Computer – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 „Sitzt nicht so viel vorm Computador!“ http://superdemokraticos.com/laender/kolumbien/sitzt-nicht-so-viel-vorm-computador/ http://superdemokraticos.com/laender/kolumbien/sitzt-nicht-so-viel-vorm-computador/#comments Wed, 16 Nov 2011 17:15:34 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5817 Porträt der österreichisch-jüdischen Buchhändlerin Lilly Ungar, die die älteste mehrsprachige Buchhandlung Bogotás betreibt, die Librería Central.

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Lilly Ungar lässt es sich nicht nehmen: Jeden Morgen um 9.30 Uhr ist sie eine der ersten in der Librería Central im Norden von Bogotá, Calle 94, # 13-92. Sie setzt sich an ihren Schreibtisch, der an einer Wand zwischen der internationalen und der lateinamerikanischen Literatur steht, dort empfängt sie Gäste, Freunde, Mitarbeiter, Journalisten, aber auch Telefonate. Sie gibt Bestellungen auf, bespricht die Anordnung der Bücher in den Schaufenstern. „Ich kann nicht mehr 24 Stunden am Tag lesen, meine Augen sind nicht mehr so gut“, erklärt sie lächelnd. Sie durchforstet die Kataloge, die nationalen und internationalen Zeitschriften, bestellt aus Deutschland, den Staaten und Spanien und bei den kolumbianischen Filialen der Verlage aus Mexiko und Spanien.
„Haben wir genug von dem Jobs?“ Das Buch über den Apple-Gründer Steve Jobs werde doch gerade überall besprochen, das sollte auf jeden Fall sichtbar an der Kasse stehen. Die 90-Jährige Buchhändlerin und -liebhaberin, die vor 60 Jahren mit ihrem vor ein paar Jahren verstorbenen Mann Hans Ungar die erste Buchhandlung in Bogotá gründete, wie sie sagt, „sein Hobby und sein Glück“, spricht freundlich, aber bestimmt. Sie ist die Chefin hier über spanische, englische und deutsche Bücher. Und sie ärgert sich maßlos darüber, dass das lokale Goethe-Institut seine Bibliothek einfach auflöste, aus Platzgründen. „Wie soll man denn ohne Bücher eine Sprache lernen?“

Das Ehepaar Ungar leistete wie kein anderes einen Beitrag zur Kulturszene der Stadt: Es eröffnete die erste Galerie, die sich der zeitgenössischen kolumbianischen Kunst widmet und unter anderem die ersten Ausstellungen von Fernando Botero oder Alejandro Obregon organisierte; Hans Ungar machte sich einen Namen mit anthropologischen Reisen in unerschlossene Gebiete des Landes.
Während eine Mitarbeiterin uns Kräutertee serviert, nehme ich auf einem Ledersessel Platz, blicke auf Familienfotos an der Wand, eine volle Ablage und auf eine elegante Dame im Wollpulli mit Perlenketten, die ein singendes Wienerisch spricht, das gespickt ist von Spanizismen. „Zu Hause haben wir eine Bibliothek von 26.000 Bänden, die vier Zimmer füllen. In vier Sprachen, was einmal ein Problem für unsere Erben sein wird, die alle kleine Apartementos haben.“

1939 floh Lilly Ungar mit ihrer Schwester und ihrem Vater „aus politischen und rassischen Gründen“ gerade noch rechtzeitig aus Österreich, im September, als der Krieg ausbrach. Auf dem Schiff nach Kolumbien lernten die Geschwister aus einem Buch Spanisch, Lilly Ungar war noch keine 18 Jahre alt, jede Person durfte nur 25 Dollar mitnehmen. Zunächst lebten sie ein Jahr in Medellín, wo der Bruder schon einen Posten hatte. Als er dann einen besseren in Bogotá fand, zogen alle mit ihm um. Dort lernte Lilly ihren Mann Hans kennen. „Trotz allem, was passiert ist, reisten wir später einmal im Jahr nach Wien, wir hatten doch viele Freunde dort. Heute sind nicht mehr viele übrig“, berichtet sie leise.

Aus Lilly Ungar spricht eine selbstverständliche Kultiviertheit. Gerade habe sie wieder Thomas Manns „Joseph und seine Brüder“ wiedergelesen und es ganz anders verstanden als früher. Das Buch steht in spanischer Übersetzung an der Kasse – neben Jobs und neben dem aktuellen gefeierten Roman „Tres ataúdes blancos“ ihres Sohnes Antonio Ungar, der in Palästina lebt, einem Politthriller über das fiktive Land Miranda, das nicht nur zufällig Kolumbien ähnelt.

