Das typische Paar ist eine Dreierbeziehung

He roller-coaster he got early warning
He got muddy water he one mojo filter
He say „One and one and one is three“
Got to be good-looking ‚cause he’s so hard to see
Come together right now over me (Come Together, Beatles)

Wenn man das Wort „miteinander“ googelt, dann schlägt der schlaue Algorhythmus folgende Kombinationen vor:

– „miteinander reden“
– „miteinander schlafen“
– „miteinander leben“

In dieser Reihenfolge. Wie ist das in deiner Sprache? Auf Deutsch zumindest benennt die Suchmaschine witzigerweise das typisch deutsche Paarwerdungsverhalten: Zunächst isst man gemeinsam, ein Flachleger-Gericht zu Hause oder bei Kerzenlicht-Kitsch im Restaurant, eine gruppendynamische Picknickwurst im Park oder vielleicht auch Chips zum Kneipenbier, dann schläft man miteinander und dann liebt, äh, lebt man zusammen.

Paare.

Paare.

Natürlich kann am Anfang des zweisamen Miteinanders auch ein Blick stehen, ein Witz oder ein Tanz, ein Streit, ein Marienkäfer, Rachegefühle, eine Schlange, ein Milchgetränk oder ein Gedicht. (Bitte ergänze diese Reihe durch deine individuelle Start-Romantik.) In der Realität stehen am Ende des zweisamen Miteinanders sehr oft der falsche Pass, die fehlende Aufenthaltsgenehmigung, das sprachliche und kulturelle Missverstehen, vor allem heute, in einer Zeit, in der die gemischt-kulturellen Paare nicht mehr unsichtbar sind. Jede neunte in Deutschland geschlossene Ehe ist bereits binational (Zahlen von 2008), Tendenz stark steigend. „Bei den unter Sechsjährigen bilden Kinder mit Migrationshintergrund bereits die Mehrheit“ (Mark Terkessidis: Interkultur, 2010). Auch ich war mit mehr Nicht-Deutschen zusammen als mit Deutschen, und das liegt nicht daran, dass ich die Deutschen nicht mag, obwohl sie alle besserwisserische, pragmatische, regelkonforme Nazis sind wie ich. Es liegt daran, dass die Stadt Berlin, wo ich wohne, immer internationaler wird. Sogar die Aliens hier, die unter grüner Kostümierung Flugblätter und Werbung verteilen, sind mehrsprachig; echte Berliner sind vom Aussterben bedroht. Und so kann ich sagen, bin ich zu einer Expertin des transkulturellen Liebens geworden. Und des transkulturellen Scheiterns, u.a. beim Streiten in einer fremden Sprache, beim Missverstehen von Komplimenten, beim Rollenverständnis im Haushalt.

Zum Glück gibt es Beratungen für binationale Paare, wichtig bei juristischen Fragen. In einem Kreuzberger Hinterhof etwa arbeiten Rechtsanwälte kostenlos daran, die Liebe in Zeiten der Globalisierung nicht an Vorschriften scheitern zu lassen. Nehmen Sie Platz, nehmen Sie einen Tee, erzählen Sie mal. Nun, so groß ist der Spielraum nicht: Wer etwa keine Aufenthaltsgenehmigung hat, dem werden drei Vorschläge gemacht, um eine solche zu erhalten. 1. Verdiene so viel Geld, dass du eine Wohnung und deinen Unterhalt zahlen kannst. Das ist für Ausländer oft sehr schwierig, da ihre Ausbildungen nicht anerkannt werden, ihnen Kontakte fehlen, und sie daher oft im Niedriglohnsektor landen, wenn überhaupt. 2. Heirate einen EU-Bürger. 3. Mach ein Kind mit einer/m Deutschen.

Und so gerät die Liebe in den Strudel ökonomischer, bürokratischer und existenzieller Abhängigkeiten. Ein Kind ist auf einmal so viel (oder so wenig) wert wie ein Aufenthaltsstempel im Pass. Gefühle werden überlagert von Erwartungen, Hilfestellungen und, vielleicht auch, von verweigerter Hilfe. Rot ist nicht immer das Zeichen von Liebe, auch von Alarm. Rot ist auch die Wut. Der Ärger über Hilflosigkeit, Ausgeliefertsein, falschen Ansprüchen. Ein Wir explodiert.

Die deutsche Lyrikerin Monika Rinck schrieb 2006 in ihrem poetischen Essay „Ah, das Love-Ding!“ über die Problematik des Plurals, immerhin auch eine grammatikalische Funktion, nicht nur eine zwischenmenschliche: „Der Plural suggeriert ein gemeinsames Interesse, ein Dazwischensein im Sinne des Wortes. Ein Wir allein muss keine Gruppe sein.“ Ein Wir ist ein seltsames Wesen, im besten Falle eine Schnittmenge aus gemeinsamen Interessen und Werten, Zielen und Fragen. Nochmal Monika Rinck: „Zu einer Gruppe gehört, dass es etwas Gemeinsames gibt. Eine Kultur (in der flächigsten Verwendung des Begriffs) oder, sagen wir: ein Anliegen, eine Glückserwartung.“ Dieses Gemeinsame ist das Dritte im Bunde. Das Bindemittel, der Emulgator, das immer wieder überraschende Ergebnis eines Experiments, wenn Ich und Du im Reagenzglas der Emotion aufeinandertreffen. Im schlechtesten Fall ist das unsichtbare Dritte ein ungerechtes Gesetz, ein nicht zahlender Arbeitgeber, ein familiär vererbtes Trauma.

