Körper – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Männer wie ich http://superdemokraticos.com/themen/koerper/manner-wie-ich/ Mon, 06 Jun 2011 07:00:44 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=4010 Im Folgenden: eine fiktive Mail eines Mannes, nennen wir ihn Dominique Strauss-Kahn, an seine Frau. Eine Mail, gezeichnet von aktuellen Ereignissen. Sie beurteilt und verurteilt nicht, denn die Juristin in mir hat gelernt, dass die Unschuldsvermutung im Strafrecht ein hohes Gut ist. Mein Text ist eine abstrakte Anklage der Gedankengänge und Äußerungen, die Sexualdelikte zu „Sex-Affären“ verniedlichen. Eine Anklage jedenfalls, deren Inhalt Teil der Debatte werden muss.

Anne,

meine Schöne. Du bist Teil meines Alptraums geworden, obwohl du die Einzige bist, die es niemals verdiente. Was du für mich tust ist von unschätzbarem Wert. Ich danke dir und ich verspreche, dass uns das Mädchen nicht zermürben, nicht in den gesellschaftlichen Ruin treiben wird – es ist nur ein Mädchen, Anne. Vergiss das nicht.

Was ich an Dir so sehr schätze ist die Aufrichtigkeit und die Kraft, mit der Du dich einsetzt und ich weiß, Du willst von mir wissen, wie das passieren, wie alles so weit kommen konnte. Anne, ich will ebenso aufrichtig sein und ich bitte Dich, lies meine Erklärung und bleibe die Löwin an der Seite eines Mannes, der viel geleistet hat, weit gereist ist und sich immer darauf besonnen hat, wie viel sie ihm bedeutet.

Ich mag Fehler gemacht haben und ich bereue, dass es soweit kam, dass du sie trägst, tragen musst. Es tut mir leid, aber das Mädchen, weißt Du, war in dem Moment zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Auch wenn all das Stunden später falsch sein soll. Die Tage waren hart, die Nächte an kalten Konferenztischen zu lang und Du warst zu weit weg, wie Du oft zu weit weg gewesen bist. Aber wir haben Geschichte geschrieben in diesen Nächten, ebenso wie damals, als wir Krisen abwendeten und die Welt näher zusammenrückte. Männer wie ich, Anne, müssen sich nehmen, was sie brauchen. Es war nunmal zu oft die bessere Tasse Kaffee, zu oft eben das, was ich brauchte, Dinge wie das kleine Extra in besagtem Hotel, und ich weiß, ich muss Dir nicht erklären, was das bedeutet. Es ist nur Sex, Anne, und das Mädchen brauchte es vermutlich ebenso wie ich. Eine Frau von Format wie Du braucht es ebenso wie ich. Vielleicht war sich das Mädchen nicht sicher, sie hat sich geziert. Vielleicht wollte sie es nicht in dem Moment. Aber ich konnte nicht zulassen, dass das Hübsche, unbedeutende Ding mir verwehrt, wonach ich suchte. Ich habe ihr einen Gefallen getan. Und daraus wird mir nun ein Skandal angedichtet.

Man mag mich zielstrebig nennen, und vielleicht exzentrisch. Man kann mir nachsagen, dass ich schöne Frauen schätze (und du bleibst die Eine, immer). Aber ich kann nicht zulassen, dass ein unbedeutendes Mädchen, das sich gegen ein paar Minuten der Zerstreuung auf dem Hotelzimmer ein bisschen sträubte, mein Ansehen zerstört.

Es fällt mir schwer zu verstehen, wie eine Nebensächlichkeit im Leben eines Mannes, der kurz davor stand, der Frau an seiner Seite die Türen des Elysée-Palastes zu öffnen, durch die Äußerungen eines unbedeutenden Mädchens unsere Pläne zerplatzen lässt. Der Weg, für den ich mich schon früh entschieden habe, ist nie der einfache gewesen. Und an die vergangenen Tage werde ich mich als die größte Enttäuschung meiner bisherigen Karriere erinnern, an den größten Rummel um Neid und Ignoranz. Aber auch wenn es nicht der Elysée-Palast ist, meine liebe Anne, so werden es andere Türen sein, die wir gemeinsam aufstoßen, das verspreche ich Dir. Meine kleine Unachtsamkeit lässt unsere Erfolge in einem fahlen Licht erscheinen, das sie nicht verdienen. Ich kann nur wiederholen, wie leid es mir tut.

Dominique

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Experiment im kollaborativen Schnellschreiben http://superdemokraticos.com/themen/koerper/experiment-im-kollaborativen-schnellschreiben/ Tue, 26 Apr 2011 17:05:10 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=3605 Wir sitzen, jede an einem Netzanschluss. Diesmal sind wir nicht einmal in der gleichen Stadt und versuchen uns an einem Online-Gespräch, in dem wir über das Gelernte und das Erlebte des vergangenen Jahres nachdenken und auf das neue LSD-Jahr schauen. Dies ist das Ergebnis unseres Chats:

Eine Sache, die wir im letzten Jahr oft gesagt haben, war: „Allah ist mit uns!“ Wir haben gelernt, dass Ideen keine Grenzen haben, auch wenn wir oft an unsere Grenzen gestoßen sind. Wir danken allen, die uns immer wieder Vertrauen geschenkt haben, sonst würde uns die Bundeszentrale für politische Bildung nicht weiter vertrauen, die unsein weiteres Jahr fördert.

