Bücher – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Die wilden Fußball-Bestien http://superdemokraticos.com/laender/kolumbien/die-wilden-fusball-bestien/ Tue, 11 Oct 2011 07:15:34 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5247 Immer, wenn Fußball ist, dreht Iowa City durch. Die Straßen werden zu Flüssen aus Menschen und alle Leute tragen nur Schwarz und Gelb – von Kopf bis Fuß. Die Frauen malen sich das Logo der Hawkeyes ins Gesicht und die Männer tragen es auf ihren Unterhosen. Es gibt auch welche, die sich komplett als Hawkeyes verkleiden, mit Federn aus Stoff laufen sie auf den Gehwegen Rollschuh, und Betrunkene, die darauf bestehen, dass du mit ihnen High-Five einschlägst. Vor dem Spiel betrinken sich die Menschen in den Bars, und nach dem Spiel kommen sie zurück, um sich weiter zu betrinken. Wenn die Hawkeyes gewinnen.

Heute haben sie gewonnen. Aus meinem Fenster sah ich einen Streit, ich sah eine Frau in Stöckelschuhen, die ohnmächtig wurde und sich wieder fing, kurz bevor sie auf den Boden aufschlug. Ich sah ein paar Typen tatsächlich auf dem Boden liegen und einen Bettler mit einem Schild, das ihn als Mitglied der „Small Penis Foundation“ auswies. Die Leute lachten darüber und warfen Münzen in den Becher. Der Typ machte sich die kollektive Hysterie zunutze. Genau wie ich. Ich ging durch die Straßen und dachte über die Rolle des Intellektuellen in der Gesellschaft nach. Geheule, Beschimpfungen, heimliche Küsse, gefallene Menschen. Alles in Schwarz und Gelb. Niemals zuvor habe ich soviel kollektive Hysterie gesehen.

Wenn die Welt ein Dorf wäre und dieses Dorf hieße Iowa City, würden lediglich zwei Klassen von Menschen auf dieser Welt existieren. Die wilden Fußball-Bestien und die Intellektuellen. Iowa City ist der Sitz des Iowa Writers‘ Workshop, des Iowa Playwrights‘ Workshop, des Iowa Summer Writing Festival, des Non-fiction Writing Program und des International Writing Program. Auch wenn Iowa City nicht den Weltrekord in literarischen Programmen hält, wurde es dennoch von der UNESCO zur Weltliteraturstadt erklärt.

Ich bin in dem International Writing Program, als „resident writer“ mit 36 weiteren Autoren aus aller Welt: Menschen aus Australien, Neuseeland, aus West-und aus Ost-Europa, aus Irland und Schottland, aus dem Mittleren und dem Fernen Osten, aus Afrika und Lateinamerika. Dichter, Dramaturgen, Romanautoren, nicht-fiktionale Autoren, Verfasser von Kurzgeschichten. Aber in Wahrheit sind 37 Schriftsteller in Iowa City eigentlich nichts. In Iowa City ist jeder ein Schriftsteller. Jeder, der kein Fußball-Wilder ist.

Der Barmann, der uns im FoxHead bedient, ist Dichter, die Freundin der Frau, die ich eben kennengelernt habe und die in der Bar auf einen Mann wartet, ist Literaturkritikerin, eine, die ich gerade erst kennengelernt habe, die in der Bar auf einen Mann wartet, ist Englischprofessorin und der Mann, auf den sie wartet, ist Schriftsteller. Romanautor aus dem Writers‘ Workshop. Angehender Romanautor, besser gesagt. Der Typ kommt. Cordjacke mit Flicken auf den Ellbogen und Büchern unter dem Arm. Nachdem er uns die Hand gegeben hatte und wir unsere Namen genannt hatten, folgte das hier:

–Ach, du bist also Schriftstellerin, wie alt bist du denn?

–39.

–Wie viele Bücher hast du schon herausgebracht?

–Drei.

Maria lacht über diese Geschichte. Maria ist die Argentinierin aus dem International Writing Program. Sie sagte zu mir, ich hätte ihm die Gegenfrage stellen sollen: Und, Alter, wie lang ist deiner? Schau dir die doch an, sagt sie auf einen Passanten zeigend, schau sie dir doch an. Der Passant trägt Bücher unter seinem Arm, eine Zigarre und eine Baskenmütze. Schau dir die Verkleideten doch an. Das Lachen der Argentinierin sprudelt nur so aus ihr heraus und ist ansteckend.

Ich ging lieber, um mit Brandon zu reden. Brandons Arbeit ist es, die Schule zu putzen. Er ist die erste Person in Iowa City, die ich kenne, die kein Schriftsteller ist. Na ja, obwohl er manchmal sagt, dass es ihm gefallen würde oder das es ihm gefallen hätte oder es ihm unter Umständen doch zugesagt hätte zu schreiben. Ich wechsle dann das Thema. Brandon, lass uns raus gehen.

