Atomenergie – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Interessieren Sie sich dafür, ein guter Mensch zu sein? http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/interessieren-sie-sich-dafur-ein-guter-mensch-zu-sein/ Fri, 03 Jun 2011 22:35:39 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=3957 STOP AND THINK

http://www.youtube.com/watch?v=Dc6ZEa_8scM

1.1. Interessieren Sie sich dafür, ein guter Mensch zu sein?
1.2. Warum nicht?
1.3. Wenn Sie sich dafür doch interessieren:
a) besitzen Sie die Mittel dazu?
b) besitzen Sie die Kraft dazu?
c) besitzen Sie das geeignete Netzwerk, das dies anerkennen könnte?
2. Was, glauben Sie, wird im nächsten Jahrhundert einen „guten Menschen“ ausmachen?

Dass wir den Globus mit seinen Schätzen nicht wertschätzend benutzen, ist nicht neu. Manche sagen, dies sei auch nicht möglich. Neu ist auch nicht, das Seuchen und Bakterien unsere ersten Feinde sind, denn sie verfolgen ein einziges Ziel : die Ausbeutung unserer Körper zum Zwecke der eigenen Vermehrung. Neu ist auch nicht, dass das wichtigste Grundnahrungsmittel Wasser weltweit zum Produkt mit Mehrwert geworden ist, und es wundert auch keinen, dass es Lobbys für Kapitalakkumulation gibt. Diese Notiz erreicht mit größter Wahrscheinlichkeit keinen, der sich im Alltag mit Kapitalakkumulation auseinandersetzt. Das Ich in seinen bürgerlichen Verhältnissen setzt sich nur aus, mehr ist nicht zu schaffen, denn die Verwaltung des eigenen Lebens ist aufwändig genug. Ich setze mich allein aus, so wie alle es tun müssen, und dabei bilden wir schon eine Gruppe mit Phantomen, deren Mitglieder in eine Richtung gehen und die dabei nur die eigenen Schritte hören, eine Gruppe, die sich zueinander nicht solidarisch verhalten muss, weil niemand sich in diese Gruppe hineingewählt hat. Man setzt sich dem aus, dem man nicht entgehen kann? Wer sind die Opfer des Kapitalismus, wie wir ihn heute leben? Ist es der Obdachlose oder ist es der Manager, die beide auf andere Arten und doch ähnlich sozial-isoliert sind? Worin unterscheiden sie sich, abgesehen von der Verantwortung, die sie angeblich unterschiedlich tragen – nicht jedenfalls im Missbrauch von niedrig- und hochpreisigen Drogen.

Wie wollen wir eigentlich leben und was ist eigentlich ein erfolgreiches Leben?

Der Begriff des Gutmenschtum (von dem man nicht genau sagen kann, ob er von den Nazis oder von Horkheimer kam und das sagt viel über seine Überflüssigkeit) geht wieder um, mal kontroverser, mal radikaler, wo immer er fällt aber, fällt er falsch.

Denn betreibt nicht der Mensch Wirtschaft, Politik und Wissenschaft um des Menschen Willen? Waren und sind nicht die Bedürfnisse des einzelnen und seines Volkes der Motor fürs Ganze? Hannah Arendt schrieb zum Eichmann Prozess von der „Banalität des Bösen“ (hier ist ihr Interview mit Joachim Fest nachzulesen, auf Deutsch). Mal heute darüber nachgedacht: Ist es nicht tatsächlich esoterisch zu glauben, es gäbe eine teuflische Tiefe in all dem politischen/ wirtschaftlichen/ öffentlichen Treiben, wo doch Fehler in gut laufenden Systemen (Bankencrash, Massenvergiftungen, Atomstromproduktion… ) nur auf Gedankenlosigkeit, Verantwortungslosigkeit oder Beziehungslosigkeit beruhen?

Der Boden, auf dem ich gehe, ist mit Vergangenheit kontaminiert, von den ach so unterschiedlich definierten Gutmensch-Absichten der Vergangenheit. Bei allem hoffe ich, dass das Haus in dem ich leben muss, nicht auf einem Blindgänger aus dem zweiten Weltkrieg steht. Ich kann froh sein, dass der Krieg in Deutschland schon eine Weile her ist und dass mein Nazi-Großvater (väterlicherseits) tot ist und meine jüdische Urgroßmutter (mütterlicherseits) schon vor Hitler eines natürlichen Todes starb. Ich kann froh sein, nicht in Serbien zu leben und den Wunsch zu verspüren, einen Waldspaziergang zu machen: Die Minen im Boden könnten meinen Körper zerfetzen, die Morgensonne würde weiter strahlen, die Vögel ließen sich wieder auf ihren Ast nieder. Ich kann froh sein, nicht in China zu leben, wo ich für diesen Artikel in Schwierigkeiten kommen könnte, ich kann froh sein, nicht in Afrika beschnitten worden zu sein oder eine Burka tragen zu müssen.

Ich hoffe europäisch: dass die Pestizide in der Baumwolle, die ich am Körper trage, mir nicht eines Tages den Krebs bescheren, der mich unbrauchbar machen würde und zu einer Belastung der Kassen, der anderen Menschen, der Gesellschaft führte. Ich versuche, einen arbeitslosen Nachbarn, der sein Kind immer anbrüllt, zu überzeugen, dass auch der Gang zur Wahlurne etwas ändern könnte, ich hoffe, dass man sich weltweit auf den Humanismus beruft und nicht auf Ideologien.