2010 haben wir aus einem Blog mit mehr als 200 Kurzessays von vielen sehr unterschiedlichen Autorinnen und Autoren ein Buch gemacht. Was wir jetzt wissen: Ideen wachsen mit Glauben, Glauben ist wie Dünger. Und Bloggen ist wie Beten, bloß nicht im Liegen, sondern im Sitzen. Blogs richten sich auch an eine imaginäre Person, aus einem konkreten Anlass heraus. Sie wollen etwas loswerden, etwas mitteilen. Wenn wir uns etwas wünschen könnten, würden wir gerne noch mehr wie in einer Großküche arbeiten, Hand in Hand was Leckeres zubereiten und mit anderen teilen. Und zusammen probieren. Auf die digitale Gastfreundschaft!

Wir gehören einer Generation an, die vielleicht nicht anders denkt, aber auf jeden Fall anders kommuniziert als die Generationen zuvor, vor allem viel direkter, weil über das Netz Nettigkeiten meist überflüssig sind. Man erreicht die Menschen, die man sucht, indem man ehrlicher spricht. In einem Gesprächsregister. Man spricht mit „anonymen Freunden“, macht Angebote für Gespräche. Un diese werden sogar mitgeschnitten.

Das ist das Prinzip der Mauer auf Facebook, der so genannten Wand. Auch der Mails, die gespeichert bleiben. Man kann sich auf das berufen, was gesagt wurde. Soziale Netzwerke, Chats, Hin- und Her-Mails, Blogs haben gemeinsam, dass sie Gedanken enthalten, die schnell verfasst wurden. Und dass sie zu Zeugnissen werden können, wie ein offenes Tagebuch. Was die Menschen posten und kommentieren, erzählt, wer sie sind. Allerdings können wir nur bestimmte Dinge ablesen, eher Auffälliges wie Standpunkte und Interessen, Zeitungslektüre, Musikgeschmack, Freundeskreis. Was machen wir mit dem blinden Fleck?

Mit dem Blog möchten wir ab Mai 2011 weiterhin das Blinde entdecken, die Terra Incognita zwischen dir und mir. In den nächsten Monaten entwickeln wir uns mit euch weiter zu Pionieren der Nanotechnologie. Zu monatlich wechselnden Themen, die stärker an aktuelle politische und gesellschaftliche Debatten angedockt sind, postet LSD Texte, Cartoons von Chicks on Comics, Bilder befreundeter Künstler, Videos, Musik. Wir lauschen auch darauf, was unsere Facebook-Gruppe beschäftigt.

Wenn du auch dieser ipod-, iphone-, ipad-, I/ich/yo, )-Gesellschaft angehörst, die nur, indem sie absolut ICH ist, Teil der Gemeinschaft sein kann, dann befreie dich und werde Teil der YOU-Topie. Hier verschwinden die Ichs hinter ihren Ideen. Das funktioniert asosiativ, weil Privates und Öffentliches sich ständig vermischen: „Ich kann über Libyen sprechen und gleich danach ein Lied hochladen, das meinen Liebeskummer oder mein Glück ausdrückt, weil ich gerade was Gutes erlebt habe.“ Deine Teil-Öffentlichkeiten schalten sich da ein, wo sie sich einschalten wollen. Mach mit bei unserer Gruppenerfahrung! Die Kollaboration ist heute eine Voraussetzung dafür, das man überhaupt eine eigene Meinung darstellen kann.

Und das macht Mut, denn du bist nicht alleine. Aber denk dran, du hast eine Spur im Netz, denn wir leben wie stenge Protestanten ohne Vorhänge.

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Reisefahrplan http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/reisefahrplan/ Wed, 08 Dec 2010 19:07:15 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=3371 Vom Bett aus sieht man, wie der Raureif der Morgenstunden das Glas der Fensterscheibe des Zimmers liebkost. Der Schnee möchte herein kommen, um Hallo zu sagen, nur die Wärme der Heizung hält ihn davon ab. Ich habe kaum mehr als vier Stunden geschlafen. Lust aufzustehen, habe ich nicht besonders, aber ohne Visum im Pass wäre alles komplizierter. Die zehn Schritte bis zum Bad, die Zahnbürste und Zahnpasta, ein schnelles Zähneputzen, das Gefühl von Sauberkeit bringen mich dazu, unter die Dusche zu springen und auf diese Weise das Gefühl der Verzückung zu verlängern und die Gerüche von gestern abzustreifen. Eines feindseligen Gestern. Zusammen mit einem guten Lied, um den Tag zu beginnen und das erste Glas Wasser zu trinken. Gedanken verwandeln sich in Aktion. Aus dem Bett steigen, die Schritte, Bugge Wesseltoft mit It’s snowing on my piano, die Dusche, das Handtuch, das Wasser: die Ruhe der kleinen Dinge, die die Seele besänftigen.

Andares.