Draußen vor dem FoxHeart trifft man immer auf die Raucher des International Writing Programs. Und auf alles mögliche. Der Südafrikaner beschimpft eine wilde Fußball-Bestie, die schimpfend vorbeiging. Der Philippine liegt auf dem Boden, weil er zu viel Whiskey getrunken hat, er, der eigentlich nur Bier trinkt. Die Deutsche gibt Kampfschreie von sich, während sie Karateschläge verteilt. Ein Paar, weiter weg, in der Kälte, gibt sich den Kuss, den sie sich nicht geben sollten und den die anderen Leute nicht sehen sollte.

In Iowa City gibt es nur am Samstag Spiele und die wilden Fußball-Bestien dösen die Woche über. Und wir, ja wir schreiben auch, nehmen an Diskussionsrunden teil und halten Lesungen. FoxHead hat Montags Ruhetag, oder war es Sonntag?

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Die Bibliothek von Babel http://superdemokraticos.com/laender/bolivien/die-bibliothek-von-babel/ Wed, 13 Oct 2010 11:37:51 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2908
Die Frankfurter Buchmesse könnte der Bibliothek von Babel von Borges eigentlich sehr ähnlich sein, nur, dass man in diesem Fall von unendlichen Hallen spricht und nicht von Sechsecken und dass hier alle Exemplare, die berührbaren und die unberührbaren, zum Verkauf stehen. Hier ein bestimmtes Buch zu suchen, ist wie eine Nadel im Heuhaufen zu suchen. Und das Paradoxe daran ist, dass die weltweit größte Ausstellung von Verlagsneuheiten in einer Sprache stattfindet, die nur ein paar Millionen Menschen verstehen.

Bild von Paul Mollig

Selten habe ich mich so glücklich gefühlt, auf Deutsch lesen zu können. All die Jahre des Lernens, der Arbeit, haben es ermöglicht, meine Neugier unendlich zu machen. Genau wie in der Erzählung von Jorge Luís gibt es auch hier kein individuelles oder globales Problem, für das es keine eloquente Lösung gäbe. Von ranzigen Romanen für Mitglieder des Opus über japanische Mangas für große Kinder, die ihre auffälligen Kostüme in den Fluren spazieren tragen (Figuren, die ich in meiner Ignoranz auf den Namen Pokemons getauft habe) bis hin zu wahren Kunstwerken, die aus den entlegensten Ecken der Welt kommen.

Für einen durchschnittlichen Leser ist der erste Tag in diesem Labyrinth von unschätzbarem Glück. Die Habgier treibt einen zu einem verrückten Wettlauf durch die Gänge an, um Stunde für Stunde gedruckte Seiten anzusehen, Buchrücken, Titel, Wörter, dazu zu versuchen, all die Kombinationsmöglichkeiten, die das Alphabet bietet, zu betrachten. Am ersten Tag liegen alle auf der Lauer, in der Erwartung auf ihre Rechtfertigung zu treffen, auf jenes Buch, dass die passende Botschaft enthält und die persönliche Zukunft bestimmen wird. Das Gelände ist voller Eroberer oder offizieller Sucher, bewaffnet mit ihren Katalogen, die Geschäfte abschließen, während sie auf fettigen Würstchen herumkauen, die so teuer sind, dass man ihr Gewicht in Gold aufwiegen könnte.

Am zweiten Tag verändern sich die Dinge, die ungestüme Hoffnung des Durchschnitts-Menschen wird durch die Beklommenheit ersetzt, durch die Erkenntnis, dass viele fundamentale Bücher in den Regalen verborgen sind. Und dass er möglicherweise niemals in der Lage sein wird, die Buchrücken und die Klappentexte von all diesen Büchern zu lesen, die wichtig scheinen und unbeachtet vorüberziehen. Die Pokemons laden ab dem dritten Tag dazu ein, die Suche abzubrechen und sich ihrer naiven Bewegung anzuschließen, bei der die Worte fast gänzlich durch Bilder, durch Zeichnungen, ersetzt werden und der Sinn seine gesamte Wichtigkeit verliert.

Unter denen, die vier Tage am Stück auf der Messe überlebt haben, gibt es Stimmen, die behaupten, dass die Bibliothek keinerlei Sinn ergibt, dass der Unsinn der Industrie zu einem unverantwortlichen Gebrauch von Tausenden und Abertausenden von Millionen an gedruckten Blättern führt, die den Bäumen gewaltsam abgerissen wurden. Am fünften Tag kann bekanntermaßen niemand mehr eine einzige Silbe formulieren, die nicht erfüllt ist von der Zärtlichkeit und den Ängsten der uns vorangegangenen Menschheit, auch wenn die blonden Konzern-Klone versuchen, uns mit ihren Pressemitteilungen vom Gegenteil zu überzeugen. In Frankfurt, wie auch auf dem restlichen Buchmarkt, sieht man die Innovationsmöglichkeit in den Kombinationen des schon Existierenden und der tatkräftigen Arbeit mit den Freunden ausgestellt. Ich werde niemals aufhören, ein Fan der unabhängigen Verlage zu sein.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Mäuschen in der Säule http://superdemokraticos.com/themen/burger/mauschen-in-der-saule/ Mon, 11 Oct 2010 08:56:35 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2857

Dieser Text ist der Mäusefamilie gewidmet, die an der Hauptwache in Frankfurt in einer Säule lebt, mit etwa 14 Mäuschen-Kinderchen. Hektische und putzige Nachtarbeiter im Kollektiv. Dieser Text ist folglich den Diminutiven gewidmet, die Zaubertricks gegen Superlativen.

