Intellektuelle – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Schlange http://superdemokraticos.com/themen/intellektuelle/schlange/ Mon, 31 Oct 2011 05:01:47 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5331

(c) Powerpaola (für das kollektive Blog, das 31 Tage läuft, Gran Reto de Julio 2011)

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Die Zukunft der fehlenden Seiten http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/die-zukunft-der-fehlenden-seiten/ Sun, 30 Oct 2011 13:09:13 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5498 Eigentlich wollte ich diesen Text im Flugzeug schreiben. Über den Wolken. In einer Turkish Airlines Boeing, mit der ich von Berlin nach Istanbul gebracht wurde. Ans Goldene Horn. Dahin, wo Okzident und Orient zusammentreffen. Ich dachte mir, in diesem Luftgefährt kommen mir bestimmt geniale Ideen, die mein Leben in der deutschen Hauptstadt mit den touristischen Erfahrungen in der türkischen Metropole beschreiben. Ich würde neue Einsichten in das Europäische des 21. Jahrhunderts bekommen, aber auch in das Globale (so von oben auf die Welt geschaut), vielleicht auch den Zufall als Lehrmeister haben und neben einem klugen Traveller sitzen, einem Alltagsintellektuellen. Aber es kam anders. Ich schlief ein. Unter mir brummten die Düsen. Die Frau neben mir schlief ein. Das Mädchen neben ihr schlief auch ein. Müder alter Kontinent…

Ich hatte einen Traum.

In meinem Traum gab es keine Talkshows, keine Podiumsdiskussionen, auf denen irgendwelche scheinbar aktuellen Fragen von immer denselben Experten verhandelt wurden, keine Jetsetintellektuellen, da auch das Fliegen unbezahlbar geworden war. Regionale Denker hielten Vorträge, zu denen per Mundzumund-Propaganda eingeladen wurde. Das Fernsehen war abgeschafft worden, weil es keiner mehr schaute. Das Internet war kontrolliert, nur noch, wer zahlte, durfte Inhalte online stellen. Eine Stunde surfen pro Tag war kostenlos, danach galten Minutenpreise. Facebook kostete pro Post, Like und Message – die Monatsgebühr von 20 Euro hatte damals niemanden abgeschreckt, so dass Zuckerberg auf andere Zahlmodalitäten gekommen war. Da in die Bibliotheken schon lange nicht mehr investiert worden war, hatte der vollständige Bestand im Jahre 2011 aufgehört, danach hatte man den Katalog kosten- und platzsparend auf Ebooks umgestellt. Jetzt, im Jahr 2033, waren die Lesegeräte rar, mit denen man diese alten Daten hätte lesen können. Und auf Amazon und Google gabs nur US-amerikanische Klassiker günstig zu erwerben. Viele Autoren schrieben auf Englisch oder Chinesisch, weil der Markt nur nach diesen Sprachen fragte – kleinere Sprachen hielten sich auf Minimalniveau im Alltagsgebrauch, das Vokabular schrumpfte. Wer ein Wörterbuch besaß, war eine lokale Größe.

Wer etwas zu sagen hatte und dies nicht nur mündlich weitergeben wollte, musste eine der wenigen existierenden Druckereien aufsuchen und dort per Hand seinen Text setzen oder einen Kopisten, einen Abschreiber finden. Papier war teuer geworden, wie alle Rohstoffe, aber wer Kontakte hatte, konnte auf alte Reserven der Verlage zurückgreifen. Die meisten waren konkurs gegangen, weil sie verpasst hatten, relevante, eigenständige Programme zu entwickeln und sich immer stärker den Marketingabteilungen gebeugt hatten. Honorare für Buchcover waren höher gewesen als die Vorschüsse für die Autoren. Letztere waren daher vermehrt auf den Selbstverlag umgestiegen, so mussten sie nicht damit rechnen, dass ihr Buch sechs Monate nach Erscheinen Makulatur wurde. Wer kein Geld für ein gesamtes Buch zusammenbekam, war zufrieden mit Flugblättern und Kleineditionen, die dann meist durch viele Hände gingen. Ein einzelner Gedanke war wertvoll, weil selten. Da die Arbeitslosigkeit fast 100 Prozent erreicht hatte, setzte der Staat auf regionale, von Bürgern organisierte Bildungsangebote, Naturpflege und Sport, was gegen Vereinsamung helfen sollte. Einige erinnerte das an die 1930er Jahre in Deutschland, und sie sehnten sich nach dem Individualismus des späten 20. Jahrhunderts zurück. Aber der war unwiderbringlich verloren gegangen. Jetzt zählte ein neuer Verantwortungskollektivismus…

Ich schreckte auf, als mir ein dreigängiges Menü serviert wurde. What would you like to drink, M’am? Tomato Juice, please.

