amor – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Abschied in fünf Akten http://superdemokraticos.com/laender/venezuela/abschied-in-funf-akten/ Fri, 08 Oct 2010 08:00:22 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2656 I

Deine Präsenz ist flüchtig
du bleibst nur kurz
tauchst mitten am Nachmittag auf
mitten beim Duschen
mit einem Stoffbeutel
und mit der Eile auf den Bogen deiner Beine gezeichnet

Dieser letzte Telefonanruf
ist gewöhnlich so traurig
so leer und hart
so real,
er produziert Angst

er produziert in mir Angst,

und ich habe Angst

Zu wissen, dass etwas zu Ende ist,
das wir Passagiere in einer Geschichte
waren, die sich zerstört
Herz aus kaltem Stein und mit Sprüngen
leerer Blick und schwarzer Mund
deine Knochen,
die mich liebkosten
und das Ende ankündigten,
wissen, was diese Stille sagt,
kennen all die Fragen, die ich dir stellen will

und mich nicht traue

II

Ich will dich überzeugen, dass du glaubst.
Das ist Liebe, auch nach allem,
trotz deiner Grimassen,
deiner grotesken Kitschigkeit,
deiner löchrigen Unterwäsche

dieses traurige Abenteuer achtete auf
eine Verbindung ohne Anstrengungen.
Nimm die Hände von mir
und rausch davon wie ein Cadillac
wie ein Pontiac
wie ein besessenes und entferntes Auto
verkleidet als Pegasus

hör auf zu denken,
dich aufzulösen
nimm die Einbildung und den Groll von mir
sei eine stinkende Ratte
und lauf
lauf weit weg
wie ein Ferrari
wie ein Flüchtiger ohne Gnade und ohne Glück
lauf weit weg
mit mir
bis sie dich niemals wieder sehen
nicht mal den Schatten des Lichtes deiner Sehnsüchte

III

Du bist die letzte Chance meiner ehrenhaften Leidenschaft
was heißt, das du existierst
aber nur wie eine feige Flucht die Schatten aufs Wasser zeichnet

wir wissen was passiert:
ein Objekt mit Lichtgeschwindigkeit
prallt auf einen riesigen Stein und zerschellt
das ist Kraft, laut der Physik,
wir, wenn wir Liebe machen

der Pool ist leer
dein Abbild ebenso
der Pool ist leer, aber das ist egal
denn im Inneren brennt eine Party

wir sind zwei Gespenster und wissen es
du bist das wahre Antlitz meines schlechten Charakters
und ich
lediglich
eine evidente Rache

IV

Elektrisch
klebt sich der Wind an dein Haar
und deine Erinnerung zwingt dich zu gebären,
als wärst du eine Frau

mich zu gebären
in einer anderen Stadt beim Frühstück
in einem Haus für drei
in dem wir niemals wohnen werden

V

Ich habe auch den verloren vergangenen Hauch zwischen den Schachteln gesucht
die Mobilität und das Verzeihen hatten eine Nummer
die letzte
die Sehnsucht und meine Süchte waren in allen
verstreut in jedem Stückchen Karton
Bücher
Zettel
Zeitschriften

die gleiche aus der Mode gekommene Kleidung
eine halbe Flasche brauner Rum
mein einziges Schmugglergut
rekonstruierte Versprechen im Code der Ranchera-Poetik

Ich glaube, ich bin niemals darüber hinweggekommen
aber im Moment wäre ich in der Lage
mich in der Leere zu balancieren
ohne die Notwendigkeit dich zu verfluchen

