Aktivismus – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Jahresende, Explosionen http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/jahresende-explosionen/ Sat, 31 Dec 2011 09:52:13 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6297 Die Zeit zwischen den Jahren, wie man auf Deutsch sagt, also die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr, sind ruhige Tage. Die Hauptstadt ist leer. Einzig Touristengruppen auf der Friedrichstraße am Checkpoint Charlie trauen sich in das nass-kalte Wetter. Die meisten Menschen ruhen sich  vom Festessen und Endjahresstress aus, schauen ein paar Blockbuster im TV, ordnen Geschenke in die Regale, telefonieren, schweigen, schlafen. Bis dann am letzten Tag des Jahres die Böller kommen. Sie kommen von vorne, von hinten, von oben, am 31. Dezember, wenn es dunkel wird, ist es schwierig, ihnen auszuweichen. Einmal habe ich ein paar Jungs, die gerade dabei waren, etwas zu zünden, zugerufen: „Hey, Jungs, ich hab einen Tinnitus, bitte wartet kurz mit eurem Knaller, bis ich vorbei bin.“ Und sie: „Klar, kein Problem, liebe Dame.“

Diese durch Explosionen immer wieder aufgeweckte Besinnlichkeit könnte ein Bild für den Literarischen Aktivismus sein, ein Verhalten, das wir uns von Superdemokraticos immer wieder auf unsere Fahnen geschrieben haben, dem wir das Monatsthema Dezember, aber auch eine Anthologie gewidmet haben, die für fünf Euro beim Verlag Milena Berlín zu kaufen ist, der sich gründete, nachdem die Verleger 2010 bei der Frankfurter Buchmesse einen Stand besetzten. Literarisch aktiv sein heißt nämlich, sich für die Literatur auch körperlich einzusetzen, nicht nur monetär. Für Autorinnen und Autoren, für Orte, an denen Literatur stattfindet. Heißt, Freiräume aufzusprengen, Aufmerksamkeit zu gewinnen, heißt, sich für etwas, jemanden zu entscheiden, heißt, eine Meinung zu haben, sich nach vorne zu stellen, mit Gesicht, mit Stimme, mit Mikro. Heißt, das Publikum zu schätzen, das mit den Füßen abstimmt. Mal sehen, wer heute kommt, ob jemand kommt…

Als ich 1999 nach Berlin umzog, mit Gedichten in meiner Tasche, lief ich von Lesung zu Lesung, um die anderen Dichter kennenzulernen. Die sollte es doch hier geben. Wo waren sie denn? Zunächst fand ich Veranstaltungsankündigungen in Zeitungen, dann fand ich Bekannte, Komplizen, Vertraute, Verrückte, war Mitglied verschiedener privater Lyrikkreise, die alle gemeinsam hatten, dass der Rotwein floss und die Luft aus Qualm waberte, dass die Egos aneinanderprallten, dass aber auch gemeinsame Publikationen erschienen. Ich organisierte mit anderen eine Lesebühne (visch&ferse), die sich jährlich auflöste und wieder neugründete, und einen mehrsprachigen Salon, den Hinterzimmer-Salon. Mal wurde ich eingeladen, mal lud ich ein. Mal stritt man sich, mal versöhnte man sich, manchmal las man sich nur noch auf Facebook. Da war etwas kaputt gegangen. Explosionen können gefährlich sein.

Aber zum Glück ist das Vertreten von Texten, die Text-PR, so emotional, so im- und explosiv. Neues entsteht, wenn Altes vergeht. In der aktuellen Ausgabe der Literaturzeitschrift Am Erker wurden gerade 13 Autorinnen und Autoren gefragt, ob zwischen Schriftstellern Freundschaft möglich sei. Allein diese Frage zeigt schon, wie vermint der Boden ist, auf dem sich Schreibende bewegen. Das Jahr ist zu Ende. Wir machen weiter. Weil wir daran glauben, dass nach dem Knall ein Nachhall bleibt. Wenn man zusammen an etwas glaubt und arbeitet.

