Autobiographie – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Notizen für eine Theorie http://superdemokraticos.com/poetologie/espanol-apuntes-para-una-teoria/ http://superdemokraticos.com/poetologie/espanol-apuntes-para-una-teoria/#comments Fri, 18 Jun 2010 17:09:40 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=227 EINS Meister des Tropfens, Kazike des Blackberry, DJ des kühlen Blonden, Bürger der Queen Size Matratze: Carlos Velazquez (San Pedro Amaro de la Purificación, Coahuila, 1978)  fragt sich: Sollte es in der Tat dasselbe sein, atole (populäres Maisgetränk) Umzurühren wie Hotels Umzupusten?  Währenddessen teilt er seine Zeit ein in a) sein Dasein als Grillhähnchen-Liferant, sein viertes Buch mit Kurzgeschichten, die furchtbarschöne Sage über eine Gruppe von Warenhausangstellten;  b) der Feinschliff von „La marrana negra de la literatura rosa“ (Die schwarze Sau der rosa Kitschliteratur), sein neues Buch, unter der pornographischen Vormundschaft der Eigenbrötler aus dem Sechsten Stock; c) der Text „El moquero del bardo“ (Das Rotztuch des Barden), sein erster Roman,  eine vermeintliche Biografie von Stephen Dedalus (obwohl es, wie Julián Herbert sagte,  eher den Anschein des Biopics von Buck Mulligan macht); d) der erbitterte Kampf mit „Las muñecas pagan mal“ (Die Puppen zahlen schlecht), ein Roman über Baseball, ein Billy the kid aus dem Barrio und die Liebe für Puppe, eine wiederaufgewärmte  Molly Bloom; und e)  die Komposition von „Los nietos del viejo Paulino“(Die Enkel des alten Paulino), das Werk, das dem Narcoroman seinen endgültigen Todesstoß verpassen wird.

ZWEI Lieblingsschüler von James Joyce, Autor des Buches „La Biblia Vaquera“ (Die Cowboy-Bibel), der B-Seite von „Dubliners“. Er ist auch für das Konzept „Condición posnorteña“ (Das postnorteñische Wissen) verantwortlich.  Lyotards kritischen Weisungen folgend ist er zu dem Schluss gelangt, dass es nach dem Tod der Postmoderne nur noch die Posnorteñität (verleihen Sie diesem Terminus globalen Charakter, denn es handelt sich hier nicht um einen Regionalismus, es steht außer Frage, dass sich die Welt nordamerikanisiert hat) möglich ist, und zwar in Kapsel-, Plastiktüten- oder Papierform. Als Theoretiker des Tapir-Lunchpakets aus genetisch verändertem  französischen Brot leidet er am unförmigen Schwimmringsyndrom: Poet der Chlamydien an einem Tag, Poet der Blasenentzündung am nächsten. Er gehört der Fifí-Generation an, die aus coahuilensischen Säugetieren besteht, deren Klassifikationssystem den hohen Temperaturen Rechnung trägt, die in Nordmexiko herrschen.

DREI Sein Stil ist voll und ganz von der coahuilensischen Schmuddelglamour-Ästhetik geprägt, eine von Julián Herbert, einem der scharfsinnigsten Verschwörer des Nordens, verschlüsselte Strömung. Darüber hinaus zweifelt er gleichermaßen ernsthaft an der historischen Rolle der Weizentortilla in den Ortschaften von Nordmexiko. In seiner Freizeit kollaboriert er spontan mit der Heerschar von Coronel Spangler (Jairo Calixto Albarrán) von der Tageszeitung Milenio. Dieser letzten verdankt er sein Rating als neuer shooting star des Gonzojournalismus. Und falls auch das noch nach leichter Muse klingen sollte, streitet er sich jeden Tag mit seiner Frau darüber, ob er das Tischset kaufen soll oder nicht, um vor dem Fernseher zu essen.

VIER Er ist gewieft. Er hat die schärfste Zunge der Grenze.