Dieser Text ist auch der Sprache gewidmet, mit der ich in den vergangenen Tagen kommuniziert habe, die mich unter spanischsprachigen Freunden in eine mir manchmal unangenehme Fremdheit trägt, weil ich die Sprache eher zufällig durchs Leben, nicht in der Schule gelernt habe. Ich nenne diese Sprache „espanol falso“, Falschpanisch. Das ist die pseudomigrantische Währung, die ich unter der Zunge trage.

Frische Äpfel von meinem Brandenburger Bauern, Notizblock, Kamera, ansonsten eine leere Tasche. Dies war nicht meine erste Frankfurter Buchmesse, sondern meine fünfte. Ich fühlte mich vorbereitet. Aber dann kam, als ich die unendlichen Regale sah, eine neue Angst über mich, eine Angst, die ich bisher noch nicht erlebt hatte und die vielleicht mit meiner Rolle als Superdemokratin zu tun hatte: Wer soll das lesen? Ich nicht, niemals. Und selbst, wenn ich eine wohlüberlegte Auswahl träfe, wann könnte ich dann noch schreiben, geschweige denn handeln? Der Teufelskreis der Leser-Schreiber-Bürger lähmte mich zunächst.

Aber zum Glück traf ich viele andere Leser-Schreiber-Bürger auf Gängen, an Ständen, auf Parties, Menschen, die Bücher lieben und klauen und ihre ganz privaten guten Bücher, diese kleinen Geistesbomben, weitertragen oder selbst gestalten, wie die unermüdlichen Eloisa Cartoneras. Die Bomben-Metapher ist geklaut; der unabhängige argentinische Verlag Clase Turista hat bereits ein Buch mit Zündkabel gestaltet.

Ich, als Säulenmensch. Foto: Viktor Nübel

Unabhängige Verlage, ob in Argentinien oder in Deutschland, stellen unter vollem Einsatz ihrer Person und Persönlichkeit solche relevanten Kunstobjekte her, intellektuelle Eingreiftruppen auf dem oft doch sehr gleichgeschalteten Markt. Sie treffen „Entscheidungen für die Zukunft“, wie es Sergio Parra, vom chilenischen Verlag Metales Pesados ausdrückte. Ich fühle mich schon ein wenig heuchlerisch, das jetzt auf ein Blog zu schreiben, aber die „literarische politische Theorie“, die alle Autoren von Los Superdemokraticos in den vergangenen vier Monaten virtuell entwickelt haben, soll es auch in ein paar Monaten gedruckt geben. Wir gehen einfach mal rückwärts: erst online, dann offline. Erst digital vernetzen, dann physisch verbreiten.

Bei der Präsentation des „2010 Ranking of the Global Publishing Industry“ hörte ich mir an, was die großen Konzerne in der Zukunft vorhaben. Trotz der Finanzkrise geht es, so erfahre ich, der Verlagsbranche nicht allzu schlecht, denn die digitalen Märkte boomen, ob in den USA, Spanien oder Deutschland – wie ist das in Lateinamerika?? Die Verlage machen keinen Unterschied mehr zwischen digitalen und, wie sie sagen, „physischen“ Büchern, einzig die Vermarktungswege wären unterschiedlich, hier kommt es auf die Vertriebswege an, aber auch um Zusatzservices wie Empfehlungen, nicht nur nach Algorhythmen. Aha, sag ich da, es geht um menschlichen Austausch. Carolyn Reidy vom US-amerikanischen Großverlag Simon & Schuster macht bei dieser Veranstaltung die poetischste Aussage: „Es werden sich neue Ebookformate entwickeln, aber wir haben sie noch nicht entdeckt. Das macht die nächste Generation, sie haben andere Gehirne als wir.“ Das kann ich bestätigen. Nach dem Aufstehen lief aus meinem linken Auge eine Wasserspur wie aus einer Tränenmaschine. Als ich in der Apotheke Tropfen kaufen wollte, sagte ich: „Es sieht so aus, als ob ich weine, aber ich weine nicht. Mein Auge macht das einfach so.“ Das kommt bestimmt vom Messeklima. Bücher wie Mäuse sollten auch mehr an die frische Luft!