Wie also mit dem Dritten zusammenleben? Woran kann ich es überhaupt erkennen? Ein Weg wäre sicherlich, „miteinander“ immer als Qualität einer Handlung zu verstehen, nicht als Definition einer Situation. So dass das handlungsunfähige, weil abwesende Dritte den Kürzeren zieht. „Miteinander“ wäre dann zu verstehen als ein selbst zu interpretierendes Vorzeichen für einen Traumraum des Plural. Der karibische Philosoph und Autor Édouard Glissant nannte das in seinem Verständnis von Identitätspolitik die „Poetik der Beziehung“: „Die Spur des Lebens wird nicht durch das Identische gelegt, sondern durch das Verschiedene. Das Gleiche produziert: nichts. Das beginnt schon mit der Genetik. Zwei gleiche Zellen können nichts Neues produzieren. Und in der Kultur ist das auch so.“

Dreierkombi: Das Verschiedene ist miteinander poetisch. Die Miteinanderpoetik ist verschieden. Das Miteinander ist verschieden poetisch. Und wer das Miteinander für eine Gefahr hält, ist eine Gefahr für das Miteinander, siehe Anders Breiviks Terroramok in Oslo, bei dem mehr als 90 unschuldige Menschen für eine wahnsinnige Sache starben.

4 Kommentare zu 'Das typische Paar ist eine Dreierbeziehung'

  1. Liliana sagt:

    Adoro a Edouard Glissant! Justo estoy leyendo ese libro en el que habla de la poética de la relación y de las identidades rizomáticas. Allí también se refiere al „derecho a la opacidad“, el derecho que tiene el otro a permanecer inexplicado. Explicar al otro es pretender simplificarlo a la luz de nuestros preceptos…

    Me encantó leerte!

    SpanDeutsch (Barbara):

    Ich verehre Edouard Glissant! Ich lese gerade sein Buch, in dem er über die Poetik der Beziehung und rhizomatischen Identitäten spricht. Darin bezieht er sich ebenfalls auf das „Menschenrecht auf Undurchsichtigkeit“, das Recht des anderen sich nicht erklären zu müssen. Sich dem anderen zu erklären ist ein Versuch, die Dinge im Licht unserer Normen zu vereinfachen …

    Ich war begeistert dich zu lesen!

  2. Gracias, Liliana! Opacidad puede ser la palabra adecuada para el concepto de privacidad, tambien en la red. Aunque intentamos entender nosotros via facebook, blogs, twitter etc, no sabemos nada en realidad. Solo encuentramos con ayuda de palabras, imagenes, pensamientos por algunos momentos y después: despedidas, una y otra vez.

    SpanDeutsch (Barbara):

    Danke Liliana! Undurchsichtigkeit könnte der passende Ausdruck für das Konzept der Privatsphäre sein, auch im Netz. Obwohl wir versuchen uns über Facebook, Blogs, Twitter, usw. zu verstehen, wissen in Wahrheit gar nichts. Nur mit Hilfe finden wir Worte, Bilder, Gedanken für ein paar Momente und danach: Abschiede, ein ums andere Mal.

  3. Olivar sagt:

    Allerdings ist diese Sichtweise nicht poetisch, sondern intellektualistisch. Nach dem Lesen hat man eigentlich keine Lust mehr auf Miteinander.

    SpanDeutsch (Natalia):

    Pero esta perspectiva no es poética, sino intelectual. Después de leerlo uno le pierde las ganas a la conviviencia.

  4. Nikola sagt:

    Stimmt, irgendwie traurig, ich zeige eher den Stachel auf, die Grenzen des mehrkulturellen Miteinanders. Aber dann am Schluss des Textes geht es doch darüber hinaus, dahin, wie man vielleicht doch Beinander bleiben kann, durchs immer wieder neu Annähern und Herausfinden. So habe ich auch den poetischen Begriff der „Poetik der Beziehung“ verstanden, der gar nicht so poetisch gemeint ist. Die Beziehung des Nichtgleichen erzeugt Reibung (lustvoll, aber nicht immer) und daraus entsteht etwas Neues. Man schreibt ja nicht „der silberne Mond“ – das wäre öde, weil ähnlich – sondern eher „der verwüstete Mond“ oder „der alberne Mond“.

    SpanDeutsch (Adriana):

    Es cierto, de algún modo es triste. Lo que hago es mostrar las espinas, los límites de la convivencia entre varias culturas. Pero al final el texto va más allá, al cómo uno quizás puede quedarse al lado del otro, si uno se acerca y descubre al otro cada vez de un nuevo modo. Así entendí yo el concepto poético de la „Poética de las relaciones“, que tampoco intenta ser poético en realidad. La relación de los no-iguales genera roces (eróticos, pero no solamente) y de allí surge algo nuevo. Uno no escribe „la luna plateada“ – sería monótono, por el parecido- sino más bien „la luna desierta“ o „la tonta luna“.