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Schwarze Diaspora http://superdemokraticos.com/laender/usa/schwarze-diaspora/ http://superdemokraticos.com/laender/usa/schwarze-diaspora/#comments Wed, 27 Jul 2011 06:48:18 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=4308 Ich sitze in einem Café. Die Sonne scheint, mein Blick fällt erst auf die riesigen Palmen, deren Wedel sich im Wind bewegen und dann auf Angela Davis, die mir entgegenkommt. Mit Yoga-Matte auf dem Rücken lächelt sie mir zu und fragt mich, wie es mir geht. Wir haben uns vor ein paar Wochen auf einer Veranstaltung kennengelernt. In den drei kurzen Monaten, in denen ich jetzt in Kalifornien lebe, hatte ich Begegnungen, von denen ich in Deutschland über Jahre hätte zehren können. Manchmal wünschte ich, ich wäre hier aufgewachsen und hätte nicht in Deutschland, umgeben von diesem endlosen undurchdringlichen Weißsein meine Identität als Schwarze Frau formen müssen.* Ich hätte mich nicht von der frühesten Kindheit an damit auseinandersetzen müssen, dass man in mir zuerst die Repräsentation einer Gruppe sieht und erst sehr viel später die Person. Damit, dass afrodeutsche Menschen wie ich im medialen Diskurs nicht oder nur als Klischee vorkommen. Damit, dass man uns Dinge nennt, die eines Menschen nicht würdig sind.

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Hier muss ich mich nicht mehr ständig definieren und erklären. Gerade weil das Schwarzsein so präsent ist, ist mein Schwarzsein nicht mehr entscheidend. Plötzlich kommen keine Rückfragen mehr, wenn ich sage, dass ich aus Deutschland bin (Aber woher kommst du wirklich? Und ursprünglich? Aber deine Eltern?…). Ich kann mich in 30 Lebensjahren an keine einzige Situation erinnern, in der so eine Aussage in Deutschland unhinterfragt stehen blieb. Schwarzsein und Deutschsein schließen sich für zu viele noch immer gegenseitig aus.

Manchmal vermisse ich es. Doch dann erinnere ich mich wieder. An das Fremdsein im eigenen Land. Daran, dass all die Selbstverständlichkeiten, an die ich mich in meiner neuen Heimat schon komplett gewöhnt habe, dort nicht existieren. Dass ich in Deutschland nicht zufällig meinen HeldInnen und inspirierenden Menschen wie Alice Walker, Chuck D und Danny Glover begegne, sondern viel Zeit, Energie und Planung investieren muss, um mir (und anderen) vor Augen zu halten, wie vielschichtig und bewundernswert wir Menschen of Color sind. Und während wir uns in Hamburg und dem Rest Deutschlands dagegen wehren, dass weitere Kolonialisten mit Straßen- und Stadtteilnamen geehrt werden, lebe ich hier zwischen Gebäuden, Autobahnen und Plätzen, die nach Schwarzen Widerstandskämpfern und Politikern benannt sind. Hier kann ich mich den unterschiedlichsten Schwarzen Gruppen und Organisationen anschließen und muss sie nicht selbst gründen. Hier kann auch ich einfach mal mitmachen.

Kann zu Marcus Books, dem ältesten unabhängigen Schwarzen Buchladen der Vereinigten Staaten spazieren und mich durch die gesammelten Werke literarischen Schaffens aus der afrikanischen Diaspora wühlen. Die afrikanische Diaspora hat hier sogar ihr eigenes Museum. Ich freue mich. In mir hat sich so viel entspannt. Natürlich weiß ich, dass auch hier hinter all dem, was ich jetzt genießen kann, schmerzhafte Opfer und Kämpfe stehen. Kämpfe, die noch lange nicht vorbei sind. Insofern ist mein Aufenthalt hier so, als hätte ich mich in eine Zeitmaschine gesetzt, hätte eine Preview des Möglichen. All das – und etwas ganz Eigenes – können wir in Deutschland auch haben. Wenn wir uns weiterhin als People of Color organisieren und nicht mit dem Status quo abfinden.