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Globusse, Balkane und Literatur http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/espanol-globos-balcanes-y-literatura/ Mon, 27 Sep 2010 15:01:57 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2230 Wir waren 18 Jahre alt, ein bewegtes Jahrhundert neigte sich dem Ende entgegen und ich und mein Freund Boris suchten wie Drogensüchtige nach Büchern. Da es in unserer Stadt keine Buchhandlungen (bzw. eine mit geringer Auswahl) gab, konzentrierten wir unsere Suche auf die Bücherregale unserer Verwandten und Freunde: Wir fragten nach, liehen Bücher aus oder klauten welche (aus den Bibliotheken, die durch Einschränkungen, schlechten Geschmack und Betriebsroutine verwaist waren). Es war uns egal; wir machten Gebrauch, von dem, was wir fanden: Wir waren glücklich in unserer Beschränkung. Das Lesen hielt uns an, immer mehr zu lesen, ohne dass wir sonderlich an die Zukunft oder die Konsequenzen dachten. Eines Tages erreichte uns das Gerücht, dass Herr Soundso angeblich die gesammelten Werke von Jorge Luis Borges in der Emecé-Ausgabe von 1979 besaß. Nachdem wir die ungefähre Adresse des besagten Besitzers ermittelt hatten, fuhren wir auf Boris’ schrottreifen Motorrad los und klingelten zwischen zwei Straßen an jeder Haustür, bis wir an die richtige Tür gelangten. Ein Typ, den wir noch nie gesehen hatten, öffnete uns die Tür, verschwand nach einer kurzen Erklärung von Boris wieder in der Wohnung und kam mit besagter Ausgabe in grünem Einband wieder. Wir fuhren sofort zum Kopierladen und brachten ihm nach einer Stunde sein Buch zurück. Dass es keine Bücher gab (heute gibt es auch nicht viel mehr als damals), schien mir auch ein Symptom des spießigen und obskuren Angestelltenprofils in der Stadtverwaltung: Es ist schließlich leichter, jemanden zu beherrschen, der uninformiert ist oder nicht weiß, was er mit Informationen anfangen soll.

Uns war die Welt damals weit und fremd, auch wenn dies gerade dabei war, sich zu ändern. Wir sollten bald dazu gezwungen werden, unsere Antennen vom analogischen auf das digitale Modell umzustellen. Ein Jahr bevor das 20. Jahrhundert zu Ende ging, konnten wir schon Zeitungen und Magazine im Internet lesen, die vorher für uns nirgends zugänglich gewesen und in unserem monothematischen Zirkel mythischen Status genossen hatten: Mit einem Klick fühlten wir uns selbst gegenüber nun wahrhaft zeitgenössisch. Aber in der „Realität“ zirkulierten weiterhin sehr wenige Bücher und der Klang der „Realität“ hatte mehr Akkorde in Moll denn in Dur: übertrieben hohe Buchpreise bei Lumpengehältern, deren Kaufkraft jeden Tag abnahm, Geringschätzung der Rolle der Literatur, das Aufkommen multinationaler Konsortien, die sich anschickten, unsere „Nationalliteratur“ zu umsäumen (indem sie tendenziöse Debatten führten, Autoren und Werke ignorierten, den Dialog zwischen literarischen und linguistischen Traditionen, die sich nicht um ihr mittelmäßiges Kriterium der nationalen Grenzen scheren, nicht berücksichtigten, indem sie Schulbuchtexte herausbrachten, in denen der Sinn der Literatur in der erzieherischen Funktion verloren ging etc.). Die von diesen Konsortien geförderte „Nationalliteratur“ war in vielen Fällen nichts als ein ideologischer Pakt zwischen einer Öffentlichkeit (die diese teuren Bücher kaufen und die Lektüre dieser klassistischen Bücher genießen konnte) und einem Autoren (der oftmals aus eben dieser sehr begrenzten Öffentlichkeit stammte). Viele Aspekte haben diesen perversen Effekt zu unterminieren begonnen, unter anderem der Zugang zu Literatur über das Internet.

Auch wenn es hier keine Buchhandlungen gibt, die an Supermärkte erinnern, in denen Bücher wie Waren mit einem Verfallsdatum verkauft werden (wodurch viele wertvolle Bücher in Vergessenheit geraten), so verharren wir doch in der Position eines kulturellen Flohmarkts, auf den nur die Abfallprodukte und Überschüsse der großen Märkte gelangen. Das, was einige Autoren (unter anderen Piglia und Link) die „Balkanisierung“ der lateinamerikanischen Literatur nennen. Ramsch wie Selbsthilfeliteratur, miserable Übersetzungen von Klassikern, unechte Bestseller, aber fast nie jene Werke, die unsere (gemeinsame, aber unendlich vielseitige) Sprache transformieren und erweitern, die unser Verständnis davon, was es heißt, Lateinamerikaner zu sein, verändern, die den Kanon reformieren etc. Solange das so bleibt, werden wir dank des Internets – mit all seinen Begrenzungen und unseren Illusionen, mit Geduld, aber auch mit Zorn – weiter Widerstand leisten. Seiten aus Sandstein, die ich mit meinem Freund Boris weiter verschlingen werde. So einfach geben wir nicht auf.