Und ich nahm eine gedruckte Zeitung zur Hand, den Herald Tribune, mit einem Porträt des japanischen Schriftstellers Haruki Murakami, der darin von sich sagte, er sei zu 99 Prozent Autor und zu einem Prozent Bürger. Wenn er etwas Politisches zu sagen habe, dann würde er es deutlich sagen. Und somit war er eine der lautesten Stimmen, die sich in Japan gegen die Weiterbenutzung von Atomkraft aussprach. Ansonsten, schrieb der Journalist, lebte er wie ein Mönch, mit seinen 10.000 Schallplatten – aus der Zeit, als er noch in Tokio eine Jazzkneipe betrieb. Ein versteckter Staatsintellektueller. Auch er hätte den Nobelpreis verdient.

Please fasten seatbelts. Ready for landing.

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Die Intellektuellen und die Regierung http://superdemokraticos.com/laender/bolivien/die-intellektuellen-und-die-regierung/ Wed, 26 Oct 2011 12:12:15 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5427 Beginnen wir bei dem Grundsatz, dass ein Intellektueller jemand ist, der die Konstruktion einer Gesellschaft lenkt und organisiert sowie neue Konzepte über die Welt beisteuert. Antonio Gramsci begreift Intellektuelle als eine Art „Bindeglied“ zwischen oppositionellen Klassen, jenen, die politische Macht besitzen, und denen, die die Arbeiterklasse bilden. Und obwohl der Intellekt etwas aller menschlicher Aktivität inhärentes ist, und deshalb alle Menschen Intellektuelle sind, haben nur einige innerhalb der Gesellschaft diese Funktion, so Gramsci weiter. Zusammengefasst sind sie es, die denken, analysieren, planen und empfehlen. Was ist mit jenen Intellektuellen geschehen, die jetzt mit Evo Morales in Bolivien an der Regierung sind?

Möglicherweise war die Idee, verschiedene Intellektuelle in eine Regierung aufzunehmen, die vorgibt, die Strukturen des Landes verändern zu wollen, voller guter Absichten, das Ergebnis ist jedoch – bis heute zumindest – nicht das Beste. Jene, die mit der derzeitigen Regierung, die des bekanntesten bolivianischen Präsidenten der Welt, in einem Boot sitzen, beobachten von der Tribüne aus die enormen Fehler dieser politischen Führung, Resultat eines internen Machtkampfes, der dazu führte, absolut falsche Entscheidungen zu treffen, etwa die Treibstoffpreiserhöhung „Gazolinazo“ um 80 Prozent, verkündet am 26. Dezember 2010.

Wenn Evo Morales dachte, dass die Bürger eine derart unpopuläre Maßnahme akzeptieren würden, weil er mit 60 Prozent einen hohen Stimmanteil auf sich vereint, hat er sich getäuscht. Oder haben sich seine Berater getäuscht? Einige Intellektuelle erhoben warnend die Stimme, aber sie wurden nicht beachtet. Damit sich die Regierung dieses Irrtums, dieses riesigen Irrtums, bewusst wurde, war es nötig, dass eine Massendemonstration gegen diese Maßnahme fast bis zur Plaza Murillo, dem Epizentrum des Macht, vordrang. In der Neujahrsnacht wurde das Dekret annulliert.

Seitdem kursiert in den Gängen des Regierungspalast das Gerücht über das Weggehen verschiedener Intellektueller, denen nicht zugehört wurde. Andere, die ihre Stimme zur Beschwerde erhoben, wurden von der Regierung gegangen, angeklagt des Verrats am „Veränderungsprozess“. Dafür gibt es mehr als genug Beispiele: der Ideologe und eigentliche Gründer der MAS, der Regierungspartei, Filemón Escóbar; der ehemalige Vize-Landwirtschaftsminister Alejandro Almaraz; der Schriftsteller Raúl Prada (ehemaliger Gefährte des Vizepräsident Álvaro García Linera); der Journalist und ehemalige Abgeordnete in den USA Gustavo Guzmán sowie Alex Contreras, ehemaliger Regierungssprecher, der Evo Morales seit seinem Wahlkampf in Chapare in den 90ern begleitete.