Übersetzung: Anne Becker

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Ein schmutziges Gewissen http://superdemokraticos.com/poetologie/ein-schmutziges-gewissen/ Fri, 18 Jun 2010 13:45:45 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=309 500 Zeichen:

Leo Felipe Campos wurde in San Félix geboren, einem entlegenen, heißen Dorf im Süden Venezuelas, und das war ihm nie peinlich. Trotz aller Vorhersagen überlebte er. Gewappnet mit einem Titel als Publizist arbeitete er als Sportjournalist und gründete einige kulturelle Zeitschriften, darunter auch die bekannte plátanoverde (grüne Banane). In seiner Freizeit posiert er als Model für Fernsehwerbung und gibt Geschichten, Chroniken und erotische Kurzgeschichten heraus. Außerdem leitet er auch das Blog mijaragual, das Tausende von Besuchern im Monat hat. Und er versichert, immer noch Jungfrau zu sein.

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Ich habe mich dreimal verändert: nach meiner ersten Trennung, nach dem Tod meiner Mutter und als meine Tochter aus dem Schoß einer tapferen Frau geboren wurde. Veränderung ist für mich ein Synonym für Wiedergeburt. Ich habe an 27 verschiedenen Orten in zwei Städten gelebt: Puerto Ordaz und Caracas, Orte die mir halfen, mich zu einem sensiblen, aber auch entschiedenen, manchmal sogar aggressiven Mann zu entwickeln. Mein Werk, gering aber vielversprechend, lässt sich in zwei Thematiken einteilen: die Liebe und den Sex. Die beiden gehören – in den meisten Fällen – zusammen; aber es gibt ein paar Kritiker  und Leser, die meinen, es sei etwas kitschig über die kleinen Hände meiner Tochter zu schreiben und es würde an Pornographie grenzen, über die Größe eines Penis zu schreiben, wie er sich in einer feuchten Vagina rein und raus bewegt – als ob die Angst, eines Nachts sein Leben durch die Lust zweier nackter, fleischloser Seelen zu verlieren, nicht Raum für neues Leben böte. Ich glaube an das Wort und unterstütze jegliche Initiative, die mich dazu ermuntert, über mich selbst zu sprechen. Journalismus gefällt mir, aber ich mag Autobiographien lieber – vor allem meine eigenen.

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Schon mit drei Jahren war ich ein hervorragender Fußballspieler und mit fünf war ich der einzig hellhäutige Junge, der jede Mulattin in meinem Dorf zum Calipso auffordern konnte. Ich war nicht der König des Rhythmus, aber ich machte es auch gar nicht schlecht. In meiner Jugend wurde ich einmal von dem Freund einer dieser Mulattinen bedroht, der Junge wurde –aus Gründen, die ich nicht wissen wollte – El cuervo, der Rabe, genannt. Er hatte viele Brüder und man sagte, er habe auch eine Pistole. Und ich, ich hatte ein schmutziges Gewissen. Also nahm ich aus lauter Verzweiflung den Bus und fuhr nach Caracas, die einzige Stadt der Welt, die stolz damit prahlt, bei der Berechnung der Einwohnerzahl eine Fehlerquote von 100 Prozent  zu haben: niemand weiß, ob dort 4 Millionen oder 8 Millionen Menschen leben. Gestützt auf so eine Gewissheit, entschied ich mich für den leichtesten Studiengang: Publizistik. Ich las einige Gedichte und arbeitete als Schauspieler am Theater, am Kino als Regieassistent und beim Fernsehen als Sportjournalist. Ich gründete aus Erbarmen mit meinen Freunden auch zwei Kulturmagazine: plátanoverde (grüne Banane) und 2021 Pura Ficción (2021 Reine Fiktion). Damit gelangte ich zu ein bisschen Ruhm, aber wenig Ansehen, und seitdem mache ich nicht mehr viel. Ich widme mich der Erziehung meiner Tochter und dem Modeln fürs Fernsehen. In meiner Freizeit reise ich, veröffentliche Bücher und schreibe Zeitungsreportagen.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Die Obsession, das fehlende Volk zu erfinden http://superdemokraticos.com/poetologie/die-obsession-das-fehlende-volk-zu-erfinden/ http://superdemokraticos.com/poetologie/die-obsession-das-fehlende-volk-zu-erfinden/#comments Wed, 16 Jun 2010 22:29:45 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=269 Mein Name ist Lizabel Mónica und ich bin Kubanerin. Aufgewachsen bin ich mit den achtstündigen Reden unseres Comandante en Jefe (Oberbefehlshaber) und dem Schlachtruf „Pioniere für den Kommunismus, seien wir wie der Che!“ Im Alter von 13 Jahren beschäftigten mich nicht so sehr die Jungs, denn die Sorge, ob ich eine „Revolutionärin“ sei oder nicht. Als ich mein Studium an der Universität begann, hatte sich an diesem Panorama wenig geändert: Ich entschied mich für das Fach Geschichte anstelle von Literatur, was unbestreitbar meine Berufung gewesen wäre – ich habe mich selten von Notizheften und Stiften entfernen können -, weil ich darauf drängte, die Realität zu verstehen, die mich umgab. Ich schloss das Studium ab, fing an Texte zu publizieren und gründete 2007 ein alternatives Kulturprojekt…. heute bin ich 28 Jahre alt und ich weiß, dass die Politik immer einen wichtigen Platz in meinem Leben einnehmen wird.