Übersetzung: Anne Becker

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Leiser Komplott http://superdemokraticos.com/themen/burger/espanol-el-complot-silencioso/ http://superdemokraticos.com/themen/burger/espanol-el-complot-silencioso/#comments Fri, 27 Aug 2010 15:47:39 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1313
Ich praktiziere einen einsamen Aktivismus: Ich treffe mich mit anderen, um Bücher zu verlegen. Getrieben von der unschuldigen Perversion, das Buch als ein quasi magisches Objekt zu betrachten, habe ich mich mit ein paar weiteren Personen fast aus Zufall zusammengetan und damit begonnen, der Kulturindustrie ein wenig von dem verdorbenen, verführerischen Aberglauben zurückzugeben, der uns in unserer Kindheit eingeimpft wurde. Leute mit unterschiedlichen ästhetischen Auffassungen, verschiedenen Geschmäckern und Lektüren, die sich in einem unbesiegbaren literarischen Kampfgeist vereinen. Ein Miniaturheer, das bereit ist, aufs Ganze zu gehen, ohne viel zu erwarten. Alles wegen eines Objekts aus Papier.

Dieses scheinbar bedeutungslose Ding, das Buch heißt, ist für mich (und für die halbwegs verrückte Truppe) von großer Bedeutung. Ich gehöre zu der Sorte Mensch, die glaubt, dass man durch die Lektüre eines Buch jede Erfahrung vorweg machen kann: vom Bau einer Bombe bis zu den unergründlichen Mysterien der Liebe über den Fischfang und die Entdeckung von bisher unbekannten Orten in einem selbst. Ich habe mich für alle möglichen Verrichtungen der Bücher bedient, einschließlich für den Gesetzesbruch (klar, Bücher habe ich auch geklaut, was für eine Frage). Der Einfluss, den die Lektüre eines Buches auf das Leben von jemanden haben kann, ist unermesslich: Ich habe die rebellische Seite der Politik durch underground fanzines entdeckt, die ich in meiner Jugend in den 90ern (des vergangenen Jahrhunderts!) gelesen habe. Für mich charakterisiert das Prä-Internet, das Netz unplugged, jene Epoche des Austauschs und der Entdeckungen. Seit damals habe ich begonnen, an dem zu zweifeln, was für normal oder natürlich gehalten wird, seit damals habe ich das Gefühl, dass alles einen anderen Sinn hat.

In einem Land, in dem die Analphabetenrate extrem hoch ist (man muss abwarten, wie die jetzige Alphabetisierungskampagne vorankommt), das intellektuelle Leben wenig Tradition hat und für die große Mehrheit der Bevölkerung Bücher unerschwinglich sind, haben mich in meiner Arbeit drei Personen sehr inspiriert: Franco (ein reiselustiger Anarchist, der in einer Stadt ohne Buchläden Raubkopien von Klassikern und avantgardistischer Literatur anfertigte), Marcelo (jemand, der auf die harte Tour lernen musste, dass nicht nur „das Schöne“ zählt, sondern auch so prosaische Dinge wie der Markt) und Alison (eine promovierte Anthropologin mit einem exquisiten, freakigen Literaturgeschmack, die ihre eigenen Werke verlegt hat  – und die zu den besten meines Landes gehören – und die von weiteren mit Feder und Faust zur Randexistenz Verdammten). Von Nahem zu sehen, wie diese drei durch Widrigkeiten hindurch surften, brachte mich dazu, meinen eigenen Weg in der Welt der Verlage einzuschlagen. Eine Welt, in der die Autoren sich über den Mangel an Aufmerksamkeit und Privilegien seitens der Verleger und über die geringe Anzahl guter Lektoren und scharfsinniger Kritiker beklagen, eine Welt, in der die Verleger sich über den nachlässigen Umgang der Grafiker mit der Rechtschreibung und über die schonungslose Logik des Größenvorteils der Druckereien beschweren, eine Welt, in der die Drucker über die Schikanen der Papierlieferanten jammern, etc. Anstatt in diesem Beschwerdezirkel zu verbleiben, beschlossen wir, unsere Kontingenz mit Hoffnung und Dankbarkeit anzunehmen.

Im Mai 2008 habe ich mich mit anderen zusammen geschlossen, um unseren Narzissmen großzügiger zu dienen und Bücher zu verlegen (bisher ein Gedichtsband, drei Bücher mit Erzählungen und eine Anthologie lateinamerikanischer Literatur) und ein Blog zu betreiben, mit dem Ziel den Prozess zu rationalisieren. Wir wollen einen fehlerlosen und repräsentativen Katalog schaffen: Wir bewundern alle den Fetisch des „Neuen“. Manchmal ist es sehr schwer, und wir haben das Gefühl, alles sei verloren. Aber dann erinnern wir uns wieder daran, dass wir unser Schicksal auf uns nehmen. Wenn es einfach wäre, wäre es witzlos.

Übersetzung: Anne Becker

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Verlorene Paradiese http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/verlorene-paradiese/ http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/verlorene-paradiese/#comments Fri, 09 Jul 2010 16:26:20 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=444 Da ich ja schon wusste, was mir passieren wird, habe ich versucht, das Lesen der letzten Seiten so lange wie möglich hinauszuzögern. Aber gestern Nacht habe ich es einfach nicht mehr ausgehalten und Die Grasharfe von Truman Capote zu Ende gelesen. Es ist immer das Gleiche: Jedes Mal, wenn ich einen Roman zu Ende lese (oder wenn ich eine der Miniserien, die mein Verderben geworden sind, zu Ende gesehen habe), überfällt mich eine Art Melancholie. Ich will das jetzt nicht dramatischer darstellen, als es ist: Es handelt sich um ein vages Gefühl der Leere, das ich wieder loswerde, indem ich die Teller vom Abendessen abwasche oder wenn das Telefon klingelt.

