Venezuela – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Herbst in Peking http://superdemokraticos.com/laender/venezuela/herbst-in-peking/ http://superdemokraticos.com/laender/venezuela/herbst-in-peking/#comments Mon, 25 Jun 2012 09:45:14 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6441 Ich habe immer schon fernab von der Zivilisation gelebt. In einem abgeschiedenen Kaff mitten in einem abgelegenen Land, in dem die Buchläden voller Schulbedarf, Modezeitschriften und vereinzelter Bestseller waren. Einmal kam – vermutlich aus Versehen – das Buch „Herbst in Peking“ von Boris Vian in eine dieser Buchhandlungen. Mein Vater kaufte es, ohne zu zögern. Er trug es nach Hause, als wäre es eine Rarität. Tatsächlich war es sogar in zweifacher Hinsicht eine Rarität: Zum einen handelte es sich bei diesem Roman um ein derart außergewöhnliches Werk, das ein prüder und geldgieriger Verleger in dieser Zeit niemals herausgegeben hätte, zum anderen ist es für mich unvorstellbar, welches Ausmaß an Verwirrung dieses Buch in jene Auslagen voller Bleistift-Spitzer, Farbstifte, Hefte, Stephen Kings und Hello Kittys bringen konnte. Ich war fasziniert von diesen Seiten und reiste gemeinsam mit dem Hauptdarsteller in einem absurden Autobus in jenen nicht existierenden Herbst, ohne Peking.

In den Buchläden am Ende des Universums gab es sonst nur Bücher, die kurz davor waren zu Staub zu zerfallen. Uralte Reliquien, die sich mehr und mehr mit Termiten füllten. Es waren durchaus gute Bücher, das schon, aber keines davon war jünger als die Buchhandlung selbst. Es gab nichts Aktuelles, als ob die Literatur eine Sache aus einer anderen Zeit wäre.

Jetzt lebe ich an einem anderen Ende, in einem Land, in dem eine andere Sprache gesprochen wird als die meine. Überall gibt es Bücher, zu denen ich keinen Zugang hatte, bis ich dieses starre Alphabet beherrschte. Und selbst jetzt, wo ich es kann, lese ich immer noch lieber Bücher in einer Sprache mit lateinischen Buchstaben. Selbst heute habe ich immer noch keinen Zugang zu diesen Büchern, denn ich „beherrsche“ noch nicht die Wirtschaft. Ich lebe an einem wirtschaftlichen Ende, an dem ich all die Büchern, die ich gerne lese würde, nicht kaufen kann.

Aus all diesen Gründen habe ich nur selten Bücher gekauft. Meine unsichtbare Bibliothek setzt sich aus Leihgaben und Diebesgut zusammen. Früher war sie voller Fotokopien. Heute sind es PDFs, legale und illegale, die im Cyberspace kursieren. Oder Bücher, die ich mir in dieser hervorragenden, öffentlichen Bibliothek ausleihe, bei der ich eingeschrieben und von der ich abhängig bin. An mir gewinnen die Verlage und die Schriftsteller lediglich eine Leserin. Die sich durch Begeisterung, Leidenschaft, Bewunderung erkenntlich zeigt, aber nicht finanziell, niemand gegenüber. Ein Leser mehr – wen interessiert das? So wie es um die Dinge steht, ist es nicht wichtig, Leser zu gewinnen, das einzige, was interessiert, sind die Käufer. Vor ein paar Monaten wurde in der spanischsprachigen Presse von einem Skandal berichtet: Eine ziemlich bekannte spanische Schriftstellerin beschwerte sich öffentlich darüber, das ihr Buch wesentlich häufiger illegal aus dem Netz „heruntergeladen“ wurde, als es verkauft wurde. Die Reaktionen ließen nicht auf sich warten. Ich schließe mich denjenigen an, die darauf hinweisen, wie gering jene Autorin doch die große Anzahl an Lesern wertschätzte, die so ihr Werk lesen konnten und es auf einem anderen Wege nicht getan hätten.

Denn dieser Weg gibt Menschen, die es aus den einen oder anderen Gründen sonst nicht getan hätten, die Möglichkeit, etwas zu lesen. Ich lobe und preise den Informationsfluss, den man von jedem Ende der Welt aus abrufen kann, sobald man sich nur mit einem Kabel ans Netz anschließt. Gäbe es diesen kulturellen Strom nicht, der mir Zugang zu all diesen gemeinnützigen, aber auch illegalen Seiten verschafft, würde ich wohl kaum lesen. Ich könnte mir nur ein, maximal zwei Bücher kaufen. Gäbe es nicht diesen literarischen „Robin-Hood“-Freund, wäre ich überhaupt nicht auf dem neuesten Stand. Gäbe es nicht diese Bibliothek oder jene andere, wäre ich weiterhin abgeschieden von der Welt. Aber es interessiert niemanden, dass ich mich der Welt nähere. Das stellt nämlich weder für die einen noch für die anderen irgendeine Form des Gewinns dar.

Und lasst uns gar nicht erst über Musik reden: Während ich das schreibe, höre ich eine Band namens Chinawoman, auf die ich niemals gekommen wäre, wenn sie nicht jemand auf seiner Facebook-Pinnwand geposted hätte und wenn ich sie nicht über irgendwelche Pfade des Internets weiterhin hören könnte.

