, muss sie diese Dinge schnell machen. Man muss Liebe für sein Schicksal empfinden, darf nicht denken, dass das Leben einem etwas schuldet, sondern den Stier bei den Hörnern packen und etwas machen, die technischen Hilfsmittel schaffen, mit denen man sich Gehör verschaffen kann. Man muss begreifen, dass die Literatur nicht etwas Individuelles, sondern etwas Kollektives ist, du muss dich mit anderen Menschen zusammentun, damit deine Botschaft ankommt. Denn genau diese Zusammenarbeit mit anderen führt dazu, dass man sich von seiner eigenen Botschaft, von seinem Ego entfernt, und das macht alles viel interessanter, weil es wie eine fremde Stimme zurückkommt.

Du schreibst Lyrik und Prosa, aber auch Essays. Was ist für dich das Besondere an diesem Format?

In meinem Fall sind die Essays eine Möglichkeit für Experimente. Der Versuch, bestimmte Gedankengänge auszugrenzen und die Möglichkeit zu akzeptieren, dass in einem Essay antagonistische Ideen nebeneinander existieren können, eine Idee in parallelen Gedankengängen zu suchen, die gleichzeitig gegenteilige Dinge aussagen können. Das ist eine Art anzuerkennen, dass man Fehler macht, dass man sich irrt und dass man es erneut versuchen kann, eine Idee, einen Satz herumschweifen zu lassen, ohne den Druck, einen abschließenden Punkt setzen zu müssen. Man muss diese Idee, Endpunkte an Dinge zu setzen, sie abzuschließen, aufgeben. Denn wenn man aufhört zu lernen, ist man tot.

Ich denke dabei nicht an „Denker“. Cesar Vallejo ist für mich ein außergewöhnlicher Poet. In vielen seiner Gedichte finden sich Reflektionen über die Gesellschaft, in der wir gerade leben und über die, in der er leben musste. Wenn ich lese, konzentriere ich mich nicht auf Essayisten, ich lese alles, verschiedenen Schriftsteller aus ihren entsprechenden Genren, die für mich ebenfalls Essayisten sind, sogar einige Musiker kommen mir wie Essayisten vor. In meinem Land gibt es eine echt interessante Bewegung von neuen Rockbands, an denen mir besonders gefällt, dass sie sich nicht ernst nehmen. Sie sind sehr cool und entspannt, und sie brachen mit dieser vorherrschenden Einstellung, die ich schrecklich finde, mit diesem: „Ich bin der Star und ihr seid das Publikum.“ Das sind Leute, die wissen, das sie es sind, die spielen, aber dass man auch von einem Moment auf den anderen auf der anderen Seite stehen kann. Sie geben sich gegenseitig etwas, Publikum und Band, ein komplettes Feedback. Das Label heißt Laptra und kommt aus La Plata, die haben mich animiert Musik zu hören, die haben mir gute Laune gemacht, die sind erfrischend.

Was bedeutet dir Demokratie?

Unter all den Systemen, die es geben könnte, interessiert mich am meisten die Demokratie. Es scheint mir das System zu sein, in dem man am besten leben kann. Betrachtet man seine Idealform, müsste es wohl ein Raum sein, in dem alle Menschen alle Möglichkeiten hätten, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, man müsste nicht aufgrund von Unterdrückung und ähnlichen Dingen Entscheidungen treffen. Ich würde gern Demokratie wie einen idealen Raum denken, in dem es allen möglich ist, zu denken, eine Stimme zu haben und eine Stimme abgeben zu können, mit der man etwas bewirken kann.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Der Traum der Bestie http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/der-traum-der-bestie/ http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/der-traum-der-bestie/#comments Mon, 04 Oct 2010 15:30:53 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2387 Ich verspüre keine Verlangen danach, einen Hund zu adoptieren und ihm einen literarischen Namen zu geben, der ihn für meine Sicherheit verantwortlich macht, während ich die Grenzen zwischen Realität und Traum bewohne. Ein Nomade sollte sich niemals im Stich gelassen fühlen, denn er hat eine archetypische Familie, die in unterschiedlichen Dimensionen Gestalt annimmt. Er kann auf die Straße gesetzt werden und in einem Park voller wunderschöner Blumen schlafen. Dort wird er träumen, und später muss er nur schreiben: Das ist seine Residenz, seine Begleitung.

