Sie hasste den Krieg und die 50.000 sinnlosen Toten, aber gleichzeitig sah sie auch keinen wirklichen Grund, am Leben zu hängen, umso weniger an einem Ort wie diesem, wo die Erddecke versiegelt war und keine Wurzel eindringen konnte, wo die Leute davon lebten, bis zur Landstraße zu laufen, um dort um Orangen, halb verfaulte Kekse und Sandwiches zu betteln, welche die Vorbeifahrenden nicht mehr wollten. Sogar die Bewohner des Dorfes wurden rekrutiert, immer Jüngere wurden eingezogen. Und dann gab es endlich Essen, jetzt konnten sie sich sogar den Luxus leisten, nicht mehr an das schlickige Wasser zu denken und Wasser in Flaschen zu kaufen. Sie wollte immer schon töten, aber nun war sie zu alt dafür. Mit ihren 35 Jahren war sie eine alte Frau, sie war verbittert, verwelkt. Genauso sagten sie es zu ihr, als sie sie in eine Ecke des Stalls drängten: „Die? Was willst du mit der? Das ist ne verfickte Alte, die bringts nicht mehr.“
Es war auf der Hauptstraße, der einzigen, die es im Dorf gab, als sie erwischt wurden. Sie gingen Richtung Dorfkrankenhaus, das nur daran zu erkennen war, dass „Dorfkrankenhaus“ über die Tür gekritzelt war. Die Lehrerin, die gleichzeitig auch die Ärztin sein musste, verteilte dort Aspirin und Penizillin wie Gott es ihr zu verstehen gab. Es waren drei Frauen, die sie im Morgengrauen aus ihrer Hütte holten, drei Schwestern, keine älter als 15. Sie hatten zu Hause versucht, der mittleren Schwester ein Kind abzutreiben, was zu einer starken Blutung geführt hatte, die nicht enden wollte. Das Mädchen konnte nicht mehr laufen und lag wie ausgespuckt vor dem Haus der Lehrerin. Mit einem Leintuch bauten sie eine Art Hängematte, um sie zum Dorfkrankenhaus zu tragen, und während sie genau das taten, sahen Hummer“s Jungs sie. Ein Hoffnungsschimmer blitzte im Herzen der Lehrerin auf: Vielleicht würden die Männer Mitleid mit ihnen haben und sie ins nächstgelegene Krankenhaus bringen. Aber falsch, nicht nur, dass die Frauen die Ausgangssperre missachtet hatten, nun sachen sie auch noch so aus, als versuchten sie, eine Leiche verschwinden zu lassen (so wie der Löwe denkt, alle seien genau wie er, dachten auch die Männer, naja, zu diesem Zeitpunkt war das Mädchen tatsächlich bereits tot).
„Und die? Was willst du mit der? Das ist ne verfickte Alte!“, rief einer von ihnen, als sie die Lehrerin auf den Wagen drängten. Die beiden Schwestern waren bereits eingestiegen, mit auf sie gerichteter Waffe. Sie brachten sie zu einem Stall, dort wurden sie sieben Tage lang festgehalten und befragt, für wen sie arbeiteten. Die Lehrerin wurde nicht mal vergewaltigt, wozu auch, sie war alt und trocken. Es gab kein Essen, für keine von ihnen, höchstens ab und zu mal eine Tasse Dreckswasser. Als sie den Schwestern das Angebot machten, die beiden können für sie arbeiten, wurde alles anders. Nun waren sie es, die die Lehrerin bewachten, die vor ihr aßen, ohne ihr etwas abzugeben, sie waren es, die den Umgang mit Waffen lernten und sie zielten auf die Lehrerin, um sie einzuschüchtern.
Sie wollte immer schon töten, wurde aber nicht dazu aufgefordert, für den Boss zu arbeiten, sie war ja schon alt, schon 35. Weiß Gott, warum sich irgendjemand ihrer erbarmte und sie in den Bergen freiließ. Weiß Gott, warum sie nicht dort starb, weggeworfen in den Bergen, sie lief kilometerweit, kam ins Dorf und wusste, dass ihr Unterricht des Einmaleins und des ABCs niemanden interessierte. Die Kinder brachten sich gegenseitig bei, Waffen zu laden und zu entladen, ihre Zielsicherheit zu verbessern.