Die Uhr hingegen kennt keine Ruhe und zeigt an, dass eine halbe Stunde vergangen ist. Du hast 15 Minuten länger für etwas gebraucht, was du in zehn Minuten hättest erledigen sollen. Es ist kein Kaffee da. Beeil dich! Zieh dir die schönste Hose zum schönsten Hemd an, Schal und Mantel. Man muss einen guten Eindruck machen. Vergiss nicht, die Unterlagen mitzunehmen, die du gestern vorbereitet hast und vergewissere dich noch einmal, dass sie vollständig sind. Lauf schnell die Treppen hinunter, aber stolpere nicht, das ist kein Moment für Unfälle. Kalte Luft. Die Schritte versinken im Schnee; hoffentlich vergessen sie nicht, die Kieselsteinchen zu streuen, die uns vor dem ständigen Ausrutschen schützen. Habe ich wohl alle Unterlagen? Die U-Bahnstation ist keine fünf Minuten entfernt. Durch Neukölln zu laufen hat seinen Reiz. Auf seinen Straßen flaniert ein besiegter Surrealismus umher, der mich zur Rebellion einlädt. Neukölln stellt seinen messerscharfen Barockismus zur Schau.

Um acht Uhr morgen hat der türkische Bäcker an der Ecke Selchower Straße schon ein paar Bewohner. Mit eingespieltem Hallo nehme ich lächelnd meinen Kaffee entgegen und gehe schnell in Richtung Herrmannstraße weiter. Hundert Meter weiter, einmal links abgebogen, und ich bin schon auf dem U-Bahnhof. Der Zug kommt in zwei Minuten. Wenn du mit der U-Bahn fährst, siehst du die Stadt anders, du siehst sie in dem Blick ihrer Fahrgäste, im Hin- und Herwanken ihrer Körper, einer gegen den anderen. Du siehst sie in dem Kontrolleur der BVG, in dem Schwarzfahrer, in dem Mädchen auf dem Weg zur Universität, dem elegant gekleideten Typen und dem Haufen Seelen, die sich nicht mehr an den Toren zum Fegefeuer drängeln, sondern an der automatischen Waggontür der U-Bahn. An der Osloer Straße steige ich in die U 9 um, fahre bis zur Amrumer Straße, zwei Stationen und fast bin ich da. Ein Schild kündigt die Nähe meines Ziels an: Ausländerbehörde nach rechts.

Das Gebäude ist nicht einladend, aber es führt kein Weg daran vorbei. Trotz allem bin ich 13 Minuten zu früh da, so dass ich den richtigen Raum in Ruhe suchen kann. Ich orientiere mich an den kleinen Lageplänen, die mir anzeigen, wo ich hin muss. Zweiter Stock nach rechts. Ich setze ich mich in das erste Wartezimmer auf der linken Seite und warte darauf, dass auf der Anzeigentafel meine Nummer aufleuchtet. Zum Glück habe ich einen Termin, zwei Monate habe ich auf ihn warten müssen. Ich ziehe das Buch, was gerade an der Reihe ist, aus meiner Tasche. Heute ist die tausendfach wieder gelesene Gedichtanthologie von Mario Benedetti dran. Ich schlage es irgendwo auf und Benedetti entlockt mir ein Lächeln: Er bittet mich, mich nicht zu retten. Als wäre es so einfach…

Ein Mann, der zwischen 30 und 35 Jahren alt sein muss, kommt auf mich zu. Er fragt mich, ob er hier für B richtig ist, ich bejahe und er setzt sich neben mich. Und wo kommst du her? – fragt er mich. Aus Kuba – sage ich. Oh, Kuba! Che Guevara… er versucht ein Grinsen. Ein schönes Land – fügt er hinzu. Ich glaubte nicht, nervös zu gucken. Doch mein Gesicht scheint das Gegenteil auszudrücken, denn mein neuer Freund führt fort: Mach dir keine Sorgen, Kubanern geben sie sicher ein Visum. Ich komme aus dem Libanon, mich lassen sie länger schwitzen.

Ein Geräusch teilt mir mit, dass eine neue Nummer aufgerufen wird. Meine. Ich verabschiede mich mit einem Lächeln und gehe auf die Tür mit der Nummer 264 zu. Benedetti hämmert mir weiterhin ein, mich nicht zu retten, mich nicht mit einem glücklichen Plätzchen auf der Erde zu begnügen. Ich kontrolliere meine Wut. Klopfe an die Tür und trete ein.

Übersetzung: Anne Becker

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Ich glaube nicht an Abschiede http://superdemokraticos.com/themen/koerper/ich-glaube-nicht-an-abschiede/ Mon, 18 Oct 2010 01:00:30 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2981 Neue Sozialistische Kunst

(c) RH

Ich glaube nicht an Abschiede. Ich habe schon überlegt, einen Nachfolgeblog, einen Eigenblog an den Start zu bringen, warum nicht, schafft vielleicht weitere Ebenen, produktionsmäßig, rezeptionsmäßig, sozial, finanziell, sexuell. Viele von mir verfolgte Kolleginnen (Nikola, Rery) und Kollegen (Herrndorf, Winkler, Melle, Glaser, Ambros Waibel) pflegen mehr oder weniger vorbildlich einen Blog. Als Probebühne und Marketingwerkzeug, als öffentliches Ausprobieren von Text, der später einmal anders öffentlich werden soll (nämlich nach alter Mode auf Papier). Außerdem ist ja bald Zukunft.

Ich glaube nicht an Abschiede.
Ich habe mich wohl gefühlt hier.

Das Licht strahlte hell, hell strahlt auch der Nerv in der Schulter, bis in die Hand hinein. Nerv nervt. Hell strahlte die Schönheit des schönsten Mädchens, aber sie strahlte woanders hin, nur hier nicht. Ich habe gestern einen Film gesehen.

Bevor ich mich beklagen konnte, dass sie mich ein viertes Mal verlassen hat, standen wir in einer ausgeräumten Kirche mit hellem Parkett herum. Keine Kreuze, keine Bänke, kein Altar, nichts. Dann kam Musik und wir tanzten.