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Globalisierung ist Internet http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/globalisierung-ist-internet/ Tue, 21 Sep 2010 06:20:22 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1981
Man wird mir sagen, dass es ein wenig einfach ist, es in diesen Begriffen zu sagen, dass die Geschichte komplex ist und es recht frivol ist, ein Phänomen wie dieses unter ein einziges Element zusammenzufassen. Man könnte auch anmerken, dass die Globalisierung in Wirklichkeit verschiedene Dimensionen hat, wie zum Beispiel die Wirtschaft. Die Dimension der großen Metropolen, die nach dem Kalten Krieg begannen, ihre aufgerichteten Schwänzchen zu bewegen und zu sabbern wie Hunde auf der Spur des Fleisches an einem naiven und globalen Knochen. Metropolen, die sich dank des technologischen Fortschritts in Lichtgeschwindigkeit bewegen können: Tokio schließt, New York öffnet, eine Bank frisst eine andere, ein Hund schluckt seine Haare und in seinen Eingeweiden keimt eine neue Bank, alles innerhalb eines Tages, in wenigen Stunden, mit Hilfe von Telefonanrufen, mit einem Klicken des Zeigefingers. Man könnte sagen, dass am Anfang das Kapital war, aber dass die Arbeit nicht der Richtung seines Abbildes und seiner Ähnlichkeit folgte. In dem Maße, in dem das Fleisch vom Knochen verschwand, begannen die Menschen, sich durch die Welt zu bewegen auf der Suche nach etwas zum Schlucken. Auch wir, die Superdemokraten, sind vagabundierende Parias auf diesem neuartigen Globus. Ich werde sagen: Ja, es stimmt, aber jetzt möchte ich von den Menschen sprechen, von einer Rasse, die erstmals in Tausenden von Jahren über Bewusstsein ihres Selbst verfügt.

Alles begann, vielleicht, als ein Typ, der in einer imaginären Vergangenheit in einem winzigen Dorf Samen verkaufte, auf die Idee kam, einige Kilometer weiter entfernt Käufer zu suchen. Oder vielleicht schlicht mit einer Jugendlichen, die, als sie die dauernden Vergewaltigungen des primitiven Vaters, die Schläge, das Blut im Mund satt hatte, von zu Hause weglief. Die über improvisierte Wege, durch Wälder, über Berge lief, endlose Meere schwitzte, vor Einsamkeit weinte. Bis sie einen Mann traf, sagen wir, einen Chinesen, der sie sanft behandelte, der mit seinen runden Augen, die magnetische Erotik des Andersartigen sehen konnte. Dort ließ sie sich nieder, aß Rebhuhn mit Reis, gebar gelbe und blaue Kinder und spürte erstmals in ihrem Leben Liebe. Ein anderer, ein Typ mit schmutzigen Fingernägeln, mit strengem Körpergeruch, beschloss, alles los zu lassen und sich in die Poesie, in die Utopie zu flüchten. Er lernte sonderbare Landschaften, exotische Tiere, riesige Frauen und ganze Dörfer mordende Zyklopen kennen. Auf seinen Wanderungen erfuhr er die merkwürdigsten Gewohnheiten und Häute, Gastfreundschaft und Krieg, und sicherlich erfuhr er auch die Liebe.

Nichts davon ist neu, nichts Menschliches kann neu sein. Wir schnüffeln an unseren Hinterteilen wie die Hunde und versuchen, uns dadurch besser kennen zu lernen. Uns wieder zu erkennen! In den anderen suchen wir, was unseres ist und jenes was uns fern ist, in verschiedenen Graden von Freude, Verdichtung, Toleranz. Manchmal fühlen wir uns wohl mit diesen Differenzen, in anderen Momenten möchten wir ein einziges, homogenes Etwas sein. Aber im Gegensatz zu anderen Zeiten haben wir heute dieses neue Rad, das uns viel schneller als unsere Füße zur geistigen Wärme der anderen transportiert. Eine Wärme, die durch ein Werkzeug vermittelt wird, das alles in Nullen und Einsen verwandelt. Eine abstrakte Institution, die uns bis zu einem gewissen Grad mit Hilfe einer neuen, universalen Sprache alle gleich macht. Wir sind Fleisch, Organe, Atmung, Puls… und vor allen Dingen haben wir ein Bewusstsein. „Die Luft ist frei, ich fasse dich nicht an“, sagen die Kinder, um sich zu ärgern, während sie sich gegenseitig die Hände vor das Gesicht halten, ohne sich zu berühren. Wie viele Menschen, die wir kennen, haben wir umarmt oder gestreichelt? Wie wichtig ist die materielle Welt, um seinen Mitmenschen zu lieben?