Über genau solche Pfade reise ich nun zu diesem Herbst und zu diesem Peking, das eine Rarität war, in jenem abgeschiedenen Kaff und in jenem abgelegenen Land, in dem ich einen Großteil meines Lebens verbracht habe.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Wir sind gekommen, um über die anderen zu sprechen….Venezuela in Worten http://superdemokraticos.com/laender/venezuela/espanol-hemos-venido-a-hablar-del-otro%e2%80%a6-venezuela-en-palabras/ Tue, 29 Nov 2011 19:34:03 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6053 Es war weder ein runder Tisch, bei dem sich die Zuschauer einen Einblick in die Geschichte der venezolanischen Literatur verschaffen konnten, noch eine Performance, noch eine kritische Improvisation. Es war all das und viel mehr. Gestern präsentierten die jungen Schriftsteller und Intellektuellen Elena Cardona, Willy Mckey und Roberto Martínez Bachrich im Mariano Azuela Saal der FIL eine poetische Kurzbiografie über die Literatur ihres Landes und sprachen über die Gründe, die dazu führten, dass die venezolanische Literatur noch kein breites Publikum erreicht hat und die Grenzen des Landes noch nicht überschritten hat. Ein Land in dem die Schriftsteller “mit tausend Revolutionen pro Minute rasen, ein Land, das auf eine Revolution pro Jahrhundert drängt“ (Willy Mckey)

Wesentlich unterhaltsamer als eine Vorlesung, wesentlich ironischer als eine Comedy Show. Die Präsentation der Venezolaner kennzeichnete sich durch ihre Chor-ähnliche Struktur und die Schlichtheit, mit der die Autoren sich in den alten Stammbaum der Autoren, welche die Geschichte überlebten, einreihten. All das an einem Ort, der sich bislang weigerte, die Schriftsteller in ihrer vollen Dimension anzuerkennen und an dem Lesen weiterhin ein von Divisen abhängiges Problem bleibt. Wo ein Buch ein Luxusartikel ist, wo die Autoren mit den Jahren fantastische Fotokopiotheken ansammeln, mit all den Schätzen, die ihnen in die Hände fallen. Wo die fehlenden Divisen die jüngerer Generation dazu zwingen ihre Vorgänger zu lesen.“ „Wo Poeten ein riesiges Heer aus Einzelgängern sind“, so Willy Mckey.

Der Zuschauer hatte während der 45 Minuten die Gelegenheit, einer Kurzfassung der Literatur des 20. und 21. Jahrhundert aus dem Land des Erdöls zuzuhören, mit all dem Respekt und der Bewunderung, die diese jungen Künstler der Literatur zollen. Dadurch haben sie ihr Engagement für die Literatur gezeigt, ihre außergewöhnliche Bescheidenheit und eine noch seltsamere Klassensolidarität, Schriftstellersolidarität gegenüber den Autoren, die vor ihnen den Standard der venezolanischen Literatur gesetzt haben. Eine bewegende und unterhaltsame Lesung, die uns mit dem Verlangen entließ, Yolanda Pantin, Camilo Pino, Rufino Blanco Fambona, Lourdes Sifontes und viele weitere Autoren zu lesen und besser kennenzulernen.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Ein Klick http://superdemokraticos.com/laender/venezuela/ein-klick/ Fri, 25 Nov 2011 06:58:12 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5884 Es ist 20:30. Ich setze mich an meinen Computer, öffne den Texteditor und zünde mir eine Zigarette an, um über die Beschaffenheiten der sozialen Netzwerke, ihre Zweckmäßigkeit und das demokratisierende Potential im Internet nachzudenken. Mich erschreckt der Gedanke, mich ebenfalls über ein Thema auszulassen, das laut meiner Überzeugung schon bis zum Überdruss wiederholt wurde. Davor klicke ich das Spotify Icon an, mit der Intention einen Soundtrack zu finden, der meine Gedanken zum Fließen bringt. Es überfordert mich, ein Musikstück auszuwählen; das verfügbare Angebot ist unendlich. Ein Geistesblitz erleuchtet in mir die Erinnerung an Paolo Conte, ein Hybrid aus Tom Waits und Ennio Morricone. Es ist verfügbar. Sparring Partner ist das Lied, das ich suche. Für den Anfang gefällt es mir; ich tauche in eine süßliche Melancholie ein, die Reflexionen über dieses und jenes begünstigt. Uff! Es steht auf der Liste, ist aber nicht verfügbar. So ein Scheiß! Ich bestehe darauf und gebe in das Suchfeld den Namen des Liedes ein, nicht den Sänger. Ich finde es, aber der Interpret ist nicht Conte. Es handelt sich um eine Version von Carla & The Real Lowdown. Ich drücke Play. Kein Zweifel: Es ist dasselbe Lied, aber auf Englisch. Ich lasse das Lied laufen, gehe auf den Browser und google den Namen der Band. Es stellt sich heraus, dass Carlas voller Name Carla Sanabra ist. Sie singt auf Englisch, aber ihr Äußeres und ihr Nachname weisen offensichtlich auf ihre spanische Abstammung hin, was meine Neugierde weckt. Ich brauche mehr Daten. Ich öffne ein Tab und tippe Face… ein, die Pinnwand meines Facebook Accounts öffnet sich. In dem ersten Post steht „Venezuela: man muss die Pressefreiheit vor Chávez und den Medien selbst beschützen“. Es handelt sich hierbei um einen Artikel, den der venezolanische Journalist Boris Muñoz für sein argentinisches Blog „Puercoespin“ (Stachelschwein) schreibt. Ich schätze seine Arbeit, klicke ohne weiter darüber nachzudenken „Gefällt mir“und öffne den Link. Ich prüfe den Titel und die Zusammenfassung. Ich scrolle schnell nach unten. Meine Augen überfliegen ziellos den Bildschirm, ohne einen einzigen Satz einzufangen. Ich gebe auf und lasse den Tab noch geöffnet, für später. Ich gehe zurück und tippe „Carla Sanabra“ ins Suchfeld. Facebook bietet verschiedene Optionen. Eine davon ist die Seite der Künstlerin, mit einer einzigen verfügbaren Option: „Gefällt mir“. Wo ich schon mal da bin, klicke ich darauf. Die Seite informiert mich über das, was ich intuitiv schon wusste: Carla ist katalanischer Abstammung. Aus der Ferne höre ich, wie meine Waschmaschine durchdreht und zu zittern beginnt, während sie schleudert. Ich frage mich immer noch, wer Carla Sanabra wohl ist und gehe auf Twitter. Die arme Carla hat insgesamt nur 68 Followers. Ich entschließe mich, ihr auch zu folgen. Bevor man die ersten 100 erreicht hat, ist jede neue Person eine heilige Liebkosung für unser digitales Ego. Ich schwöre mir, ihr nächsten Freitag ein #FF zu schenken.