Was wird „das Gute“ in Zukunft sein, was ist das „Gute, Schöne und Wahre“, wenn Ästhetik und Wissen sich stets ändern? Ist das Gute das, was im 22. Jahrhundert keine Kontrolle mehr verlangt, ist es das, von dem keine Bedrohung (für keinen) ausgeht? Welche Informationen fehlen uns heute, um das nachhaltig Gute einzuschätzen, als solches zu bewerten und umsetzen zu können? Ohne Anhalten ist kein Denken möglich (Hannah Arendt). — Sind wir frei von Schuld trotz unserer Mitwisserschaft? Wir wissen doch um die Gefahr eines nuklearen Unfalls, um die globalen Folgen der Massentierhaltung, um das Plastik im Meer. Man gab mir die Illusion, das Individuum könne etwas ändern, es ist wohl Zeit, die Verantwortung zu übernehmen und die Illusion zur Realität werden zu lassen. Die Idee der Aufklärung: einer Erziehung des Menschen zum Guten – sie kann nicht in missbrauchten Machtverhältnissen umgesetzt werden.

Ich hoffe, dass jemand es gut macht für unsere Nachfahren, nämlich die, die ich dazu wähle. Ich hoffe, sie besitzen heute die Visionen des menschlich Guten, die mir morgen gutes Handeln ermöglichen. Besäße ich das Geld, das für mich arbeiten geht, wäre ich schon heute ein ganz vorbildlicher besserer Gutmensch: Ich würde auf mein umweltfreundlich gebautes Haus eine Solaranlage bauen, ich würde das erste Elektroauto kaufen und ausschließlich Bio kaufen, weil ich Massentierhaltung ekelhaft finde, einen vegetarischen Koch einstellen, und ich würde die besten Lehrer für meine 10 Kinder beauftragen und mich selbst zum Wohle meiner Gesprächspartner stets bilden, ich würde Bücher schreiben lassen und Systeme erfinden lassen, die die Welt besser machten, also mir gleicher, besäße ich das Geld, das für mich arbeitet, würde ich

 

 

 

ein besserer Mensch sein können.

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Bienensterben http://superdemokraticos.com/themen/atomenergie/bienensterben/ http://superdemokraticos.com/themen/atomenergie/bienensterben/#comments Thu, 02 Jun 2011 07:00:02 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=3884

Heute las ich in den Nachrichten, dass die Bienen vom Aussterben bedroht seien.
Einstein sagt, dass die Menschheit in 4 Tagen sterben würde, wenn die Bienen verschwänden.

(c) powerpaola

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Saftig glänzender Humus http://superdemokraticos.com/themen/burger/saftig-glanzender-humus/ http://superdemokraticos.com/themen/burger/saftig-glanzender-humus/#comments Wed, 01 Jun 2011 16:55:23 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=3880 Spanien durchlebt eine Zeit der sozialen Bewegungen, der Veränderung und der Unruhen, die das Land zwingen, in die Zukunft zu schauen. Umwelt, Wirtschaft und Kulturen werden plötzlich zusammengedacht.

Dieses Foto, das ich während einer Demonstration gemacht habe, halte ich für symbolisch. Neben dem Plakat ("Ihr repräsentiert uns nicht, ihr nennt es Demokratie und das ist es nicht") sieht man im Hintergrund das Rathaus von Saragossa.

Der Dichter Antonio Gamoneda schuf die Grundlage für das Verständnis der derzeitigen intellektuellen Evolution Spaniens. Sein Werk zählt zu der erlesensten Poesie, die in Europa in den letzten 50 Jahren verfasst wurde, und er verfasste einige Verse, die nahezu perfekt das widerspiegeln, was die spanische Gesellschaft derzeit durchlebt – wenn wir uns mit subtiler Eleganz des rhetorischen Stilmittels der Hyperbel bedienen:

Es werden bald neunzehn Jahre sein,/ die ich meinem Herrn diene./ Seit neunzehn Jahren gibt er mir zu essen,/ und noch immer konnte ich sein Gesicht nicht sehen/ (…)/ Es werden bald neunzehn Jahre sein,/ in denen ich mein Haus verlasse und durch die Kälte gehe,/bis ich sein Haus betrete und er mir ein Licht,/ ein gelbes, auf den Kopf stellt.

Diese Zeilen stammen aus dem Gedicht „Blues del amo“ und zweifelsfrei lässt sich feststellen, dass es sich bei diesem „Herren“ um die Wirtschaft handelt, die sich das Land mit fünf Millionen Arbeitslosen (und davon sind 40 Prozent junge Menschen mit Hochschulabschluss) und einem kollabierten Banken-System hält, in das der spanische Staat 4 Prozent des BIP investieren musste, um die Wirtschaftseinheiten „zu retten“, und die schlussendlich auch die generelle Unzufriedenheit über die Nutzung von Atomstrom verursacht hat. Letzten März gab es eine Großdemonstration für die Schließung von sechs der zehn Atomkraftwerke, die derzeit in Spanien am Netz sind.