Ich bin verschiedene Dinge, viele von ihnen abstrakt wie Worte, Ideen oder Träume. Diese Presse von Bedeutungen, Plänen, Symbolen, die wir Internet nennen, hilft mir dabei, mich einer großen Anzahl an Menschen zu nähern, mit denen ich mich darüber austausche, was mir geschieht, was ich fühle und was ich glaube. Dank des Netzes kenne ich eine Menge Menschen, sogar solche, die ich sehr gerne mag, aber die ich dennoch niemals gerochen oder berührt habe. Es geht sogar so weit, dass ich mich manchmal bei dem Gedanken erwische, die Realität, meine Realität, die meiner Stadt zu digitalisieren: die Bewohner Buenos Aires zu digitalisieren. Ich würde sie nicht fotografieren, filmen oder in einer Sprache beschreiben wollen, die sich systematisieren lässt wie die Fotos, die Filme oder die Wörter. Ich würde auch nicht gerne eine Schlussfolgerung anstreben, und noch weniger eine Reise, die es mir ermöglichen würde, meine Eindrücke Fremden zu erzählen. Ich würde sie nur gerne digitalisieren, um sie näher an mich ran zu holen, um mich zu vergewissern, dass wir alle Teil der Erschaffung einer neuen, gemeinsamen Sprache sind. Eine Sprache, die vor meinen Augen als unendlich erscheint.

Übersetzung: Marcela Knapp

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Zur Kritik der Gewalt http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/zur-kritik-der-gewalt/ Tue, 14 Sep 2010 07:19:44 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1812 Der Durchbruch der Sonne ist im Berliner Alltag immer ein großes Ereignis. Ihre Strahlen kündigen der kalten Stadt die Ankunft von Wonne, Genuss und Freude an. An sonnigen Tagen geht man in einem anderen Takt spazieren und die allgemeine gute Stimmung lässt Toleranz zu etwas Glaubwürdigem werden. Die Stadt scheint in einem unvergleichlichen Ausmaß zu jubeln. Die Liebe würde dann in jedem Augenblick aus dem geringsten Glaubensbeweis entstehen, sich überallhin verstreuen.

Sabine ging an diesem Tag raus, um durch die Stadt zu spazieren. Der Glanz ihres goldenen Haars in der Sonne würde alle Geliebten von Sjöfn, der nordischen Gottheit der Liebe, in ihren Bann ziehen. Aber es war Dienstag und Tyr, der Gott des Krieges, blickte durch ihre Augen.

Daniel versprüht Jugend. Er ist ein Jahr jünger als Sabine und seine Haut schimmert in der Sonne wie schwarzer Marmor. Er fühlt sich hier zuhause, auch wenn für ihn Sjöfn Vishnu und Tyr Shiva heißen würde.

Beide wurden in Berlin geboren, aber die Stadt gehört weder dem einen noch der anderen auf die selbe Art und Weise. An diesem Tag nehmen sie nicht ihre Fahrräder, sondern nutzen lieber die öffentlichen Transportmittel. Die U-Bahnhaltestelle Schlesisches Tor ist wie jede andere auch, etwas dreckig, mit eisigem Licht und sonderbarem Geruch. Eine Sicherheitskamera zeigt uns diese Jugendlichen voller Leben. Er steht einen halben Meter von den Gleisen entfernt, als sie den Bahnsteig betritt und sich ihm nähert. Sie stellt sich neben ihn, sagt etwas zu ihm. Sie gestikuliert und scheint zu schreien. Es ist früh am Morgen, möglicherweise hat er sich erschrocken, ich hätte das getan.