Ich habe nichts als ein literarisches Werk im Kopf. Ein Werk, das ich schreibe. Ein Werk, das ich will. Ein Werk, das in mir Herzrasen hervorruft; mich dazu drängt Arzneimittel auszuprobieren; mich zum Weinen bringt; mich glücklich macht; mich aufregt, mich in den Selbstmord treibt; mich nervt, mich wie einen Idioten fühlen lässt; mich gesegnet fühlen lässt. Ich wache auf und stelle mir vor, dass ich es nun schreibe. Der Tag schreitet fort und ich ärgere mich, weil ich immer noch nicht dabei bin es zu schreiben. Ich schiebe es auf. Ich nehme Anrufe entgegen, checke wieder und wieder die E-Mails. Ich habe Sex und gebe das über Twitter bekannt. Ich erhalte Smileys 😉 Mein Vertrauensbruchs ruft ReTweets hervor und ich bin das Stadtgespräch. Ich gehe eine Runde drehen und denke weiterhin über die Kapitel nach. Ich komme einfach nicht dazu, sie zu schreiben. Ich durchstreife die Stadt in der Nacht; ich verwickle jemanden in ein Gespräch, um ihm von dem Roman zu erzählen, den ich schreiben will. Zusammengefasst: Ich schreibe nicht.

Beim Aufwachen kümmert sich der Kater darum, mich daran zu erinnern, dass ich wieder einen Tag verloren habe. Ich zittere, während ich mir die Zähne putze. Ich öffne Gmail, mit der Erwartung auf etliche dringende Arbeit zu stoßen: Das hat sich für mich als eine Art erwiesen, die Gewissensbisse wegen des spärlichen Vorankommens mit dem Roman zu beschwichtigen. Ich überfliege ein paar Übersetzungen, mache hier eine Korrektur, da eine Bearbeitung. Ich mache die Copy für eine Werbekampagne. Placebos, Arten zu schreiben, ohne zu schreiben, bis ich auf eine liebevolle Mail meiner deutschen Übersetzerin Barbara stoße, die mir sagt, dass ich mich schon wieder einmal mit meinem Text für die Superdemokraticos verspätet habe!

Das macht mich glücklich. Ich bin ein Schuft, aber das macht mich glücklich. Ich verstehe das als eine exquisite Verpflichtung, ein Hybrid zwischen den Arbeitsanforderungen und dem Vergnügen. Ich stelle mir sogar Barbara als eine Text-Dominatrix vor, die mich mit der Peitsche schlägt, um mich so dazu zu bekommen, die Seite zu füllen. Zack! Und ich muss das tun, denn Los Superdemokraticos ist ein Projekt, das Teil meines Arbeitsplans ist. Aber gleichzeitig ist es auch ein Projekt, das mir wenigstens einen Funken Würde wiedergibt, etwas zu schreiben, das dem ähnelt, was ich „das Werk” nenne!

Zack!

Barbara hat mich erneut um meinen Text gebeten, und diesmal war es der letzte Aufruf, denn Los Superdemokraticos ist ein Projekt, das genau jetzt endet. Und aus genau diesem Grund geht der Text nun dazu über, aus der Vergangenheit zu sprechen.

Während dieser Zeit konnte ich mit unterschiedlichen Artikeln, rings um die von den Herausgeberinnen der Superdemokraticos vorgeschlagenen Themen, literarisch experimentieren. Sie gaben mir die Freiheit, so schwerwiegende Themen wie die Globalisierung, aus Sicht eines Axolotl anzusprechen; so bedeutsamen Themen, wie die soziale Gewalt wurden von meinen Ninjahänden beschworen, die eine Art unsichtbare Kalligraphie praktizierten; als es nötig war über Sexualität zu sprechen, konnte ich eine ziemlich ausführliche Autobiographie präsentieren; die Geschichte meines Landes stellte ich mir wie eine kleine Maistortilla vor, die über einem kosmischen Comal glüht. Ich konnte die Formen zeigen, in denen ich die Realität wahrnehme, indem ich aus meiner textuellen Körperlichkeit heraus verschiedene Mutationen ansprach.

Mit dem Schreiben versuchte ich mir selbst zu beweisen, dass das Bewusstsein die Schöpferin der Realität ist…und es war sehr amüsant zu sehen, dass sich als schlagkräftiger Beweis jener Hypothese in Berlin sogar eine Ninja-Party organisierte.