Ein afroamerikanischer Gast-Professor war am Ende seines Aufenthalts an meiner Uni so über das schockiert, was er im Kollegium hörte und in Hamburg erlebte, dass er alle Schwarzen Studierenden in meinem Fachbereich davon überzeugen wollte, in die USA zu kommen. Ich war der Meinung, dass Abhauen keine Lösung sei, dass man bleiben und etwas verändern müsse. Dass man nicht einfach alle(s) im Stich lassen könne. Sein Statement dazu: „Die Frage ist, wie viel man selbst aushalten kann.“

Für mein junges Aktivistinnen-Herz war das damals schwer hinzunehmen. Das war wie Hochverrat an der Sache, der ich damals mein Leben widmete. Aber mein Professor hatte recht, man muss auf sich selbst aufpassen. Zwischendurch auftanken. Und so versuche ich zumindest aus der Ferne ein paar Dinge aus der Zukunft mit denen zu teilen, die in Deutschland die Stellung halten:

youtube http://www.youtube.com/watch?v=94W1JjvWOSk

*Schwarz ist eine politische Selbstbezeichnung, die adjektivisch in Großschreibung verwendet wird.

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Traumfänger http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/traumfanger/ http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/traumfanger/#comments Thu, 16 Sep 2010 06:20:51 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1656 *Die Globalisierung erreichte mich mit dem Hypertext, der durch das schwache Signal einer Telefonanlage zu mir gelangte. Sie gab nächtliche, interplanetare Geräusche von sich. Zu diesem Zeitpunkt studierte ich und konnte mir nicht vorstellen, dass ich nicht nur niemals als Journalistin arbeiten würde, sondern dass die Zeit, die Mikroprozessoren und die Globalisierung mich zu der Überzeugung bringen würden, dass das Studium des Journalismus wie ein Studium zum Telegraphen-Operator ist.

*Im Jahr 2001 sah ich auf einem Kunsthandwerkmarkt in Südafrika zwischen peruanischem und ecuadorianischem Trödel einen kleinen Traumfänger aus orange-farbenen Federchen hängen. Es war dieser heilige Kreis, der sich in industriellem Maßstab wiederholt, aus Plastik oder Acryl gefertigt ist und bis zu seinen lächerlichsten Ausformungen getrieben wird, der auf virale Art und Weise in die Schlafzimmer von Millionen von Jugendlichen auf der ganzen Welt einfallen würde, um vergeblich die kollektiven Alpträume des neuen Milleniums aufzuhalten.

*Im selben Jahr, als Nicht-Journalistin, arbeitete ich bereits mit Menschen aus aller Welt und versuchte zu verstehen, was in San Fransisco, Seattle, Porto Alegre, Buenos Aires, Bangalore geschieht… alles zur selben Zeit. Die Dinge begannen, sich anders anzufühlen. In den Folgejahren würden wir lernen, dass wir miteinander mehr gemeinsam haben, als mit den Nachbarn der Wohnung nebenan, dieser Frau, die darauf besteht, ihre Zahlungen in der Zentralstelle des Elektrizitätsunternehmens zu tätigen und die sich bekreuzigt, wenn in den Nachrichten die sozialistische Partei genannt wird.

*Alle meine Freunde waren Aktivisten. Gemeinsam waren wir gegen viele Dinge. Jahre später würden wir uns bewusst werden, dass wir uns in wenigen Dingen einig waren. Damals redeten wir von der Globalisierung und ihren verheerenden Auswirkungen, von der ökonomischen Gewalt, vom Knirschen der Strukturen. Wir hörten von Weitem ein rabiates und unaufhaltsames Rudel kommen, eine Maschine, die arme Menschen fraß und ihre Reste ausspuckte, für den Export gepackt und etikettiert. All diese Dinge würden geschehen und mehr.