Ich bin unter dem Einfluss der Kubanischen Revolution geboren. Seit ich klein war, verfolgte ich die Gespräche über mein nächstes Spielzeug mit genauso viel Interesse wie die Abhandlungen über eine Zukunft, in welcher der Kapitalismus nur noch eine ominöse Vergangenheit auf dem Weg zu einem neuen Gesellschaftssystem gewesen sein wird. Die Bühne meiner Kindheit betraten Kinderbücher zur selben Zeit wie das Magazin Sputnik, eine damals recht populäre Zeitschrift aus der Sowjetunion. Der Kalte Krieg hatte die kubanische Realität so sehr erfasst, dass das Verbot, nordamerikanische Musik zu hören, sinnvoll erschien, wenngleich meine Freunde es heimlich sehr wohl taten, während ich mich an die Regeln hielt, weil ich dachte, sie hätten einen guten Grund. Zuhause erlebte ich meine Eltern nicht nur voller Begeisterung für den „revolutionären Prozess“, in den sie tief versunken schienen, sondern auch ich erhielt eine Erziehung, die aus mir ein beispielhaftes Exemplar der neuen Gesellschaft machen sollte. Die nationale Zeitschrift Mujeres (Frauen), die eine weibliche Leserschaft über das adäquate Verhalten der Frau im Sozialismus belehrte, gehörte zu meiner Pflichtlektüre. Als die Berliner Mauer fiel, war ich acht Jahre alt, und ich ahnte nicht, dass dies ein Wendepunkt nicht nur in der Geschichte meines Landes, sondern auch in meinem eigenen Leben sein würde.

Wenn ich mein Leben aus heutiger Sicht betrachte, dann könnte ich sagen, dass aus jenem Mädchen, das Marxismus-Wettbewerbe gewann und in der Schule die Auszeichnung „Beso de la Patria“ (Kuss des Vaterlandes) erhielt, eine Frau geworden ist, die jenem Mädchen immer noch ähnelt, wenngleich sie sich verändert hat. 2006 schloss ich mein Studium an der Universität von Havanna mit einer Arbeit über eine Frau ab, die die Geschlechterpolitik der Revolution dekonstruierte. Für die Gutachter war die Argumentation meiner Arbeit zu kontrovers, obwohl ich für sie die beste Note erhielt. Im Anschluss arbeitete ich ein Jahr lang als Chefsekretärin für eine offizielle Kunst- und Literaturzeitschrift, eine Arbeit, die ich wieder aufkündigte, um meine eigene unabhängige Zeitschrift Desliz (Fauxpas) zu gründen. Meine kulturellen Arbeiten, seien es Kunstwerke, Literatur oder Essays, sind systemkritisch. Projekte wie „Die Kunst des Sexes“ sind zu politisch, um sie der seriösen Gesellschaft zu überlassen, und „Die politische Kunst“ ist zu sexy, um sie in Händen der Männer zu lassen. Cuba Fake News und Pensar Cuba en Tiempo Futuro (Über das Kuba der Zukunft nachdenken) sind literarische Werke und Kunstwerke, aber vor allem sind sie Zeugnisse eines von der Obsession gezeichneten Lebens. Die Obsession, „sich das Volk zu erschaffen, das fehlt“, wie Gilles Deleuze sagen würde.