Vielleicht erinnert ihr Euch daran, dass ich dieses Abenteuer begann, indem ich mein Nahual, den Jaguar, anrief, um die dafür nötige Kraft zu erhalten. Deshalb werde ich wieder an der gleichen Stelle enden, und ihn anrufen, um diesen Kreis zu schließen.Durch meine Superdemokratischen Texte wollte ich ausdrücken, dass die Poesie ein Double von sich selbst schaffen muss, dass in die Zeit projiziert wird: ein Tier, das den Weg seines Geist im Dschungel der Archetypen beschützt. Dass der Poet der Traum der Bestie ist, die ihren Körper in der Vegetation fortbewegt und mit katzenhafter Gewandtheit die Leere überspringt, welche die Worte vom Geist des Lesers trennt: Ideen betrachte ich wie Schmetterlinge, welche die Unmöglichkeit, aus der Seite herauszufliegen, überwunden haben.

Ich bin nicht sicher, ob ich diese Botschaft in der nötigen Qualität vermitteln konnte…Die alchimistische Begegnung der Zeit mit den Lesern wird die einzig mögliche Antwort darauf geben können. Ich habe auf jeden Fall die Magie genossen, mich in einer Sprache zu lesen, die ich nicht verstehe und die ich nun lernen will….aber ich habe es noch viel mehr genossen, die Beiträge meiner lateinamerikanischen und deutschen Kollegen zu lesen: Ich kann euch garantieren, dass ich nicht eine einzige Zeile, von dem, was ihr geschrieben habt, verpasst habe. Ich habe versucht, das Handwerk und die Originalität zu erlernen, von denen sie nur so trieften. Ich habe auch gelacht und sogar geweint, wenn es ein Text schaffte, die sensibelsten Punkte zu berühren.

Für alles Gesagte und Nichtgesagte, an alle, Herausgeberinnen, Übersetzerinnen, Leser und Schriftsteller, Superdemokraticos: Vielen Dank! Ich hoffe euch sehr bald in irgendeiner Ecke des Kosmos begrüßen zu können.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Beamen http://superdemokraticos.com/themen/burger/beamen/ http://superdemokraticos.com/themen/burger/beamen/#comments Thu, 02 Sep 2010 15:06:56 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1382 Die Sprache der sozialen Gewalt erzwingt auf verschiedenen Ebenen Modifizierungen, selbst beim Schreibakt. Die Finger zittern, körperliche Ticks, übersetzt in Bilder, treten auf und Metaphern schaffen Strukturen, in denen ihr Licht an die Verzweiflung appelliert. Die Schriftstellerei verkündet für einige Momente eine Fluchtmöglichkeit von der Paranoia oder wirkt zumindest wie ein Placebo, mit dem wir in der Lage sind, das Innerste unseres Zynismus, den wir wie ein Schutzschild entwickelt haben, ein wenig ruhig zu stellen. Das ist mehr als Resignation, das ist ein Schutz. In anderen Momenten ist die Schriftstellerei die wörtliche Transkription eines permanenten Terror- und Panikzustands.

Wenn Gewalt sich in fast vollständiger Dunkelheit abspielt und der Operateur der Beleidigung virtuell unsichtbar und nicht greifbar ist (man kann ihn nicht gänzlich dem Staat zuordnen, aber den parallelen Mächten, die mit jenem zusammenspielen können oder auch nicht), ist die Interpellation, die von der Poesie als eine Art des Widerstandes entwickelt wurde, genauso mobil, nomadisch und vorübergehend. Das Gedicht transmutiert seine Materie, verkleidet sich und stellt das Klagegeschrei dar, das für die Vortäuschung des tatsächlich empfundenen Schmerzes steht (Pessoa).
Ein Leser dieser Poesie versucht gar, vor ihr zu entkommen: Er vergisst sie, er beseitigt sie, er verschmäht oder ignoriert sie ganz einfach. Ein anderer Leser zollt ihr Anerkennung, bebt mit ihr und verknüpft sie mit der tatsächlichen Entwicklung einer rettenden Fiktion. Wieder ein anderer Leser hält sie für eine minderwertige Form der fantastischen Literatur („Poesie mit Special Effects“), für Effekthascherei und Übertreibung. Die testimonialen Elemente, die diese Poesie vermittelt, werden stur in Frage gestellt. Spott kommt auf. Diese Leseweise ist somit eine andere Form der Gewalt, aus der sich die Poesie selbst weiter speist.