Sie wollte immer schon töten, aber niemand hat es ihr jemals beigebracht. Sie war schon zu zu alt. Um töten zu können, musste man 9 oder 14 Jahre alt sein und den Tod noch vor sich haben.
Übersetzung: Barbara Buxbaum
]]>Ein Mafiaboss im Gefängnis mit großer Nase verhängt Ausgangssperre, wegen anstehender Verlegung und Nicht-WM-schauen-Dürfens, und ganz Sampa hält sich dran. Lula gewinnt in zweiter Runde gegen Alckmin die Wiederwahl zum Präsidenten. Lula, von dem die Putzfrauen São Paulos nichts erwarten als Streiks. Unter Marcola, dem Großnäsigen, brannten die Busse, unter Lula fuhren sie kaum, was liegt da näher, als sich auf die Fortbewegung aus eigener Kraft zu besinnen.
Kassab, seit 2006 Bürgermeister von São Paulo, Nunkassab – nunca sabe – niemand kann es wissen, eine beliebte Formel für jemanden, der gleich mal ein Großwerbeverbot mit der Cidade Limpa (Saubere-Stadt-Kampagne) einführte und die schönsten Unterwäschemodels Brasiliens abhängen ließ, von denen sich nun nichts mehr sagen läßt, außer, dass Adriana Lima ja eh nicht für brasilianische Unterwäsche modelt, genau. Also, Nunkassab erdachte eine Sonntagsradfahrstrecke, die Serra, derzeitiger Präsidentschaftsanwärter und Gouverneur des Staates São Paulo, jüngst mit nicht ordnungsgemäß getragenem Helm eröffnete.
Eine politischere Handlung läßt sich in São Paulo kaum denken, wo die Zebrastreifen sonst nur die Stellen markieren, wo man tot gefahren wird und die schlimmste Guerilla mit Autoteilen dealt, die man vermutlich besser zerstoßen und schnupfen, statt in Autos einbauen sollte.
Also, diese wunderbare Ciclofaixa (Radfahrstrecke), auf der man sich sonntags zwischen 7 und 14 Uhr gut gesichert hinter Trilliarden von Absperrhütchen, an denen Niemandkanneswissen oder größere Nasen, wenn sie ein bisschen geschickt wären, gleich mitverdienen könnten, drahteselselig durch die Stadt bewegt, die sonst nur gepanzertes Blech bevorzugt, ist, ich bin mir sicher, ein unbedachter Akt der Anstiftung zur Konsumverweigerung.
Was, wenn nun selbst der betuchteste Paulista Sonntag für Sonntag einfach Rad fährt von 7 bis 14 Uhr? Er wird seine teuren Sportclubbeiträge nicht mehr entrichten, kein Shoppingcenter mehr vor 14 Uhr aufsuchen und vermutlich auch nicht danach; da zu erschöpft von den Eindrücken einer Stadt, in der er nun nicht mehr nur zu parken hat.
São Paulo 2010, wir schreiben das Jahr des großen Gumminupsis, Ameisenbären üben Slalom; deutsche Landsknechte und Salpetersieder sind längst wieder daheim und erfroren, statt von Tupinambá verspeist worden; Unterwäsche gibt es inzwischen unisex; die Bemühung, eine Population von Zebras anzusiedeln, muss noch immer als gescheitert betrachtet werden, da Putzfrauen gegen Streifen sind; Ölvorkommen kommen in noch ungeahnten Mengen vor; Regen überflutet den Nordosten; Nasen werden immer noch gern operiert, Kokain wird unterdessen über Zahnspangen verrieben; WM schaut man auch im Knast und Brasilien wird mit 2:1 Weltmeister gegen Dingenskirchen. Die Welt wird noch brasilianischer werden und in Folge dessen nichts anderes als schön, bunt und rattenscharf, und Gott bleibt rund wie der Arsch von Adriana Lima, sagt die BBC.
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