Sie sind alle sind aus ihrem Amt geschieden und haben die Tür hinter sich zugeschlagen. Heute sind sie die Kritiker aller Handlungen der Regierung, mit Erfahrung und Grund, während die Regierung sie dagegen als Überläufer bezichtigt, übergelaufen zu den Rechten, zur Botschaft der USA, oder – wie erst kürzlich – zu den NGOs. Fast alle konnten beweisen, dass sie mit ihrem Beitritt in die Reihen der Regierungspartei, zu dem sie „eingeladen“ wurden, jene Unabhängigkeit, Autorität oder Fähigkeiten verloren haben, die sie ja eigentlich als die Intellektuellen der Gesellschaft ausmacht. Es scheint, als würde das Denken der Intellektuellen und die politische Führung der Regierenden nicht Hand in Hand gehen. Das Traurige daran ist zu sehen, wie viele Intellektuelle innerhalb der Regierung – wie beispielsweise Álvaro García Linera – aufgehört haben zu denken, was, wenn sie es tun würden, Überprüfungen, Beurteilungen, Anzeigen und auch Selbstkritik mit sich bringen würde. Die Ideologie hat sich vor all die vorangegangenen Handlungen gestellt.

Nein, heutzutage ist die Aufgabe der bolivianischen Intellektuellen an der Macht nicht mehr das Denken, sondern die Handlungen der Regierung zu anzuordnen, zu verteidigen und zu rechtfertigen. Genauso, wie sie es im Oktober mit der Unterdrückung des indigenen Aufstandes taten, der von Beni aus nach La Paz führte und sich gegen den Bau einer Landstraße durch deren Territorium richtete: dem TIPNIS (Territorio Indígena y Parque Nacional Isiboro Sécure, dem indigenen Territorium und Nationalpark Isiboro Sécure).

Das war wiedereinmal eine falsche Rechnung in den Sphären der Macht, vor der verschiedenen Intellektuellen gewarnt hatten. Aber sämtliche Kritik wurde von der Regierung für nichtig erklärt, da diese behauptete, es handle sich hierbei um ausländische Interessen, wie die der NGOs und Stiftungen, die sich unter dem Deckmantel des „Umweltschutzes“ gegen die Regierung verschworen hätten. Die Bürger empörten sich über diese Vorgehensweise, dafür – und auch wegen anderer Faktoren – musste die Regierung teuer bezahlen: Bei der ersten Wahl der Richter, die Evo Morales veranlasste, war die Zahl der ungültigen Stimmen höher als die der gültigen Stimmen. Etwas bisher in Bolivien und der Welt noch nicht Dagewesenes.

Ist es überhaupt möglich ein Intellektueller zu sein und als solcher im Amt zu sein? Das werden uns die zukünftigen Handlungen einer Regierung der Veränderung zeigen, deren Pflicht nicht nur das Regieren, sondern auch das Denken zu sein hat, eine Aufgabe für ihre Intellektuellen.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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No Future http://superdemokraticos.com/themen/intellektuelle/no-future/ Tue, 25 Oct 2011 06:42:39 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5328

(c) Powerpaola

Ich sehe die Welt ohne irgendeine Zukunft, also muss ich mich über meine Hoffnungslosigkeit lustig machen.

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Brief an die Kultursenatorin der Hansestadt Rostock http://superdemokraticos.com/themen/intellektuelle/brief-an-die-kultursenatorin-der-hansestadt-rostock/ Sun, 23 Oct 2011 07:00:41 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5365 Hansestadt Rostock
Kultursenat der Hansestadt Rostock
Frau Dr. Liane Melzer

Spielzeitheft 11/12 des Volkstheaters Rostock
Ihr Vorwort

Sehr geehrte Frau Dr. Melzer,

im oben genannten Spielzeitheft des Volkstheaters Rostock schreiben Sie, dass „das Theater Bildung vermittle und Kreativität fördere“. Dazu möchte ich gerne einiges ergänzend anführen und danke Ihnen vorab für Ihr freundliches Interesse:

Ihrer Wunschbetrachtung, das Theater als eine Bildungseinrichtung zu begreifen, kann das Theater aufgrund seiner Beschaffenheit nicht nachkommen. Das Theater ist keine Schule und auch kein schulisches Ergänzungsangebot, sondern ein Ort der Subjektivität. Der Spielplan des Theaters ist kein Lehrplan, sondern eine reine Befindlichkeit und Befindung. Anders als in Schulbüchern und Nachschlagewerken, liegen die Themen der Texte gerade nicht zur Entnahme bereit, sondern unter einer Textoberfläche verborgen, durch die zuerst die Kollegen vom Theater und schließlich die Zuschauer hindurch greifen müssen. Statt Bildung zu vermitteln, ist das Theater damit befasst, den Unterschied zwischen Bildung und Einbildung sichtbar zu machen. Dabei ist es zu keiner Zeit der Verwaltung oder sonst einer Ordnung verpflichtet, sondern ausschließlich seinen Figuren. Die Mittel des Theaters sind weder die Agitation, die didaktische Beeinflussung, noch die Bekundungen der Demokraten, sondern die Mittel der Literatur, insbesondere die Überhöhung, die Allegorie und die Abstraktion. Gerade aus dem Umgang mit diesen Mitteln ergibt sich ein Mehrwert an Information, ein anderer Blick auf die Dinge, wegen dem der Zuschauer in das Theater kommt. Nicht die Bildung treibt den Zuschauer dorthin, sondern sein Zweifel an ihr

Demnach ist das Theater kein Ort der Bildung, sondern ein Ort des Zweifels. Der Betrieb des Theaters ist nun kein Luxus für eine privilegierte Minorität, sondern ein Zeichen des Vertrauens der Administration an die Mündigkeit des eigenen Volkes und der Bevölkerung. Die Funktionstüchtigkeit des Theaters ist nicht über die Anzahl der verkauften Eintrittskarten und sonstige betriebswirtschaftliche Faktoren zu messen, sondern über seine Diskurskraft, die es in die Stadt hinausträgt. Nicht der wirtschaftliche Erfolg, sondern das Bereitstellen von Unruhe, Unordnung und Unsicherheit ist die tatsächliche Leistung des Theaters

Das Theater, das gerade noch Spiegel der Stadt war, wird nun durch die Stadt widerspiegelt. Es arbeitet, natürlich im Wissen um die Vergangenheit der Stadt und das Zustandekommen dieser Vergangenheit, nach vorne, also in die Zukunft gerichtet oder anders gesagt: eine Stadt, die ohne ein Theater auskommt, wobei es völlig unerheblich ist, ob das Theater in eine Schule, ein Sport- und Kongresszentrum ungewidmet, dem Erdboden gleichgemacht auf der Stelle vergessen wird, ist eine Stadt der Vergangenheit, in der die Bewohner dieser Stadt anstatt zu wachsen und wachsen zu können, mit jedem Jahr kleiner werden, bis sie schließlich nicht mehr da sind

Bevor ich nun meine Ausführungen beende, möchte ich noch kurz auf den Begriff „Kreativität“ eingehen. Dieser Begriff, der einmal als Synonym für einen ergebnisoffenen Versuch stand, ist durch eine inflationäre, nicht seinem Sinn entsprechende Benutzung sinnentleert und blöde geworden. Kreativität bedeutet heute nichts anderes als Dreck, miese Bezahlung und stumpfsinniges Arbeiten unter unerfreulichsten Bedingungen. Kreativ sein in Berlin, bedeutet Dreck sein in Berlin. Kreativ arbeiten, bedeutet unbezahlt für andere arbeiten. Die so genannte kreative Arbeit ist heute nicht mehr, als eine Beschäftigung. Schon die Bezeichnung „Kreativindustrie“, die für die Vermarktungsbranche Anwendung findet, zeigt auf, wie unbrauchbar der Begriff Kreativität für die Beschreibung von Kunst und künstlerischer Arbeit geworden ist. Wie die Kultur, ist die Kreativität evaluierbar und entsprechend durch jene, die diese Bewertung durchführen, zu beeinflussen. Die Kunst entzieht sich dieser Bewertung, sie ist unabhängig, worin ihr tatsächlicher Wert liegt.