*Die Globalisierung findet ihr Territorium der Transaktion auf den Flughäfen. Durch die vielen Besuche trösten mich ihre universellen graphischen Konventionen des Gehen Sie hierhin, Setzen Sie sich dort hin, Durchgang verboten. Die Flughäfen und ihre weichen und harmlosen Speisen, ihre einheitliche Literatur, ihre mehrsprachigen Ansagen in den Lautsprecheranlagen. Dieser Unternehmertyp, der allen Unternehmertypen gleicht, dieses Mädchen, das in Urlaub fährt, um ihr wahres Schicksal bei den Armen dieser Erde zu finden, jene Reisenden, die immer zu schlafen scheinen, diese so stille Frau und ihre Kinder, die von einem Beamten der UNHCR begleitet wird.

*Manchmal, während ich ein Stück Papier schneide, fällt mir auf, dass es gar nicht so verrückt ist zu vermuten, dass diese Scheren in China vom Cousin des Chinesen gemacht wurden, der diese andere Schere gemacht hat. Dieses Buch, das mir gefällt, das euch in Deutschland gefällt, gefällt auch irgendeinem Typen in Singapur, der es in einem dieser Züge liest, in denen keine Portemonnaies geklaut werden. Und ich würde gerne mit Bestimmtheit sagen können, dass letzte Nacht, als ich aufwachte, um das Fenster zu öffnen, weil es sehr warm war, zur selben Zeit eine Frau in Senegal oder in Kroatien zum selben Punkt am Himmel schaute und an mich dachte.

Übersetzung: Marcela Knapp

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ohne familie kann man leben http://superdemokraticos.com/themen/burger/ohne-familie-kann-man-leben/ Mon, 30 Aug 2010 07:00:20 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1269 Aktivismus, Poesie, Familie, Musik…

In meinem Leben gibt es zwei große Pfade, die sich nicht voneinander trennen lassen: der eine ist der soziale und kulturelle Aktivismus, der andere die Poesie.

Ausgehend von diesen Grundlagen, erschaffe ich mir meine Welt. Ich bin Teil eines künstlerischen und sozialen Kollektivs, das es mir teilweise ermöglicht, beide Pfade gemeinsam zu verfolgen, aber gleichzeitig und in bestimmten Momenten prallen sie in mir aufeinander: das Öffentliche und das Private.

Mit dem Kollektiv Yonofui praktiziere ich sozialen Aktivismus. Wir arbeiten mit Frauen in Gefängnissen, kooperieren mit anderen sozialen Organisationen und staatlichen Einrichtungen, um einen Politikwechsel herbeizuführen. Beispielsweise in Bezug auf Hausarrest, die „Allgemeine Zuwendung für das Kind“ (eine im Jahr 2009 in Argentinien eingeführte Form von Kindergeld für Mittellose, Anm. d. Ü.), den Zugang zum Arbeitsmarkt, die Gesundheit usw.

Es geht darum, ein neues politisches und kulturelles Bewusstsein zu erschaffen.

In den Gefängnissen koordiniere ich Werkstätten zu Poesie und eine zu Briefliteratur, und wir realisieren viele Kunstprojekte, Ausstellungen, wir publizieren Bücher, Platten und Fanzines. In einem Monat wird das dritte Poesiefestival in einer Haftanstalt stattfinden, an dem um die 20 geladene Dichter, Musiker und eine große Menge von Menschen teilnehmen und einen Tag mit Poesie in der Einheit 31 von Ezeiza (ein Frauengefängnis in Buenos Aires, Anm. d. Ü.) verbringen werden.

Auf der anderen Seite ist der Ort, an dem wir arbeiten, ein zurückgewonnener Raum, eine nachbarschaftliche Versammlung, die inmitten der Krise im Jahr 2001 entstanden ist und zur Zeit mit der Stadtverwaltung im Konflikt steht, die kulturelle, gemeinschaftlich genutzte Räume zerstören möchten. Auch hier, als Mitglied dieses Kollektivs, das das Kulturzentrum Bonpland bildet, nehme ich aktiv an Aktionen teil, um diese Freiräume zu schützen.