Hier bekomme ich noch andere Daten, ihre Internetseite, die ich in einem anderen Tab öffne. Ihr neues Album wird beworben, das ab Januar des kommenden Jahres auf iTunes verfügbar sein wird. Die Seite bietet dem Benutzer auch die Möglichkeit dieses „vorzubestellen“. Klick. Ich mache ein allgemeines Panning über das Interface des Apple Stores und entdecke, dass in Verbindung mit der Diskografie von Sanabra auch der Soundtrack von „Der Kaufmann von Venedig“ zu haben ist. Da ich den Film vor einigen Tagen gesehen habe und mich Shakespeares Talent als Drehbuchautor überraschte (unerfüllte Liebe, schmerzvoller Verrat, Habsucht, bedingungslose Freundschaft und unerwartetes Ende), kehre ich zurück zum Browser, klick, öffne einen neuen Tab und gehe zu Wikipedia.

Ich tippe „Der Kaufmann von Venedig“ ein. Ich weiß nicht genau, nach was ich suche, aber mich überkommt die Gewissheit einer kurz bevorstehenden Entdeckung. Der Umfang des Artikels enttäuscht mich. Ehrlich gesagt, hatte ich nicht vor ihn komplett zu lesen, aber ich hätte mich an dem Versprechen der reichhaltigen Information erfreut. Ich gebe mich nicht zufrieden und mache noch ein Klick auf dem Namen Michael Radford, dem Regisseur des Filmes. Ich überfliege seine Filmographie und die Titel rauben meine Motivation. Alle, ohne Ausnahme, offenbaren eine grauenvolle Kitschigkeit: „Die letzten Tage in Kenya“, „Ein brillanter Plan“ (dt. Flawless), „Another Time, another Place“. Es kommt mir so vor, als ob die Filmtitel von der Nichte des Kinobesitzers übersetzt wurden, der die Rechte für die Filme erworben hat. Ich lenke mich wieder ab und meine Augen schweifen auf einen Tab im Browser, der schon seit vielen Stunden geöffnet ist. Es ist ein Artikel in „Ñ“, dem Beiheft für Literatur und Kunst der argentinischen Tageszeitung Clarín. Ich klicke darauf und gehe ihn durch. Er trägt den Titel „Cantar con la boca llena“ (Mit vollem Mund singen). Ich lese die Zusammenfassung. Ich muss ihn ganz durchlesen und ihn auf meiner Pinnwand posten. In ihm wird ein Buch von Puntocero (der Verlag des Autors, Anm. d. Übersetzerin) erwähnt und dafür sind die Netzwerke ja definitiv da, oder etwa nicht?