Es grüßt Sie herzlich aus Berlin
Oliver Kluck

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Web-publishing artist http://superdemokraticos.com/themen/intellektuelle/web-publishing-artist/ http://superdemokraticos.com/themen/intellektuelle/web-publishing-artist/#comments Sat, 22 Oct 2011 08:40:18 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5340

(c) Lilli Loge

Ich liebe es, Videos auf Youtube anzuschauen…, Songs kostenlos bei Hypemachine herunterzuladen, … und ich bin süchtig nach Comic-Blogs.

Tja, ich bin eine im Netz publizierende Künstlerin, ich habe kein Geld, um für Kunst zu bezahlen.

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Worte als Steine http://superdemokraticos.com/laender/mexiko/worte-als-steine/ Thu, 20 Oct 2011 08:51:55 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5302 Als ich damals spanische Philologie an der Universität studierte, entbrannte in unseren Klassenzimmern ein immer wiederkehrender Streit, der uns in zwei Lager spaltete. Jedes Lager verteidigte Positionen, die wir für unvereinbar hielten. Auf der einen Seite verschanzten wir, die wir an „L’art pour l’art“ glaubten und die Kunst um ihrer selbst Willen verteidigten, uns und fühlten uns beschützt in unserem Elfenbeinturm. Das dachten wir zumindest, um von dort aus über die Torheit der Widersacher zu urteilen. Auf der Gegenseite, von dem vermeintlichen Straßendreck aus, warfen die Verteidiger der zielgerichteten Kunst dialektische Steine auf uns und beschuldigten uns der frivolen Oberflächlichkeit. Das alles geschah gegen Ende der 90er Jahre, nicht in den 70ern, wie man vielleicht vermuten könnte, was die zumindest in Lateinamerika lange Dauer dieser Konfrontation bestätigt.

Wir Soldaten der Kunst für die Kunst entschieden uns, Proust, Joyce und Kafka zu lesen und fanden großes Vergnügen an der masturbierenden Anwendung der Metaliteratur, was damals in der spanischen Literatur sehr in Mode war. Es ist durchaus richtig, das die Zeit damals weniger bewegt war als heutzutage. Uns war wichtig, den vermutlichen Ausgang der Geschichte zu konstatieren, und die Welt hatte immer noch nicht ihre letzten beiden Umdrehungen vollführt, mit denen sie droht aufs Neue zu Grunde zu gehen: der Krieg gegen den Terrorismus und die Krise, die von dem Finanzsektor ausgelöst wurde. Im regionalen Kontext kam für uns Mexikaner noch eine weitere Umdrehung dazu: Unsere Realität begann auf noch schnellere Art und Weise zu zerbröseln, Schuld daran trägt der Krieg gegen die Drogenmafia.

In diesem wenig hoffnungsschimmerden Szenarium ertappte ich mich des Öfteren dabei, meine Standpunkte, meine Ideen zu überdenken, und erinnerte mich an jene kämpferischen Morgen an der Universität, um zu dem Schluss zu kommen, dass es sich damals um eine falsche Fragestellung gehandelt hatte. In der wahren Kunst, in der wahren Literatur existiert eine solche Gegenüberstellung nicht. Die Kunst ist sich einerseits selbst genug, sie benötigt nichts weiter als sich selbst, aber gleichzeitig geschieht sie und wirkt sich aus auf eine Gesellschaft, die deren Geburt erleben durfte: Jede Form der Kunst ist politisch.

Aber was ist eigentlich die wahre Kunst, die wahre Literatur? Die Essenz der wahren Literatur liegt in den Worten und darin, den Unterschied zu überwinden, den Sartre uns vorgibt, zwischen den Worten als Dingen – die ihmzufolge zur Poesie gehören – und den Worten als Zeichen – die zur Prosa gehören. Die Worte sind nicht nur Signifikanten im Dienste des besseren Erzählers, des geschickteren Verfassens von Paradoxen und Sophismen. Es ist die Verpflichtung des Schriftstellers, die Worte als Dinge zurückzugewinnen, ungeachtet des literarischen Genres. Die Prosa sollte ebenfalls ein Raum sein, in welchem die Worte sich neu erfinden und wiedergeboren werden, ein Raum, der sie aus der Leere des Sinns rettet, in den sie durch ihren alltäglichen Gebrauch verbannt wurden und der oftmals als manipulative Waffe diente.