Er versucht ihr den Rücken zu kehren, sich taub der Situation zu entziehen. Sie sucht Streit. Sie stürzt sich auf ihn und schubst ihn auf die Gleise. Der Zug kommt in zwei Minuten. Einige Menschen, die in der Nähe stehen und den Vorfall mitbekommen haben, durchbrechen die morgendliche Benommenheit und versuchen, ihn von den Gleisen zu bekommen. Daniel wird später erzählen, dass sein Training als Verteidiger bei der ansässigen Fußballmannschaft ihm dabei geholfen hat, schnell zu reagieren. Auf fast allen Gesichtern steht Schweiß. Alles geht sehr schnell. Die Frische ist verflogen, die Atmosphäre von Entsetzen erfüllt. Es ist unwichtig, ob er sich selbst von den Gleisen gehievt hat oder ob andere ihn hochgezogen haben: Er lebt. Tiefer als die körperliche Verletzung sitzt der Schock. Alle sind ergriffen. Durch den Zoom der Sicherheitskamera kann man das Gesicht von Sabine sehen, es zeigt keine einzige Regung. Tyr fühlt für sie. Sie rennt auf die andere Seit des Bahnsteigs und springt in die Bahn, die in die andere Richtung fährt. Sie entfernt sich…Keiner der Anwesenden hat bis jetzt reagiert. Dann ruft jemand die Polizei, sie werden sie festnehmen und verhören. Sei zeigt keine Reue, nur Hass… Warum?

Es ist sieben Uhr morgens und Thilo Sarrazin schreibt an seinem Buch: Deutschland schafft sich ab. Sein Bruder, Nicolas Chauvin, unsterblich geworden durch “La Cocarde tricolore” diktiert ihm den Text. Das, was er schreibt, trägt nicht das Feuer des Lebens in sich, sondern die Asche der Niederlage. Ein moderner Heine würde Folgendes zu ihnen sagen:

Die Berliner Weber

Sie gehen durch die Stadt mit der Stirn in Falten.
Sie setzen sich vor ein Bier und fletschen die Zähne;
Deutschland, wir werden dein Leichentuch nicht weben.
Und damit weben wir unseren eigenen Fluch.
Wir weben nicht, wir weben nicht!

Gesegnet sei unsere Religion, die Religion der Intoleranz.
In Vereinsamung und Lynchmorden,
An dich glauben wir und dich zwingen wir auf.
Wir betrügen uns, wir vernichten uns.
Wir weben nicht, wir weben nicht!

Gesegnet sei die Regierung, die Regierung der Reichen,
Die unsere Not nicht lindern konnte,
Die uns auch der letzten Hoffnung beraubt
Und uns wie Hunde sterben lässt.
Wir weben nicht, wir weben nicht!

Gesegnet sei das falsche Vaterland,
Wo die Demütigung und die Schande Hand in Hand laufen,
Wo jede Blume schon beim Knospen knickt,
Wo die fauligen Würmer über dem Festessen schwelgen.
Wir weben nicht, wir weben nicht!

Im durstigen Auge keine Tränen.
Deutschland, deine Weber weben nicht,
Weder bei Nacht, noch bei Tag.
Neues Deutschland, deine Weber weben nicht mehr!


Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Ode an den Körper http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/ode-an-den-korper/ Mon, 16 Aug 2010 07:47:35 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=775 Da war dieser Moment, um die Libido zu befreien. Um aus sich selbst herauszutreten. Sich für eine Weile gedrückt fühlen, angenommen, gebraucht. In der Hoffnung, ein Tüpfelchen vom Leben erhaschen zu können, weil es sich in der erstickenden Alltäglichkeit aufzulösen drohte.

Dafür betreten die beiden die Bar. Dort ist Poesie anscheinend nicht notwendig. Stattdessen gibt es Alkohol. Einen Cuba Libre, einen Wodka mit Zitronenlimo, noch einen Schnaps hinterher, und nach und nach verdunkelt sich die Wahrnehmung. Die Musik tut ihren Teil. Ein sich konstant wiederholender, dröhnender Rhythmus sorgt für die nötige Monotonie, die das Denken erschwert. Nachdenken ist genau das, was man nicht will. Die Gedanken haben bereits bewiesen, dass sie die Einsamkeit nicht auflösen können, deshalb ist nichts sinnvoller, als sie auszuschalten.