Übersetzung: Anne Becker

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Die DDR in mir ist nicht einfach verschwunden http://superdemokraticos.com/poetologie/die-ddr-in-mir-ist-nicht-einfach-verschwunden/ http://superdemokraticos.com/poetologie/die-ddr-in-mir-ist-nicht-einfach-verschwunden/#comments Sat, 12 Jun 2010 07:00:12 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=175 Ich bin 1971 in Stralsund an der Ostseeküste geboren und wuchs in den folgenden Jahren auf der Insel Rügen, in der Mark Brandenburg und ab 1982 in Berlin auf, wo ich seitdem immer noch lebe. Nach dem Studium (Germanistik und Romanistik) habe ich zunächst einige Jahre als Autorin und Redakteurin beim Fernsehen gearbeitet, hab mich 2001 jedoch entschlossen, das bunte Quotentheater zu verlassen und meiner eigentlichen Leidenschaft, dem Schreiben, nachzugeben. 2003 erschien mein erstes Buch, ein autobiographischer Erzählband, bei S. Fischer in Frankfurt/Main („Meine freie deutsche Jugend“), 2009 folgte dann im selben Verlag mein zweites Buch, ein ebenfalls weitgehend autobiographisch geprägter Band mit Geschichten und Essays anlässlich des 20. Jahrestages des Mauerfalls („Aufbau Ost. Unterwegs zwischen Zinnowitz und Zwickau“). Beide Bücher behandeln die Themen Demokratie – Diktatur – Freiheit – Werte – jedenfalls sieht es die Presse so. Ich selbst würde eher sagen, es handelt sich um Kurzgeschichten über das Aufwachsen in einer Diktatur und das Leben danach, also darüber, was davon bleibt und womit man später noch umzugehen hat. Denn wir leben ja nicht in einem Hollywoodfilm: Was die DDR angerichtet hat in den Menschen, ist nach wie vor da. In meinem ersten Buch schrieb ich dazu einmal „Die DDR in mir ist nicht einfach verschwunden, nur weil das Land nicht mehr existiert.“

Ich verstehe mich selbst aber nicht als politische Autorin, sondern in erster Linie als Geschichtenerzählerin. Doch wenn ich aus der dunklen Zeit einer Diktatur erzähle, kann ich den politischen Hintergrund des Geschehenen nicht einfach ausklammern. Das wäre unlauter. Zumal viele meiner Geschichten dem Umfeld des (wie es heute genannt wird) Bürgerrechtler-Milieus entstammen, in dem ich aufwuchs, wo ich niemals die Chance hatte, einen romantischen Blick auf die Verhältnisse des realen Sozialismus zu entwickeln, in dem ich lebte. Schon deshalb bin ich heute eine entschiedene Verteidigerin der Demokratie – ich weiß, wie es ist, nicht in ihren Genuss zu kommen.

Mit Südamerika verbindet mich genau diese Erfahrung. Diktatur, Nachhall des Regimes im Land, Umgang mit Schuld und Verantwortung, Neustart und Klarkommen mit dem Leben in der Freiheit. Insbesondere zu Chile habe ich eine tiefe Beziehung, weil dort eine ganze Reihe enger Freunde leben.

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