Wir müssen zu den Wörterbüchern zurückkehren, auf die Straße gehen und mit den Menschen sprechen, mit grenzenloser Aufmerksamkeit zuhören, Etymologie studieren und unsere Philologen liebevoll behandeln.

Wir müssen unsere Worte lernen, als wäre es das erste Mal, sie wieder verstehen und sie umformen, ihnen neues Leben einhauchen. Wir müssen diejenigen aufsuchen, die sie in all diesen Jahren verraten haben, die den Diskurs in Misskredit brachten, die einen so großen Schmerz in der Gesellschaft verursacht haben, dass die Gesellschaft schlussendlich bat: „Taten, keine Worte.“ Und wir müssen ihnen sagen: Nein! Die Pflicht des Schriftstellers ist es, den Leuten zu zeigen, dass es nicht die Worte sind, die stinken, sondern nur der unangenehme Geruch mancher Personen, die sie verderben.

Worte als Dinge. Worte als Steine, die wie eine Warnung dienen können, um denjenigen abzuraten, die sie verbiegen oder verraten wollen, aber sie können gleichzeitig auch das Material sein, aus dem ein Spur gelegt oder ein Weg gepflastert wird – genau wie im Märchen: ein Weg, um nach Hause zu finden.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Eine Horde Zombies kommt auf Sie zu http://superdemokraticos.com/themen/intellektuelle/eine-horde-zombies-kommt-auf-sie-zu/ http://superdemokraticos.com/themen/intellektuelle/eine-horde-zombies-kommt-auf-sie-zu/#comments Mon, 17 Oct 2011 17:08:34 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5284 Bei dem folgenden Text handelt es sich um einen Auszug aus einem Vortrag von Prof. Dr. Phil. Dipl. Söz. Sesperado vom Berliner Institut für Lyrische Guerilla und Insurrektion (kurz BILGI) zum Thema “Intellektuelle”:

Sehr geehrte Damen und Herren, und diejenigen, die sich nicht entscheiden wollen,

Ich begrüße Sie ganz herzlich zu meinem Vortrag zu dem Thema: “Die Rolle der Intellektuellen, heute”. Wenn ich einen Blick in die Feuilletons der deutschen Mainstream-Zeitungen werfe, dann kostet es mich viel Mühe, meinen Brechreflex zu kontrollieren. Hier masturbiert sich oft eine Riege von weißen, männlichen, heterosexuellen, christlich(-säkularen), aus höheren Bildungsschichten (wobei hier auch der Grad der Verbildung nicht zu unterschätzen ist) kommenden Intel(arsch)le(c)ktuellen einen auf ihren eigenen Intellekt. In den seltensten Fällen geht es dabei um die Sache, über die sie schreiben, sondern meist nur darum zu beweisen, wie intelligent sie im Gegensatz zum Mob sind. Werden diese hegemonialen Intellektuellen mit ihrer eigenen Unwissenheit konfrontiert, reagieren diese nicht mit kritischer Selbstreflexion, sondern mit Abwehr: Was, Deutschland hatte Kolonien? Was, in Deutschland gibt es Rassismus? Was, Zweigeschlechtlichkeit ist sozial konstruiert? Das Problem dieser unweisen Weißen ist, dass sie so privilegiert sind, dass sie selten an die Mauer stoßen, die ihnen sagt: Du gehörst nicht zur Norm. Aber das Widersprüchliche an dieser Mauer ist, dass sie neue Wege des Denkens und Wahrnehmens ermöglicht. Wenn der direkte Weg nicht funktioniert, muss ergo ein anderer Weg gefunden werden. Wo lineares Denken versagt, muss laterales Denken, auch bekannt als Querdenken, eingesetzt werden. Und genau dieses Querdenken kreiert oft Möglichkeiten und Perspektiven, die diejenigen, deren Hirnfunktionen als Norm und für die Norm konstruiert wurden, fehlen.

Das Berliner Institut für Lyrische Guerilla und Insurrektion führte daher ein repräsentative Studie durch, um diese Unterschiede im Denken zu veranschaulichen. 8.000 Weiße wurden gefragt: Eine Horde Zombies kommt auf Sie zu. Wie reagieren Sie? Häufigste Antwort: Ich gerate in Panik und renne schreiend davon.

