Biographie – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Telepathie http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/telepathie/ http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/telepathie/#comments Mon, 05 Jul 2010 16:12:57 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=391 Die Telepathie wird das literarische Genre der Zukunft sein: Wir üben sie – wenn auch auf eine primitive Art – beim Chatten. Die Poesie von heute ist die greifbare Metapher einer fünften Dimension, ein visueller Beweis unserer mentalen Kommunikation. Die Sprache reproduziert die organische Bewegung der Natur und der Imagination, auf die gleiche Weise wie die Mayas die Bahnen der Sterne durch ihr Ballspiel symbolisiert haben. Es existiert ein immenser Text, der über die Seiten und Bildschirme hinausgeht, den wir alle interaktiv schreiben müssen. Unsere gemeinsame Geschichte, die sich telepathisch vermittelt.

Geschichte kommuniziert sich von einem Denken zum nächsten. Derjenige, der sie liest und aufschreibt ist ein Astrologe und ein spiritueller Astronaut, der das sichtbar machen konnte, was die Worte in ihrer Schwärze verbergen. Seine Zeit wird gemessen von einer Uhr, die nicht angehalten wurde, sondern sich nur vor und zurück bewegt: von einer Sekunde zur nächsten. Derjenige, der die Geschichte schreibt, ist kein unbeteiligter Beobachter, seine eigenen Schriften wandeln und verändern sie radikal. Sein Handeln stellt ein konstantes Geschehen nach außen wie nach innen dar. Es gibt weder ein Ende, noch einen Moment, in dem die Handlung beginnen kann. Jedes Buch ist leer, bis jemand es öffnet und darin die tote Katze entdeckt, aus der ein episches Gedicht wurde, oder die lebendige Katze in strahlenster und verbrennender Lyrik. Der Tod ist eine Quantenproblematik, genau wie das Lesen. Und die Geschichte ist der öffentliche Text, in den wir eingreifen sollen.

Ein platonisches Delirium veranlasst mich zu glauben, dass die Leser dieses Artikels die Geschichte meines Landes sehr gut kennen, aber sich nicht daran erinnern. Jetzt haben schon einige search in Google geklickt, und schwupps! haben sie sich erinnert. Sehr gut gemacht, Freunde! Ich musste euch gar nichts über den mentalen Weg erzählen! Klar, wenn ihr noch einige Zusatzdetails wollt: ihr wisst, ihr müsst mich nur fragen. Was sagt ihr mir? Wie?! Ihr glaubt nicht an die Telepathie?

Ich gebe euch mal ein Beispiel: In dem Buch Legenden aus Guatemala, von Miguel Ángel Asturias, gibt es eine unvergessliche Figur: „La Tatuana“, eine Frau, die in Gefangenschaft ist und eine Tätowierung von einem Boot auf dem Arm trägt. Am Vorabend ihrer Hinrichtung, da sie vom Teufel besessen sei, malt die „Tatuana” genau dieses Boot an die Wand ihres Gefängnisses (oder in die Luft) und schafft es, damit zu fliehen, auf ein unsichtbares Meer auszulaufen. Mehr brauche ich euch nicht zu sagen? Oder? Stimmt doch! Die Details dieser Geschichte habe ich euch mental vermittelt, richtig oder? Eure Schlussfolgerung ist gut: Die Poesie ist die Tätowierung und das Meer, die Sache die wir malen, um dem Gefängnis unseres Körpers und der Beklemmung über ein aufgezwungenes Schicksal zu entfliehen. Gut! Poesie bedeutet, sich ein Paralleluniversum so gut vorstellen zu können, dass man schwupps! auch da ist.
Was sagt ihr nun? Glaubt ihr, ich lade euch ein, der Geschichte zu entfliehen? Überhaupt nicht, meine Lieben. Ich schlage nicht eine einfache Flucht aus der Wüste der Realität vor, sondern ich versuche hier vielmehr ein Konzept zu formulieren, in dem die Poesie die Imagination von dem ist, was wir immer noch nicht gewagt haben zu leben und gleichzeitig als eine Vorrichtung, die in der Lage ist, den historischen Ereignissen, bei denen wir Akteure oder Opfer sein mussten, eine andere Dimension hinzuzufügen. „Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden“ sagte schon dieser berühmte deutsche Philosoph… Also, schließe ich daraus, dass die Poesie eine Strategie sein muss, um großartige Träume zu produzieren, die es uns erlauben, das individuelle und kollektive historische Trauma zu überwinden, und mit der wir die Zukunft – basierend auf den intensivsten Daten der Vergangenheit, die unsere Erinnerung geprägt haben – neu zeichnen können. Wir werden den Alptraum überwinden, in dem wir telepathisch kommunizieren. Und uns das Meer vorstellen.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Die Sicherheitsgurte anlegen, bitte! http://superdemokraticos.com/editorial/die-sicherheitsgurte-anlegen-bitte/ Sun, 20 Jun 2010 13:17:56 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=321 Es ist sehr merkwürdig für mich, hier in meiner Küche zu sitzen und diesen Text zu schreiben: Unser erstes wöchentliches Editorial. Seit über einem Jahr warten wir auf diesen Moment. Darauf, mit unserer Autorenauswahl online zu gehen. Auf das, was wir unseren Katalog nennen könnten.