Die Katastrophe von Fukushima versetzte soziale Bewegungen in aller Welt in Alarmbereitschaft. Im Falle Spaniens waren die Proteste gegen die unheilbringende Kernkraft als Energiequelle nicht ganz so massiv wie in Deutschland oder anderen europäischen Ländern. Dennoch sind sie zum Teil der Auslöser für eine Reihe von Kundgebungen, die im öffentlichen Raum und auf der Straße stattfinden werden, bei denen im Grunde genommen das gesamte politische Handeln des Landes in Frage gestellt wird. Am 22. Mai fanden Kommunal- und Regionalwahlen statt. Mit einer Stimmenenthaltung von 33 Prozent der Wahlberechtigten übernahm die Partido Popular (PP) in 14 von 17 Provinzen der politischen Landschaft Spaniens die Macht. Dieser massive Sieg der rechtsgerichteten Partei repräsentiert nur 22 Prozent der Wählerschaft, was etwa 8 Millionen Menschen entspricht.

Spanien hat 46 Millionen Einwohner. Addiert man die Zahl der Wähler, die den Sieg der PP verursacht haben, mit der Zahl der Arbeitslosen, ist das Ergebnis immer noch niedriger als die Zahl der Menschen, die letzten Sonntag nicht zur Wahl gegangen sind. Dies führt mich erneut zu den Versen von Gamoneda. Irgendetwas ist dieses Mal passiert. Die politische Stimme, die sich bei der Wahl enthalten hat, manifestierte sich auf einer anderen Ebene. Sie bevölkerte die öffentlichen Plätze der meisten spanischen Städte, um dort „zu campieren“ und auf massive Weise dafür zu plädieren, das traditionelle Zweiparteien-System, welches das politische Leben des Landes bestimmt, abzuschaffen und drastische wirtschaftspolitische Veränderungen vorzunehmen. Denn die derzeitige wirtschaftliche Lage erinnert viele Menschen an die enormen Mängel unter Franco. Unter dem Namen „15-M“ (Bewegung 15M) haben verschiedene soziale Bewegungen gemeinsame Aktionen einberufen. Getragen von sozialen Netzwerken entschied dieses Aktionsbündnis, am 15. Mai von seinem Bürgerrecht Gebrauch zu machen und das System zu erschüttern. An diesem Tag bauten tausende junger Spanier ihre Protestcamps rund um die U-Bahn Station „Sol“, im Herzen Madrids, auf und setzten diese Aktion in den wichtigsten Städten Spaniens fort.

Das Bündnis, das die Proteste initiierte, trägt den Namen Democracia Real Ya (Echte Demokratie Jetzt). Es gründete sich vor drei Monaten und entstand aus sozialen Netzwerken wie Facebook. Es definiert sich als parteilos, gewaltfrei und umweltbewusst, und absolut nicht einverstanden mit dem aktuellen politischen System und der spanischen Wirtschaft. Es finanziert sich hauptsächlich aus Spenden und verwaltet sich selbst; außerdem beabsichtigt es, eine Bewegung zu werden, weniger kurzlebig als die Studentenproteste und Unibesetzungen Ende 2008/Anfang 2009 gegen die Bologna-Reformen. Die neuen Protestierenden wollen drastische Veränderungen erzielen, planen für den kommenden Sommer Massenveranstaltungen und betreuen eine sehr gut besuchte Webseite. Die ersten Auswirkung ist der radikale Zerfall der Linken, da diese sich großteils aus der Wählerschaft zusammengesetzt hatte, die nun Democracia Real Ya und andere soziale Bewegungen unterstützt. Die Partido Socialista Obrero Español, PSOE, (Spanische Sozialistische Arbeiterpartei) ist dieser Veränderung als erste zum Opfer gefallen: Sie erlitt einen massiven und historischen Verlust und regiert nun nur noch in einer einzigen Provinz, Asturien. Auch der amtierende Präsident und Mitglied dieser Koalition José Luis Rodríguez Zapatero, der sich in der linken Mitte verortet, hat diese schwierige Situation als „Schach Matt” anerkannt.

Zu diesem Thema existiert auch eine soziologische Debatte, bei der die Intellektuellen sich nicht einig werden können, ob wir kurz vor einer spanischen Version des „Mai 1968“ stehen oder ob es sich nur um eine vorübergehende Phase der sozialer Unzufriedenheit handelt. Einig sind sie sich nur darin, die Einzigartigkeit und Außergewöhnlichkeit dieser Aktionen zu betonen. Aktionen, die ich als ausländischer Mitbürger, der seit vielen Jahren in diesem widersprüchlichen und gleichzeitig faszinierenden Land lebt, noch nie gesehen habe. Die spanische Lebensweise, die sich mit Sinnlichkeit der Glut des mediterranen Leben und den Fiestas widmet, spielt gewöhnlicherweise in Unzufriedenheitsbekundungen keine Hauptrolle und demonstriert auch nicht übermäßig viel – ganz im Gegensatz zu den lateinamerikanischen Ländern, die auf eine lange Tradition von organisierten und teilweise auch dramatischen Demonstrationen zurückblicken können und ausreichend Erfahrung darin haben, den politischen Mächten gewaltsam entgegenzutreten. Der Konformismus, der bei vielen noch aus den Jahren des wirtschaftlichen Wohlstands der 1990er Jahre herrührt, in denen eine starke und im akademischen Sinn sehr gut ausgebildete Mittelschicht entstand, verwässerte teilweise die Einstellung der Protestler.