Unglücklicherweise schafft man das nicht vollständig und fährt deshalb auf Autopilot weiter. Fühlen, die Körperhüllen fallen lassen, so zeigt sich die vergegenständlichte, objektivierende Sexualität. Sie schätzen sich ab, sie nähern sich an und gehen wieder auf Distanz. Sie trinken noch einen Drink, egal was. Der Moment nimmt eine eigene Persönlichkeit an. Die Spieler spielen ihre Rollen. Das Spiel hat begonnen, und alles wird ein Teil davon.

Die Andeutung eines Wunsches, verzaubernde Bewegungen, die anziehend wirken, verschüttete Drinks, die einiges andeuten, streichelnde und zudrückende Hände, schauende, beißende Augen: ein unendliches Sich-Amüsieren. Die beiden dort spielen die Hauptrolle in einer Jagdszene, in der beide Jäger und Beute sein werden. Sie pressen sich aneinander, sie fließen ineinander, und sobald ein Lächeln auftaucht, erholen sich die Glieder. Der Körper entspannt sich, gibt sich hin. – Zu dir oder zu mir?

Mit Klarheit und Kopfschmerzen kündigt sich der neue Tag an. Beide sehen zum ersten Mal das gesamte Gesicht des Anderen und gehen mit ihren Körpern auf einen Kaffee. Ein neuer Arbeitstag beginnt, und man versinkt erneut in dem gewöhnlichen Tun. Das Über-Ich beginnt mit seiner Arbeit. Die Schuld, die Ängste, das Gute und das Böse tauchen wieder auf: Die Party ist vorbei. Sie betrachten sich argwöhnisch. Die gleichen Fragen der vergangenen Nacht werden gestellt, nun aber ohne die Beihilfe von Alkohol, Dunkelheit und Musik …

Maquina de Amar

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Tagebuch http://superdemokraticos.com/themen/koerper/tagebuch/ Fri, 30 Jul 2010 06:48:04 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=554 Die Sprache ist eine Haut: Ich reibe meine Haut gegen eine andere…

Roland Barthes in Fragmente einer Sprache der Liebe

Gestern kehrte ich zu dem Haus zurück, das meins gewesen war, um einige Dinge, die ich zurückgelassen hatte, zusammen zu suchen: Bücher, Platten, Kleidung, Papiere, eine Sammlung Spielzeugfiguren, die wir in einem Regal ausstellten und die den Neid meiner Generation weckte: die Kollektion von Star Wars, Astroboy, Meteoro, die Kollektion der Jack-Schokoriegel und andere Schätze…

Ich sortierte und wählte aus, was ich mitnehmen und was sie behalten würde.

Meine Bücher in Kisten eingesperrt, die ich mit „María“ beschriftete und in der Ecke des Wohnzimmers stapelte. Unsere Spielzeugfigurensammlung, die nun unvollständig für uns beide ist, in einem kleineren Kistchen, das ich mit „María – Zerbrechlich“ beschriftete, was jetzt ironisch klingt, aber in diesem Moment war es keine Metapher, sondern wortwörtlich gemeint.

Nachdem ich das größte Regal geleert hatte und es mir anschaute, bemerkte ich, dass jedes Spielzeug, das ich entnommen hatte, einen Rand hinterließ. Es war offensichtlich, dass seitdem ich das Haus verlassen hatte, niemand niemals mit einem Staubwedel oder einem Tuch drüber gegangen war, denn die Silhouetten der Gegenstände wurden von perfekten Linien aus Staub umrandet. Ein Bild zeigte auf die Leere dessen, was jetzt nicht mehr da war. Ein Körper, der nur noch über seine Abwesenheit wahrgenommen werden konnte: die leere Form eines Tiers, eines kleinen Autos, eines Roboters…

Ich schaute und fragte mich, ob irgendjemand die Leere bemerken würde, die sie in meinem Körper durch ihre Abwesenheit hinterließ. Wie lange würde es dauern, bis der Staub dieses Bild bedecken würde. Wie lange würde ich warten müssen?

Ich schaue auf meinen Körper, als sei er eine Karte, ich zähle die Silhouetten aller lxs, die ihn jemals bewohnten, ich suche eine Antwort, aber diese Karte erklärt nichts.