Die Qualität dieser gewaltsam behandelten Poesie steht in direkter Beziehung zum Grad der technischen Entwicklung, der durch die Erarbeitung von Rahmenbedingungen erreicht wurde, in denen jene maßlose Lyrik stattfindet. Die Poesie muss ihre schwarze Epiphanie mit der Geschwindigkeit und der Schlagkräftigkeit von jedem wichtigen Werk umsetzen. Der ästhetische Genuss, als oberstes Ziel, ist nicht verschwunden, jedoch zeigt sich ein möglicherweise unterirdischer oder heimtückischer Aspekt, bei dem die eigentliche Form sich der symbolischen Mutation angepasst hat, die sich auf der sozialen Bühne ereignet.

Im Kontext des möglichen Endes der Nachkriegszeit in Guatemala (wo wir in eine Epoche eingetreten sind, die bislang noch keinen Namen hat) wird der Poet nur ganz selten als ein für seine soziale Umgebung „engagiertes Subjekt“ wahrgenommen. Seine Vision reicht aus, um zu erkennen, dass auch die sozialen Räume verwüstet wurden, in denen sich einst die verschiedenen Milizen der öffentlichen Ordnung abgezeichnet hatten. Eine fragmentierte Stimme, die genauso hybrid, mestizisch, nomadisch ist, kann sich sicher sein, dass sie nie wie ein Slogan oder eine Losung aufgenommen wird.

Und der gedruckte Rhythmus dieses literarischen Geschehens entfernt den Poeten von dem kurzem Lehrgang oder der langatmigen Rede. Die Zukunft oder das Überleben der Textualität, die aus diesem Chaos entsteht, ist eng verbunden mit einer konstanten Mobilität und einem transgeographischen Puls. Sie bieten Schutz und ermöglichen Flucht vor der multiplen Gewalt, die den Körper und den Geist desjenigen erschüttern, der sich dafür entschieden hat, eine schriftstellerische, autonome und freie Tatsache zu vollstrecken. Diese Distanz würde die Darstellung einer Art des „imaginären Ninjitsu“ erlauben, geschmiedet aus einer neuen Variante des Exils (inklusive des inneren Exils), in das man sich vor einem spektralen, transkörperlichen und transideologischen Verfolger flüchtet, dessen Gesicht gänzlich unbestimmbar ist.

Deshalb nutzen wir das Beamen als ein Mittel, die Paralleluniversen zu besuchen, dort wo imaginäre Lösungen immer möglich sind.

Erinnern wir uns an Les Épiphanies von Pichette:

“Monsieur Diable: Au besoin mon garçon, libère tes jurons, vomis tes déboires. C’est de bonne médecine”…

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Mein Herz ist ein Grab, aber mein Mund ein Vulkan! http://superdemokraticos.com/themen/burger/mein-herz-ist-ein-grab-aber-mein-mund-ein-vulkan/ http://superdemokraticos.com/themen/burger/mein-herz-ist-ein-grab-aber-mein-mund-ein-vulkan/#comments Tue, 24 Aug 2010 22:10:06 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1164 Was ist der wichtigste Aspekt im Leben? Arbeit, Familie, Aktivismus, Teilnahme, Musik, Literatur? Ich könnte darauf antworten: Das, was mir am wichtigsten ist, sind die Anderen. Aber das wäre nicht genau genug. Um ehrlich zu sein interessiert mich aus diesem Universum ein äußerst geringfügiger Anteil: die mexikanischen Dichter und ihre Anhänger. Obwohl, wenn man es sich überlegt, ist dieser geringfügige Anteil nur eine Stichprobe (ich weiß nicht, inwiefern diese repräsentativ ist) für jenes, was wir „die Anderen“ nennen. Nun gut, denkt jetzt nicht, dass mir ihr Wohl am Herzen liegt, oder ähnliches. Man könnte fast sagen, das genaue Gegenteil ist der Fall.