Aber dieses vage Gefühl des Verlusts kommt hier zur Sprache, weil das Ende der Geschichte mich in eine Gegenwart stürzt, die ich für einen Moment sinnfrei finde. Sagen wir mal, die Zeit der Erzählung wäre eine historische Zeit: Sie schreitet voran, immer weiter. Jedes Mal also, wenn ich einen Roman zu Ende gelesen habe oder das Ende einer Miniserie gesehen habe, erlebe ich einen kleinen Teil von dem, was manche den Weltuntergang nennen, diese andere Geschichte. Ja, natürlich übertreibe ich! Und natürlich kann man ein gutes Buch immer wieder lesen, aber man muss auch sagen, dass das ein schwacher Trost ist: Das Buch ist Teil der eigenen Vergangenheit geworden und man kehrt zu ihm zurück, wie man an einen bekannten Ort zurückkehrt: ein verlorenes Paradies.

Mit der Poesie geht mir das nicht so. Ein Gedicht verlangt von einem, dass man sich ihm immer und immer wieder zuwendet. Traurig zu werden, weil ein Gedichtband zu Ende ist, wäre so, als ob man traurig wäre, wenn eine CD aus ist. Lächerlich. Eine CD, die wir so oft einlegen können, wie wir wollen: Genau so ist ein Gedichtband. Die Zeit der Lieder ist die Zeit der Gedichte: die sich wiederholende, besser gesagt mythische Zeit, dessen, was immer wiederkehrt. Als Exempel dafür halte ich die CD für erstaunlich: Sie eignet sich die sich wiederholende Zeit an: Sie ist rund: Sie dreht sich. Und man macht immer das selbe Lied an.

Vor einigen Jahren habe ich begeistert María Zambrano gelesen – und ich muss zugeben, das gefällt mir jeden Tag weniger. Dennoch bin ich immer noch fasziniert von ihrer Interpretation der Schöpfungsgeschichte. Für sie besteht die Erbsünde darin, in die Falle der Zukunft getappt zu sein. So sagt die Schlange: „(…) und ihr werdet wie Götter sein.“ Das Problem liegt an der Zeitform, in der das Verb konjugiert wurde. Adam und Eva fielen auf die Idee einer besseren Zukunft herein, das heißt, auf die Logik des Fortschritts und verloren damit den Genuss des Moments, und somit das Paradies. Die Zeit spaltet sich: die Vorstellung einer Zukunft wird geboren und damit die Vorstellung einer Vergangenheit. Das ist der Anfang der Geschichte.
Es stimmt, jedes Mal wenn ich einen Roman zu Ende lese, ist es das Ende der Geschichte, aber auch der Anfang: die Vertreibung aus einem Paradies. Und ich finde mich immer am selben Ort wieder: in einer leeren Gegenwart, für die ich einen Sinn erfinden muss, um sie wieder tolerieren zu können (nichts im Vergleich mit dem Genuss des Moments). Das heißt, ich muss sie in die Geschichte integrieren, sie zu einer Erzählung verarbeiten: Wie anstrengend! Ich mach lieber den Fernseher an.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Eine Jugend voller Schuld hat Folgen http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/eine-jugend-voller-schuld-hat-folgen/ http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/eine-jugend-voller-schuld-hat-folgen/#comments Tue, 06 Jul 2010 16:57:33 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=424 Manchmal frage ich mich, was sich unsere Eltern wohl gedacht haben, wenn sie in den 80ern und 90ern im Kinder- und Jugendbuchladen nach neuen Kinder- und Jugendbüchern für uns Ausschau hielten? „Ui, ein Buch über einen 14-jährigen Flakhelfer, der in den letzten Kriegstagen getötet wird. Das nehmen wir!“ Und: „Oh, ein Buch über eine Zugfahrt nach Birkenau. Und am Ende sind alle tot. Das nehmen wir auch!“ Oder: „Oh lala, ein Buch über einen Widerstandskämpfer, der von der Gestapo zu Tode gefoltert wurde? Davon nehmen wir gleich drei.“

Was auch immer sie sich gedacht haben, sie haben mich früh zum Rechnen in Millionenbeträgen gebracht: 42.000 Zuschauer passten in das Stadion meiner Heimatstadt, ich stellte mir 1000 mal dieses Stadion vor, ausverkauft, 1000 Stadien aus der Luft, wie auf Kästchenpapier. Was Neunjährige halt so tun, wenn ihnen beständig gesagt wird: „Sechs Millionen!“