Das ist die natürliche Semantik der Körper: Die Worte sind unsichtbar und sie werden durch einen anderen Körper begrenzt.

Das ist, was da ist. Es ist alles, was da ist.

Ich möchte über Intimität schreiben, darüber, wie sich Körper durchdringen… wie mein Körper von einem anderen bewohnt wurde und wie ich ihn wieder räumen kann, Wort für Wort.

Ich muss einen Räumungsprozess führen, das ist es!

Ich werfe mit Beschimpfungen, projektiven Substanzen, ich möchte einen Schuldigen finden, und es nicht selber sein.

Ich lese nur solche Bücher, deren Titel mir von Einsamkeit, Intimität und Liebe sprechen: Silencio no estar solo (Stille nicht alleine zu sein), Fragmente einer Sprache der Liebe, Un año sin amor (Ein Jahr ohne Liebe), La Nada (Das Nichts), Sätze, die ich schwermütig streichle. Wenn der Titel keine dieser Fragen erwähnt, lese ich es nicht. Ich möchte mich vergiften. Nein, ich möchte mich reinigen, ich möchte mich selber finden, ich möchte ein verdammter fuckin Zenmönch sein!

Während ich dieses Tagebuch schreibe, sitze ich in einem leeren und weißen Wohnzimmer. Die Kisten sind noch immer verschlossen und stapeln sich in der Ecke. Ich bin in diesem fremden Haus, das eigentlich mein Zuhause sein sollte.

Auf eine Serviette schreibe ich einen Absatz, den ich nicht vergessen möchte:

„Es gibt keinen Raum, wenn es kein Licht gibt. Die Welt kann nicht gedacht werden ohne das Licht zu denken… und dennoch ist in jedem Körper Dunkelheit, Bereiche des Universums, die das Licht niemals berühren wird und wenn es geschieht, dann weil der Körper krank oder zerstört ist. Es ist erschreckend daran zu denken, dass du existierst, weil es in dir diesen Tod, diese ewige Nacht gibt.“*

*Agustín Fernández Mallo in Nocilla Dream (Nutella Traum)

(geschrieben in Buenos Aires, 25. Juli 2010)

Übersetzung: Marcela Knapp

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Privatsphäre konfigurieren http://superdemokraticos.com/themen/koerper/privatsphare-konfigurieren/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/privatsphare-konfigurieren/#comments Wed, 21 Jul 2010 07:00:34 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=491

Gif: Carolina Niño, http://photobucket.com/

1983. Zungenküsse mit Silvana del Carmen auf den Schaukeln vor ihrem Haus. Sie ist sieben Jahre alt.

1984. Ich bin nur knapp einer Entführung entkommen. Ich ließ eine schöne Frau in mein Haus. Sie stahl die Juwelen meiner Mutter und ein paar Dessous. Hand in Hand gingen wir zum Bahnhof. Die Frau bereut es im letzten Moment und lässt mich zurück, ohne sich zu verabschieden. Enttäuscht von ihrer Zurückweisung gehe ich zurück nach Hause.

1986. Ich höre sexuelle Geräusche im Dunkel meines Zimmer. Ich halte es für ein Kätzchen, das Milch trinkt. Wenigen Stunden davor war ich wegen einer plötzlichen schweren Asthmaattacke ins Krankenhaus eingeliefert worden. Ich sage zu der Krankenschwester, dass Sauerstoff nach Vanille schmeckt. Sie antwortet mir nicht.

1989. Ich spiele Atari und springe über die Dächer in meiner Nachbarschaft. In der Schule wählen mich die Mädchen zur männlichen Begleitung der Klassenvertreterin für die Wahl zur „Patin des Sports“. Sie heißt Marianne und ich bin verliebt. In der Nacht lenke ich meine Tagträume, in denen wir am Ende immer heiraten. Mein Vater streitet vor dem kindlichen Schönheitswettbewerb mit meiner Mutter. Meine Mutter versichert, dass sie mich immer wegen meiner Größe wählen. Meine Nachbarn spielen schon Nintendo.