Georges Bataille reflektierte auf seine meisterhafte Art in seiner Essaysammlung „La Literatura y el Mal“ (Die Literatur und das Böse) darüber, ob revolutionäre Zeiten den Bereichen Kunst und Literatur nicht mehr Glanz verleihen müssten. Die sozialen Bewegungen und die Presse werden dauerhaft im Konflikt stehen, was in letzter Instanz die Entstehung der Kunst beeinflussen wird. Bataille konstatiert, dass die Französische Revolution nicht unmittelbar eine Generation herausragender Literaten hervorgebracht hat. Er sieht im Marquis de Sade einen der großen Autoren der Revolution, auch trotz der Tatsache, dass dieser zur jakobinischen Wertvorstellung der brandneuen französischen Nation absolut keinen Bezug hatte. Bataille möchte damit den rebellischen Charakter von Literatur betonen, in der die Vorstellung von Gut und Böse so verworren ist, sich sogar mischen und hybride werden, dass es schwierig scheint, in Kategorien wie moralisch und unmoralisch zu urteilen. In dieser Epoche und zweifelsfrei auch heute wieder ist zu sehen, dass der Konflikt zwischen Gut und Böse im Konflikt mit der Macht gipfelt, in der Art und Weise wie die Verlagerung der Energie stattfindet, von der Michel Foucault später sprach. Die Macht ist überall und fließt. Sie verbreitet Information durch die Presse, über Internet-Seiten oder Facebook. Gedichte und Essays, die über die soziale Unruhen verfasst werden, vermitteln etwas von der Gier nach Macht, aber auch von dem Drang, gegen sie anzukämpfen. Bataille spricht von Grenzerfahrungen der Kreativität unter dem Schutz der sozialen Veränderungen, insbesondere seinen Essays über de Sade, Blake, Baudelaire oder Kafka. Der Humus, der aus diesen Grenzerfahrungen gewonnen wird, ist der Humus der sozialen Veränderungen und der ästhetischen Radikalisierung.

Was gerade in Spanien passiert, entstand meiner Meinung nach genau auf diesem Nährboden und wird sich in Zukunft davon ernähren. In Krisenzeiten fragen wir nach Identität. Ich denke etwa an die Schriftsteller und Intellektuellen, die je unterschiedliche Beiträge geleistet haben und dennoch alle in der kosmopolitischen Avantgarde und der subversiven und hinterfragenden Dynamik vereint sind. Ich denke an Paul Celan, Edward Said, David Foster Wallace oder Robert Bolaño. Trotz ihrer extrem unterschiedlichen Werke und den definierten Rollen innerhalb des imaginären westlichen Kollektivs, haben sie erreicht, dass viele von uns Identität als ein Perpetu-Transito, als ewiges Pendeln zwischen Erinnerung, Traum, Lektüre und direkter Realität denken. Ich würde gerne die aktuellen Proteste als saftig glänzenden Humus sehen, damit daraus jene Persönlichkeiten sprießen können, die in der Lage sind, die Realität in Frage zu stellen und auf der Idee des Neuen zu bestehen, auf ästhetische Geschwindigkeiten, die unser Leben lenken und uns zu tadellosen Bürgern machen können.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Öffnungszeiten http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/offnungszeiten/ Tue, 31 May 2011 07:00:53 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=3889

(c) Ulla Loge

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Atomi hat keine Angst http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/atomi-hat-keine-angst/ Thu, 26 May 2011 12:00:52 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=3897

In diesem Video des Satire-TV-Magazins extra3 erklärt Atomi, warum es keine Angst vor Atomkraft hat.

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Der Flaschensammler http://superdemokraticos.com/themen/atomenergie/der-flaschensammler/ Wed, 25 May 2011 08:00:17 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=3856

Ein Flaschensammler im Görlitzer Park, Berlin. Foto: Nikola Richter

Immer ging es ums Sparen. Mit dem Eintritt in die Grundschule bekam ich ein Sparkonto, ein rotes Buch, in das ein Schalterangestellter per Hand den Kontostand eintrug, auch schob er mir das komische Knax-Heft zu. In diesem unlustigen Comicmagazin luden mich die strubbeligen Freunde Didi und Dodo ein, total viel Spaß zu haben und zu sparen. Zu jedem Schuljahr und Geburtstag zahlten meine Großeltern eine runde Summe ein, und so wuchs die Zahl mit den Jahren. Wofür ich sparte, wusste ich eigentlich nicht. Ich hatte alles: eine Schaukel im Garten, eine japanische Kirsche zum Draufklettern, eine Schwester, irgendwann auch die Maus Mickey als Haustier. Für sie mussten wir Futter kaufen und Streu, aber dafür reichte das Taschengeld, das wir pro Woche bekamen. Dafür hatte ich („Sparen, Sparen, Sparen…“) einen Plastik-Tresor bekommen, mit Zahlenschloss, einen Hochsicherheitstrakt gegen die Diebe, die Einbrecher, die Kriminellen, die in unserem Haushalt ihr Unwesen trieben.