Meine Priorität ist es jetzt aber herauszufinden, ob der Film von Pacino das Werk von Shakespeare originalgetreu umsetzt. Ich bin immer noch hungrig auf mehr Information und verfolge eine weitere Erleuchtung: Vielleicht kann ich ja auf Amazon eine digitale Version des „Kaufmanns“ bekommen, dann könnte ich es heute noch lesen. Los geht’s. Ich öffne einen weiteren Tab und suche nach dem Stück. Wahnsinn, da ist es und es kostet nur einen Euro! Ein Klick. Großartig. Ich durchsuche den Kindle mit dem strukturellen Misstrauen eines Menschen, der im 20. Jahrhundert gelebt hat – vor dem Internet, vor all dem. Tatsächlich, hier ist der Text. Er ist nicht allzu lang und ich freue mich darauf, ihn lesen zu können, bevor ich schlafen gehe. Ich schaue auf die Uhr in der rechten oberen Ecke meines Computers. 1:15 morgens, steht da. Ich bin perplex. Ich schaue auf die Uhr in der Küche. 1:16. Jetzt ist schon fast Morgendämmerung, und ich habe noch nicht einmal angefangen zu schreiben. Ich überprüfe ein letztes Mal die Tabs auf meinem Browser. Es sind mehr als 12. Ich verspüre eine starke Erschöpfung im Nackenbereich. Ich mache den Computer aus. Klick.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Eine Frage der Methode http://superdemokraticos.com/laender/venezuela/eine-frage-der-methode/ Wed, 09 Nov 2011 01:48:05 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5727

Santiago Gamboa und Ulises Milla in der Librería Alejandría I, Caracas

Niemals hätte ich gedacht, dass ich durch Ulises und dann auch noch in Caracas Santiago Gamboa kennenlernen würde. Auf wie viele unwahrscheinliche Arten war es möglich, diese Odyssee zu beginnen, die in vielerlei Hinsicht durch die Erfahrung mit dem Ausländerstatus hervorgerufen wird, während man ganz entspannt ein Glas Wein trinkt. Der Ausländerstatus ist nicht nur ein legaler, sondern vor allem auch ein geistiger Zustand. Das Substrat der Globalisierung, vielleicht die sentimentale Variante des Rhizoms, wie es Byung- Chul Han denkt. Ich muss gestehen, ich lese nur wenig Romane, ich bevorzuge Philosophie und Geschichte, Poesie und Essays.

Seit Jahren fällt es mir schwer, mich auf Fiktion zu konzentrieren, und wenn mich doch einmal etwas verführt, halte ich meist nur für eine Geschichte durch. Etwa zehn Seiten, maximal 15, und wenn die Geschichten nur fünf Folios, die Seiten des alten Buchmaßes, haben, ist es wesentlich wahrscheinlicher, dass ich das Buch zu Ende lese. Mit Romanen ist das für mich schwieriger. El Síndrome de Ulises (Das Ulysses-Syndrom) ist für mich ein lebensrettendes Buch. Es fiel mir genau zu dem Zeitpunkt in die Hände, als ich mich von dem Buchladen, den ich mit einer Kollegin in Berlin führte, verabschieden musste. Marina Beltrán hat es mir geschenkt, sie ist wohl die großartigste Spanierin, die ich jemals kennengelernt habe. Es erzählt die Geschichte eines jungen, ärmlichen Schriftstellers, der versucht, in einem Umfeld zu überleben, das, wenn es auch nicht feindselig ist, ihm doch zumindest erschreckend gleichgültig gegenüber steht. Und unfähig ist, seine Probleme, seine Sorgen nachzuvollziehen oder ihn als Individuum anerkennen zu können. Manchmal denke ich, dass 2007 ohne Bolaño und ohne Gamboa für mich unerträglich gewesen wäre.

Für mich waren immer die Worte der Ausgangspunkt für jede Art von Beziehung, und ich denke, dass wir Menschen treffen, durch das, was in geschriebener Form existiert. Ich habe Freunde, mit denen ich zu Beginn nicht reden konnte, weil ich kein Deutsch konnte. Leute, die ich zu mögen begann, durch eine komische, taubstummen-ähnliche Sprache gespickt mit Titeln, Namen von Autoren, von Liedern. Gespickt mit Quellenhinweisen, die gleichzeitig dazu führten, dass sie für mich zu neuen Freunden wurden, Freunde, die solche Genies waren und immer noch sind, dass sie mir spanische Bücher nach Berlin schicken oder sie vorbeibringen oder sie mir überlassen, nach unseren zufälligen Begegnung.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Postkarte aus Caracas http://superdemokraticos.com/laender/venezuela/5854/ Sun, 06 Nov 2011 15:20:44 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5854

Von links nach rechts: 1. Lesender Student an der Universität Caracas, das Campus-Ensemble ist Unesco-Weltkulturerbe. 2. Eine der Titten-Puppen Chacaíto. 3. Librerías del Sur, staatliche Buchhandelskette. 4. In der U-Bahn von Caracas. 5. Bücherstand an der Universität Caracas. 6. Fotos von Oppositionsführern wie gesuchte Kriminelle an einer Ecke des Plaza Bolívar. 6. Denkmal für die Verstaatlichung der Ölvorkommen. 7. Einiege der vielen Polizisten und Militärs, die das Zentrum der venezolanischen Hauptstadt olivgrün färben.