Wir haben dann alle umarmt. Mario legte einen Tanzbärtanz hin. Wir trugen alle Sonnenbrillen. Ich habe die Rechte, dich springen zu lassen. Der zwangsernährte Präsident umarmte uns, die Gewerkschaft redete uns zu, die Frauen wollten noch nicht so, wir auch nicht, aber es kamen Einladungen überall her, aus der ganzen Welt.
Wegen uns werden einmal Fußballspiele ausgetragen.
Hoffen wir, dass wir das rechte tun. Hoffen wir, dass wir die Anliegen unserer Klasse in die Welt tragen können. Hoffen wir, dass ein neuer Anfang gemacht sein wird.

Die Namen der Überlebenden,
Videos aus der Tiefe, Überlebensbotschaft,
nun wird er bald heiraten, in einem unzerstörten Tunnel
soll er joggen gegangen sein (sich die Ohren zustopfen und weglaufen),
Foto: R. Hamann

Er schrieb unter Tage Gedichte und schickte sie seiner schwangeren Frau (will ich lesen),
führte ein Tagebuch über die Ereignisse seit dem Unglück (auch),
er ist Fußballfan.
Seine Frau hatte angekündigt, ihn im Trikot seiner Mannschaft zu empfangen.
Der Chef der Eingeschlossenen trug zur Stabilisierung der Gruppe bei.

Bergarbeiter, Kumpel, sie hatten unter den Arbeitern und darüber hinaus immer den besten Ruf. Die Leute auf dem Müll, die interessiert einfach niemand.

Verschiedene Einheiten treiben vor sich hin, treiben umher.
Ich mag keine Abschiede. Die Kameras sind auf uns gerichtet, ich schließe die Liebsten in die Arme und sage, wir sehen uns. Wenn nicht hier, dann woanders.

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Es geht mir gut im Jahr 2025! http://superdemokraticos.com/themen/koerper/es-geht-mir-gut-im-jahr-2025/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/es-geht-mir-gut-im-jahr-2025/#comments Tue, 17 Aug 2010 12:27:14 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=915 Vor fünf Monaten habe ich das Rauchen endgültig aufgegeben. Freilich, viel geraucht habe ich auch in den Jahren zuvor nicht mehr, hier und da vielleicht eine Zigarette im Keller oder auf einer einsamen Bank am Meer. Irgendwann wurde mir aber auch das zu blöd: Eine Bank mit Meer ist auch ohne Kippe schön, dachte ich. Und ein Keller bleibt auch mit ihr trostlos!

Mein Leben hat sich seither grundlegend gewandelt. Ich erwache um sechs Uhr in der Früh, ziehe mir meinen Leichtmetalljogginganzug über, fahre mit dem Rad die 20 Kilometer ins Freibad. Dort bin ich immer der erste. Ganz alleine treibe ich mittig einen Keil in das tiefblaue Becken. Zwei Stunden später, nach zehn Kilometern Lagen, entsteige ich selbigem wie ein Neugeborenes dem Mutterschoß, doch ungleich dem Neugeborenen dusche ich nicht lauwarm, sondern eiskalt. Danach mache ich mich im Dauerlauf auf den Weg nach Hause. Das Fahrrad werde ich am nächsten Tag bei einer reziproken Runde abholen.

Zuhause angekommen dusche ich noch einmal kalt, ehe ich zwei Kilogramm Bircher-Müsli esse. Um vier Uhr nachmittags mache ich einen ausgedehnten Spaziergang durch ein nahe gelegenes Wisentgehege. Danach verwende ich viel Zeit und Liebe auf die Zubereitung eines vegetarischen Fleischsalats. Zum Essen kommen Freunde aus der freikirchlichen Gemeinde. Wir trinken ein alkoholfreies, isotonisches und vitaminreiches Weizenbiergetränk und unterhalten uns intensiv und gut. Es geht um Menschlichkeit und die fortdauernde Krise der Sozialdemokratie. Um neun Uhr bitte ich die Freunde, mich jetzt alleine zu lassen. Nachdem ich mich von oben bis unten mit einer rückfettenden Nachtcreme eingerieben habe, gehe ich ins Bett, wo ich noch zwei Kapitel in den Memoiren von Günther Jauch lese. Um 22.30 Uhr lösche ich das Licht.

So erledige ich meine Biographie und ich kann nicht sagen, dass es mir schaden würde. Ich bin außerdem jetzt Teil eines Zeitzeugennetzwerks, das Kinder in Schulen besucht und sie vor den Gefahren des Rauchens warnt. Von der Nichtraucherinitiative Deutschland habe ich eine Kladde mit Overhead-Folien bekommen, auf denen verfaulte Beine, fehlende Kehlköpfe, weiße und schwarze Lunge zu sehen sind. Irritierend sind immer wieder einige Zwischenrufe, denen zufolge die weiße Lunge „mindestens so eklig“ aussehe wie die schwarze. Das überhöre ich einfach.

Was ich nicht überhören kann (obwohl ich es gerne würde), das sind die Stimmen der „Freunde“ von früher. „Langweilig“ sei ich geworden, sagen sie, wenn sie – „auf eine Zigarette“, wie sie sagen – vor meiner Tür stehen. Mir fehle der „schwebende“ Blick des überlegenen Beobachters, und nicht zuletzt die Fähigkeit, Dinge zu „verknüpfen“, die eigentlich nicht zusammen gehörten. Ich verstehe diese Menschen ebenso wenig, wie ich sie zu mir herein bitte. Ich schließe die Tür und begebe mich zurück in den Salon, wo ich – auf einer Isomatte liegend – mein Powerhouse trainiere.