Die gleiche Frage wurde 8.000 People of Color gestellt, hier war die häufigste Antwort: Ich schalte einen anderen Fernsehsender an, bei Horrorfilmen sterben People of Color sowieso immer als erste.

Fazit: Während bei People of Color diskriminierungsbedingte Abhärtung (DBA) einsetzt, plagen sich Weiße oft mit Problemen der überentwickelten Welt.

Glücklicherweise gibt es auch Alternativen zu dem dominanten Intellekt in der BRD. Ob nun diese Leute sich als Intellektuelle bezeichnen würden, sei dahingestellt, möglicherweise würden sie das sogar als Beleidigung empfinden. Aber der große Unterschied zwischen der hegemonialen Stimme und diesen anderen Stimmen ist, dass Intellekt nicht als Selbstreferenz fungiert, sondern das Wissen so tief ins Bewusstsein eindringt, dass es sich auch in Handlungen widerspiegelt. Dafür sind die Blogs von Noah Sow derbraunemob, kiturak some of us are trying to have civilization here, aber auch von der Weißen Nadine Lantzsch Medienelite gute Beispiele, wie sich kritische Selbstreflexion zu Themen wie “Rasse”, Weiß-Sein, Sexualität, Gender etc. ins Handeln übertragen kann.

Meine Damen und Herren, und diejenigen, die sich nicht entscheiden wollen.

All zu schnell tappen wir in die Fallen der intellektuellen Zombies. So erreichte mich unlängst ein Leserbrief, signiert von einer befreundeten Leserin, in dem sie sich zwar für die Informationen bedankte, die ich auf sozialen Netzwerken teile. Gleichzeitig beschwerte sie sich aber darüber, dass sie die Hälfte nicht verstünde, weil  sie viel zu kompliziert/akademisch geschrieben seien. Ich versprach ihr daran zu arbeiten: Elitäre Intellektmasturbation ist einfach, aber wirkliche Veränderung bezieht alle Menschen mit ein.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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Denkschritte http://superdemokraticos.com/themen/intellektuelle/denkschritte/ Thu, 13 Oct 2011 11:00:42 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5215

(c) Lilli Loge

Herbst ist eine nostalgische Jahreszeit, es liegt nahe, darüber nachzudenken, was es bedeutet, jung zu sein und alt zu werden.
Ich habe mich darauf gefreut, älter zu werden, als ich 18 war, und ich fragte mich, warum ich alt werden wollte, als ich jung war.
Heute habe ich eine mögliche Antwort gefunden: Ich habe mich darauf gefreut, nicht mehr sexuell attraktiv zu sein, um wirklich geliebt zu sein für das, was ich bin, unabhängig von meinem Geschlecht und meiner Jugend.

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Die wilden Fußball-Bestien http://superdemokraticos.com/laender/kolumbien/die-wilden-fusball-bestien/ Tue, 11 Oct 2011 07:15:34 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5247 Immer, wenn Fußball ist, dreht Iowa City durch. Die Straßen werden zu Flüssen aus Menschen und alle Leute tragen nur Schwarz und Gelb – von Kopf bis Fuß. Die Frauen malen sich das Logo der Hawkeyes ins Gesicht und die Männer tragen es auf ihren Unterhosen. Es gibt auch welche, die sich komplett als Hawkeyes verkleiden, mit Federn aus Stoff laufen sie auf den Gehwegen Rollschuh, und Betrunkene, die darauf bestehen, dass du mit ihnen High-Five einschlägst. Vor dem Spiel betrinken sich die Menschen in den Bars, und nach dem Spiel kommen sie zurück, um sich weiter zu betrinken. Wenn die Hawkeyes gewinnen.

Heute haben sie gewonnen. Aus meinem Fenster sah ich einen Streit, ich sah eine Frau in Stöckelschuhen, die ohnmächtig wurde und sich wieder fing, kurz bevor sie auf den Boden aufschlug. Ich sah ein paar Typen tatsächlich auf dem Boden liegen und einen Bettler mit einem Schild, das ihn als Mitglied der „Small Penis Foundation“ auswies. Die Leute lachten darüber und warfen Münzen in den Becher. Der Typ machte sich die kollektive Hysterie zunutze. Genau wie ich. Ich ging durch die Straßen und dachte über die Rolle des Intellektuellen in der Gesellschaft nach. Geheule, Beschimpfungen, heimliche Küsse, gefallene Menschen. Alles in Schwarz und Gelb. Niemals zuvor habe ich soviel kollektive Hysterie gesehen.