Und manchmal erschweren all diese Aktivitäten den stillen Akt der Poesie. Man surft durch die Sitzungen, die dringenden Notwendigkeiten, mit denen wir es zu tun haben, mit den ewigen Reisen zu den Haftanstalten, um jene so zufriedenstellenden Momente zu finden, die uns das Schreiben schenkt.

Vielleicht ist es deshalb so, dass meine Poesie von diesen Konflikten durchzogen ist, von diesen Realitäten, die Teil meines alltäglichen Lebens sind. Wenn ich darüber nachdenke, was das Wichtigste in meinem Leben ist, ob der Aktivismus oder die Poesie, so fällt mir die Entscheidung schwer. Für mich gehören sie zusammen, und nicht, weil ich der Ansicht bin, dass es für alle so sein sollte. Ich glaube nicht, dass der Künstler dazu verpflichtet ist, sich in sozialen Konflikten zu engagieren, und nichts dergleichen. Das ist, was allein mit mir geschieht und es hat mit meiner persönlichen Geschichte zu tun, mit meinen Entscheidungen.

Ich genieße es auch sehr, Projekte ins Leben zu rufen, die sich mit Poesie, mit Kunst beschäftigen, und so entstand Voy a Salir y si me Hiere un Rayo (Ich gehe raus und wenn mich ein Blitz trifft), ein kleiner Verlag für Poesie und ein Literaturvertrieb, der entstand, um den Produktionen unabhängiger Verlage größere Sichtbarkeit zu verschaffen und sie in Umlauf zu bringen. In diesen Tagen werden wir, gemeinsam mit ein paar Freunden, die eine sehr alte und wunderschöne Druckerpresse haben, eine Reihe von Poesieblättchen herausbringen. Wir ließen uns auf dieses Projekt, das aus eigener Kraft entstanden ist, ein, und es macht mich glücklich, es erfüllt mich mit einer freudigen Energie, trotz aller Unbarmherzigkeit dieser Zeiten, solche Projekte und solche Räume künstlerischer Reflexion hervorbringen zu können.

Und, ja, ohne Familie kann man leben, aber ohne die Musik definitiv NICHT!

Und ohne Liebe auch nicht.

Übersetzung: Marcela Knapp

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Leiser Komplott http://superdemokraticos.com/themen/burger/espanol-el-complot-silencioso/ http://superdemokraticos.com/themen/burger/espanol-el-complot-silencioso/#comments Fri, 27 Aug 2010 15:47:39 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1313
Ich praktiziere einen einsamen Aktivismus: Ich treffe mich mit anderen, um Bücher zu verlegen. Getrieben von der unschuldigen Perversion, das Buch als ein quasi magisches Objekt zu betrachten, habe ich mich mit ein paar weiteren Personen fast aus Zufall zusammengetan und damit begonnen, der Kulturindustrie ein wenig von dem verdorbenen, verführerischen Aberglauben zurückzugeben, der uns in unserer Kindheit eingeimpft wurde. Leute mit unterschiedlichen ästhetischen Auffassungen, verschiedenen Geschmäckern und Lektüren, die sich in einem unbesiegbaren literarischen Kampfgeist vereinen. Ein Miniaturheer, das bereit ist, aufs Ganze zu gehen, ohne viel zu erwarten. Alles wegen eines Objekts aus Papier.