Manchmal, wenn ich dabei einschlafe, träume ich recht wild – einen immer wiederkehrenden Traum. Er handelt von einem Land lange vor unserer Zeit, in dem Männer und Frauen in verrauchten Eckkneipen sitzen und mit Bier, West und Wodka-Shootern der Kunst des Sich-langsam-Zugrunderichtens nachgehen konnten. In lauen Sommernächten lärmten Mädchen und Jungen durch Fachwerkgassen, eine grüne Glasflasche in der einen, eine Zigarette in der anderen Hand. „Fußpils und Kippe, eins an jeder Hand, dafür allein schon lieb‘ ich dieses Land“, ruft einer von ihnen aus der Traumwelt zu mir herüber. Ich schaue in sein Gesicht – und erkenne mich selbst.

Schweißgebadet wache ich dann jedes Mal auf. Mein erster Gedanke: Hoffentlich habe ich nicht zu laut gesprochen. Einmal schon stand die Nachbarin von unten vor der Tür, Lehrerin, allein erziehend, zwei Kinder: „Ich habe geträumt“, stammelte ich in ihr zornrotes Gesicht. Selbstverständlich dürfe ich träumen, was ich wolle, sagte sie darauf, mühsam beherrscht. Aber im Interesse ihrer Kinder müsse sie darauf Wert legen, dass nicht in deren Hörweite zum Bombenkrieg „oder Ähnlichem“ aufgerufen werde. Ich entschuldigte mich vielfach und bot ihr ein alkoholfreies, isotonisches und vitaminreiches Weizenbiergetränk an. Sie lehnte ab.

Nun, da ich schon seit mehreren Monaten nicht mehr im Schlaf nach Zigaretten gerufen habe, begleitet diese Nachbarin meine Fortschritte mit wachsendem Wohlwollen. Manchmal treffen wir uns morgens im Freibad. Dann dritteln wir das Becken mit zwei äquidistanten Keilen. Einmal, auf der Radfahrt nach Hause, erzählte ich ihr meinen Lieblings-Raucherwitz „Mitten im Krieg sitzt ein Raucher nachts im Schützengraben und raucht eine Zigarette – weithin sichtbar für den Feind. Ein anderer Soldat warnt ihn: ‘Tu das bloß nicht, das ist gefährlich.’ Der Raucher lächelt milde und antwortet: ‘Keine Sorge, ich inhaliere ja nicht.’“ Sie konnte darüber nicht lachen. Sonst verstehen wir uns aber sehr gut.

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Goliaths Körper http://superdemokraticos.com/themen/koerper/goliaths-korper/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/goliaths-korper/#comments Mon, 16 Aug 2010 15:06:43 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=738

São Paulo © Sabine Scho

„die stadt ist der mund / raum“ eröffnete der viel zu früh verstorbene Dichter Thomas Kling eines seiner bekanntesten Gedichte.
Die Stadt ist der Körper, ihr Mund: Sprachlabor.

Mit manhattan mundraum fand ich 1996 die Gosche, die alles in den Mund nahm. Da schlug sich jemand nicht die Goldzähne aus dem Großraumgebiss und ging für tanzen, da hielt sich einer ans Amalgam – „fühl ich mein mund / raum, morsche palisadn, du“ – die Quecksilberlegierung, mit der Gold und Silber erst gewonnen werden muss: „geschmolzener und / wieder aufgeschmo- / lzner text.“

Da pulte einer die halbverdauten Residuen schlecht ausgeleuchteter Mundräume wieder hervor: „hautpartikel die von / den lippn, den furchn sich lösn, wie / palimpsest. wie eßpapier.“

Wenn Kunst das zeigt, was noch wenige gesehen haben – wie es Robert Musil formuliert hat – dann zeigte Thomas Kling diese „unsaubere seite“, den „gebrauchsschleim“ als Wortjäger und Verssteller, der wusste, wie man den Sprachkörper kirrt und präpariert.

Man spricht vom Wein, dass er Körper hat, man kennt die Festkörperphysik, den Baukörper, das Stahlskelett.

São Paulos mächtig angeschlagener Ballungskörper, Betonmafia, concrete poetry, Höllenatem, pulsierender Verkehr, Resonanzkörper, der Scherenschleifer mit dem unverwechselbaren Pfeifton, der Gaswagen mit der kleinen Melodie, die Stadt spricht, sie schnarrt, schnalzt, ächzt, quietscht, man erwartet eigentlich jeden Augenblick, dass sie sich aus ihren vielfältigen Verankerungen löst und einen mit sich fort trägt. Ich siedele auf einem trunkenen Riesen und schwanke. Immer wenn er Luft holt, gerate ich in Schieflage. Atmet er aus, stürze ich die steilen Straßen herab. Die Avenida Paulista, die Knopfleiste seines stramm gespannten Hemds.

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Schmücke deine sterbende Hülle http://superdemokraticos.com/editorial/schmucke-deine-sterbende-hulle/ http://superdemokraticos.com/editorial/schmucke-deine-sterbende-hulle/#comments Sun, 15 Aug 2010 14:57:46 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=876

Fühlen, Denken: Zeichnung von René Descartes (Wikicommons).