Wir sparten aber nicht nur Geld für Mäusefutter, sondern vor allem auch die ominöse unsichtbare Macht namens Energie. Nachdem in Tschernobyl ein Reaktor explodiert war, nachdem eine unsichtbare Wolke unsere von der Ukraine weit entfernten Pilze und Milch verstrahlt hatte, ging es so richtig los mit dem Sparen: Kurz-Klospülung, Wasser nicht beim Zähneputzen laufen lassen, Klopapier aus Altpapier, Reste-Essen, Plastik-, Glas-, Biomüll trennen, Licht aus beim Verlassen der Wohnung, Geräte nicht auf Standby stehen lassen. Deutschland wollte zu den Guten gehören. Seit neuestem, seit 2011, gibt es in Deutschland an einigen Orten eine so genannte Wertstofftonne, hier können ganze Elektrogeräte untergebracht und damit „gespart“ werden: Toaster, Handys, Elektroschrott. Bis 2020 will man 65 Prozent aller Abfälle aus Privathaushalten und 70 Prozent aller Bau- und Abbruchabfälle verwerten. Das nennt sich „urban mining“. Die Abfallhändler kommen wieder, die ihren mit städtischen Rohstoffen beladenen Karren durch die Straßen ziehen. Derzeit tun das in Berlin nur die Flaschensammler, die den Bier-Pfandflaschen der Party People auflauern, in Parks, auf Bänken, am Kanalufer. Nachts höre ich sie ihre vollen Einkaufswagen unter den Laternen parken und ihre Beute zählen. Es klirrt. „Die Grenze zwischen den Menschen verläuft zwischen denen, die Flaschen sammeln, und denen, die sie wegwerfen.“ (Zitat Flaschensammler). Letztes Jahr berichtete der Journalist Uwe Ebbinghaus in der Tagesszeitung FAZ vom Flaschensammler Friedhelm W., der sich vom Sammelgut eine Bahncard 100 finanziert. Damit gehört dieser Zug-Nomade zu einer Elite von landesweit 35.000 Menschen, die sich dieses Dauer-Zugticket für 350 Euro monatlich leisten können. Ein Traum: fahren, wohin man will, wann man will, ohne ein Ticket lösen zu müssen. Durch das Sammeln von Leergut erschafft sich Friedhelm eine unbegrenzte Mobilität. Unabhängigkeit. Einen Status zwischen Obdachlosigkeit und Wohnung. Eine eigene Natur.

Statt also den Verlust der Natur zu beklagen und auf die Suche nach aussterbenden Rotkehlchen zu gehen, wie der Schrifsteller Andreas Maier, könnte es produktiver sein, über die eigene zivilisierte Natur nachzudenken. Ist Deutschland, mit Anti-Atomkraft-Demos und erstem grünen Ministerpräsidenten Kretschmann ein moralisches Land geworden, wie Georg Diez fragt? Ich glaube nicht. Aber das schlechte Gewissen, das uns Sparern über Jahre hinweg eingetrichtert wurde, hat uns eingeholt. Daher plädiere ich dafür, vom Sparen zum Sammeln zu wechseln. Weg vom beklemmenden Diskurs des Nichthergebenwollens zum befreienden des Schaumalwasichhab. Dieses gilt es zu beschützen. Die europäischen Gewässer etwa sind in den vergangenen 20 Jahren sauberer geworden, man kann wieder in vielen schwimmen.

Ressource kommt vom Lateinischen „resurgere“, hervorquellen. Ungenutzte Energien gibt es genug. Kühlen ist schwieriger als heizen. Das haben wir gerade in Fukushima gesehen.

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Ein Kurzschluss für Fátima http://superdemokraticos.com/laender/kuba/ein-kurzschluss-fur-fatima/ Fri, 20 May 2011 21:03:13 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=3825 „Vale Todo“ (im Deutschen: „Um jeden Preis“) war eine brasilianische Telenovela, die während des Período Especial, der Sonderperiode in Friedenszeiten, auf Kuba gezeigt wurde. In jenen Jahren gab es geplante Stromabschaltungen für mehrere Stunden und oftmals fanden diese auch während der Übertragung der Telenovela statt. Meine Mutter und ich, beide begeisterte Fans, rannten in Schlappen, im Morgenmantel und mit wehendem Haar aus dem Haus zum nächsten Bezirk. Wenn in unserem Bezirk, das war der 6., der Strom abgeschaltet wurde, gab es im 19., nur ein paar Blocks entfernt, weiterhin Strom. Und genau dahin gingen wir und nervten jeden, den wir mehr oder weniger kannten, solange, bis wir uns aufs Sofa setzen durften, oder einfach nur am Fenster stehen konnten, um die Sendung zu sehen. Des Öfteren schlichen wir uns einfach ins Krankenhaus und sahen sie uns dort gemeinsam mit den Patienten in den Aufenthaltsräumen an. Das einzig Wichtige war, rein gar nichts von den Dingen zu verpassen, die Rachel und ihrer Tochter Fátima – den beiden Protagonistinnen – so passierten. Mit der Zeit und den anhaltenden Stromabschaltungen, wurde es irgendwie nicht mehr so spannend in einen anderen Bezirk zu gehen, uns fehlte die Inbrunst, der Elan, die Würde, die uns „Vale Todo“ bot. Ja wirklich, diese Novela war und ist immer noch das Größte.