Dieses scheinbar bedeutungslose Ding, das Buch heißt, ist für mich (und für die halbwegs verrückte Truppe) von großer Bedeutung. Ich gehöre zu der Sorte Mensch, die glaubt, dass man durch die Lektüre eines Buch jede Erfahrung vorweg machen kann: vom Bau einer Bombe bis zu den unergründlichen Mysterien der Liebe über den Fischfang und die Entdeckung von bisher unbekannten Orten in einem selbst. Ich habe mich für alle möglichen Verrichtungen der Bücher bedient, einschließlich für den Gesetzesbruch (klar, Bücher habe ich auch geklaut, was für eine Frage). Der Einfluss, den die Lektüre eines Buches auf das Leben von jemanden haben kann, ist unermesslich: Ich habe die rebellische Seite der Politik durch underground fanzines entdeckt, die ich in meiner Jugend in den 90ern (des vergangenen Jahrhunderts!) gelesen habe. Für mich charakterisiert das Prä-Internet, das Netz unplugged, jene Epoche des Austauschs und der Entdeckungen. Seit damals habe ich begonnen, an dem zu zweifeln, was für normal oder natürlich gehalten wird, seit damals habe ich das Gefühl, dass alles einen anderen Sinn hat.

In einem Land, in dem die Analphabetenrate extrem hoch ist (man muss abwarten, wie die jetzige Alphabetisierungskampagne vorankommt), das intellektuelle Leben wenig Tradition hat und für die große Mehrheit der Bevölkerung Bücher unerschwinglich sind, haben mich in meiner Arbeit drei Personen sehr inspiriert: Franco (ein reiselustiger Anarchist, der in einer Stadt ohne Buchläden Raubkopien von Klassikern und avantgardistischer Literatur anfertigte), Marcelo (jemand, der auf die harte Tour lernen musste, dass nicht nur „das Schöne“ zählt, sondern auch so prosaische Dinge wie der Markt) und Alison (eine promovierte Anthropologin mit einem exquisiten, freakigen Literaturgeschmack, die ihre eigenen Werke verlegt hat  – und die zu den besten meines Landes gehören – und die von weiteren mit Feder und Faust zur Randexistenz Verdammten). Von Nahem zu sehen, wie diese drei durch Widrigkeiten hindurch surften, brachte mich dazu, meinen eigenen Weg in der Welt der Verlage einzuschlagen. Eine Welt, in der die Autoren sich über den Mangel an Aufmerksamkeit und Privilegien seitens der Verleger und über die geringe Anzahl guter Lektoren und scharfsinniger Kritiker beklagen, eine Welt, in der die Verleger sich über den nachlässigen Umgang der Grafiker mit der Rechtschreibung und über die schonungslose Logik des Größenvorteils der Druckereien beschweren, eine Welt, in der die Drucker über die Schikanen der Papierlieferanten jammern, etc. Anstatt in diesem Beschwerdezirkel zu verbleiben, beschlossen wir, unsere Kontingenz mit Hoffnung und Dankbarkeit anzunehmen.

Im Mai 2008 habe ich mich mit anderen zusammen geschlossen, um unseren Narzissmen großzügiger zu dienen und Bücher zu verlegen (bisher ein Gedichtsband, drei Bücher mit Erzählungen und eine Anthologie lateinamerikanischer Literatur) und ein Blog zu betreiben, mit dem Ziel den Prozess zu rationalisieren. Wir wollen einen fehlerlosen und repräsentativen Katalog schaffen: Wir bewundern alle den Fetisch des „Neuen“. Manchmal ist es sehr schwer, und wir haben das Gefühl, alles sei verloren. Aber dann erinnern wir uns wieder daran, dass wir unser Schicksal auf uns nehmen. Wenn es einfach wäre, wäre es witzlos.