Dauerberieselung in Fragen einer monströsen „deutschen“ Schuld

Auf dem Gymnasium übernahmen die Geschichtslehrer: Ein konservativer zeigte uns den „Hitler“-Film von Joachim Fest und sich auch sonst recht überzeugt davon, dass es ohne das Charisma jener einen Person nie so weit gekommen wäre. Ein Marxist sprach viel von der Krise des Kapitalismus und den Verwicklungen des preußischen Großkapitals in Hitlers Aufstieg. Ein Intellektueller, dessen Frau Psychoanalytikerin war, las mit uns Klaus Theweleits „Männerphantasien“ und versuchte, uns von der verheerenden Rolle der preußischen Kadettenanstalten zu überzeugen. Welche Deutungsvariante auch vorgezogen wurde, eine westdeutsche Jugend in den 80ern und 90ern war stets düster eingefärbt: Es herrschte Dauerberieselung in Fragen einer monströsen, wenn nicht Kollektiv-, so doch eindeutig „deutschen“ Schuld.

Heute wird diese „schwarze Pädagogik“ gerne angeprangert, bevorzugt von jenen unheiligen Allianzen aus liberalen, libertären und nationalen Kräften, die sich auch gegen „Denkverbote“ stark machen und die „Diskriminierung“ derer geißeln, die keine „Maulkörbe“ mehr tragen wollen, „nur weil vor 70 Jahren …“. Wenn eine grenzdebile Nachrichtenvorleserin mit dem „Man muss auch mal sagen dürfen …“-Timbre in der Stimme die Olympischen Spiele von 36 für ihre perfekte Organisation lobt (ist noch nicht passiert, wird aber kommen), stehen diese „Neuen Konservativen“ bereit, um ihr ein „Forum“ zu geben, weil man „das in einer Demokratie aushalten können muss“.

„Kann man jetzt nicht langsam mal wieder?“ Nein, kann man nicht!

Muss man das wirklich? Ich meine nicht – meine Eltern, Lehrer und die Autorinnen und Autoren der Jugendbücher können in diesem Punkt wirklich stolz auf mich sein: Die Erziehung hat funktioniert, in der Krise der deutschen Schuldkultur erweist sich mein Temperament als erstaunlich krisenfest! So sicher, wie ich sonst für jeden Post-Irgendwas-Theoriescherz zu haben bin, so sicher gehe ich in absolute Relativismusverweigerung, wenn es um die Geschichte meines Landes geht. Und darum, ob man „denn jetzt nicht langsam mal wieder …“ Nein, kann man nicht! Und wenn neun Stunden „Shoa“ nicht reichen, um das ein für alle mal klarzumachen, dann weiß ich’s auch nicht.

Man muss hierzulande kein eingefleischter Marxist sein, um den Sinn der Geschichtsschreibung darin zu sehen, dass sie Irrwege der Geschichte expliziert und Menschen mit einem Funken Herz und Verstand sagen lässt: „Nie wieder!“ Und zwar immer wieder. Und wenn nun also Leute daherkommen und sagen, es müsse nun „auch mal gut“ sein, dann habe ich immer kurzzeitig den Impuls, ihnen von meiner schuldgetränkten Jugend zu erzählen und sie sodann mit den Worten abzufertigen, mit denen auch unsere Großeltern ihre Geschichten von einem zeitlich nicht näher bestimmten „Früher“ beschlossen: „Hat es mir vielleicht geschadet???“

Gefühlschaos aus Mitleid und voyeuristischer Lust

Im letzten Moment beherrsche ich mich dann, denn ich bin ja viel zu ehrlich, um die Frage unserer den Führer im Früher unterschlagenden Großeltern für mich eindeutig mit „Ja!“ zu beantworten. Natürlich hat mir das alles geschadet! Wahrscheinlich habe ich sogar ein handfestes Dritte-Generation-Trauma und schreibe deshalb hier so konfuse Sachen. Meine Jugendlektüren – als erstes las ich im Alter von acht Jahren Judith Kerrs relativ harmloses ‚Als Hitler das rosa Kaninchen stahl‘ – waren das morbideste, was man sich nur vorstellen konnte – trotzdem fesselten sie mich wie sonst kaum was. Die Bücher stürzten mich zuverlässig in ein Gefühlschaos aus Mitleid und voyeuristischer Lust an der totalen Vernichtung. Das Gute aber war: Ich musste mich früh mit genau jenen Regungen meines Wesens kritisch auseinandersetzen. Ich merkte bald, dass ich den Dreck in mir trug. Nicht, weil ich Deutscher war. Aber weil ich Deutscher war, wurde ich rücksichtslos in diese Auseinandersetzung getrieben. Ich betrachte das heute als Privileg.

Wenn ich durch dieses Privileg eins über die Geschichte meines Landes gelernt habe, dann, dass sich neben allen Revisionismen und Verharmlosungen auch ausufernde dekonstruktivistische Eierschaukeleien à la „Was ist denn überhaupt ein Irrweg?“ verbieten. Wer schon als Kind auf Du und Du mit der Dichotomie „böse“ und „gut“ war und merkte, dass die Grenze einmal quer durch die eigene Familie und sogar durch die eigene Person verläuft, ist auf angenehme Weise etwas weniger tolerant gegenüber intoleranzverherrlichenden Toleranzausbeutern. Er kennt den Feind und nennt ihn so.