Bei mir zu Hause hatten wir einen russischen Kühlschrank. Da ich von der Telenovela so begeistert war, beschloss ich eines Tages ihn Fátima zu nennen, denn er war so ehrgeizig, opportunistisch, berechnend und doch gleichzeitig menschlich wie sie. Ich zwang alle dazu, den Kühlschrank so zu nennen, damit konnte ich „Vale Todo“ für immer in meiner Nähe haben. Denn ganz ehrlich, als die Novela zu Ende war, fühlte ich mich so verloren, so allein… Außerdem hatte unser Kühlschrank tatsächlich große Ähnlichkeit mit Fátima: Er war nicht mehr wirklich gut, aber gleichzeitig konnten wir nicht leben ohne ihn. Innen, am Boden, war er zwar etwas oxidiert und man musste von Zeit zu Zeit die Dichtungsgummis austauschen und Schäden am Blech reparieren lassen, aber er kühlte die Sachen ganz wundervoll. Manchmal machte meinen Mama Eis am Stiel und Eis mit Reis, um sie an die Kinder in der Nachbarschaft zu verkaufen.

Ich machte es zu meiner Aufgabe, Fátima zu behüten, als wäre sie meine Tochter. Jedes Mal wenn der Strom abgeschaltet wurde, musste bei Fátima sofort der Stecker gezogen werden, damit sie von dem plötzlichen Impuls, wenn der Strom wieder angeschaltet wurde, keinen Kurzschluss bekam. Ich übernahm das. Unsere Nachbarschaft kaufte sich für ihre Roque Santeiro oder Jorge Tadeo – Nachbarn von Fátima in der brasilianischen Telenovela – spezielle Geräte, die dafür sorgten, dass die Kühlschränke nicht durchbrannten, wenn der Strom wieder kam. Diese Geräte, die man auf dem Schwarzmarkt recht teuer besorgen konnte, regelten den auch Spannungsabfall, ebenfalls eine Sache, die regelmäßig vorkam und immer noch vorkommt. Ich habe auch ein solches Gerät gekauft. Alles für Fátima, für meine Fátima, meine Tochter, die ich jeden Tag mit einem Tüchlein abwischte und niemals zuließ, dass irgendwer auch nur ein böses Wort über sie verlor.

Als vor einigen Jahren die Energie-Revolution begann und ich dann nun doch nicht mehr so klein war, sollten wir Fátima durch einen dieser chinesischen Kühlschränke ersetzen, die Haier heißen. Da habe ich mir für einen Moment lang überlegt, wie es wäre, wenn ich, Lulú Malanga, durch das Haus schreien würde: „Ochín, hast du noch ein Ei für morgen früh? Und eine Limo? Und ein bisschen Hackfleisch?“ Dinge eben, die ich sonst immer mit Fátima besprochen habe. Und Ochín würde mir unter Tränen antworten: Nein, Lulú, nein, nein, nein. „Ochín“ war eine chinesische Telenovela, die auf Kuba kurz nach dem Ende von „Vale Todo“ gezeigt wurde, und Ochín, die gleichnamige Protagonistin, heulte den ganzen Tag durch, die ganze Zeit. Das ging nicht. Ich wollte Fátima nicht durch diese kleine Chinesin ersetzen. Wenn Fátima Nein sagte, dann sagte sie es mit Würde, mit Stil. Nein und nochmals nein, ich habe zu sehr für Fátima gekämpft, als dass ich zulassen konnte, dass mit einem Hammer auf sie eingeschlagen und sie zum Einschmelzen in einen dieser großen Öfen geschoben werden würde. Also habe ich sie nicht weggegeben.

Aber es stimmt schon, Ochín wäre stromsparender gewesen. Ich höre oft wie alle meine Nachbarinnen ihre Takeshi und Voltus V anschreien, aber ich habe noch niemals eine Beschwerde über die Ausgaben gehört, über das Geld, das sie monatlich wegen des hohen Verbrauchs zahlen müssen. Und ich sehe mir Fátima an, alt, oxidiert, mit Blechschäden, die man reparieren, und einem Motor, der ausgetauscht werden muss, aber jetzt sind sie teurer, denn es gibt nur noch die chinesischen. Und da steht sie in der Ecke, als würde sie mir Vorwürfe machen, dass ich sie nicht den Flammen überlassen habe. Tja, unsere Beziehung hat sich eben verändert. Obwohl es mir schwer fällt, muss ich es wohl zugeben: Fátima und ich sind seit der Energie-Revolution einfach nicht mehr die alten. Gestern Nacht habe ich wieder von „Vale Todo“ geträumt. Von der berühmten Folge, in der Raquel Fátimas Brautkleid zerreißt und Fátima am triumphalen Ende einen millionenschweren Prinzen heiratet, mit ihm nach Mailand geht, ihren Sohn und ihre Mutter verlässt und damit ihr Leben meistert. Dann bin ich aufgewacht. Ich ging in die Küche und sah meine Fátima. Jeden Tag mehr am Ende, die Arme. Ich stellte mir vor, wie sie diesen Prinz heiratet und begann fast zu weinen.