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Las Superdemokraticas mitten in Caracas! http://superdemokraticos.com/laender/venezuela/las-superdemokraticas-mitten-in-caracas/ Sat, 05 Nov 2011 17:35:12 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5670

„Mehr über den superdemokratischen Trip Latino hier.“

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Bist du dir sicher? http://superdemokraticos.com/laender/venezuela/bist-du-dir-sicher/ Sat, 05 Nov 2011 16:28:24 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5663 Wir sind gelandet, in Caracas. Der Flughafen, direkt am Wasser, ist erfüllt von der schwül-heißen Luft des karibischen Meers. Die 6-Millionen-Stadt selbst liegt weiter im Landesinneren, vor einer Gebirgskette, die wir auch von unserer Hotelterasse sehen. Dort bilden die Wolken luftige Kronen an den Gipfeln, während um uns herum Palmen im Wind schwingen und der Verkehr lärmt. Naturidylle versus Urbanität. Morgens um 5 Uhr höre ich einmal in meinem Jetlagdämmerzustand einen Vogel trillern, ein seltsam fremdes Geräusch zwischen Hochhäusern. Wie überleben Tiere zwischen Beton und Abgasen?

Ich sollte von ihnen lernen, denn ich habe am ersten Tag einen kleinen Kulturschock und bin etwas verunsichert, vor allem wegen all der Sicherheitsbestimmungen, die uns für diese angeblich viertgefährlichste Stadt der Welt mitgeteilt werden. Die Reichen riegeln sich ab, die Armen werden immer ärmer, so dass der öffentliche Raum dir keine Freiheit gibt, sondern eher Regeln auferlegt, wie du dich zu verhalten hast: nur bestimmte Viertel besuchen, nicht mehr nach 22 Uhr auf die Straße, am besten viel Taxi fahren, die fast alle abgedunkelte Scheiben haben, keine Papierstücke, etwa Tickets, von Fremden annehmen, die sind vielleicht getränkt mit der Droge Burundanga, die dich willenlos macht, die Tasche nicht festklemmen, sondern locker tragen, Schmuck und teure Uhren lieber zu Hause lassen. So entsteht eine Atmosphäre des Misstrauens, in der jeder Bürger dem anderen Feind sein kann. Das Goethe-Institut, derzeit im ruhigeren, aber auch eher unsicheren (wie man uns sagt) Stadtteil San Bernardino gelegen, wird bald in das sicherere Altamira umziehen, weil (aus Angst?) abends niemand mehr zu den Veranstaltungen kommt.

Als wir dann durch die Fußgängerzone Sabana Grande flanieren, ist die Atmosphäre dort erstaunlich entspannt, aus jedem Laden tönt ein anderer Reggaeton, die Eisverkäufer klingeln, ein Einkaufszentrum sendet Werbebotschaften per Mikrofon. Ab und zu ein Soldat mit Gewehr auf der Straße. Ein paar operierte Nasen. Geeiste Kokosmilch. Plastikschuhläden. Hier ein kleiner Eindruck des Dolby Surround von Caracas:

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=z33XVi4coL0[/youtube]

Nicht abfilmen kann ich den Smog. Zwischen 17 und 19 Uhr ist Rushhour, rien ne va plus. Blechkolonnen auf Hochstraßen, die mich an L.A. erinnern, vierspurig, Abgase und Rücklichter. Zu unserer Lesung kommen wir „pünktlichen Deutschen“ dann eine Stunde zu spät. Danke an unseren Gastgeber Ulises Milla, die mitlesenden Autoren Leo Felipe Campos, Héctor Torres, Rodrigo Blanco Calderón und die spontane Lala, Gäste, sowie das Publikum, so lange in der Libreria Alejandria I gewartet zu haben!!

Eines ist sicher: Caracas braucht eine andere Verkehrspolitik, z.B. autofreie Wochenenden, Taxi- und Bustrassen, Katalysatoren, und andere Benzinpreise (derzeit kostet eine 60-Liter-Tankfüllung 50 Cent). Für freien Verkehr!

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Wir alle schreiben dieses Buch http://superdemokraticos.com/laender/venezuela/wir-alle-schreiben-dieses-buch/ Fri, 04 Nov 2011 15:07:23 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=5640 Wenn es in unserer Zeit einen Beruf gibt, der in Verruf geraten ist, dann ist es wohl der des Propheten. Vorhersagen bezüglich der Politik, der Technologie oder auch sozialer Bewegungen zu treffen, scheint keine Beschäftigung zu sein, die viel Ansehen genießt, wenn die Zeitung, die druckfrisch den Verlag verlässt, schon eine unnütze Ansammlung von Nachrichten ist, die den gesamten Vortag lang in den sozialen Netzwerken wiedergekäut wurde.

Durch die Bildschirme gesehen, sieht man was in der Welt geschehen ist, aber nicht was kommen wird. Es ist eine Zeit, in der es so wirkt, als werden gerade essenzielle Kapitel der Geschichte geschrieben, aber alles in so rasender Geschwindigkeit, dass man Jahre brauchen wird, um diese zu lesen.

Es war anzunehmen, dass die Ankunft der Computer, die immer handlicher und leistungsstärker werden und sich technisch immer multimedialer entwickeln, etwas, das alle Sinne anspricht, die Welt in eine Art Analphabetentum eintreten würde, insbesondere jetzt, da die alphabetischen Codes nicht mehr benutzt werden und durch andere, visuellere und allgemein gültigere, ersetzt werden.