1992. An einem Samstagmorgen bekam ich überraschenden Besuch von meinem Cousin. Er hatte erfahren, dass wir endlich einen Videorekorder bekommen hatten und führte mich in die audiovisuelle Welt der Pornos ein. Mein Ruf verbreitet sich, und ich erfreue mich wachsender Beliebtheit im Viertel. Rosa arbeitet bei uns als Hausangestellte, ich mag sie sehr gern. Rosa würde mir gefallen, wenn ihr nicht die beiden Schneidezähne fehlen würden. Einige meiner Freunde aus der Nachbarschaft stören sich nicht an solchen Kleinigkeiten: Sie machen einen Quantensprung im Vergleich zu mir und meiner Pornographie. Bevor sie das Haus verließ, musste Rosa abtreiben, mit einer selbstgebrauten Mixtur aus irgendwelchen Kräutern.

1993. Riesige Poster von Nirvana in meinem Zimmer. Ich trete von der Virtualität in die Wüste der Wollust ein.

1996. Ich spiele die „Stimme des Schattens“ in einem Brecht-Stück. Ich finde es großartig, weil ich wie Brandon Lee in Die Krähe geschminkt werde. In dieser Nacht im September treffen ich einen meiner Lehrer, einen Priester, im einem Nachtclub. Zum Jahresende unterzeichnen die Guerrilla und die Regierung den „festen und dauerhaften Frieden“.

1998. Wir geben mit unserer und anderen Bands ein Konzert, aus Solidarität für die Opfer des Hurrikan „Mitch“. Als Eintritt müssen die Leute einen Sack Mais oder Bohnen mitbringen.

1999. Ich reise nach Nicaragua, zu den Feierlichkeiten anlässlich des 20. Jahrestags der sandinistische Revolution. An der Grenze hatte ich ein Offenbarung. Meine Freundin schreit mich an, dass ich ihr ein Sandwich machen solle, weil sie gleich verhungert. Ich mach drei aus Schinken und gebe eins dem Bettler, der zu uns kommt um Geld zu schnorren. Der Bettler gibt von seinem Brot die Hälfte seinem Hund. Als wir nach Guatemala zurückkommen, beenden wir die Beziehung.

2000. Ich übe täglich „Die Sims“, ein Videospiel mit Strategie und Gesellschaftssimulation. Ich werde „Prehistorik 2“-abhängig. In Havanna kaufe ich eine wundervolle Ausgabe der „Gesammelten Kurzgeschichten“ von Edgar Allan Poe, übersetzt von Julio Cortázar.

2002. Ich miete mir ein Haus in der Straße Roosevelt. Ich leben mit meinem Hund Rilke. Ich feiere viel. Ich höre hartnäckig die CD Sub von Bohemia Suburbana.

2003. Aus Schamgefühl kann ich gar nichts erzählen, was in diesem Jahr passiert ist.

2005. Während einer Party in unserem Haus in der Rue d’Alésia in Paris fange ich Feuer. Ich hatte mich zu nah an ein paar Duftkerzen gesetzt. Ich habe keine Verbrennungen, bin aber vor allen nackt. Viele lachen und zeigen mit dem Finger. Meine Freundin lädt mich auf das R.E.M. Konzert in das Palais des sports ein. Auf das von Tori Amos will ich sie nicht begleiten. Im Internet lese ich, dass der Tropensturm Stan den Ort Panabaj dem Erdboden gleichgemacht hat.

2006. Ich surfe durch die Realität zwischen Fehlgeburten, schweren Depressionen, almodovorianische Partys und den Wundern der florentinischen Renaissance.

2008. Während meines Aufenthaltes in Medellín, lass ich mich von einem einheimischen Vergil führen, der Erfinder eines Stadtrundgangs, der sich „Anthropologie des Todes“ nennt. Poesie-Vorleserinnen schieben mir Zettelchen unter meiner Tür im Hotel Nutibara durch. Ich lege mir ein Facebook-Profil an. Ich durchquere Frankreich in Hochgeschwindigkeitszügen. Ich erlebe ein wundervolles Jahresende an den Stränden der Copa Cabana. Dort kommt mir die Idee ein Buch über mexikanische und zentralamerikanische Frauen zu schreiben, die nach Brasilien reisen, um ihre flüchtigen Ehemänner einzufangen.