Übersetzung: Anne Becker

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http://superdemokraticos.com/themen/burger/pointpointpoint/ Thu, 19 Aug 2010 18:27:18 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=936 Das aktuelle Thema des Blogs ist die Frage, welcher dieser Aspekte das eigene Leben bestimmt: „Arbeit, Familie, Aktivismus, Mitbestimmung, Musik, Literatur, Bildung…“ Es wäre nicht sehr schwer, die Vorschläge aufzugreifen, sie in Beziehung zu mir setzen und den Text mit Fakten aus meiner Biographie zu füllen. Ich könnte schreiben, dass ich meine politische Aufgabe darin sehe, ein bisschen mitzuhelfen, den Mantel des Schweigens, der in den vergangenen Jahren immer sorgsamer über die jüngste deutsche Diktatur gelegt wird, nicht noch glattzustreichen, sondern ihn hier und da wieder zu lupfen. Ich könnte darauf verweisen, dass ich in meinen Texten und bei öffentlichen Auftritten stets bemüht bin, klare Worte zu finden für das rigide kommunistische Regime, dem wir ausgeliefert waren, und niemals so tue, als sei, was nach 1945 in Osteuropa geschah nur ein missglückter, aber letztlich harmloser Weltverbesserungsversuch, über den man mittlerweile doch einfach hinwegsehen sollte.

Ich könnte schreiben, dass meine Familie und Freunde das Wichtigste in meinem Leben sind, weil nichts auch nur ansatzweise solche Bedeutung hat, wie andere Menschen zu lieben und von ihnen geliebt zu werden (in allen Facetten, die das menschliche Herz hierfür bereit hält).

Ich könnte von dem Schulstipendium erzählen, das ich einem vietnamesischen Mädchen finanziere oder davon, warum es mir wichtig war, einen Stolperstein zu spenden, obwohl ich keine Ahnung habe, wovon ich im nächsten Jahr eigentlich meine Miete zahlen soll.

Ich könnte erklären, dass ich Bildung für ein kostbares Privileg halte, das man würdigen und nie achtlos hinschmeißen sollte, weil es (wie meine Großmutter immer gesagt hat) der einzige Besitz des Menschen ist, denn dir niemand je wieder wird nehmen können.

Ich könnte über die Kraft der Literatur reden und davon, wie viel Hoffnung in Geschichten steckt.

All diese Antworten würden mich gut aussehen lassen und wären vermutlich genau das, was von einer halbwegs etablierten Autorin erwartet wird. Aber die Wahrheit ist, dass diese Dinge zwar Teil meines Lebens sind, bei der Auswahl „Arbeit, Familie, Aktivismus, Mitbestimmung, Musik, Literatur, Bildung…“ es jedoch die Auslassungspunkte am Ende der Aufzählung sind, die mein Leben am meisten bestimmen.

Seit ich vom Schreiben lebe, vermeide ich, Fremden zu erzählen, was ich beruflich tue. Ich bin durchaus eitel, was mein Schaffen betrifft und kann sehr gekränkt sein, wenn jemand meine Bücher nicht schätzt, aber darum geht es hier nicht. Es geht um das verträumt-romantische Lächeln, das sich auf das Gesicht der meisten Leute legt, wenn sie hören, dass ich Schriftstellerin bin. Manche stützen sogar ihr Kinn in die Handfläche und seufzen begeistert. – Ich bin es leid, anderen zu erklären, wie bleischwer Schreiben in Wirklichkeit ist. Dass es einsam, erschöpfend und quälend ist. Dass man den allergrößten Teil seiner Zeit nicht inspiriert und gut gelaunt in die Tastatur haut, sondern verzweifelt mit sich ringt: um Disziplin, um Struktur, um Sinn. Aber vor allem um Mut. Den Mut, die eigenen Gedanken nicht für dumm zu halten und sich selbst nicht für vermessen. Vertrauen zu finden in das, was man tut, sich jeden Tag gegen die Selbstzerfleischung zu wehren, sich nicht hilflos der Prokrastination zu ergeben, hat mit Lust oder Spaß wenig zu tun. Es ist harte Arbeit. Vielleicht die eigentliche Arbeit eines Schriftstellers.

Dieser Kampf mit Zweifeln, Schwäche und Angst ist es, was mein Leben wirklich bestimmt. Manchmal ist es kaum auszuhalten. Etwas anderes zu behaupten, wäre unehrlich.

Aber das kann man ja keinem erzählen…

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