Die Computer wurden tatsächlich noch leistungsstärker und handlicher, als wir es uns vor zehn Jahren zu träumen wagten, denn Ipads, Smartphones der neuesten Generation, jegliche Art von Tablet-Computern sowie Leser von digitalen Büchern mit WLAN-Anschluss übertreffen sogar noch den Ausdruck „Computer“. Und dennoch befinden wir uns in einer hauptsächlich verschriftlichten Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die den Tag damit zubringt, sich mittels des geschriebenen Wortes zu verständigen, die jeden Tag Millionen von Mails, Tweets, SMS, Kommentaren und Aktualisierungen von Dutzenden sozialer Netzwerke hin und her schickt. Kurz gesagt: Wir leben, wie niemals zuvor, in einer schriftlichen Welt.

In dieser Welt treffen sich die Menschen aufgrund ihrer Ähnlichkeiten, in der Marginalität geographischer Distanzen, und man lernt sich kennen und sogar lieben durch stundenlangen schriftlichen Austausch. Genau auf die gleiche Art und Weise nehmen sie die Realität wahr, in der sie erwachen, mit einem kurzem Blick auf die Twitter-Timeline, die sie sich aus ausgewählten Quellen (nicht immer von Journalisten natürlich), denen sie folgen wollen, zusammengestellt haben. Das bedeutet, dass die enorm große menschliche Masse, die den Planeten bevölkert, je anonymer und einsamer sie wird, desto mehr an der hypothetischen Freiheit gewinnt, sich mitzuteilen, sich mit Gleichgesinnten zusammenzuschließen, Gleichgesinnten, die frei gewählt wurden und nicht zufällig, weil geografisch, vorhanden sind.

Auch wenn die Drucktechnik die Verbreitung von Ideen revolutionierte und das Telegramm die Beziehung zwischen Zeit und Entfernung relativierte, um diese Ideen ankommen zu lassen, war es erst das Netz, das diese beiden Dinge verband und eine tatsächliche, horizontale menschliche Kommunikation erschuf.

Welche Veränderungen entstanden nun in dieser Gesellschaft, in der so viele Stimmen gleichzeitig sprechen können? Wahrscheinlich hat sie die Fähigkeit, sich zu konzentrieren, verloren, banalisiert die Informationen. Möglicherweise verstärkte sich auch ihr Gefühl der Verlassenheit. Aber wenn man es anhand dessen beurteilt, was die Menschen so schreiben, fühlen und sprechen die Leute immer noch mehr oder weniger dasselbe wie in der Zeit von Gutenberg und Morse. Was hat sich nun also verändert?, fragt sich der Leser.

Der Arabische Frühling, die Massenversammlungen, die durch die Netzwerke hervorgerufen wurden, die Protestkampagnen durch die Hashtags, die Taktik des Rückzugs und Wiedereinstiegs in den studentischen Demonstrationen anhand von SMS, scheinen auf eine Sache hinzuweisen: in den alltäglichen Beziehungen mit ihresgleichen scheint die Menschheit die alte geblieben zu sein, aber ihre Beziehung zur Macht hat sich verändert. Diese Millionen Stimmen, die täglich die Welt lesen und an ihrem rasanten Schreiben teilnehmen, beginnen der Macht Macht zu entziehen.

Es ist eine Zeit, in der es so wirkt, als würde man essenzielle Kapitel im Buch der Geschichte schreiben, wie sich bereits zeigte. Wenn wir sie nicht mit Leichtigkeit lesen können liegt das daran, dass wir an diesem Schreibprozess teilhaben. Nur wenige Hinweise deuten mit Klarheit daraufhin, wohin wir gehen. Vielleicht gibt es Anzeichen, eine Gewissheit, die vorsichtig am Horizont auftaucht: In dieser Welt, in der wir alle schreiben, muss sich die Macht der enormen Herausforderungen stellen, auch zu lesen.

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Die Lehre der Katzen http://superdemokraticos.com/laender/venezuela/die-lehre-der-katzen/ Mon, 08 Aug 2011 07:00:12 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=4784

Caracas sangrante, das blutende Caracas, wie der Künstler Nelsón Garrido es sieht.

Letzte Woche, auf einem meiner zahlreichen Spaziergänge durch die Universität, sah ich eine Katze. Ihre vier Pfoten schmiegten sich eng an ihren Körper, wie die Form einer Blumenvase, während sich ihr Schwanz in eine samtige Spirale drehte. Eine normale, gewöhnliche Katze, könnte man sagen, hätten ihr nicht die Gehirndecke gefehlt. Dies zu bemerken und sofort wegzurennen, war ein fast elektrischer Impuls. Dennoch war die Würde, mit der das Tier diese Situation ertrug, für mich ein Muss, mich umzudrehen und es wenigstens ausführlich zu beobachten.

In den darauffolgenden Tagen bekam ich das Bild jener Katze mit ihrem Gehirn im Freien einfach nicht aus dem Kopf. Ob sie  von einem Auto angefahren worden war? Oder kam die Verletzung von einem Kampf mit einem Hund? Ich konnte es nicht herausfinden. Aber viel mehr noch beschäftigte mich die Tatsache, dass ich es mir selbst zur Aufgabe machte, mich mit diesem Schmerz auseinanderzusetzen.