Ich bin schwer an diesen Personen interessiert, aber eher als Konversationsthema. Um es auf den Punkt zu bringen: das, was mich auf dieser Welt am meisten interessiert, sind die Gerüchte und ganz besonders der Klatsch über die zeitgenössischen mexikanischen Dichter. Das ist mein Spezialgebiet und dem widme ich all die mir zur Verfügung stehende Zeit. Wer mit wem ins Bett geht und damit wen betrügt, wo, wie, weswegen und wofür, das alles erfüllt mich mit unglaublich großer Freude. Den wahren Grund eines Streits, einer Trennung, einer Publikation herauszufinden, baut mich auf. Je mehr Menschen involviert sind, je komplizierter die zur Debatte stehende Angelegenheit ist und je schlimmer die Gefühle sind, desto mehr gefällt es mir.

Natürlich muss man – wenn man beim Thema literarischer Klatsch up to date sein will – regelmäßig Leute besuchen, lange Zeit am Telefon verbringen, chatten und Facebook durchforsten. Das stellt für mich keinerlei Problem dar: Meine Freunde sind genauso neugierig auf Klatsch wie ich. Tatsächlich ist der komplette Verbund der mexikanischen Poeten gleichermaßen auf Klatsch versessen. Man behauptet, dieses Verhalten sei eine schlechte Angewohnheit aus den ersten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts, als die Schriftsteller und Künstler üblicherweise Teil der kommunistischen Zellen und Untergrundbewegungen waren. Wurde man mit einem Trotzkisten in einem Restaurant gesehen, wurde man zügigst aus der Partei verstoßen. Natürlich hielten sie sich damals nicht für Klatschmäuler, sondern für Informanten. In der heutigen Zeit kam es zu einer Entideologisierung des Klatsches, und er wird nur noch zum Vergnügen ausgelebt.

Manchmal bekam ich, wegen meiner Neugier auch schon Probleme. Aber ich konnte mich einfach nicht zurückhalten: Wenn eine Freundin mir ein pikantes Geheimnis erzählte, plauderte ich es nach dem zweiten Glas im Tausch für ein anderes pikantes Geheimnis aus. Es ist so schwierig, in der literarischen Welt loyal zu bleiben! Wie eine andere Freundin einmal sagte, sozusagen als Aperitiv zu einem Gerücht, das sie mir nicht erzählen durfte, aber erzählen musste: „Mein Herz ist ein Grab, aber mein Mund ist ein Vulkan!“

Genau um Probleme dieser Art in Zukunft zu vermeiden, habe ich mit einer Therapie begonnen. Ich entschied mich für einen orthodoxen Psychoanalytiker: Diwan, verschwiegener Analytiker, palavernder Patient. Mein Psychoanalytiker ist nun, nachdem er mich seit zwei Jahren behandelt, Experte für das Kommen, Gehen und die Nachrede der kleinen mexikanischen Dichterwelt. Manchmal, wenn ich befürchte, dass er sich allzu sehr langweilt oder gleich einschlafen wird, sage ich das Wort „Mama“ (das ja den Freudianern so sehr gefällt), nur um ihn aus dem Schlaf zu reißen und mit meiner Erzählung des aktuellen Wochenklatsches fortfahren zu können und zu wissen, dass ich nun seine ungeteilte Aufmerksamkeit habe. Ich empfinde es unglaublich beruhigend zu wissen, dass alles was ich ihm erzähle, nicht weitergegeben wird. Somit muss ich mich weder zensieren, noch das geringste Detail auslassen, das ich bei meinen Nachforschungen herausgefunden habe.

Selbstverständlich bin ich ein großer Fan von Madame Sévigné, jener Hofdame, die wie keine andere ein noch unbedeutendes Gerücht so ausgeschmückt aufschreiben konnte, dass es Jahrhunderte später beim Leser immer noch Krankhaftigkeit und glühende Neugier hervorruft. So weit will ich gar nicht gehen, aber natürlich bedauere ich es schon, dass die Poesie und die Poeten so wenig Interesse auslösen. Wäre es anders, könnte ich mir meinen Lebenstraum erfüllen: eine Fernsehsendung zu moderieren, die sich mit dem Klatsch und Tratsch über Dichter beschäftigt, so wie ähnlich jener, die dem Showbiz gewidmet sind. Leidenschaft, Liebe, Verrat, Drogenüberdosis, korrupte Literaturpreise, skandalöse Plagiate, Beziehungen, die nicht zugegeben werden können, und all das mit einer Prise literarischer Zitate!

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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