Mit einem unerschütterlichen Glauben hat Doña Ungar zeitlebens die Literatur verteidigt. Doch nun sieht sie eine aktuelle Bedrohung: „Der Computador ist ein großer Schaden für alle Buchhandlungen. In Paris haben 35 Prozent der kleinen Buchhandlungen schon zugesperrt.“ Daher wünscht sie sich, dass „die Leute mehr lesen und weiter Bücher kaufen, und nicht nur am Computador sitzen. Wir als Kinder waren glücklich, wenn man uns Bücher geschenkt hat.“ Zum Abschied schenkt sie mir zwei Bonbons, und den Rat, mich in Ruhe unter den 35.000 Büchern des Ladens umzuschauen. „Lassen Sie Ihre Tasche hier bei mir unter dem Schreibtisch, das ist der sicherste Ort.“

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Beziehungsweise Geräte http://superdemokraticos.com/editorial/beziehungsweise-gerate/ http://superdemokraticos.com/editorial/beziehungsweise-gerate/#comments Sun, 01 Aug 2010 14:14:44 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=564 Da liegt etwas neben mir und blinkt, als ob es atmet. Manchmal nehme ich es auf den Schoß, dann wird mir ganz warm. Ich spreche hier nicht von einem Fahrradlichtdildo oder einer Katze mit blitzenden Augen, nein, ich spreche von einem Gerät. Habe ich ein Verhältnis mit meinem Computer? Was für eines ist das? Hat er sich in eine herzförmige Box verwandelt, die meine Gefühle kontrolliert?

Viele Texte der Superdemokraten befragen die Möglichkeit von Intimität in Zeiten des Webs. Die einen sprechen von Internetsex (Agustín Calcagno), die anderen vom Voyeurismus in sozialen Netzwerken (Liliana Lara). Genau diesen Beobachtungen geht der Schweizer Essayist, Physiker (und Jazzmusiker) Eduard Kaeser in seinem Buch „Der Körper im Zeitalter seiner Entbehrlichkeit nach und fordert „Körpermündigkeit“: Weil wir immer mehr in „Technotopen“ lebten, umgeben und abhängig von Maschinen, die unsere Arbeit und unser Leben und vor allem auch unsere Liebe strukturieren, komme uns die materielle Welt immer mehr abhanden. Wir nähmen sie auf über immaterielle Sinneswahrnehmungen, die uns die Geräte filtern und anbieten. Wir seien mutiert zu „Schnittstellen-Wesen“.

Ich glaube nicht, dass das schlimm ist, sondern einfach ein Teil meiner Realität, mit der ich umgehen lernen muss. So wie ich mit meinen Vorstellungen von Sexualität, Ehe, Familie, Liebe, Gender umgehen lernen muss, die bestimmten (erlernten) Realitäten oder Fiktionen (Filmen, Romanen) entsprechen. Davon erzählen auch Fernando Barrientos, Leo Felipe Campos, Javier Badani, Lizabel Mónica oder René Hamann ihren Essays. Diese Realitäten führen an der Nase herum wie die Karotte den gutgläubigen Esel. Aber wir müssen einfach stehen bleiben. Uns spüren. Die Rettung, die Zukunft, was auch immer kommen mag, liegt nicht im anderen (in der Karotte) sondern in uns selbst. In der Kraft, den Gefühlen, den Worten, die uns umgeben. Die online und offline zu uns kommen.

Ich bin sehr begabt darin, meine Geräte zu zerstören (so ähnlich, wie ich gut darin bin, überall anzustoßen und mir blaue Flecke zu holen). Meinen letzten Laptop hab ich mit Tee geflutet, mein Handy fällt mir oft aus der Hand, es ist nun von feinen Nadelrissen geschmückt. Es trägt Narben als ob es ein Körper wäre. Und daher behaupte ich weiter: Vor einem Computer weinen, ist intim. Hinter einer Glaswand darüber singen, was man im Leben verstanden hat, das ist intim. Youtube-Videos verschicken ist auch intim. So zeigen wir uns im „durchsichtigen Kostüm“ (Tilsa Otta), werden verletzlich, aber bleiben, trotz aller Digitalität, höchstmenschlich.

Und wenn wir uns das nächste Mal sehen, umarmen wir uns. Denn Menschen sind besser als Geräte.

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