2009. Ich informiere mich endlich über die Operation, die ich schon lang hätte machen lassen müssen, und finde heraus, dass ich mich für eine Prothese entscheiden kann. Ich nehme an Poesielesungen in Second Life teil und verwandle meine Chat-Sucht auf Gmail in ein Werkzeug meines Schreibens. Viele meiner Phantasien werden erfüllt, ohne das es meine Absicht war. Aus Versehen wasche ich meinen Reisepass in der Waschmaschine mit. Er kommt aufgelöst wieder heraus, als wäre ich nie geflogen. Wie ein Zombie irre ich auf der Straße Guatemala in Buenos Aires umher – so endet für mich das Jahr.

2010. Ich stelle die Privatsphäre auf meinem Facebook-Profil auf die höchste Stufe.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

Gif: Carolina Niño

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Morgen heirate ich http://superdemokraticos.com/laender/argentinien/morgen-heirate-ich/ http://superdemokraticos.com/laender/argentinien/morgen-heirate-ich/#comments Fri, 16 Jul 2010 10:48:49 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=465

Ja, Hochzeit!

Seit Wochen wird in unserem Land mit Pro- und Contra-Argumenten über die gleichgeschlechtliche Ehe diskutiert. In diesen letzten Tagen war im Namen Gottes, der Liebe und der Familie so viel Unsinn zu hören, dass ich dem Ganzen nicht mehr traue.

Heute findet eine Demonstration von den Gegnern der schwul-lesbischen Ehe statt. Auch wir, die wir an die Freiheit für alle glauben, protestieren lautstark an verschiedenen Orten der Stadt.

Mir stehen die Haare zu Berge, wenn ich nur daran denke, dass wir das Thema bei dem heutigen Stand der Dinge so diskutieren und auf derart ungebremsten Gewaltniveau austragen. Es überrascht mich und doch wieder nicht, natürlich… in einem Land, in dem noch immer Menschen verschwinden (erinnert ihr euch an Julio López?) und ich erwähne das, um nicht nacherzählen zu müssen, was sich in unserem Land alles mit dem Segen der Heiligen Katholischen Kirche ereignete… und von dem jeder weiß… und all das wurde normal. Was ist das Normale? Ist es normal, dass all das normal ist?

Ich kann es in meiner eigenen Familie beobachten… mein älterer Bruder spricht seit neun Jahren nicht mehr mit mir, weil ich mit einer Frau zusammen bin, mein Vater sagte mir: „Tu was du willst, aber für mich ist ‚das‘ eine Krankheit.“ Ausgerechnet heute, wo die Katholiken gegen die Freiheit demonstrieren, löschte mich mein anderer Bruder vom MSN.

Wovor haben sie solche Angst? Wieso klingen ihre verbissenen Argumente und ihre vehemente Ablehnung in meinen Ohren nach versteckter Perversion? Wieso denken sie, wenn sie an ein homosexuelles Paar denken, nur an Sex und nicht an Liebe? Wieso hegen sie, wenn doch Gott Liebe ist, wie sie behaupten, solchen Hass und Ablehnung gegenüber ihren Nächsten, die sie lieben sollten wie sich selber?

Vor Kurzem trennte ich mich von der schönsten und besten Frau der Welt. Wir waren fast neun Jahre lang ein Paar. Morgen heirate ich nicht, das war ein Witz. Aber wenn wir irgendwann wieder zusammen kommen sollten, sie und ich, werde ich sie sicherlich fragen, ob sie mich nicht heiraten möchte.

Heute machen wir die Geschichte!

Übersetzung: Marcela Knapp

Anmerkung: Das Gesetz zur gleichgeschlechtlichen Ehe wurde am 14. Juli 2010 vom argentinischen Senat nach einer vierzehnstündigen Sitzung verabschiedet. Damit ist Argentinien das erste Land in Lateinamerika, das die gleichgeschlechtliche Ehe unterstützt.

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