Darum habe ich heute einmal nicht an mich gedacht und als erstes heute Morgen das Gerät, das Fátima beschützt, ausgeschaltet. So habe ich sie stehenlassen, ungeschützt vor dem elektrischen Strom. Soll er es doch erledigen. Und nicht ich oder sie.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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People have the power http://superdemokraticos.com/themen/atomenergie/people-have-the-power/ Fri, 20 May 2011 07:00:29 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=3832

Ich glaube alles, was wir träumen
kann durch unseren Zusammenschluss wahr werden
Wir können die Welt verändern
Wir können die Revolution der Erde auslösen
wir haben die Macht
Die Menschen haben die Macht …

*Patti Smith: People have the power

(c) Powerpaola

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Antinuclearpower http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/antinuclearpower/ Mon, 16 May 2011 07:00:09 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=3828

Ich gehe nicht sehr oft auf Demonstrationen
Aber meine Figuren können das tun

Skizze für die Anti-Atomkraft-Initiative Berlin (c) Ulla Loge

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Seismisch, vulkanisch und „tsunamisch“ und bald vielleicht auch noch nuklear. (Brief an ein Mädchen, das eines Tages aus Celle kommen wird) http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/seismisch-vulkanisch-und-%e2%80%9etsunamisch%e2%80%9c-und-bald-vielleicht-auch-noch-nuklear-brief-an-ein-madchen-das-eines-tages-aus-celle-kommen-wird/ Fri, 13 May 2011 07:00:06 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=3794 S., geliebte S., ich suche diesen blauen oder schwarzen Stift und kann ihn nicht finden. Das wirst du wahrscheinlich schon gemerkt haben. Meine Schrift ist etwas holprig, denn eigentlich habe mir die schlechte Angewohnheit des Briefeschreibens abgewöhnt. Die Firmen und Anbieter für die Wasserversorgung, für Waschmaschinen und Strom sind immer noch geübt in diesem physischen Briefwechsel, aber mit dieser epigrammatischen und numerischen Art und Weise der Kommunikation überbrachten sie immer nur eine einzige, furchtbare Botschaft: das, was man ihnen schuldet – und man schuldet ihnen immer irgendwas. Uns blieb nur die E-Mail, aber die kam schon gehetzt auf die Welt: Ihre Antworten drängen immer, heute, denn die Buchstaben ruhen nie, und die Antworten magern durch die Laufschritte in Lichtgeschwindigkeit deutlich ab. Damit ist man nicht mehr in der Lage, abwechselnd Monologe zu führen oder jegliche Zusicherungen bis zur Offensichtlichkeit genüsslich durchzukauen. Aber es gibt kein Zurück mehr. In Eile und eilig schrieb ich dir, angetrieben von dem Erd- und Seebeben, das Chile und Japan vereint hat und von dem nuklearen Verderben, das uns trennen wird. Wenn jemand schon einmal diese Angst erlebt hat, kann er sie meilenweit riechen, auch auf große Entfernung – Erwachsenwerden bedeutet zu lernen, Angst zu haben. Ich habe gezögert, dir nach all den Jahren zu schreiben, und die Worte sprudeln nur so aus mir heraus, wenn ich daran denke, dass du nichts mehr so vorfinden wirst wie es war, wenn du wieder in dieses Chile zurückkehrst, das zu einem Satellit seiner selbst geworden ist, voller Irrungen und erzwungenem Gelächter. Tellurisch, seismisch, vulkanisch und „tsunamisch“ und dann vielleicht auch noch nuklear: wunderschön wie eine Gedenktafel, voll von schwerem Wein und Osterliteratur.

Ich hätte es dir sagen sollen, um mit der allgegenwärtigen Phrase zu spielen und sie doch in Frage zu stellen: Die nukleare Energie wird die Welt retten. Jetzt muss die Welt vor der nuklearen Energie gerettet werden. Was für ein Hohn. Schau dir an, wer das sagt und dann weißt du an was er angeschlossen ist. Da ich der Unwissende bin und mit mir selbst allein, folge ich dem elektrischen – und eklektischen – Kabel, das mich nun mit dir verbindet. Natürlich kommt es nicht bei einem riesigen Kernkraftwerk an, in dem das Atom gespaltet wird, es reicht nicht bis zu dem, das Japan gerade bluten lässt, zu dieser Fabrik der blitzenden Dolchstöße. Nein. Aber mein Draht zur Elektrizität reicht bis zu einem riesigen Wasserkraftwerk, das die Länder der indigenen Vorfahren geflutet hat. Länder, mit Jahrtausenden alten Wäldern und diesem Extrakt der Artenvielfalt, die uns so unglaublich überfordert, dass uns der Mund offenstehen bleibt, aber das uns am Leben erhält. Somit wird jeder dieser strahlenden Dolchblitze, für immer und ewig ein Dolchstoß bleiben. Es stimmt schon: Die hauptsächliche Verschmutzung wird von den großen Industrien und Bergbau-Gesellschaften verursacht – diejenigen mit Füßen aus Kupfer und Stechschritt aus Eisen – und nicht von Halogenbeleuchtungen der Fußgängerzonen oder von Computern und auch nicht vom Bügeleisen oder Weihnachtsbaum. Weniger Schuld, aber schuld = Schuld, trotzdem.