Schriftsteller und Schriftstellerinnen aus verschiedenen Ländern, die uns über ihre Realität berichten.

In den letzten Tagen ging es uns darum, sie euch vorzustellen und auch wir haben uns zu ihren Leserinnen gemacht. Die Mehrheit der Personen, die uns hier begleitet, kennen wir selbst nicht. Wir haben lediglich die besten Anfänge einiger Autobiographien ausgewählt, die uns aus zwölf Ländern und drei Kontinenten erreichten. Wir wissen, dass wir alle schreiben und dass wir ein professionelles Team zusammengestellt haben.

Was viele unserer Autoren derzeit eint, ist ihr Nomadendasein. Aus ihren Texten wissen wir, dass viele in den letzten Jahren ihr Leben geändert, ihr Umfeld gewechselt haben. Dass für viele das Reisen eine prägende Erfahrung gewesen ist, vor allem für die Frauen. Vier unserer Autorinnen haben die intime Erfahrung der Migration ihren autobiographischen Portraits hinzugefügt. Auch wären auffällig viele der Literaten, die wir hier lesen werden, sehr gerne Musiker oder Rockstars geworden, hätten oder haben gerne auf der Bühne Musik gemacht. Andere haben die Mutterschaft oder Vaterschaft als einen zentralen Daseinsgrund entdeckt, als eine wichtige Quelle künstlerischer Inspiration.

Die Beweggründe für das Schreiben sind jedoch sehr unterschiedlich. Sie reichen von dem natürlichen Gespür für die Sprache ab einem fast ungläubig jungen Alter, von dem Spielerischen bis zur ernsten Notwendigkeit des Wortes und einer intellektuellen Suche, die diese Notwendigkeit begründet. In den intellektuellen Anleihen und Zweifeln gleichen die Autoren einander: Im Moment könnten wir behaupten, dass die französischen Philosophen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und amerikanische Schriftsteller zu den wichtigsten Referenzpunkten der Generation gehören, die wir hier zu portraitieren versuchen, auf beiden Seiten des Atlantiks.

Darüber hinaus erscheint vielen von uns – und hier beziehe ich mich mit ein – der Backend-Bereich des Blogs, in dem wir arbeiten, wie die Schalttafel eines Raumschiffs. Die Programmierer haben dem Projekt den Spitznamen „LSD“ verliehen, aus gutem Grund. So bleibt mir nur noch, euch noch einmal auf diesem „Trip“ willkommen zu heißen. Bitte legen Sie die Sicherheitsgurte an!

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Sich lustig machen über Pilatus http://superdemokraticos.com/poetologie/sich-lustig-machen-uber-pilatus/ http://superdemokraticos.com/poetologie/sich-lustig-machen-uber-pilatus/#comments Thu, 17 Jun 2010 17:20:51 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=268 Er heißt Fernando Barrientos, aber fast alle nennen ihn flaco, den Dünnen. Er wurde 1977 während des Karnevals geboren, just zu dem Zeitpunkt, als das Farbfernsehen nach Tarija kam und diesen Ort in noch ein telenoveleskeres Dorf verwandelte. Er glaubt, sich genau an den Moment zu erinnern, als von ihm im Alter von vier Jahren ein Foto gemacht wurde, das bis heute im Haus seiner Eltern vergrößert an der Wand hängt, und in Originalgröße seinen Kinderreisepass schmückt. 1986, kurz vor dem Morgengrauen eines merkwürdigen Tages, sah er den Kometen Halley vorbeifliegen. Als er zwölf Jahre alt war, kaufte er sich seine ersten Schallplatten und wurde ein Fan der Gewalt in der Musik. Nachdem er mit 18 Jahren seinem dogmatisch-militanten Dasein in der bedeutungslosen Heavy-Metall-Szene abgeschworen hatte, das ihm fast die Stimmbänder gekostet hätte, irrte er ein wenig unsicher umher, auf der Suche nach einer neuen Möglichkeit, seine Gangster-Energie zu entladen.