Man kann eben nicht alles „so und so“ sehen!

Ich kann mir inzwischen ganz gut denken, was sich meine Eltern gedacht haben, als sie Regalmeter um Regalmeter Krieg, Flucht und Vernichtung herbeischafften: Sie wollten aus ihren Kindern anständige Menschen machen (zumindest hoffe ich das mehr, als dass ich ihnen irgendeinen sado-masochistischen SS-Fimmel unterstellen würde). Sie wollten, dass wir aus der Geschichte „was lernen“, was Adorno angesichts der totalen Menschheitskatastrophe wohl für so deplatziert und naiv gehalten hätte wie ein Friedensliedchen von Joan Baez, aber das tut hier nichts zur Sache. Meine Eltern wollten zeigen, dass man nicht alles „so und so“ sehen kann, sondern manches auch mal nur „so“. Und dass es manchmal einfach keine Diskussion gibt, was denn nun „richtig“ und „anständig“ sei. Ich bewahre die Bücher auf. Für meine Kinder.

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Ich habe jedes Facebookquiz beantwortet http://superdemokraticos.com/poetologie/ich-habe-jedes-facebookquiz-beantwortet/ http://superdemokraticos.com/poetologie/ich-habe-jedes-facebookquiz-beantwortet/#comments Wed, 16 Jun 2010 16:24:39 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=173 Ich heiße Sabine Scho und wurde am 1. September 1970 in Ochtrup – einer Kleinstadt nahe Holland – geboren, habe den Kindergarten nicht gemocht und die Grundschule ohne Probleme bewältigt. Das Abi habe ich in der Regelschulzeit geschafft und hätte damit auch irgendwas Zugangsbeschränktes studieren können, stattdessen aber schrieb ich mich für Philosophie und Germanistik in der nächstbesten Uni ein, weil mich die Kunstakademie nicht wollte und man die Philosophie und die Germanistik nicht gefragt hat, ob sie mich will.

Wollte ich je Dichterin werden? Nie. Tja, vermutlich bin ich es auch gar nicht geworden, aber einige Gedichte gelangen scheinbar, denn man gab mir Preise dafür, wenn auch eher milde dotierte oder halbierte, und Stipendien, wenn auch sagenhaft tolle, aber zu wenige. Ich fand immer, dass andere nicht unbedingt besser schreiben als ich, aber die anderen sind meist viel fleißiger, das gebe ich gerne zu.

Meine Mutter frug meine Grundschullehrerin mal, ob wir eigentlich nie Hausaufgaben auf hätten, die Lehrerin fiel völlig von der Rolle, natürlich hätten wir, „aber ich sehe unsere Sabine nie welche machen“; nicht schön, wenn man so in die Pfanne gehauen wird, aber ich kann mich nicht daran erinnern, mangels fehlender Hausaufgaben in der Schule je aufgefallen zu sein, habe nur komplett vergessen, wie ich das anstellte. Inzwischen, befürchte ich, ist es schon aufgefallen, dass ich meine Hausaufgaben manchmal nicht gemacht habe, sonst hätte man mich bestimmt für jedes der nicht geschriebenen Bücher bepreist. So hält man leider weiter stur daran fest, die zu belohnen, die auch noch Bücher schreiben. Etwas ungerecht finde ich das schon, wo ich mich doch als überhaupt nicht untätig empfinde. Und, immerhin, zwei Bücher gibt es auch von mir bei kookbooks, Album und farben, sie sind schön wie nix, gut geschrieben und mit Bildern, was will man mehr.

Der Dämon der Selbstüberraschung ist mein ständiger Begleiter, wenngleich mich nichts mehr quält, als mit neuen Amateurstudien zu dilettieren, lieber würde ich mich ans Klavier setzen und einfach gut Klavier und nur Klavier spielen können. Aber, ich kann kein Klavier spielen und leider ist es völlig egal, welchen Buchstaben ich auf der Tastatur anschlage, klingt alles ähnlich. Üben soll helfen. Seit es Blogs gibt, wird viel geübt und viel dilettiert, das kommt mir sehr entgegen, ich muss es nicht Arbeit nennen und habe trotzdem etwas gemacht. Ich kann auch stundenlang nur Synonyme suchen und habe bereits jedes Facebookquiz beantwortet. Alles in allem bin ich ein eher uneffizienter Mensch, der sich und seine Zeit gern verschwendet. Dass ich nicht tagein tagaus World of Warcraft spiele, liegt nur daran, dass ich es nicht kann, und dass ich heute in São Paulo und Berlin lebe, liegt daran, dass ich es kann, was wiederum an einem fabelhaften Menschen liegt, der alles das kann, was ich nicht kann, und das ist enorm viel, darum beschäftigt man ihn gern, und ich muss mich selbst beschäftigen, das aber gelingt mir manchmal auch nicht so schlecht. Weil mich São Paulo nicht beschäftigt, beschäftige ich mich in São Paulo, womit, wird man hier noch lesen und sehen. Bom divertimento!

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