Neulich saß ich in einem Straßencafé und neben mir unterhielten sich vier Mädchen, Mitte 20, über Männer und Tattoos. Die eine hatte gerade einen Typen kennengelernt, der ein Zeichen auf der rechten Brust trug. „Da“, rief sie, und schlug mit der flachen Hand auf ihre Brust, „das ist der beste Platz für ein Tattoo!“ „Ja“, riefen die anderen, „das ist der beste Platz.“ Ich hatte bisher nicht viel über Tattoos nachgedacht. Vor zehn Jahren wünschte ich mir einen schwarzen Stern. Aber dann lernte ich einen Mann kennen, der exakt dieses Zeichen aus meinem Traum auf dem Oberarm trug und ich verliebte mich. In den Mann oder in das Tattoo? In den Körper oder in den Geist, der sich das ausgedacht hat? Und war das überhaupt zu trennen?

Wir leben in einer Welt, die einerseits sehr körperzentriert ist (Ziellinie: bester Sex, schönster Körper, nackteste Werbung, dickster Schwanz, tollster Hintern), andererseits sehr körperlos funktioniert (Alltagsszene: Singles, die frühstücken, während sie ihre Mails checken, das Epaper lesen, sich per SMS auf einen Kaffee verabreden). Wann sind wir Geist, wann Körper? Ist der Körper das Du, mit dem ich mich auseinandersetzen muss, weil ich mit ihm zwangsverheiratet wurde? Kann ich ihn nur im Tod annehmen und verlassen (Lizabel Mónica) – oder auch im Gedicht, in der Kunst? Sind wir simple „Wegwerfkörper“ (María Medrano), oder kann sich unser Gesicht recyclen? Welche Daseinsform, welcher Außerirdische bin ich, wenn ICH über MICH nachdenke, MICH fühle? Bin ich im Körper mit allen seinen Schwächen, Schmerzen, Leiden und Hässlichkeiten (Fernando Barrientos, Luis Felipe Fabre) gefangen, oder kann mein Geist der Trainer meiner physischen Existenz werden und damit über die sterbliche Hülle Unabhängigkeit erlangen (Leo Felipe Campos)? Die Frage nach dem Dualismus von Körper und Geist zieht sich durch viele der superdemokratischen Texte, ebenso der Wunsch, Gefühlen nachzugeben, dem Begehren, der Einsamkeit. Zwei deutsche Autorinnen, Claudia Rusch und Emma Braslavsky, konzentrierten sich interessanterweise stärker auf die Machtbeziehungen der Körper im gesellschaftlichen Kontext, auf Männerfreundschaft und Frauenselbstständigkeit – etwas, das Lizabel Monica in einem Kommentar „ungleiche kulturelle Feminisierung“ („dispareja feminization cultural“) nannte: Der Mann schwächelt und gibt nach, aber anders, denn er übernimmt keine kulturelle Verantwortung. Wer kolonisiert wen?

Tattoos haben, ebenso wie die verstaubten Geschlechterrollen, ihre Kontexte verlassen (Gefängnis, Seefahrt, Ritual, Glauben), sie sind Teil einer Individualkultur geworden. Sie schreiben in einer eigenen Grammatik auf die ungeschützte Haut. Heute müssen wir nicht mehr vom Baum der Erkenntnis essen, um zu erkennen, dass wir nackt sind. Wir verehren den Apfel jeden Tag. Vielleicht ist Sprache, sind Worte, verpackt oder nicht in digitale Kicks, der Kitt dieser unserer zerbrechlichen Einheit von Innen und Außen. Das ist die Schönheit der Gedanken! Wir hängen immer an diesem Faden unserers Bewusstseins, sind Seelen-Wesen mit Nervenbündeln, ob wir wollen oder nicht. Die Sprache strukturiert unser sinnliches und geistiges Erleben, mit ihr greifen wir in unsere Umgebung ein und stellen uns anderen Körpern, anderen Bürgern. Das ist unser drittes Thema, es beginnt nächste Woche.

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Wegwerfkörper http://superdemokraticos.com/themen/koerper/espanol-descartables/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/espanol-descartables/#comments Fri, 13 Aug 2010 14:25:56 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=784 Über die neueste Installation des argentinischen Künstlers Diego Bianchi

Für die Installation „Ejercicios espirituales“ (Spirituelle Übungen) verteilt Bianchi Körperteile, Rümpfe, Extremitäten, unvollständige und versengte Körper, mit Zement bespritzt, Köpfe, Haarknäuel auf dem Boden, an der Decke und an verschiedenen Stellen im Raum, der eher einer Folterkammer als einer Kunsthalle gleicht.

In früheren Werken arbeitete Bianchi (den ich für einen der interessantesten zeitgenössischen Künstler Argentiniens halte) mit Objekten, sammelte Wegwerf- oder weggeworfenes Material, praktisch Müll, um seine Installationen herzustellen.