Eine Woche später musste ich nach Maracaibo reisen, eine Stadt im Osten Venezuelas, um dort an einem nationalen Treffen der „Escuela de Letras“ (Geisteswissenschaftlichen Fakultät) teilzunehmen. Als wir auf dem Weg zur Buchpräsentation auf der Avenida 16 Guajira waren, sahen wir einen Pulk von Menschen auf dem Gehweg, einen Bus, der quer zur Fahrbahn stand und die Leiche eines jungen Mannes, sein Gehirn war über die Fahrbahn verteilt. Dieses Mal fühlte ich nicht einmal den Impuls, meinen Blick abzuwenden, sondern versuchte, das Szenario zu entschlüsseln, während unser Auto weiterfuhr. Am nächsten Tag, am 16. Juli, berichtete die Zeitung La Verdad („Die Wahrheit“) über den Vorfall in einer Nachricht. Der Junge war 19 Jahre alt, er hatte sich aus dem Bus gestürzt, weil ein Krimineller die Fahrgäste des Busses ausrauben wollte. Der Junge war auf dem Gehweg und der Straße gelandet und der Busfahrer hatte nicht verhindern können, dass der Hinterreifen des Busses ihn überrollte. Der Verbrecher hatte lediglich ein Tafelmesser bei sich gehabt. Diese Tatsache und der Tod des jungen Mannes hatten die Wut der Fahrgäste erregt, so dass sie den Räuber fassten, ihn an einen Laternenmast fesselten und ihn zu verprügeln begannen. Zu seinem Glück fuhr genau in diesem Moment der Wagen der Bürgermeisterin von Maracaibo vorbei, und damit wurde die Lynchjustiz verhindert.

Man sollte meinen, das Bild der Katze habe mich darauf vorbereitet, den Eindruck der Leiche des Jungen abzuschwächen. Das ist ein gefährlicher Gedanke: Er birgt die Idee, dass manche Schmerzen schlimmer als andere oder dass sie gerechtfertigt sind, da sie für andere Schmerzen Vorarbeit leisten. Der Präsident Chávez musste beispielsweise ein Krebsleiden erfahren, um Mitleid für einige politische Gefangene empfinden zu können, die unter der gleichen Krankheit leiden und die über ein Jahr lang erfolglos versuchten, das Recht auf eine medizinische Behandlung einzufordern.

Die Tragödie, mit einer Regierung zu leben, die aus einem Personenkult besteht, liegt darin, dass sich die Probleme des Landes unter die Sorgen eines einzigen Bewohners unterordnen müssen. Gewalt und Angst vor Verbrechen zählen bis zum heutigen Tag nicht zu den präsidentiellen Sorgen. Genau wie es in „Inseguridad y Violencia en Venezuela. Informe 2008“ (Alfa, 2009) (dt. „Buch der Angst vor Verbrechen und Gewalt in Venezuela. Bericht von 2008“) dargestellt wird: Die Zahl der Morde stieg in den ersten zehn Jahren der Regierung Hugo Chávez aud das Dreifache an, bis sie bislang unbekannte Dimensionen in der Kriminalgeschichte des Landes annahmen. Von 4.550 registrierten Morden im Jahr 1998, als Chávez mit seiner Wahlkampagne an die Macht kam, sind wir mittlerweile bei 13.157 registrierten Morden allein im Jahr 2007 angelangt.

Diese Zahlen haben sich seither einfach nur multipliziert. An einem einzigen Wochenende, vom Freitag, den 22. Juli bis zum Sonntag, den 24. Juli 2011, ereigneten sich allein im Stadtgebiet von Caracas 54 Morde. An jenem Wochenende gab die Regierung die Ergebnisse der Analyse der sterblichen Überreste Simón Bolívars bekannt. Und dabei wurden zwei wesentliche Dinge bewiesen: Es handelte sich tatsächlich um die Überreste von Bolívar und, was das noch viel wichtiger war: Er war tot. Die Forschungen der Wissenschaftler deuteten auf eine unbekannte Krankheit als Todesursache des Libertador, des großen Unabhängigkeitskämpfers, hin. Hugo Chávez war trotzdem nicht überzeugt, wie er im nationalen Rundfunk bestätigte. Der Präsident von Venezuela bestand darauf, dass der Nationalheld des Vaterlandes ermordet worden war.

Bolívar starb 1830. Nur 181 Jahre später näherte sich Chávez der Lösung des Falles. Wenn Bolívar schon so lange warten musste, dann können die 100.000 Ermordeten, die während der Amtszeit Chávez registriert wurden, ja wohl auch noch ein bisschen warten! Wenn es um Helden geht, ist das Leben der anderen genauso viel wert wie Straßenkatzen.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Innere Mauern, äußere Mauern http://superdemokraticos.com/laender/israel/innere-mauern-ausere-mauern/ http://superdemokraticos.com/laender/israel/innere-mauern-ausere-mauern/#comments Wed, 13 Jul 2011 22:52:26 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=4501

Jerusalem ist eine Stadt voller Mauern: Da ist die archaischen Stadtmauer, welche die Altstadt umringt, und in dem neuen Teil der Stadt gibt es eine Mauer, die Juden und Palästinenser trennt. Von einer Mauer sagt man, sie wäre aus Sicherheitsgründen erbaut worden, wie alle Mauern aus fernster Vergangenheit, aber das ist lediglich die Effizierung der Intoleranz. Genau wie schlussendlich alle Mauern. Von den Aussichtstürmen aus scheint Jerusalem ein Mosaik aus Mauern zu sein – von den antiken Steinen bis hin zu den kürzlich errichteten Betonmauern.