Und die Todesstöße des Lichts produzieren und reproduzieren: den Mensch, das zum Tode verurteilte Wesen. Das ist weder die alte Leier, noch dummes Geschwätz. Ich schreibe dir mit strahlenden Dolchstößen, die Flüsse vernichtet haben. Das ist weder besser noch schlechter als jene zu nutzen und zu bezahlen und zu bewerben, die ein Atom zusammenhalten, diese ionisierende Strahlung, diese radioaktiven Isotopen, die das Celle deiner Kindheit und das Berlin deines Erwachsenen-Fahrrads bewegen. Blitzende Messerstiche, Windsclae, Mayak, Tokaimura mon amour. Der Wind, dein germanischer Wind, mit seinen 13,8 Watt Windenergie bewahrt dich hoffentlich beim Radfahren, damit auch unsere Enkel herumradeln können. Wir werden hier von hydroelektrischen und thermoelektrischen Kohlekraftwerken überflutet, da wir in zehn Jahren viermal so viel Strom benötigen werden, sei es um dir eine Mail zu schicken, um einen Berg in zwei Hälften zu spalten (Barrick Gold Corporation), sei es, um den letzten Wald aus Cellulose zu roden (Arauco S. A.) – (und ich habe gerade meinen schwarzen Stift wiedergefunden). Genau dafür hat mein schmales Land und seine überaufmerksame Regierung vor einigen Wochen einen Vertrag über die atomenergetische Zusammenarbeit mit Europa abgeschlossen. Schöne S., aus Celle, ich bin ein Mittäter dieser kleinen Heimat, die systematisch die Abkommen über den Umweltschutz verletzt und zum Gewalttäter wird, wenn ihr eine Papier-Fabrik geschlossen wird.

Beängstigend und beschissen wird ein Vaterland mit prall gefüllten Taschen sein, mit schöngerechneten Zahlen und Schmutz auf den weißen Westen unter seinem souverän getragenen Anzug, ein Land, das vortäuscht, die Welt nicht zu verstehen, um sich an ihr bereichern zu können. Du würdest davon wissen, wenn so etwas hier zur gleichen Zeit passieren würde – also Erdbeben und Verstrahlung –, wir wären nicht wie die Japaner, denn keiner glaubt mehr an die Flüchtigkeit der Dinge, an den „Mono no aware“ oder den dezenten Schmerz vor dem Verlust. Keiner glaubt an die Beherrschung. Wir sind nicht Japan und werden es auch nicht sein, denn wir hier heulen aus tiefstem Herzen wie die kleinen Kinder und stimmen auf tiefstem Herzen das Wehklagen an. Diese derart inbrünstige Tiefe wird die Skizze des Aufschreis sein.

Aber du wirst es schon sehen, vieles in meinem Süden bewegt sich dank Wasser und Holz, und jetzt sind wir auch frei von Kernspaltung und von der Rache der Atome. Von denen, die dich nicht in den Park gelassen haben und dich davon abhielten Pilze im Wald zu sammeln, wegen des Windes und des Sauren Regens von Tschernobyl. Du wirst hier sein und es spüren: Noch haben wir einen grünen Uterus, unberührt und zerbrechlich, der keine Vorurteile fällt, da er nicht einmal Urteile fällt. Wir werden darüber sprechen, während wir durch die Haselnusshaine wandern. Und wir werden nicht wissen wie viel noch fehlt, bis unsere Fukushima am Herd des Heims ankommt, auch wenn im Hof noch Staudämme wachsen.

Ja, meine geliebte S., ich gebe zu, ich habe mich bei meinen Überlegungen an Jaques Rigaut erinnert: Einige Menschen machen Geld, andere Neurasthenie, andere Kinder. Einige machen Spaß, einige Liebe und einige Trauer. Wie lange Zeit habe ich versucht etwas zu machen! Man kann nichts machen: Man kann nichts machen. Möglicherweise gibt es keine widerlicheren und perverseren Dinge wie vorgetäuschte Zärtlichkeiten und menschliche Wärme als Ersatz für die Gerechtigkeit. Mitschuldig, finde ich keine tröstliche Ruhe auf dem Abhang der Schuld, wie du weißt: Ich erhänge mich Schritt für Schritt. Ich hänge mich daran auf, weil ich baumle. In jedem auf Raten Gehenkten gibt es einen Rädelsführer, der anklagt, und einen Geistlichen, der sich räuspert. Ich gebe mich nicht auf, ich hänge mich daran auf, weil ich aufrecht stehen bleiben will, vertikal versuche ich das Gleichgewicht zu halten wie ein Lebender: Die Poesie stirbt nicht, sie schläft nur, würde Alfonso Alcalde sagen.

Aber S., geliebte S., du wirst kommen und die Zeiten werden immer noch erfreulich sein. Die Erde wird ab und zu erbeben, wie sie das eben so macht, um die blinden Körper aufzuwecken. Du wirst an realen Stränden spazieren, mit Wasser, das näher kommt und sich zurückzieht, grün und real wie die Freude über deinen Besuch. Es wird sauber und ausreichend regnen, und deshalb werden in allen Jahreszeiten die Bäume blühen. Es wird wie der beste Frühling in Celle sein, deinem Dorf mit langen Beinen und roten Hölzern. Ich werde dir später schreiben, ich werde dir morgen schreiben, ich werde dir zufällig schreiben, damit du mir antwortest, meine Kleine aus Wladiwostok, mein Mädchen aus Celle, atemberaubende Biene.

Valdivia / Angachilla/ Herbst 2011

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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