„Mehrere Tage lang sammelte ich auf der Straße Sachen zusammen: Schachteln, Tüten, Kunststoff, Papier, Möbel, kaputte Stühle, Lichtröhren usw. Ich durchsuchte Kästen mit alten Accessoires, ergatterte Stoffe, Rohre, kaputte Gläser, Holzstücke, Schläuche, Kabel, Schnüre. Ich nahm Styropor, Äste, Pflanzen, Flyer, Dokumente, überfällige Rechnungen, Fotos, Kassetten, Disketten, Zeitschriften, Laken, T-Shirts mit. Ich benutzte alle Kissen im Raum, Gartenstühle, zwei Gemälde von Fernanda Laguna, Türen, Plastikstühle, das Telefon, den Tisch, die Treppe und die Bänke… Als schließlich alles da war, begann ich, mich mit all dem um die Säule zu bewegen, ich fing an, alle Dinge zu vermischen, sie zu verdrehen, sie festzubinden, sie umeinander zu wickeln…“ (Diego Bianchi über die Installation „Daño“ (Schaden) in der Galerie Belleza y Felicidad (Schönheit und Glück)).

In dieser Installation sind es nicht Objekte, die foltern und verbiegen, sondern Körper oder Körper-Objekte. Es erschien mir äußerst machtvoll, wie diese gefolterten, Körper genannten Objekte manipuliert werden, ihnen Gewalt angetan wird und wie sich ihnen die Macht anderer Körper aufzwingt. In diesem Übergang von Dingen zum Körper und von der Installation zur Skulptur, werden diese Körper jetzt gemeißelt, geformt und diese Objekte sind Körper… auch sie zum Wegwerfen.

Weil diese Körper, wie Fabre in seinem Artikel sagte, unter einer Diktatur der Mode und unter einer Diktatur der Kommunikation stehen, machen sie uns glauben, wir seien frei, wir wählten… während eigentlich alles manipuliert ist. Insofern ist es richtig, weiterhin von der „Gefügigkeit“ der Körper zu sprechen.

Und diese Gefügigkeit des Materials, das – so Bianchi – wie die Körper unterworfen, benutzt, transformiert und perfektioniert werden kann, spricht vom permanenten Zwang, der vielmehr über die Vorgänge der Aktivität als über die Ergebnisse wacht.

Diese disziplinierende und kontrollierende Macht, von der Foucault sprach, verstärkt in dieser globalisierten Zeit die schweigende Strafe, die darauf abzielt, gezähmte, verwertbare und Wegwerfkörper zu produzieren.

Übersetzung: Marcela Knapp

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Körperstücke http://superdemokraticos.com/themen/koerper/espanol-pedazos-de-cuerpo/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/espanol-pedazos-de-cuerpo/#comments Fri, 13 Aug 2010 08:02:21 +0000 http://superdemokraticos.com/espanol-pedazos-de-cuerpo/ Ich verstehe meinen Körper nicht immer. In meiner Jugend habe ich den traumatischen Veränderungen, die meinen Körper – ohne Vorankündigung und ohne mein Einverständnis – in ein mysteriöses Wesen verwandelten, welches ich nicht zu kontrollieren vermochte, fast meine ganze Aufmerksamkeit geschenkt. Es geschahen auch andere, nicht sichtbare Veränderungen, aber diese beachtete ich kaum. Dann erwachte in mir eines Tages nach so viel Terror die Hoffnung, dass die Veränderungen irgendwann aufhören würden und mein dünner Körper sich ein einen athletischen Körper transformieren würde. Ich warte immer noch.

*

Als ich entdeckte, dass auch mein Körper ein Ausdrucksort war, begann ich, ihn mit simplen Prothesen abzuändern und neu zu kleiden, um auf diese Weise Dinge auszudrücken, die ich mich nicht zu sagen traute. Vor allem aber machte ich aus meinem Körper einen Tempel, den ich der Verehrung der Jugend widmete (Ferdydurke ist mein Held). Aber der Körper ist eine eigensinnige Uhr, und die Spiegel lügen nicht.

*

Ein tief liegendes Brustbein, sehr dünne Beine, die Nase eines Boxers, eine geteilte Stirn, zu lange Arme, zahlreiche Leberflecken und Narben. Ein klitzekleiner, alles andere als perfekter Raum, in dem ich die Gesetze mache.

*

Ich wollte den Ratschlag mens sana in corpore sano (gesunder Verstand in gesundem Körper) umkehren. Meinen „Verstand“ kultivieren, um meinen Körper zu perfektionieren. Gehirntraining, das meine Muskeln stärken würde. Mit der Zeit bemerkte ich, dass der Körper seine eigene Sprache spricht und sagt, was er will: Er spricht mit der starken Stimme des Begehrens.

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Verrückte Körper in geistesgestörten Hirnen: Ich sehe Die Fliege von Cronenberg wie eine freie und aktuelle Adaption von Kafkas Verwandlung.

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In dieser dualistischen Welt vermag es niemand, seinen Körper zu überspringen. Gänzlich versteht niemand den eigenen Schauplatz seines Herzschlags, das Territorium seiner Krankheit, sein unkontrollierbares Archiv. Opfer und Täter des Schmerzes und der Lust, Opfer von kollektiven Somatisierungen.

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Cutter, Autopornographen, Transformatoren: Häftlinge im engen Gefängnis des Körpers.

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In der Jugend dachte ich, dass mein Körper eines Tages seinen unveränderlichen und definitiven Zustand erlangen würde. Jetzt weiß ich, dass die Pubertät nie aufhört.