Wenn die Welt ein Dorf wäre und dieses Dorf hieße Iowa City, würden lediglich zwei Klassen von Menschen auf dieser Welt existieren. Die wilden Fußball-Bestien und die Intellektuellen. Iowa City ist der Sitz des Iowa Writers‘ Workshop, des Iowa Playwrights‘ Workshop, des Iowa Summer Writing Festival, des Non-fiction Writing Program und des International Writing Program. Auch wenn Iowa City nicht den Weltrekord in literarischen Programmen hält, wurde es dennoch von der UNESCO zur Weltliteraturstadt erklärt.

Ich bin in dem International Writing Program, als „resident writer“ mit 36 weiteren Autoren aus aller Welt: Menschen aus Australien, Neuseeland, aus West-und aus Ost-Europa, aus Irland und Schottland, aus dem Mittleren und dem Fernen Osten, aus Afrika und Lateinamerika. Dichter, Dramaturgen, Romanautoren, nicht-fiktionale Autoren, Verfasser von Kurzgeschichten. Aber in Wahrheit sind 37 Schriftsteller in Iowa City eigentlich nichts. In Iowa City ist jeder ein Schriftsteller. Jeder, der kein Fußball-Wilder ist.

Der Barmann, der uns im FoxHead bedient, ist Dichter, die Freundin der Frau, die ich eben kennengelernt habe und die in der Bar auf einen Mann wartet, ist Literaturkritikerin, eine, die ich gerade erst kennengelernt habe, die in der Bar auf einen Mann wartet, ist Englischprofessorin und der Mann, auf den sie wartet, ist Schriftsteller. Romanautor aus dem Writers‘ Workshop. Angehender Romanautor, besser gesagt. Der Typ kommt. Cordjacke mit Flicken auf den Ellbogen und Büchern unter dem Arm. Nachdem er uns die Hand gegeben hatte und wir unsere Namen genannt hatten, folgte das hier:

–Ach, du bist also Schriftstellerin, wie alt bist du denn?

–39.

–Wie viele Bücher hast du schon herausgebracht?

–Drei.

Maria lacht über diese Geschichte. Maria ist die Argentinierin aus dem International Writing Program. Sie sagte zu mir, ich hätte ihm die Gegenfrage stellen sollen: Und, Alter, wie lang ist deiner? Schau dir die doch an, sagt sie auf einen Passanten zeigend, schau sie dir doch an. Der Passant trägt Bücher unter seinem Arm, eine Zigarre und eine Baskenmütze. Schau dir die Verkleideten doch an. Das Lachen der Argentinierin sprudelt nur so aus ihr heraus und ist ansteckend.

Ich ging lieber, um mit Brandon zu reden. Brandons Arbeit ist es, die Schule zu putzen. Er ist die erste Person in Iowa City, die ich kenne, die kein Schriftsteller ist. Na ja, obwohl er manchmal sagt, dass es ihm gefallen würde oder das es ihm gefallen hätte oder es ihm unter Umständen doch zugesagt hätte zu schreiben. Ich wechsle dann das Thema. Brandon, lass uns raus gehen.

Draußen vor dem FoxHeart trifft man immer auf die Raucher des International Writing Programs. Und auf alles mögliche. Der Südafrikaner beschimpft eine wilde Fußball-Bestie, die schimpfend vorbeiging. Der Philippine liegt auf dem Boden, weil er zu viel Whiskey getrunken hat, er, der eigentlich nur Bier trinkt. Die Deutsche gibt Kampfschreie von sich, während sie Karateschläge verteilt. Ein Paar, weiter weg, in der Kälte, gibt sich den Kuss, den sie sich nicht geben sollten und den die anderen Leute nicht sehen sollte.

In Iowa City gibt es nur am Samstag Spiele und die wilden Fußball-Bestien dösen die Woche über. Und wir, ja wir schreiben auch, nehmen an Diskussionsrunden teil und halten Lesungen. FoxHead hat Montags Ruhetag, oder war es Sonntag?

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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