Aus Neugierde für den Rauch, der aus einer Bruchbude mit unleserlichem Klingelschild stieß, lernte er ein Paar exzentrische Personen kennen, die ihn sogleich adoptierten. Doch kurz darauf floh er zum Soziologiestudium nach La Paz und befreite sich so für eine kurze Weile von ihnen. Im Jahr 2000, so als hätte ihn der Y2K Millenium-Effekt getroffen, stürzte er in eine neue Krise. Er verbarrikadierte sich zum Lesen, brachte die Zeit durcheinander und begann, ein paar kurze Texte zu schreiben, die in den Anthologien „Memoria de lo que vendrá“ (Erinnerung an das, was kommt), „Conductas erráticas“ (Irrige Verhaltensweisen) und anderen Sammelbänden, Magazinen und Zeitungen erschienen. In der dritten Person Singular zu sprechen, ist für ihn eine Art Therapie.

Er hat all seine Eigenschaften und Fehler einer Prüfung unterzogen und zieht es derzeit vor, leichterdings durchs Leben zu gehen. Eine andere, unverhofftere Metamorphose machte ihn 2008 zum Verleger (eine Tätigkeit, bei der man nichts verdient, aber die man genießt) des Verlags „El Cuervo“ (der Rabe). Er brüstet sich wie ein Pfau mit den ersten drei von ihm verlegten Büchern: „Cuaderno de Sombra“ (Heft des Schattens) von Julio Barriga; „Diario“ (Tagebuch) von Maximiliano Barrientos und „Vacaciones permanentes“ (Permanente Ferien) von Liliana Colanzi. Er ist verliebt in Miss Thailand. Dieses Jahr hat er vor, noch drei weitere Bücher zu verlegen und sich über Pilatus lustig zu machen.

Übersetzung: Anne Becker

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Einfach weil ich es kann http://superdemokraticos.com/poetologie/einfach-weil-ich-es-kann/ Sat, 12 Jun 2010 10:08:36 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=170 Ich habe nie mit tollen Füllfederhaltern geschrieben und auf großartigem Papier. Als ein ehemaliger Mitbewohner mit einer alten Olivetti in die WG einfiel und behauptete, nur „mit“ ihr (er sagte nicht „auf“) könne er kreativ sein, habe ich ihn ausgelacht. Für mich ist Schreiben kein Fetisch, ich inszeniere das nicht, bin emotional nicht davon abhängig und müsste es aus Gründen der Selbsterfüllung nicht tun. Ich könnte ebensogut Straßenmusik machen, oder irgendwas anderes, durch das sich Kommunikation und ein Mindestmaß an Bewunderung ergeben – allein: Da ist mein Sicherheitsdenken vor. Der strukturkonservative Deutsche (ich) will Rente und ein Haus für die zu zeugenden Kinder. Und ich bin nicht gewillt, das hier aus Gründen globalisierter Lässigkeit zu verleugnet.

Ich habe mal versucht, mich als „Autor“ zu fühlen, da war ich 18 und musisch unterforderter Zivildienstleistender auf einem anthroposophischen Behindertenbauernhof im Norddeutschen. Ich setzte mich mit Rotwein, Stift und Zettel auf einen Balkon mit Blick über das weite Land und schrieb ein sozialistisches Chanson, das ich zwei Tage nach Fertigstellung treffsicher als „Mist“ identifizierte. Dass ich mich dennoch mit diesem und anderen Chansons im selben Jahr für einen Studiengang bewarb, der sich „Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus“ nannte und sich der in Deutschland unüblichen professionellen Autorenausbildung widmete, kann ich mir bis heute nicht ganz erklären. Warum ich es dort ein Jahr später noch einmal versuchte – nachdem die Auswahlkommission die sozialistischen Chansons beim ersten Mal als „Mist“ und als „evangelische Pfarrhauslyrik“ abgewiesen hatte –, auch nicht.

Seitdem ist viel Wasser den Rhein hinunter geflossen (Das schreibe ich jetzt eigentlich nur, um die Übersetzerin/den Übersetzer zu ärgern. Hähä!) Die Chansons liegen lange hinter mir, der Sozialismus seitab in der „Zur Zeit nicht realisierbar“-Ablage, allein die strenge publizistische Qualitätskontrolle ist geblieben und durch das Studium noch geschärft worden. Falsches Pathos, Fehler in der Blickführung, langweilige Sujets und hysterische Zugriffe – mit etwas Abstand entgeht mir auch in eigenen Texten nichts. Umgekehrt kann es sein, dass ich manche der abgespaltenen Selbstentäußerungen, die ältere eigene Texte ja sind, mit wachsendem Abstand immer besser, irgendwann geradezu überirdisch finde.

Niemand, der schreibt, soll mir sagen, er täte es nicht (auch) aus Eitelkeit. So etwas kann man dem Sohn eines von jahrelanger Geringschätzung zermürbten Deutschlehrerehepaares nicht erzählen. Ich schreibe – neben der Sorge um den Lauf der Dinge, der pathossatten Parteinahme für das Gute (dessen Existenzrecht hiermit verbrieft ist) und der Lust an Wort und Antwort – auch schlicht und einfach, weil ich es kann und weil ich darin bei mir und anderen Anerkennung finde. Ist das nachvollziehbar?

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