Übersetzung: Anne Becker

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Der Körper des Anderen http://superdemokraticos.com/themen/koerper/der-korper-des-anderen/ Thu, 12 Aug 2010 18:07:07 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=809 Mit 13 Jahren, nach einem stilistischen Debakel beim Fußball, entschloss ich mich, Boxer zu werden. Ich dachte – obwohl ich nie herausfinden werde, ob ich Recht hatte –, dass ich auf eine massive und mächtige Waffe zurückgreifen konnte, die meine Gegner nicht besaßen: Intelligenz, schnelle Auffassungsgabe. Auf einem Spielfeld ist es wichtig, die gegnerische Mannschaft zu lesen, aber die Hüfte, die Präzision des Tritts, die Kraft beim Sprung, die Schnelligkeit und die Füße am Ball sind fundamental. Also entschied ich mich für das dritte, das mir nach den Frauen am besten gefiel: das Kämpfen. Dazu benutzte ich das Beste, was die kleine Geographie meines Körper zu bieten hatte, nämlich mein Gehirn, um jeden zu besiegen, der es wagte, sich vor mir die Handschuhe anzuziehen.

Natürlich übte ich auch mit meinen Freunden. Wir haben uns jede Woche mit Fäusten windelweich geprügelt, und ich war gar nicht so schlecht darin. Ich genoss den Vorteil langer Arme und meine Fingerknöchel waren spitz. Damals zeichnete sich noch nicht die Kurve dieses Bauchmuskels ab, die heute herausragt und mich definiert, auch hatte mir meine Mutter mit einem Gesicht, das sogar Sugar Rey Leonard blass hätte werden lassen, erklärt, dass sie mir eher ein Motorrad kauften würde, um meinen Gehirntod durch einen Unfall zu beschleunigen, als mich boxen zu lassen.

Also ging ich nach Caracas um zu studieren, bis mir was anderes einfallen würde, und dabei fiel mir wieder mein Körper ein. Einem meiner besten Freunde wurde eine Tracht Prügel verpasst, weil er mich verteidigen wollte. Und in der Woche darauf, nach einem entsetzlichen Vorsprechen, entschied sich die Leiterin der Theatergruppe an der Universität, gemeinsam mit einer Reihe von Schauspiel-Laien, mich in das Ensemble aufzunehmen. Vier Jahre lang habe ich – erfolglos – versucht zu lernen, wie ich besser atmen könne, damit jedes meiner Organe eine Aufgabe erfüllt und ich die Emotionen nach meinem Willen steuern – und verarbeiten – kann, um Figuren und Situationen je nach Situation, angemessenen verkörpern zu können. Ich habe mich nie wieder geprügelt.

Wie das Leben nun mal so spielt, war meine Abschiedsrolle bei der Theatergruppe die gescheiterte Darstellung eines Boxers. Das Stück war eine Bühnenversion von Woody Allens Film „Geliebte Aphrodite“, das es niemals bis zur Aufführung schaffte, wobei ich mich an die Gründe heute nicht mehr erinnere. Es waren gerade mal sechs oder sieben Jahre vergangen, seitdem ich mich von meinem Traum, Säcke zu schlagen und Seil zu springen, verabschiedet hatte. In dieser Zeit hatte ich einige Dinge gelernt, über die Sprache und ihre Macht, über den Körper und seine Kraft, über meine Zukunft und einen neuen Gebrauch der Sprache und des Körpers, inklusive der Stimme, meine zwei Lieblingswerkzeuge. Dinge, die mich darüber nachdenken ließen, dass ich die Frauen – diejenigen, die ich zwar weniger als den Fußball, aber mehr als das Boxen mochte – nun näher und besser kennenlernen sollte. So, als ob es tatsächlich möglich wäre, die Emotionen meines Körpers zu steuern und zu projizieren, sie auch in anderen Menschen hervorrufen zu können.

Jetzt habe ich das Theater verlassen, und obwohl ich in der Lage bin mir einen Boxkampf bis zur letzten Runde anzusehen, meine Atmung zu beschleunigen und alles, ohne wetten zu müssen, habe ich nicht das geringste Interesse daran, mich einem Boxring zu nähern. Ich habe versucht, mir Yoga näher zu bringen, habe die Mediation ausprobiert und versucht, zum Fußball zurückzukehren, wie ein Amateur, der alleine sein Instrument spielt. Ich habe vor Tausenden von Menschen gesprochen, mit Dutzenden Frauen geschlafen, mich bei Verkehrsunfällen verletzt, bei Trinkunfällen, bei Unfällen aus Dummheit, ich bin kilometerweit gelaufen, um einen Ort besser kennenzulernen, ich habe in vielen Lokalitäten Salsa getanzt, und ich habe mich davon überzeugt, dass das Gehirn wichtig ist, aber dass der Körper in seiner Einheit schlussendlich das Fundamentale ist.

Trotzdem – und verzeiht mir die Kitschigkeit, aber die Ausarbeitung des Themas ist frei – ist es manchmal nicht möglich die Gefühle des Körpers zu steuern und zu verarbeiten. All das ging nicht, bis ich meine Tochter atmen sah. Ich starrte sie an, ein ums andere Mal, und mein Blick blieb an ihrem Bauch hängen, der sich wölbte und wieder flach wurde, so viele Male in jeder Minute. Da verstand ich die Macht, die der Körper, die Muskeln, das Blut, die Knochen haben und die Zartheit, die sie verbergen. Wenn ich das beschreibe, scheint es mir menschlich gesehen unmöglich, aber ich schwöre, dass ich deshalb einige Male weinen musste, etwas, das mir weder in den brutalsten Kämpfen, an denen ich teilgenommen habe, noch bei meinen besten Auftritten im Theater passiert ist.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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