Dann gibt es, wie man weiß, auch diese anderen Mauern, diejenigen, die man nicht sehen kann, aber die man im Vorbeigehen in den missbilligenden Blicken erahnen kann, oder in den Schildern, die am Sabbat den Zutritt verbieten oder ihn nur denjenigen erlauben, die sich auf eine bestimmte Art und Weise kleiden, oder die, die zwischen Männern und Frauen trennen, zwischen gläubigen und agnostischen Menschen, zwischen Religionen, zwischen unterschiedlichen Auslegungen des Christentums oder des Judentums, usw. Mauern, die man nicht sehen kann, erschienen mir immer schon als die furchtbarsten. Man kann keine Demo gegen einen missbilligenden Blick veranstalten, gegen ein Naserümpfen, gegen Gesetze, die nicht schriftlich festgelegt sind, die aber trotzdem jeder kennt. Das sind Mauern, die Menschen in sich tragen, die es einem verbieten den Anderen zu akzeptieren und sich in Grimassen, bösen Mienen und Intransigenz äußern. Grimassen, die am Ende Realitäten erschaffen.

Das Zusammenleben ist nicht einfach, wenn es zwischen so vielen inneren und äußeren Mauern stattfindet. Fanatismus auf beiden Seiten. Ungerechtigkeit überall. Neulich führte die simple Diskussion über irgendetwas in einem Geschichtskurs, den ich belegte, zum Eklat: Eine rechtsextreme Frau schrie einen arabischen Studenten an, dass er abhauen solle, und sie meinte damit natürlich nicht, dass er den Unterrichtsraum verlassen soll, sondern das Land. Und das richtete sich logischerweise nicht an ihn persönlich, sondern an die Gruppe, die er repräsentiert. „Geh du doch“, antwortete der Student, ernst und ungerührt. Seit diesem Moment ist in dem Kurs eine weitere kaum spürbare Mauer entstanden. Alle, die wir die Position der Rechtsextremen zu tiefst verabscheuten, setzten uns in die Nähe des arabischen Studenten. Um ihr physisch zu zeigen, dass wir auf seiner Seite waren. Natürlich bildete sich auch ein Kreis um die Rechtsextreme, der ihre Heldentat feierte.


Obwohl es viele, auch erfolgreiche Projekte des Zusammenlebens gibt, errichten Anekdoten wie die eben erwähnte neue, unzerstörbare Mauern.

Das Zusammenleben ist nicht einfach, vor allem weil es Mauern innerhalb der Mauern gibt: Der israelische Schriftsteller Amos Oz beschloss, seine Autobiographie mit dem Titel „Eine Geschichte von Liebe und Dunkelheit“ an Marwan Barguti zu schicken, damit der palästinensische Anführer anhand der Literatur das Leid, das er dem jüdischen Volk zufügte, kennenlerne. Diese Aktion wurde gleichermaßen von den Rechten wie von den Linken kritisiert. Oz wurde ebenfalls von Juden aus dem Mittleren Osten kritisiert, denn die von ihm erzählte Geschichte ist die der europäischen Juden und nicht die ihre.

Ich denke, dass die Literatur retten kann, da sie einen Blick auf das Leben aus einer anderen Perspektive bietet, der über den Tellerrand hinausgeht, und ich denke auch, dass Gesten wie die von Oz eine enorm große Bedeutung haben. Hoffentlich lesen wir die anderen und werden von den anderen gelesen.

Ich mache mir am meisten Sorgen um diese Mauern in den Mauern, die nicht auf geltenden Gesetzbüchern oder aus Beton oder Zement erbaut wurden, denn sie können nicht so einfach zerstört werden. Ich sehe sie wachsen, sowohl in dem Land in dem ich wohne, als auch in dem Land in dem ich geboren wurde. Venezuela lebt eine polarisierte Realität und es interessiert niemanden, einen Weg zu einem Zusammenleben zu finden. Tatsächlich schreckt das Wort Zusammenleben die Machthabenden genauso ab wie die Gegner. Städte wie Caracas formen sich nach einer geheimen Landkarte, die die Menschen trennt. Mauern, die aus der Gewalt entstehen, aber auch aus der Verleugnung des Anderen. Der Andere – wer auch immer das ist und wo er auch immer sein mag – ist im Unrecht, man muss ihn mundtot machen, ihm nicht zuhören, eine Mauer um ihn bauen. Alles, was der Andere macht, ist eine Inszenierung oder eine Farce. Nichts was er sagt ist gut, denn er ist nicht Teil von uns. So Chávez mit seiner sozialistischen Parodie. So auch die Mehrheit seiner Gegner mit ihrem fehlenden Respekt und mangelndem Interesse für die benachteiligten Bevölkerungsschichten.

Jede Mauer ist aus den Fäden des Fanatismus gestrickt. Die physischen erwecken wenigstens den Wunsch sie einzureißen. Die immateriellen verstecken sich heimtückisch hinter den Schleiern des Nationalismus, der Religionen oder des Machtmissbrauchs.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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